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Der Sohn der Braut (El Hijo de la novia) Spanien, Argentinien 2001, 123 Minuten Regie: Juan José Campanella
Drehbuch: Juan José Campanella, Fernando Castets Musik: Angel Illaramendi Director of Photography: Daniel Shulman Montage: Camilo Antolini Produktionsdesign: Juan Vera
Darsteller: Ricardo Darín (Rafael Belvedere), Héctor Alterio (Nino Belvedere), Norma Aleandro (Norma Belvedere), Eduardo Blanco (Juan Carlos), Natalia Verbeke (Naty), Gimena Nóbile (Vicky), David Masajnik (Nacho), Claudia Fontán (Sandra), Atilio Pozzobon (Francesco), Salo Pasik (Daniel), Humberto Serrano (Padre Mario) Fabián Arenillas (Sciacalli), Mónica Cabrera (Carmen), Giorgio Bellora (Marchiolli)
Der Weg zur Behutsamkeit
Herzlichkeit – das ist vielleicht der Begriff, der den jetzt in den deutschen Kinos angelaufenen spanisch-argentinischen Film von Juan José Campanella am besten kennzeichnet. Wärme, Sympathie, Ausbruch aus der inneren Gefangenschaft – das sind die anderen Faktoren, die in „Der Sohn der Braut“ eine Rolle spielen – und natürlich und vor allem anderen Liebe. Am Anfang stand für Campanella und Castets „nur“ eine Figur: „Ein Mann, der unzufrieden ist mit seinem Leben, der mehrfach gescheitert ist, seine Träume aufgegeben hat und sich nichts sehnlicher wünscht, als in Ruhe gelassen zu werden ...“ Campanella berichtet weiter: „Eines Tages erzählte mein Vater mir, er wolle meine Mutter, die an Alzheimer leidet, kirchlich heiraten. Im Gegensatz zu dem einfachen Wunsch barg die Verwirklichung einige Schwierigkeiten und das bildete den Kernpunkt unseres Drehbuchs ...“
Schauplatz der Handlung ist Buenos Aires. Vieles an diesem Film erinnerte mich – trotz ganz unterschiedlicher Handlung und Ort des Geschehens – an die substantiellen Inhalte des australischen Films „Innocence“ von Paul Cox. Auch in „Der Sohn der Braut“ geht es um eine minimalistisch inszenierte Geschichte, hier bezogen auf einen Mann, der zunächst nicht erkennt, worum es in seinem Leben geht – um Liebe zu denen, die ihm nahe stehen.
Rafael Belvedere (Ricardo Darín), 42 Jahre alt, hat das Restaurant seiner Eltern Nino (Héctor Alterio) und Norma (Norma Aleandro) geerbt. Rafael steht unter ständigem Stress. Die Wirtschaftskrise macht seinem Restaurantbetrieb heftig zu schaffen. Schließlich hat er ein etwas besseres Feinschmeckerrestaurant und muss zusehen, dass er die eher begüterte Kundschaft bei der Stange hält. Das Handy klingelt fast ständig. Unbezahlte Rechnungen hier, fehlende Lieferungen dort, Vertröstungen, taktische Verhandlungen usw. Zudem will eine Restaurant-Kette seinen Betrieb aufkaufen. Doch Rafael will weitermachen.
Seine Ehe mit Sandra (Claudia Fontán) ist gescheitert. Um die gemeinsame Tochter Vicky (Gimena Nóbile) kümmert sich Rafael zu wenig; nur jeden Donnerstag kommt sie zu ihm. Ihr Zusammensein ist ständig unterbrochen von Anrufen und geschäftlichen Verpflichtungen. Seine junge Geliebte Naty (Natalia Verbeke), die ihn wirklich liebt, hält Rafael auf Distanz; eine engere Bindung glaubt er sich nicht leisten zu können.
Die einzige innige Verbindung Rafaels ist die zu seinem Vater Nino, einem gutmütigen Mann, dessen Frau Norma im Pflegeheim untergebracht ist, weil sie an Alzheimer leidet. Rafael besucht seine Mutter höchstens einmal im Jahr. Als sie noch gesund war, Jahre zuvor, hatte sie große Pläne mit ihrem Sohn. Er sollte einmal etwas Besseres werden: Jurist. Doch Rafael brach das Studium ab und übernahm den Betrieb der Eltern. Seitdem hatte es nur Spannungen zwischen ihm und seiner Mutter gegeben.
Nino liebt seine Frau, die er seinen Engel nennt, über alles. Nino ist Atheist. Doch jetzt, als Norma so schwer erkrankt ist, will er ihr einen letzten großen Wunsch erfüllen: Er will sie nach 44 Jahren Ehe auch kirchlich heiraten, was er damals abgelehnt hatte. Er erkundigt sich bei Padre Mario (Humberto Serrano) nach den Kosten. Der allerdings muss erst die Zustimmung des Bischofs einholen, wegen der Krankheit Normas. Rafael kann seinen Vater zwar verstehen, aber er glaubt, dass Nino Norma keinen Gefallen mit dieser geplanten zweiten Trauung macht.
Eines Tages bricht Rafael zusammen und wird ins Krankenhaus eingeliefert. Sein Herz ist durch den Stress in Mitleidenschaft gezogen worden. Nach seiner Entlassung taucht sein Freund aus Kindheitstagen Juan Carlos (Eduardo Blanco) auf, ein erfolgloser Schauspieler, der sich mit Statistenrollen durchs Leben schlägt und bei einem Verkehrsunfall Frau und Tochter verloren hat. Juan Carlos bringt mit seiner verschrobenen Art wieder etwas Leben in Rafaels Routine-Welt. Aber ändern kann nur Rafael selbst etwas. Als Naty ihm erklärt, sie wolle nach Spanien gehen und sich von ihm trennen, trifft Rafael endlich eine Entscheidung – für sich, seine Angehörigen und die, die er liebt und die ihn lieben ...
Campanella rückt den 42jährigen Rafael ins Zentrum seiner Geschichte, ohne die anderen Personen in Rafaels Umgebung zu Statisten herabzuwürdigen. Im Gegenteil. Die Geschichte wird nicht aus der Perspektive der Hauptfigur erzählt, sondern eher aus leichter Distanz zu ihr, die Sympathie wie punktuelle Ablehnung ermöglichen. Kurzum: Alle Figuren des Films werden in Tiefenschärfe vorgestellt, keine einzige der Hauptpersonen ist grundtief sympathisch oder unsympathisch. Dass dies Campanella gelungen ist, bedeutet auch, dass seine Geschichte Hand und Fuß hat und man in sie hinein tauchen kann. Der Beobachter wird zum teilnehmenden, wenn natürlich auch passiven Beobachter eines kleinen, kurzen, heftigen, wenn auch nicht unbedeutenden, sondern vielmehr lebenswichtigen Ausschnitts aus dem Leben eines Mannes und seiner Umgebung.
Das meine ich mit Herzlichkeit. Noch besser wäre vielleicht der Begriff Zärtlichkeit. Campanella geht mit seinen Figuren behutsam um, ohne dass die Handlung in unrealistisches Blendwerk münden würde. Rafael hat sich mit Haut und Haaren, Leib und Seele, Herz und Verstand der Weiterführung des Restaurants verschrieben, das seine Eltern aufgebaut hatten. Darüber hat er nicht nur keine Zeit mehr für die, die ihn lieben und die er geliebt hat oder liebt; er hält sie auf eine zum Teil schüchterne, zum Teil skrupellose Art auf Distanz. Letzteres zum Beispiel bezüglich seiner wesentlich jüngeren Freundin Naty (hervorragend gespielt von Natalia Verbeke). Immer wenn Naty zu nahe kommt – wohlgemerkt in liebender Verbundenheit – macht er ihr unmissverständlich klar, dass sie nicht zu seiner Familie gehört: subjektiv eine Abwehrreaktion, objektiv unsinnig, denn Naty gehört zu seinem engen Lebensumfeld.
Rafaels Mutter ist an Alzheimer erkrankt. Sie vergisst immer schneller und immer mehr. Ihr Mann ist das, was man einen unverbrüchlich liebenden, optimistischen Menschen nennen könnte, der nur für seine Frau noch lebt. Er will sie kirchlich heiraten, ihr damit – obwohl sie wahrscheinlich nicht sehr viel davon mitbekommen wird – den letzten Wunsch erfüllen, den er ihr (weil Atheist) ein Leben lang verweigert hatte. An einer Stelle erzählt er Rafael und Naty, wie das früher war, als er und Norma das Restaurant führten. Er hat gekocht, Norma bedient. Aber er erzählt nur von Norma, die jedem Gast das Gefühl vermittelt habe, er sei der einzige, die jedem Gast den besten Platz angeboten habe, und der beste Platz konnte jeder Tisch sein. Wenn sie aus der Küche gekommen sei, um die Gäste zu bedienen, dann habe sie ausgesehen wie ein Engel, der vom Himmel herab gekommen sei, seine Norma. Wenn Nino diese Geschichte erzählt, dann glänzen, strahlen seine Augen vor tief empfundenem Glück.
Rafael befindet sich in einer extrem anderen Position. Er, der als kleiner Junge Zorro gespielt hat, glaubt noch immer, seiner Mutter beweisen zu müssen, dass, obwohl er sein Jura-Studium vor Jahren aufgegeben hatte, trotzdem aus ihm etwas geworden sei, dass er kein Versager ist. Er begreift nicht, dass er das inzwischen nur noch sich selbst beweisen will, wodurch er alle emotionalen Beziehungen abbricht oder auf Sparflamme kochen lässt.
Der Herzanfall bringt keine abrupte, aber eine stetige Wende in sein Leben. Naty wendet sich von ihm ab. Seine Ex-Frau ist immer noch wütend auf Rafael, weil der seine Tochter vernachlässigt und von der Rinderzucht in Mexiko träumt, statt das Restaurant endlich aufzugeben, das ihn krank macht. Rafael verkauft und erkennt, dass er drei Dinge zu tun hat: Seine Tochter, Naty und seine Eltern in seinem Herzen zu finden. Improvisation ist dabei ebenso angesagt wie Liebe. Rafael spürt plötzlich, dass er so sein kann wie sein Vater. Und das bewirkt einiges.
Campanella und Castets inszenierten – mit großartigen Schauspielern – einen beeindruckenden, wirklich zu Herzen gehenden Film – ohne Kitsch und ohne falsche Rührseligkeit. Es spielt keine Rolle, ob dieser Film in Buenos Aires spielt oder sonst wo. Der Gegensatz von nüchternen, kalten Geschäftspraktiken hier, und dem was wirklich zählt anderseits, ist zentrales Moment der Geschichte. Dabei haben Regie und Drehbuch den Humor nicht vergessen – im Gegenteil. Vor allem der gebrochene, aber nichtsdestotrotz lebensfrohe alte Freund Rafaels Juan Carlos, Rafaels Ex-Frau und Rafael selbst sorgen für Witz zwischen Galgenhumor und Lebensmut. Die Besetzung des Films – Stars des argentinischen Films – ist grandios, bis in die Nebenrollen.
Noch ein Film zum Jahresende, der auf meiner Hitliste des Jahres 2002 einen festen Platz hatte. Campanella spricht über seine Figuren all diejenigen zutiefst an, die das zulassen, wenn sie diesen Film genießen. Da kann mir jede Mainstream-Romanze aus Hollywood geradewegs gestohlen bleiben. Die Behutsamkeit und Sympathie, mit der dieser Film mit seinen Personen umgeht, ist überwältigend, vor allem weil Campanella darüber nie den Blick auf die Konflikte und Probleme vergisst.
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