Der Exorzist
(The Exorcist)
USA 1973, Director’s Cut, 132 Minuten (2001)
Regie: William Friedkin

Drehbuch: William Peter Blatty, nach dessen gleichnamigem Roman von 1971
Musik: Krzysztof Penderecki, Hans Werner Henze, Anton Webern, George Crumb, Beginnings, Mike Oldfield, David Borden, Jack Nitzsche
Director of Photography: Owen Roizman
Montage: Jordan Leondopoulos, Bud Smith, Evan Lottman, Norman Gray
Produktionsdesign: Bill Malley

Darsteller: Ellen Burstyn (Chris MacNeil), Max von Sydow (Pater Merrin), Lee J. Cobb (Lieutenant Kinderman), Kitty Winn (Sharon), Jack MacGowran (Burke Dennings), Jason Miller (Pater Damian Karras), Linda Blair (Regan), Rev. William O’Malley, S. J. (Pater Dyer), Barton Heyman (Dr. Klein), Peter Masterson (Klinikdirektor), Rudolf Schündler (Karl), Gina Petrushka (Willie), Robert Symonds (Dr. Tanney), Arthur Storch (Psychiater), Rev. Thomas Bermingham, S. J. (Universitätspräsident), Vasiliki Mallaros (Karras Mutter), Tito Vandis (Karras Onkel), Wallace Rooney (Bischof)

Das Teuflische in uns

Als ich Mitte der 70er Jahre im zarten Alter von 20 Friedkins („French Connection“, 1971; „To Live and Die in L.A.“, 1985) Exorzisten das erste Mal sah, konnte ich mich vor Begeisterung kaum halten. Sicher, Suspense-Meister Alfred Hitchcock hatte etliche Male vorgemacht, wie man Spannungsbögen über eineinhalb oder zwei Stunden durchhalten kann und das Publikum in Angst und Schrecken versetzen konnte, vor allem mit „Die Vögel“ und „Psycho“. Aber „Der Exorzist“ war mehr, ging einige Schritte weiter, ohne nur Horror-Film zu sein.

Der Film brach alle Rekorde, war nach „Der Pate“ der bis dahin erfolgreichste Film aller Zeiten. Er löste eine regelrechte spirituelle Welle aus. Die US-amerikanische Presse reagierte mit Schlagzeilen und Kommentaren wie „Gipfel des Wahnsinns und der Blasphemie“ („Washington Post“) oder „Warum zum Teufel sind sie so verrückt nach dem Teufel?“ („New York Times“). Die hiesige „Welt“ spekulierte über die „Rehabilitierung des Mittelalters durch das modernste aller Medien – den Film“. Während die katholische Kirche die religiöse Tendenz des Films lobte, geiferte Profi-Prediger Billy Graham, der Film sei das Böse schlechthin.

Was Friedkin und Blatty auf die Leinwand brachten, war durchaus zwiespältig. Das geht schon aus den Stellungnahmen der beiden hervor. Blatty: „In gewisser Hinsicht ist der Film einfach nur eine prächtige Achterbahnfahrt, aber auf einer tieferen, unbewussten Ebene erfahren wir beim Zuschauen etwas über die geistigen Mächte des Universums - einige positiv, andere weniger. Im Grunde ist die Aussage: Es gibt einen Gott. Diese Botschaft steckt im Film drin und sie überträgt sich auf den Zuschauer. Wie oft kann man sich schon denselben Film ansehen und immer wieder aufs Neue etwas empfinden?“ Friedkin dagegen hielt sich eher bedächtiger: „Jeder sieht im ›Exorzisten‹, was er bereits ins sich hat...“ (1).

Schauplatz 1:
Pater Merrin (Max von Sydow) entdeckt bei Ausgrabungen im Nord-Irak die Figur eines Dämonen. Sichtlich erschüttert diskutiert er mit einem Kollegen im Museum über die böse Natur des Dämonen. Plötzlich bleibt das Pendel der Standuhr stehen.

Schauplatz 2:
Zur gleichen Zeit dreht die Filmschauspielerin Chris MacNeil (Ellen Burstyn) in Washington einen Film, der im Milieu der Universität spielt, unter dem Titel „Crash Course“. Chris tituliert den Film als „die Walt-Disney-Version der Ho-Chi-Minh-Story“. Mit ihrer Tochter Regan (Linda Blair) lebt Chris im Universitätsviertel Georgetown hoch über dem Potomac-River. Regans Vater lebt, geschieden von Chris, in Europa. Als sie mitbekommt, dass Regisseur Burke Dennings (Jack MacGowran) ihrer Mutter den Hof macht, fragt sie Chris, ob sie Dennings heiraten wolle. Doch Chris kann ihre Tochter beruhigen.

Schauplatz 3:
Der Jesuitenpater Damian Karras (Jason Miller) hat etliche Probleme. Er zweifelt zum einen an seinem Glauben und will sich von seiner Arbeit als psychiatrischer Berater an der Universität entbinden lassen. Zum zweiten lebt seine Mutter vereinsamt in einem heruntergekommenen Viertel und will dort nicht weg. Als sein Onkel (Tito Vandis) seine Mutter (Vasiliki Mallaros) in die Psychiatrie einliefern lässt und sie bald darauf stirbt, ist Karras am Boden zerstört und fängt an zu trinken.

Dann geschehen einige merkwürdige Dinge. In einer Kirche in Georgetown wird eine Marienstatue auf obszöne Weise entstellt. Chris hört merkwürdige Geräusche vom Dachboden ihres Hauses, vermutet Ratten und beauftragt ihren Angestellten Karl (Rudolf Schindler), Fallen aufzustellen. Aber noch viel schlimmer ist das plötzlich auftretende merkwürdige Verhalten Regans. Sie reagiert hypermotorisch, benutzt unflätige Worte und reagiert aggressiv, als die Ärzte sie untersuchen. Die finden keine körperlichen Schädigungen und vermuten psychische Probleme aufgrund der Trennung der Eltern. Während einer Party erscheint Regan vor den Gästen im Nachthemd und flucht: „Ihr werdet alle da oben sterben.“

Eines Nachts hört Chris Schreie ihrer Tochter und beobachtet, wie Regan im Bett liegt, das durch irgendeine unbekannte Kraft hin und her geschüttelt wird. Weitere Experten werden konsultiert, Regan erhält starke Beruhigungsmittel, aber nichts hilft. Als Chris ihre Assistentin Sharon (Kitty Winn) beauftragt, auf Regan aufzupassen, und später nach Hause zurückkehrt, findet sie Dennings an der Treppe tot, das Gesicht mit brutaler Gewalt in den Nacken gedreht. Lt. Kinderman (Lee J. Cobb) nimmt die Ermittlungen auf, ein Psychiater vermutet etwas Unglaubliches: dass ein Dämon sich in Regan festgesetzt hat. Die Ärzte empfehlen Exorzismus: „Weil die Opfer selbst glauben, dass sie besessen sind, hilft manchmal ein Exorzismus. Letztlich ist das natürlich eine komplizierte, aber funktionierende Form von Autosuggestion.“

In ihrer Verzweiflung bittet Chris Pater Karras und später Pater Merrin, der schon Erfahrungen mit Teufelsaustreibungen gesammelt hat, mit dem Exorzismus zu beginnen ...

Friedkin ist in Inszenierung, Spannungsaufbau, Dramatisierung der Geschichte und inhaltlicher Aussage ein visuelles und filmhistorisches Meisterwerk gelungen. In einer fast schon nüchternen Art und Weise erzählt er zu Anfang drei Geschichten, die kaum etwas von dem Szenario des Horrors ahnen lassen, das den Betrachter unvorbereitet trifft. Es sind Geschichten der Normalität, in denen sich allerdings Konflikte abspielen, deren Bedeutung sich durch den Schrecken völlig wandelt. Das gilt für den zweifelnden und verzweifelten Pater Karras ebenso wie für den körperlich und seelisch angeschlagenen Pater Merrin und die Familiengeschichte der MacNeils. Der Horror bricht nicht ein wie ein Sturm, der ein Haus verwüstet, oder ein Verbrechen, dem Menschen zum Opfer fallen. Der Schrecken kommt im wortwörtlichen Sinne von „innen“. Er hat sich längst eingenistet, bevor irgend jemand davon auch nur den Hauch einer Ahnung hat.

Dieser Horror hat keine Gestalt, wird für den Betrachter nicht personifiziert, sondern äußert sich – in der kleinen Regan, also ausgerechnet in einem Kind, einem jungen Menschen, der seine Unschuld noch nicht verloren hat. Das absolut Böse, das nicht mit sich reden oder handeln lässt, das unweigerlich sein Unwesen treibt, nistet sich dort ein, wo man es am wenigsten erwartet. Du wirst nicht unschuldig bleiben, vermittelt der Dämon, Du wirst so schuldig werden wie Deine Eltern. Friedkin lässt dem Zuschauer keine Wahl, keinen Ausweg, keine Hoffnung. Er entzaubert jegliche Form von Wissenschaft, von Erklärung, Logik, Vernunft, Verstand, um deren Konsequenzen um so drastischer zu offenbaren. Hier liegt u.a. die zeithistorische Bedeutung des Films. Der Glaube an die vollständige Erklärbarkeit der Welt durch Wissenschaft, Technik, der Fortschrittsutopismus werden radikal gebrochen und als Aberglaube enthüllt.

Aber nicht nur dies. In fast schon Goethescher Manier enthüllt Friedkin die Konsequenzen dieses Aberglaubens: der alles erklärende Verstand ist der tötende Verstand. Wenn er die Transzendenz des menschlichen Lebens und damit das Unerklärbare versucht zu vernichten, melden sich die Mächte der Finsternis, die hier die kleine Regan befallen.

Der Fortschrittsoptimismus war Konsequenz der aufräumenden Arbeit der Protestbewegungen gegen Mitte / Ende der 60er Jahre. Insofern ist diese Zeit vergleichbar (nicht etwa gleichzusetzen!) mit anderen umwälzenden Epochen der Geschichte. Die Aufklärung erzeugte als ergänzende Gegenbewegungen sowohl die erzkonservative Reaktion etwa eines Edmund Burke, als auch die „Fingerzeige“ der Romantik. Ähnlich bei „Der Exorzist“: Die Watergate-Affäre hier, die Protestbewegungen dort offenbarten auf erschütternde Weise den Glauben an die Reinheit der Politik wie den an die Reinheit des Protestes. Nixon, Kissinger und das Vietnam-Desaster stehen hier auf der einen Seite, der hilflose Verfall eines Teils der Protestbewegungen in Formen des modernen Aberglaubens (Sinnstiftung durch Drogen, psychedelische Experimente, Outsider- und Aussteigerideologien und anderes mehr) auf der anderen Seite.

Während Friedkin mehr die Erschütterung des Glaubens an Wohlstand und Glück durch eine aufgeblähte Fortschrittsmetaphorik interessierte, die sich ihrer eigenen irrationalen Basis nicht bewusst war (und ist), sondern sich als einzig rationale Grundlage der modernen Welt verstand und verkaufte, galt Blattys Augenmerk eher der von ihm für unumgänglich gehaltenen Renaissance des religiösen, metaphysischen Diskurses über Gut und Böse. Beide Tendenzen finden sich in „Der Exorzist“ – und das ist aus heutiger Sicht zumindest vorteilhaft. Beides steht für die genannten Reaktionen auf scheinbar alles umwerfende und umwerfen wollende Tendenzen: konservative restaurative Reorganisation (Blatty) und sinnstiftendes Korrektiv rationalistischer Ideologien (Friedkin).

Für Blatty ist der Dämon, der sich in aller Scheußlichkeit breit macht, das Böse schlechthin, dem nur mit Teufelsaustreibung beizukommen ist. Für Friedkin sind eher die verdrängten Ängste vor einer durchrationalisierten Welt das Zentrum, aus dem sich das Böse drängt. Dieses Böse ist nicht leicht zu lokalisieren: Steht es für die Schattenseiten menschlichen Daseins oder ist es „Hinweisgeber“ oder beides?

Das Zimmer Regans ist das körperliche und seelische Zentrum des Abgrunds. Von hier aus bricht sich das Böse Bahn. Seine Austreibung durch einen Exorzisten ist nicht seine Vernichtung, sondern nur seine Verdrängung aus dem Kind. So hinterlässt „Der Exorzist“ einen mehrdeutigen Eindruck im positiven Sinn. Das Böse, Verdrängte, die (Ur-)Ängste melden sich in brutaler Form. Am Schluss sind sie wieder verdrängt, durch die Religion, das Kreuz. Regan scheint befreit. Aber nichts ist mehr wie vorher. Die Austreibung steht für die wiederholte Verdrängung des Bösen. Die Religion wird entzaubert, gegen die Absicht Blattys übrigens. Sie steht am Schluss für die Austreibung, aber sie ist ebenso machtlos gegenüber dem Bösen wie alle anderen. Sie ist nicht der Ort der Erlösung, sondern nur der Schein, der die Erlösung in ein unbestimmtes Jenseits verbannt.

What’s new?
Knapp zwölf Minuten wurden für the „version you’ve never seen“ hinzu geschnitten. Der Streit darüber. ob dies notwendig, sinnvoll war, geht durch die Kinowelt. Die digitale Neufassung beim Ton hat dem Film nicht besonders gut getan, jedenfalls nicht in der deutschen Synchronisation.

Bei den zusätzlichen knapp zwölf Minuten handelt es sich um vier Szenen. Die eine ist aus diversen DVD- und Video-Fassungen bekannt und passt sich meinem Empfinden nach in den Film gut ein: Der Spider-Walk, bei dem Regan blutspeiend und verkrümmt gleich einer Spinne die Wände entlang krabbelt.

Die hinzugefügte Schlusssequenz verändert zwar nicht den ganzen Sinn des Films, ist aber völlig unnötig. Die Originalversion endete mit der Abfahrt von Chris und Regan. Chris übergibt Pater Dyer Pater Merrins Medaillon. Das Auto fährt ab, Dyer schaut noch einmal auf die Treppe des Grauens und geht weg. In der Neufassung trifft Dyer auf Lt. Kinderman. Sie sprechen über irgendeinen Film namens „Wuthering Heights“. Ein völlig sinnloser Schluss, der aber dem Pessimismus der Originalfassung tatsächlich etwas nimmt. Völlig unnötig.

Ebenso unnötig ist eine Szene nach dem ersten Versuch von Exorzismus, ein Gespräch zwischen Karras und Merrin auf der Treppe, der die Handlung eher stört, als irgend etwas zur Dramatik beizutragen.

Sinnvoll dagegen ist die Krankenhausszene, in der Regan von verschiedenen Ärzten untersucht wird. Sie ist passt auch inhaltlich, weil sie die These des Films untermauert, dass die Wissenschaft keine Antwort auf das Phänomen hat, was Regan befallen hat.

„The Exorcist“ hinterlässt – auch in der verlängerten Fassung – immer noch einen überwältigenden Eindruck und stellt Fragen an die moderne Gesellschaft und ihren schier unbegrenzten Fortschrittsglauben, dem wir alle mehr oder minder verhaftet sind. Dabei ist der Film durchaus, aufgrund der unterschiedlichen Absichten Friedkins und Blattys, zwiespältig, aber ich finde in einem positiven Sinn. Für die einen ist die Religion der einzige Hort, der Schutz vor dem Bösen. Friedkin dagegen entzaubert die Religion als Schein. Regan ist am Schluss gerettet, die Angst, der Schrecken, das Böse bleiben. Was tun wir damit? Für Blatty ist der Dämon eher das personifizierte Andere, das es zu bekämpfen gilt, für Friedkin das Böse, was in uns allen steckt und dessen Existenz wir gerne verdrängen. Hier liegt die enorme (film)historische Bedeutung von „The Exorcist“.

(1) Vgl. die ausführlichen Informationen in einer 40seitigen Pressemappe, die als PDF-Datei unter www.exorzistderfilm.de herunter geladen werden kann.


 

Der Exorzist-Plakat
Der Exorzist-2
Der Exorzist-1
Der Exorzist-3