Der Konformist
(Il Conformista)
Italien, Frankreich, Deutschland 1970, 115 Minuten
Regie: Bernardo Bertolucci

Drehbuch: Bernardo Bertolucci, nach dem Roman von Alberto Moravia
Musik: Georges Delerue
Director of Photography: Vittorio Storaro
Montage: Franco Arcalli
Produktionsdesign: Ferdinando Scarfiotti

Darsteller: Jean-Louis Trintignant (Marcello Clerici), Stefania Sandrelli (Giulia), Gastone Moschin (Manganiello), Enzo Tarascio (Prof. Quadri), Dominique Sanda (Anna Quadri), Pierre Clémenti (Lino), José Quaglio (Italo)

Anpassung bis in den Tod ... anderer

„Wenn der Staat sich nicht
nach dem Bild des Individuums
formt, wie kann dann das
Individuum sich nach dem
Bild des Staates formen?
Ein Blutbad und Melancholie.”
(Antonio, Vater Marcellos)

Wie ein Mosaik öffnet sich uns eine (scheinbar) vergessene Welt, eine Welt, die so weit hinter uns liegt, vor unserer Geburt, auf jeden Fall von einer Zeit, die wir nicht erinnern können. Eine verloren gegangene Zeit? Der Schein trügt und trügt nicht. Der Faschismus ist Vergangenheit, uns nicht gegenwärtig, und doch ist das, was ihn kennzeichnet näher, als wir vielleicht wahr haben wollen. Ein Mann verlässt ein Hotel, steigt in ein Auto und fährt zu einer Hinrichtung, der Hinrichtung, der Ermordung eines Mussolini-Gegners, und der eigenen Hinrichtung. Er weiß nichts von seiner Hinrichtung – seiner Hinrichtung als menschliches Wesen, nicht als Mensch. Jean-Louis Trintignant spielt diesen „Selbstmörder”, einen Konformisten, der nie in seinem Leben bemerken wird, das er eine Art wirklicher Untoter ist, ein Mensch, der sich allem anpasst – egal, was da komme. Trintignant spielt diesen Dr. Marcello Clerici mit fahlem, fast unbeweglichem Gesicht, wie man es sonst vielleicht nur aus dem film noir kennt – von Bogart vielleicht. Trintignants Marcello ist einer, dem Anpassung zum Lebensinhalt geworden ist.

Bertolucci, der mit „Der Konformist” die internationale Bühne des Films betrat, erzählt nach einem viel beachteten Roman von Alberto Moravia die Geschichte dieses Konformisten in der Art eines Baukastensystems, mit Rückblenden, die eigentlich keine sind, weil die Zeitebenen verschwimmen. Zeit scheint in dieser Geschichte keine Bedeutung zu besitzen – nur das Ziel, das Ziel, sich als Angepasster zu beweisen – ein zeitloses, bedeutungsloses, aber für andere umso riskanteres, lebensgefährliches Spiel.

1938. Marcello dient sich dem faschistischen Staat als Werkzeug an. Gleichzeitig beabsichtigt er, die reichlich naive Giulia (Stefania Sandrelli) zu heiraten. Sein Vater sitzt in der Psychiatrie, ein Mann, der eine dunkle Vergangenheit hat, und offenbar irre daran geworden ist. Seine Mutter wartet, den Tag mit einer Augenbinde im Bett verbringend, mit irgend einem jungen Liebhaber, sicherlich ein Dutzend Hündchen um sich geschart, wartet nur auf das Ableben ihres Mannes. Aber das alles hat für Marcello ebensowenig Bedeutung wie das meiste andere, was um ihn herum geschieht. Er bekommt den Auftrag, den antifaschistischen Professor Quadri (Enzo Tarascio), bei dem Marcello studiert hatte und der mit seiner viel jüngeren Frau Anna (Dominique Sanda) in Paris im Exil lebt, zunächst zu beobachten. Ein überzeugter Faschist namens Manganiello, der Juden, Schwule und Feiglinge hasst und am liebsten schon bei der Geburt getötet sehen will, wie er nach der Hinrichtung Quadris beim Pinkeln äußert, wird Marcello zur Seite gestellt. Schließlich ändert sich der Auftrag: Marcello soll Quadri ermorden.

Mit Giulia plant er eine Hochzeitsreise nach Paris – der Vorwand, um mit Quadri Kontakt aufzunehmen. Quadri weiß von der Arbeit Marcellos für den faschistischen Staat, aber er lädt ihn trotzdem zu sich ein. Als Marcello dessen Frau Anna sieht und sich in sie verliebt, als der Professor Marcello einen Brief für einen Freund in Rom anvertraut, kommen Marcello Zweifel. Doch sehr schnell verschwinden diese Zweifel an seinem Auftrag wieder. Anna, die sich mehr für Giulia zu interessieren scheint als für Marcello, scheint ihn und seine Absichten zu durchschauen. Sie bleibt bei ihrem Mann.

Der Mord an Quadri und Anna ist nicht mehr als eine Frage des richtigen Zeitpunkts. Und der kommt, unweigerlich.

Bertolucci deutet gleich zu Anfang des Films an, wie aus Marcello angeblich ein Konformist wurde. Als 13jähriger wird Marcello von dem pädophilen Chauffeur Lino (Pierre Clémenti) auf dessen Zimmer gelockt. Halb abgestoßen, halb angezogen von dessen Wünschen schießt Marcello mit Linos Waffe wild um sich und glaubt, Lino dabei getötet zu haben. All das erzählt er 1938 einem Priester während der Beichte. Noch immer scheint er unter diesem vermeintlichen Mord zu leiden. Er erzählt dem Priester, er wolle endlich ein normales Leben führen, eine Familie gründen. Alles, was Marcello tut oder nicht tut, scheint nur von diesem Ereignis bestimmt.

Das Verbotene, Verfemte, Abscheuliche scheint zur Anpassung, zum Normalen zu drängen. Wie ein Zwang bestimmt es das weitere Leben des Konformisten Marcello Clerici. Die Verhältnisse ändern sich, das Studium bei Professor Quadri endet abrupt, als der aus Italien wegen der Machtübernahme durch Mussolini flieht. Alles ändert sich, das Mittelmaß, dieses gefährliche Mittelmaß erobert die Macht in Rom, das Niveaulose, Anti-Kulturelle und Anti-Demokratische, der Mythos, irgendein schwammiger, schwabbeliger und mordlüsterner Mythos, wird Realität. Marcello beobachtet nur dies, das, was sich um ihn herum verändert, und ihn beherrscht nichts weiter als die Frage, wie er sich dem anpassen kann.

Doch im Lauf des Films wird auch immer deutlicher, dass das katastrophale Ereignis seiner Jugend ihm – vielleicht unbewusst – lediglich als Vorwand, als Rückendeckung dient. Nein, Marcello wird von diesem Ereignis nicht beherrscht. Er beherrscht es als Legitimationsbasis für sein Leben als Konformist. Das hat er gelernt – wie auch immer. Wie ein Mosaik baut Bertolucci Marcellos Leben vor uns auf, das keine Zeiträume, überhaupt keine Zeit zu kennen scheint, nur das Fixe, das Geronnene, das Erstarrte.

Manganiello – das ist „nur” die Verkörperung des Mittelmaßes, des im Grund unpolitischen, durch eine primitive „Idee” in Gang gesetzten Dummen, der dumm bleiben will – die einzige „intelligente” Entscheidung dieses Mannes. Marcello aber, dieser, wie Professor Quadri einmal ihm gegenüber sagt, nicht überzeugte Faschist, das ist das Fixe in Gestalt des angsterfüllten, unselbständigen, anti-intellektuellen Menschen. Wenn der Faschismus in gewisser Beziehung das Fixe, Unveränderliche als Gesellschaftsformation ist, dann Marcello das dazu passende individuelle Idealbild eines Menschen, eines Untertans. Man will es festklopfen – mit aller Gewalt, mit aller Brutalität und Skrupellosigkeit festhalten, diese „Idee”, die das Führer-Gefolgschafts-Prinzip zementieren will – gegen alle Veränderung, gegen alle Zeit, Entwicklung und gegen jeden Fortschritt. Eben deshalb ist ja Faschismus so sehr reaktionär gegen die Vergangenheit wie die Zukunft – und letztlich zum Scheitern verurteilt. Marcello ist dessen Diener. Ein armseliger Tropf, die Mordwaffe im Jackett.

Der Beliebigkeit, der Gleichgültigkeit entgegen steht der Geist, das Kulturelle, das Künstlerische Quadris und Annas, das Leben in Paris, die Lebensfreude der Feste, die man feiert, die Phantasie. Beides prallt aufeinander. Und Anna, die sich auf irgendeine Art zu dem überzeugungslosen Faschisten Marcello hingezogen und gleichzeitig von seiner Art abgestoßen fühlt, Anna, die Ballettlehrerin, scheint nur von ihren Gefühlen bestimmt zu sein, in dem, was sie tut, wie sie handelt. Kein Wunder, das Marcello eine Naive ehelichen will wie Giulia, sich aber zu der selbstbewussten Anna hingezogen fühlt. Wie sagt Giulia nach dem Krieg: Ja, Anna habe ihr erzählt, dass Marcello für die politische Polizei arbeite. Ob sie das nicht gestört habe, fragt er sie. Nein, antwortet Giulia, sie habe geglaubt, das nütze seiner Karriere, und außerdem liebe sie ihn, was sollte sie das also gestört haben. Die Naivität paart sich mit dem Konformismus in einer fatalen, fast idealen Weise.

Das Philosophische paart sich mit dem Kulturellen und der Kunst, der Poesie auf der anderen Seite – in Anna und Quadri. Sie werden ermordet. Doch über ihren Tod hinaus hat der Faschismus als Organisationsprinzip von Gesellschaft keine Dauer, keine Chance. Der Konformismus schon. Als Marcello zufällig Lino wieder trifft und begreift, dass er ihn nicht erschossen, sondern nur leicht verletzt hatte, schreit er, Lino habe 1938 Quadri ermordet. Das Konformistische in ihm findet eine Zukunft im nach-faschistischen Italien. Und es wird spätestens hier offenbar, wie wenig das Ereignis in seiner Jugend etwas Psychologisches an sich hat. Nein, es ist nur der rechtfertigende Grund für den Konformismus seines Charakters.

In bestechenden Bildern erzählt Bertolucci diese Geschichte. Da sehen wir die weiß getünchten, kalten Räume der Psychiatrie, in der sein Vater lebt, die ebenso kalten, monumentalen Marmorhallen der faschistischen Herrschaft. Und wir sehen den Tanzsaal in irgendeinem Pariser Varieté, das bunte, schrille, lustvolle Leben an der Seine. Fast spurlos geht das alles an dem Konformisten vorbei. Und so wird deutlich, dass Konformität eine Lebensart ist, die auf eine einzigartige Weise sich selbst als einzigen Maßstab ins Zentrum setzt – ein Leben ohne Freude, Liebe oder Glück.

© Bilder: Maran Film.
Screenshots einer TV-Aufnahme in 3Sat.