Der Manchurian Kandidat
(The Manchurian Candidate)
USA 2004, 129 Minuten
Regie: Jonathan Demme

Drehbuch: Daniel Pyne, Dean Georgaris, nach dem Roman von Richard Condon
Musik: Wyclef Jean, Rachel Portman
Director of Photography: Tak Fujimoto
Montage: Carol Littleton, Craig McKay
Produktionsdesign: Kristi Zea

Darsteller: Denzel Washington (Ben Marco), Meryl Streep (Eleanor Shaw), Liev Schreiber (Raymond Shaw), Jon Voight (Senator Thomas Jordan), Kimberly Elise (Rosie), Jeffrey Wright (Al Melvin), Ted Levine (Colonel Howard), Simon McBurney (Atticus Noyle), Bruno Ganz (Delp)

Märchenstunde

Vorab: „The Manchurian Candidate“ – eine Remake des 1962 von John Frankenheimer inszenierten Films mit Frank Sinatra, Janet Leigh und Angela Lansbury – ist einer der spannendsten Thriller der vergangenen Jahre. Auch an den schauspielerischen Leistungen gibt es so gut wie nichts auszusetzen. Allen voran Denzel Washington spielt einmal mehr – und das durchaus überzeugend – das Gewissen der Nation, den makellosen Helden, den wir uns insgeheim alle im Kino wünschen – ob wir es zugeben wollen oder nicht. Meryl Streep als durch und durch korrupt-krankhafte Senatorin demonstriert ebenso glaubhaft einen unsympathischen Gegenpol zu Washington, wie man ihn besser kaum spielen könnte. Liev Schreiber als Marionette seiner Mutter und des hinter ihr stehenden Konzerns „Manchurian Global“ einerseits, im Grunde einfachen, an Politik letztlich wenig interessierten, schwachen Menschen andererseits weiß ebenfalls zu überzeugen. Auch Kimberly Elise als Rosie und Jon Voight als Senator Jordan lassen kaum etwas zu wünschen übrig. Nicht zuletzt Jeffrey Wright als verstörter und psychisch gestörter Ex-Soldat rundet ein Schauspieler-Ensemble ab, das den Film zu einem spannungsgeladenen Thriller werden lässt.

Auch die Dramaturgie des erfahrenen Jonathan Demme („Das Schweigen der Lämmer“) ist eine der besten, die man in letzter Zeit zu sehen bekam. Demme „versorgt“ uns mit einem zum Teil in raschen Szenenwechseln erfolgenden „Potpourri“ von Teilinformationen, Puzzlestücken, die schließlich ein Gesamtbild jener Verschwörung ergeben, die der Geschichte zugrunde liegt. Da wechseln Szenen aus dem Leben von Raymond Shaw (Liev Schreiber) und seiner Mutter (Meryl Streep), der Senatorin, mit eingeblendeten Fernsehbildern vom Wahlkampf, der verzweifelten Suche Ben Marcos (Denzel Washington) nach der Wahrheit über den Kampfeinsatz in Kuwait 1991 und so weiter in Suspense erzeugender Weise.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Marco und Shaw waren Mitglieder einer US-Militäreinheit im Golfkrieg gegen den Irak während der Annexion von Kuwait 1991. Shaw wurde später für seinen heldenhaften Einsatz zur Rettung der Einheit ausgezeichnet, während Marco während dieses Einsatzes durch einen Schlag das Bewusstsein verloren hatte und sich nur noch an weniges erinnern kann. Zwölf Jahre später begegnet Marco Al Melvin (Jeffrey Wright), ebenfalls damaliges Mitglied seiner Einheit, der völlig verstört wirkt. Melvin hat Alpträume, deren Inhalt seinen Erinnerungen an den Einsatz nicht entspricht. In einer Kladde hat er Fotos, Zeitungsausschnitte und Aufzeichnungen über seine Träume gesammelt, die Marco allmählich daran zweifeln lassen, ob sich alles so zugetragen hat, wie er und auch Shaw dies erinnern.

Shaw ist inzwischen auf Betreiben seiner Mutter Eleanor zum Vizepräsidentschaftskandidaten gekürt worden – an der Seite des Präsidentschaftskandidaten Arthur (Tom Stechschulte). Damit wurde der bisher als Vizepräsidentschaftskandidat gehandelte Senator Thomas Jordan (Jon Voight) von ihr ausgeschaltet. Die Senatorin versteht es blendend, ihre Parteikollegen von der Richtigkeit der Kandidatur ihres Sohnes zu überzeugen.

Inzwischen versucht Marco, mit Melvin Kontakt aufzunehmen. Der jedoch ist verschwunden und wird später tot in einem Fluss aufgefunden. Nur seine Aufzeichnungen kann Marco an sich nehmen. Auf der Fahrt nach New York, wo Marco Shaw kontaktieren will – was der zunächst abgelehnt hatte –, lernt er Rosie (Kimberly Elise) kennen, die sich als Kassiererin jenes Supermarkts ausgibt, in dem Marco einkauft. Erst später findet Marco heraus, dass sie eine verdeckt arbeitende FBI-Ermittlerin ist. In Rosies Wohnung entdeckt Marco eine Narbe an seiner rechten Schulter. Mit einem Messer schneidet er sich ins Fleisch und findet einen Mikrochip, der jedoch versehentlich in den Ausguss des Waschbeckens fällt. Als er in einem Gespräch Shaw davon erzählt, will der dies nicht glauben. Aber Marco überwältigt Shaw, beißt ihm in die Schulter und findet dort den gleichen Chip.

Marco sucht Hilfe bei dem deutschen Wissenschaftler Delp (Bruno Ganz), der erst vage, dann bestimmter andeutet, dass es sich hier offenbar um Implantate handelt, die es offiziell gar nicht geben dürfte. Marco ist jetzt überzeugt davon, dass Shaw, er und die anderen in Kuwait nach dem dortigen Einsatz einer Gehirnwäsche unterzogen wurden, die durch diese Chips und andere, die ihnen ins Gehirn eingesetzt wurden, ermöglicht wurde. Er will herausfinden, wer hinter diesen Machenschaften steckt ...

Konspiration aller Orten. Der Meister der visuellen Verschwörungstheorien, Oliver Stone (vgl. z.B. sein „J.F.K.“, 1991, oder „Nixon“, 1995, aber in gewisser Weise auch schon „Wall Street“, 1987) könnte seine Freude an Jonathan Demmes Film haben, denn der Film (und schon die Drehbuchvorlage zum Film von 1962, der den Ost-West-Konflikt und die damals verbreitete primitive Art des Antikommunismus als Hintergrund benutzte) beruht auf einer auf die derzeitigen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in den USA bezogenen Verschwörungstheorie in bezug auf die Machenschaften eines Großkonzern namens „Manchurian Global“ und

– dessen Verstrickung in halbseidene Geschäfte (überteuerter Verkauf von Blutplasma in Indonesien, Ziel der Bildung privater Kampftruppen),
– dessen Verbindung zu Senatorin Shaw, um deren Sohn zur beliebig handhaberen Marionette im Weißen Haus zu installieren,
– dessen Zusammenarbeit mit einem international wegen Kriegsverbrechen gesuchten Wissenschaftler namens Atticus Noyle (Simon McBurney), der in Südafrika verbotene Experimente mit politischen Gefangenen durchgeführt hatte, und
– dessen Instrumentalisierung aller möglichen Personen aus dem Kuwait-Krieg durch Einbau von Chips in Rücken und Gehirn, wovon die Betroffenen selbst nichts wissen, eben durch diesen gescheiten und einem jungen Hitler ähnlich gescheitelten, allerdings ohne Bärtchen auskommenden Atticus Noyle.

Dass es Verschwörungen aller Art und zu jeder Zeit gegeben hat, ist erwiesen. Aber Verschwörungstheorien, oder besser: Verschwörungshypothesen beabsichtigen nicht, wirkliche Verschwörungen (etwa die Nixons im Kampf um uneingeschränkte Macht und gegen die Demokraten) zu enthüllen und dabei alle Fakten zutage zu fördern (was Stone in seinen Filmen über Kennedy und Nixon ja trotz allem immer wieder und detailreich versuchte). Verschwörungstheorien wollen eine komplexe und komplizierte soziale Wirklichkeit, in der – was Natur- wie Sozialwissenschaftler seit langem herausgefunden haben – Künftiges in seiner ganzen Tragweite von einer Person oder einer Gruppe von Personen nicht wirklich planbar, voraussehbar und manipulierbar ist, auf einen „Punkt“ zurückführen, auf „den“ Punkt – im Film der verschwörerische Konzern samt Senatorin mit dem Ziel der Installation einer Präsidentenmarionette (denn der eigentliche Präsidentschaftskandidat soll – wie sich später herausstellt – am Wahlabend, nach der erfolgreichen Wahl, auch noch in die ewigen Jagdgründe geschickt werden).

Trotzdem hält sich in vielen Teilen der Bevölkerung die Vorstellung, Verschwörungen und verschwörerische Gruppen könnten die vernetzte soziale Realität, in der wir leben, durch einzelne zielgerichtete Handlungsstränge auf Dauer entscheidend verändern. Sozialwissenschaftler wissen inzwischen, das dies Unsinn ist. Zufälle, Irrtümer, Interdependenzen, sich entgegentretende widersprüchliche Interessen, strukturelle Merkmale und ihre Folgen in verschiedenen Subsystemen unserer Gesellschaft usw. usf. lassen tatsächlichen Verschwörungen nur wenig Raum und kaum längerfristigen Einfluss.

Die Geschichte tatsächlicher Verschwörungen weist zudem darauf hin, dass die Erfolge solcher Unternehmungen meist nur von kurzer Dauer und oft ohne durchschlagenden Erfolg sind. Der Erfolg der Verschwörungstheorien hingegen zeigt sich z.B. daran, dass selbst eher satirisch gemeinte Versuche ihrer Art über Jahre hinweg ernst genommen werden, etwa die sog. „Bielefeld-Verschwörung“, deren Erfinder behaupteten, Bielefeld würde gar nicht existieren, sei ein Produkt einer Verschwörung von CIA, Mossad und ich weiß nicht von wem noch (1).

Dieser Glaube an Verschwörungstheorien kann – wie etwa im Fall der „Dolchstoßlegende“ bzw. der nazistischen „jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“ – gewalttätige Formen annehmen, indem es politischen Kräften gelingt, solchem Unsinn massenwirksamen Sinn zu verschaffen, während Zweifler und Kritiker solchen Unsinns Gefahr laufen, angesichts der formulierten Einwände ihr Leben zu riskieren.

Jonathan Demme jedoch bezieht sich auf die gegenwärtige politisch-soziale Situation in den Vereinigten Staaten, d.h. er versucht, die (durchaus unterschiedlich verursachten) Nöte, Sorgen, Einwände, Ängste usw. eines breiten, diffusen Publikums angesichts dieser Verhältnisse durch eine Theorie zu „vereinen“, die auf der genannten Verschwörung beruht. Filme verallgemeinern, jedenfalls oft, und so bleibt am Schluss „hängen“: Das gegenwärtige amerikanische politisch-ökonomische System kann nur auf einer Verschwörung beruhen, sicher nicht auf der im Film dargestellten (oder doch?), aber auf „irgendeiner“. Bush als Ergebnis einer Verschwörung?

Doch es geht noch weiter: Es handelt sich im Film nicht einfach um eine konspirative Absicht klassischer Art. Der genannte Konzern beschäftigt einen (aus dem Klischee-Bilderbuch abgekupferten) Wissenschafter, der steuerbare Chips implantiert und damit Menschen zu Marionetten des Konzerns werden lässt – und die von ihm geplante private Kampftruppe in jeder Hinsicht vollauf steuerbar machen will. Übersetzt heißt dies: Verschwörungen haben heute nur noch eine Chance, über derartige Manipulationen des menschlichen Willens mit Erfolg gekrönt zu werden. Woher diese „Einsicht“ stammt, bleibt unerfindlich – es sei denn, man berücksichtigt den Gegenpol von „Manchurian Global“, den Helden Denzel Washington, der bis zum Schluss, trotz Gehirnimplantat und eindeutigem Auftrag im Sinne des Konzerns und der Senatorin, mit Mühe, aber Erfolg seinen freien Willen aufrecht erhalten kann.

In diese Konfrontation – Marco als letztlich nicht besiegbarer Mensch mit Freiheitsdrang versus korruptem, kriminellem Konzern – mündet der Film und reproduziert damit doch nur die alte amerikanische Vorstellung vom Individualismus, vom „land of the free“, die eben nur die halbe Wahrheit ausdrückt und den Rest verschweigt. Dass politische Strategien welcher Art auch immer ohne Chips, genetische Manipulationen oder sonstige technische Hilfsmittel seit langem, seit sehr langem operationalisierbar sind und funktionieren, d.h. mobilisieren können, nimmt der Film gar nicht mehr zur Kenntnis. Dass die amerikanischen Militäreinsätze von Korea bis Irak ohne solche Mittel durchführbar waren, weil sie auf einer tief im amerikanischen Bewusstsein sitzenden Sicherheitsideologie fußen, die eben mobilisieren kann, was das Zeug hält, ebensowenig. Dass die enge, wenn auch beileibe nicht immer reibungslose Verzahnung von politischen Würdenträgern und ökonomischen Interessenvertretern nicht nur in den USA seit langem ein offenes Geheimnis ist, aus dem selbst die Betroffenen kaum noch ein Hehl machen, nimmt der Film ebenfalls nicht zur Kenntnis – nicht einmal, dass es gar keiner wirklichen Verschwörung bedarf, um diese Interessen durchzusetzen und ihnen, teilweise weltweit, Geltung zu verschaffen. Allein beispielsweise die enorme Staatsverschuldung in den modernen kapitalistischen Gesellschaften garantiert Einflussnahme, die sich nicht zu verstecken braucht. Denn die Gläubiger zahlen die Kredite gerne, wenn nur ihre Einflussnahme garantiert ist. Ein ganz normales, gängiges und nie wirklich angegriffenes Projekt der Moderne.

Das, was oft als Verschwörung bezeichnet wird, als Korruption, Bestechung und Verletzung des Prinzips der Unparteilichkeit im Amt, ist längst Strukturmerkmal einer Gesellschaft, in der nur dann nach dem Mittel tatsächlicher Verschwörung gegriffen wird, wenn einzelne meinen, sich in einem solchen System unsterblich machen zu können (siehe Nixon, siehe Kohl). Die meisten dieser „Alleingänge“ wurden und werden (zumeist medial) aufgedeckt und entsprechend behandelt.

Was setzt Jonathan Demme dem entgegen? Den sattsam bekannt-berüchtigten Glauben an den amerikanischen Präsidenten als einen Mann, der aus dem Volk kommt. Während Raymond Shaw, das Muttersöhnchen mit inzestuöser Beziehung zu seiner Mutter, der Schwächling aus traditionsreichem Haus, es nicht schafft, sich vom Alpdruck seiner Biografie zu lösen – was eine wirkliche Heldentat gewesen wäre –, und während Meryl Streep als Senatorin in ihrer diese leicht übertrieben, ja fast schon krankhaft überspitzt darstellenden Rolle das erntet, was so eine egozentrisch-skrupellose Figur verdient, bleibt am Schluss ein einziger Wunsch offen: „Kürt Denzel respektive Ben Marco zum Kandidaten. Er ist der wirkliche Mann aus dem Volk.“ Das ist die Botschaft. Ganz bewusst – und wahrscheinlich in voller und ehrlicher Überzeugung – baut Demme diesen Kriegsveteranen und verdienten Mann Ben Marco, der die Wahrheit ans Tageslicht bringt – koste es, was es wolle, und ohne egoistischen Eigennutz –, genau zu dem auf, was das Märchen verlangt: zum Mann aus dem Volk.

Und an dieser Stelle spätestens müsste jedem einigermaßen kritischen Beobachter klar werden, dass der Film an der politischen Realität haarscharf vorbei schlittert. Denn „der Präsident aus dem Volk“ ist einer jener Mythen, die die amerikanische Geschichte schon lange begleitet, aber dadurch nicht wahrer wird. In Hollywood scheint es nicht möglich, die wirklichen Strukturprinzipien des politischen Systems, in denen man ausschließlich unter sehr eng definierten Bedingungen Karriere machen kann, zu entmystifizieren, darzulegen und kritisch in Frage zu stellen. Der „Chip“ ist nur ein schlechtes Substitut für dieses Defizit, eines, das mehr verschleiert, als schon verborgen liegt. Nie war die amerikanische Nation in bezug auf einen Präsidenten wie Bush so tief gespalten wie heute. Leider trägt der Film wenig bis nichts dazu bei, die Ursachen dieser Spaltung offen zu legen. Im „Making Of“ auf der DVD spricht Demme davon, man habe den Unternehmenstotalitarismus und seine Folgen zeigen wollen. Aber dazu hätte es bedurft, die Strukturen des politischen Systems ins Visier zu nehmen. Und offensichtlich spürt Demme selbst, dass der Film hinter der Wirklichkeit zurückbleibt, wie er dort ebenfalls äußerte.

Und so bleibt am Schluss ein spannender Film, ein Thriller, ein gewohnt guter Denzel Washington – und ein politisches Märchen, dem ein mehr oder eher weniger glaubwürdiger realistischer Anstrich verpasst wurde. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr.

(1) Vgl.”Die Bielefeld-Verschwörung”