Der Mieter
(Le Locataire)
Frankreich, USA, 1976, 125 Minuten
Regie: Roman Polanski

Drehbuch: Gérard Brach, Roman Polanski, nach dem Roman von Roland Topor
Musik: Philippe Sarde
Director of Photography: Sven Nykvist
Montage: Françoise Bonnot
Produktionsdesign: Pierre Guffroy

Darsteller: Roman Polanski (Trelkovsky), Isabelle Adjani (Stella), Melvyn Douglas (Monsieur Zy), Jo van Fleet (Madame Dioz), Bernard Fresson (Scope), Lila Kedrova (Madame Gaderian), Rufus (Georges Badar), Jacques Monod (Café-Besitzer), Shelley Winters (Concierge)

Grenzbereiche ...

Der Schrecken bricht nur langsam zwischen die Hauswände ein. Im Kopf setzt er sich fest, unbeirrbar. Eine Szene und zwei Perspektiven. Ein Mann und eine Frau sehen eine Frau im Krankenhausbett, den ganzen Körper verbunden. Nur die Augen und der Mund stehen weit offen. Die Frau schreit. Sie schreit um ihr Leben, das sie selbst aufs Spiel gesetzt hat. Der Ganzkörperverband wirkt wie ein Eingeschlossensein, ein Gefängnis der Seele. Die gleiche Szene, aber aus der Perspektive der im Bett liegenden Person wird uns wieder begegnen. Der Schrecken bekommt dann eine andere Gestalt, eine geradezu grausame. Die Verhältnisse scheinen sich verkehrt zu haben. Die Geschichte erreicht einen Grad an Ungewissheit, die einen allein zurück lässt. Eine Ungewissheit, die nicht auflösbar ist – weder in Erkenntnis, noch in irgendein positives Gefühl, etwa von der Art: man habe „es” überstanden.

Ein schüchtern wirkender Mann betritt ein Haus. Er hat gehört, dort sei eine Wohnung frei geworden. Doch schon bei der Concierge (Shelley Winters) stößt er auf Unwillen, erst recht beim Vermieter, einem alten Mann namens Monsieur Zy (Melvyn Douglas), der nicht nur einen hohen Abstand von 5000 Franc verlangt, sondern auch, dass sich der neue Mieter – er heißt Trelkovsky (Roman Polanski) – mucksmäuschenstill in der Wohnung verhält. Trelkovsky willigt ein. Doch da ist noch ein anderes Problem: Er bekommt die Wohnung nur, wenn die Vormieterin, eine gewisse Simone Choule (Dominique Póulange), stirbt. Simone hatte sich aus dem Fenster der Wohnung gestürzt und lag lange Zeit im Koma. Trelkovsky besucht sie im Krankenhaus, will wissen, ob sie am Leben bleibt. Am Bett der Schwerverletzten trifft er deren Freundin Stella (Isabelle Adjani), und als die die Kranke anspricht, schreit Simone.

Wenig später ist sie tot.

Trelkovsky bekommt die Wohnung – und lernt nach und nach die anderen Mieter des Hauses kennen, u.a. Madame Gaderian (Lila Kedrova) und deren behinderte Tochter, die offenbar in Feindschaft mit einer anderen Mieterin hier leben, Madame Dioz (Jo van Fleet), die wiederum eine Unterschriftenaktion gegen Madame Gaderian unter den Mietern gestartet hat. Als Trelkovsky mit einigen Kollegen eine Einweihungsparty feiert, beschweren sich die Mieter bei Zy über ihn. Trelkovsky findet hinter dem Schrank der möblierten Wohnung, in der sich noch die Sachen Simones befinden, in einem Loch einen Zahn, sieht ständig im gegenüber liegenden Haus Gestalten. Und als er zur Trauerfeier für Simone in die Kirche geht, hört er den Priester von Würmern reden, die den gottesunwürdigen Toten in die Nasenlöcher kriechen.

Zunehmend fühlt sich Trelkovsky verfolgt, erst recht, als er abends nach Hause kommt und seine Wohnung durchsucht und in Unordnung gebracht vorfindet. Immer deutlicher entwickelt er die Vorstellung, der Vermieter und sämtliche Mitmieter wollten ihn – wie Simone – zum Selbstmord treiben. Er verschanzt sich – und plötzlich sehen wir ihn in den Kleidern Simones in der Wohnung sitzen. Selbst Stella sieht er nun als Teil einer Verschwörung gegen ihn ...

„Der Mieter” ist Teil einer Trilogie, zu der außerdem „Rosemaries Baby” (1968) und „Ekel” (1965) gehören. Polanski, der hier selbst die Hauptrolle übernahm, machte sich mit „Der Mieter” nicht unbedingt Freunde. Viele kritisieren den Film als undurchdacht, widersprüchlich und inkonsequent, manche als langatmig.

Polanski inszeniert eine (zunächst) völlig alltägliche Situation – ein Mann möchte eine Wohnung, er trifft auf einen Vermieter und Mieter, die zumeist alt, etwas schrullig, zum Teil unfreundlich sind und von denen durchaus etwas Schreckliches ausgehen könnte. Doch dieses „Könnte” konterkariert Polanski mit Trelkovsky, einem zwar schüchternen, ja in fast jeder Situation ruhig bleibenden Mann, der aber dennoch zu wissen scheint, was er will.

Die Konturen werden nicht deutlich, sie verschwimmen. Nachbarn, die schrecklich sein könnten, aber auch harmlos. Ein Trelkovsky, der normal sein könnte, aber genauso gut dem Wahnsinn verfallen. Eine Frau, Stella, die Lebendigkeit ausstrahlt, die das Leben zu lieben scheint, steht irgendwo dazwischen. Der Wahnsinn der Geschichte, der zweifellos vorhanden ist, ist schwer zu verorten. Mal denkt man, und im Verlauf der Handlung immer klarer, Trelkovsky verfalle der geistigen Umnachtung. Und dann kommt dieser Schluss, der die Szene zu Beginn des Films im Krankenhaus wieder aufgreift – aber in einer Weise, die einen im Ungewissen lässt, die einen zurückwirft, die einen fast oder ganz in die Situation Trelkovskys selbst versetzt – wieder dieser Schrei, ein Todesschrei, ein Schreckensschrei.

Diese Schlussszene löst alles Gewisse, was die vorherigen Ereignisse betrifft, wieder auf – etwa die Reaktionen der Nachbarn, als sich Trelkovsky aus dem Fenster stürzt, wie Simone. In dieser Szene erscheinen die Nachbarn als völlig normale Menschen, die sich um ihn kümmern, aber nicht verhindern können, dass er ein zweites Mal springt.

Es ist diese Spannung zwischen Normalität und Wahnsinn in ganz alltäglichen, wirklich völlig banalen Situationen, dieser Wechsel des Normalen zum Wahnsinn und wieder zurück, dieses Wechselbad der Gefühle, ob nun die Nachbarn sich verschworen haben oder Trelkovsky sich dies nur alles einbildet, die uns schwimmen lässt zwischen den Ebenen. Und es bleibt der Eindruck, dass nicht einmal klar ist, ob sich Trelkovsky nur einiges oder gar alles eingebildet hat. So reiht sich „Der Mieter” ein in die genannte Trilogie Polanskis (man denke an den Schluss von „Rosemaries Baby”).

Diese Spannung, diese Unfähigkeit, Normalität und Wahnsinn zu verorten, ja überhaupt definieren zu können, bleibt bis zum „radikalen” Schluss des Films erhalten. Gerade das maßlose Ruhebedürfnis der Mieter im Haus und das strenge Verhalten des Vermieters deuten von etwas Mysteriösem, obwohl diese Verhaltensweisen andererseits durchaus als „normal” erscheinen können.

Andererseits Trelkovsky, der irgendwo in einem Büro arbeitet, ein Verlorener, einer, der keine Freunde zu haben scheint, der unfähig scheint, eine Beziehung zu Stella aufzubauen, weil ihn die Angst treibt. Diese Verlorenheit des Individuums in einer ansonsten eben festgefügten, „wohl” geordneten, unverrückbaren Welt, seine Unfähigkeit, sich hier zurecht zu finden, zu verorten, seinen Platz zu finden, machen „Der Mieter” zu einem filmischen Genuss. Der Titel des Films reicht bis an eine Interpretation heran, die so lauten könnte: Da kam einer in diese wohl geordnete Welt, und man gab ihm die Chance, sich einen Platz zu „mieten”. Dieses „Mietverhältnis” aber kann jederzeit gekündigt werden, wenn sich der „Mieter” nicht den festgefügten Verhältnissen anpasst, sie verinnerlicht.

So bleibt die Frage, wer hier eigentlich wahnsinnig und wer normal ist, am Schluss fast bedeutungslos. Der Verfolgungswahn des einzelnen reiht sich ein in die Verfolgungsmentalität einer „wohl” geordneten Welt. Niemand kann Trelkovsky wirklich helfen – nicht einmal er selbst. In einer scheinbar aufgeklärten, aber eben auch maßlos abgeklärten Welt mit einer feststehenden Ordnung hat das Individuelle, das subjektive Eigenhaben nur eine Alternative: Unterwerfung und Internalisierung – oder Wahnsinn. Also keine Alternative. Es steht immer vor der Kippe, vor dem Verlust seiner selbst.

© Bilder: Paramount Pictures.
Screenshots von einer TV-Aufnahme.