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Die Konsequenz Deutschland 1977, 100 Minuten Regie: Wolfgang Petersen
Drehbuch: Wolfgang Petersen und Alexander Ziegler, nach dessen gleichnamigem Roman Musik: Nils Sustrate Director of Photography: Jörg-Michael Baldenius Montage: Hannes Nikel
Darsteller: Jürgen Prochnow (Martin Kurath), Ernst Hannawald (Thomas Manzoni), Werner Schwuchow (Diethelm), Hans-Michael Rehberg (Rusterholz), Hans Putz (Enrico), Elisabeth Fricker (Babette), Walo Lüönd (Manzoni), Edith Volkmann (Frau Manzoni), Erwin Kohlund (Reichmuth), Alexis von Hagemeister (Krauthagen)
Absturz ...
Von Beginn an ist alles grau. Und kaum ein Lichtstrahl fällt in die unspektakulär inszenierte Geschichte über zwei Männer, einen Jugendlichen von 15 Jahren und einen vielleicht zehn, fünfzehn Jahre älteren Mann. Der eine, Martin Kurath (Jürgen Prochnow), muss für mehr als zwei Jahre ins Gefängnis, weil er als Schwuler mit einem Minderjährigen Zärtlichkeiten austauschte, der andere, Thomas Manzoni (Ernst Hannawald), ist der Sohn eines der Aufsehers im Knast. Dort lernen sie sich kennen – und lieben.
Der von Bernd Eichinger produzierte und Wolfgang Petersen in Szene gesetzte Film, der in der Schweiz spielt, beschäftigt sich vordergründig mit dem Thema: Diskriminierung von Homosexuellen. Doch er geht weit über dieses Thema hinaus. Petersens in jeder Hinsicht nüchtern wirkender Film, der in den 60er oder Anfang der 70er Jahre spielt, vermittelt ein beeindruckendes und zugleich erschreckendes Bild vom Zeitgeist dieser Jahre – nicht nur bezüglich Homosexuellen.
Martin muss noch zwei Jahre absitzen. Und der Gefängnisdirektor (Erwin Kohlund) erläutert ihm nüchtern, er sitze seine Strafe nicht ab, weil er schwul sei, sondern weil er Sex mit einem Minderjährigen gehabt habe. Martin, ein Schauspieler, beteiligt sich an den Proben für ein Theaterstück, das einer der Gefangenen geschrieben hat, und das nun mehre Insassen in der Gefängniskirche aufführen wollen. Bei diesen Proben lernt Martin Thomas kennen. Was er nicht ahnt: Thomas hat sich in ihn verliebt. Und nach der mit viel Beifall bedachten Theateraufführung versteckt sich Thomas heimlich und von den Wärtern unentdeckt in der Zelle Kuraths, der, als er Thomas dort entdeckt, kaum um sich, aber um den jungen Mann Angst hat, falls man ihn entdeckt. Doch Thomas hat keine Angst. Beide verbringen eine gemeinsame Nacht miteinander, und am nächsten Morgen kann Thomas nach dem morgendlichen Appell unentdeckt entkommen. Beide schreiben sich Briefe voller Zuneigung und Zärtlichkeit. Und Kurath kann, wenn er aus dem Zellenfenster schaut, die Wohnung von Thomas und seinen Eltern sehen und natürlich Thomas selbst.
Zwei Jahre später. Kurath wird entlassen. Und niemand anderes als Thomas wartet auf ihn. Beide wollen zusammen leben. Doch da Thomas noch minderjährig ist, will Kurath mit seinen Eltern reden. Das allerdings erweist sich als völlig erfolglos. Thomas Vater (Walo Lüönd), der Schwule nicht mag und nicht wahr haben will, dass auch sein Sohn schwul ist, weist Kurath aggressiv zurück. Und er versucht, seinen Sohn zu erpressen. Der Lebensmittelhändler, bei dem Thomas eine Ausbildung absolviert, stellt den jungen Mann vor die Alternative: Entweder er kehrt zu seinen Eltern zurück oder er verliert die Lehrstelle. Thomas geht – mit Kurath zusammen. Das Glück der beiden währt allerdings nur kurz. Eines Tages erscheint die Polizei in der neu gemieteten Wohnung der beiden und nimmt Thomas fest. Ein Beamter des Jugendamtes weist Thomas wegen „körperlicher und psychischer Verwahrlosung in eine dieser Erziehungsanstalten ein, in denen nicht Vertrauen, Verständnis und Toleranz, sondern Härte, Disziplin und auch Schläge die Richtlinien der Behandlung der dort einsitzenden Jugendlichen bestimmen.
Sowohl der Heimleiter (Hans-Michael Rehberg), als auch der für die Jugendlichen direkt verantwortliche Gruppenleiter Diethelm (Werner Schwuchow) erweisen sich als Schinder – der eine hinterm Schreibtisch, der andere direkt gegenüber den „Zöglingen”. Thomas bekommt von Anfang an die Abneigung, den Hass und den Sadismus von Diethelm zu spüren. Wer nicht spurt, kommt in „Gruppe C”, d.h. eine Art Einzelhaft wie im Knast. Auch Schläge sind an der Tagesordnung. Und Diethelm fängt sämtliche Briefe von Thomas an Martin und umgekehrt ab, um den „unnatürlichen” Kontakt zwischen beiden zu unterbinden.
Auch etliche andere Jugendliche haben kein Verständnis für Thomas, den sie zwingen wollen, mit einem Mädchen zu schlafen, einer gewissen Babette (Elisabeth Fricker). Fünf oder sechs Jugendliche machen sich nacheinander über die etwas absonderliche junge Frau her, die das alles nicht nur duldet, sondern offenbar es auch so wünscht. Als Thomas an der Reihe ist, wehrt er sich mit Händen und Füßen dagegen, „normal gemacht” zu werden.
Martin, der verzweifelt Kontakt zu Thomas sucht, sieht nur eine Möglichkeit: Mit falschem Pass gibt er sich als Diplomand beim Heimleiter aus, der praktische Erfahrungen mit den Jugendlichen machen will. Doch auch dies währt nicht lange; denn die Konflikte mit Diethelm sind vorhersehbar. Martin muss wieder gehen und beschließt, mit Thomas zu fliehen – in die Bundesrepublik, wo er über einen ihm bekannten Politiker dafür sorgen will, dass Thomas – bis er volljährig ist – eine Aufenthaltserlaubnis bekommt ...
Petersen zeichnet ein trübes, zur Verzweiflung treibendes Bild der gesellschaftlichen Verhältnisse jener Jahre – nicht nur bezüglich der Diskriminierung von Schwulen. Thomas und Kurath stehen allein, sind völlig auf sich gestellt, und nur ihre Standhaftigkeit, ihr Mut, sich nicht unterkriegen zu lassen, um zu versuchen, ihre Liebe leben zu können, hält sie über Wasser. Sie warten aufeinander, sie schreiben sich, sie tun alles, um den Vorurteilen, der Gewalt, der Erniedrigung usw. zu entgehen. Wie der Schluss des Films zeigt: vergeblich.
Doch über die Geschichte von Martin und Thomas hinaus zeichnet Petersen das Bild einer kalten Gesellschaft, in denen Heime nichts anderes sind als Gefängnisse, in denen Eltern und andere nichts anderes sind als Verkünder „ewiger Wahrheiten“, die nicht hinterfragt werden dürfen und die doch so unhaltbar sind, wie sie gleichzeitig die Normen der Gesellschaft bestimmen und diese im wesentlichen mit Gewalt durchsetzen.
„Die Konsequenz“ ist ein unspektakulärer Film, was vor allem bedeutet, dass Petersen auf jedes Spektakel verzichtet, auf Überdramatisierung ebenso wie auf eine theatralische Darstellung von Homosexualität, die diese als etwas Außergewöhnliches zeigen würde. Das Verhältnis von Thomas und Martin selbst wird als etwas völlig Selbstverständliches, Normales und Alltägliches gezeigt – als eine tiefe Zuneigung, als Liebe. Zugleich ist „Die Konsequenz“ aber auch eine Art Melodrama – so paradox das klingen mag. Petersen „vermengt“ Liebesgeschichte, Melodram und Dokumentation in einer Weise zu einem prägnanten Stil, der durchweg überzeugen kann, weil er im Rahmen einer realitätsbezogenen Visualisierung der Geschichte verbleibt. Das, was gezeigt wird, könnte durchweg so geschehen (sein). Obwohl der Film in einer Zeit gedreht wurde, in der bereits weit offener die Diskriminierung von Schwulen diskutiert und angegangen wurde als in der Zeit und an den Orten, an denen die Handlung spielt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich eine ähnliche Tragik, wie im Film gezeigt, auch heute noch ereignen könnte – wenn auch vielleicht unter anderen Voraussetzungen. Obwohl der Film im „typischen“ Look und Stil der 70er Jahre gedreht wurde, fasziniert die Geschichte, wie sie erschreckt. Prochnow und Hannawald (seine erste Rolle) haben beide sicherlich schwierige Rollen meisterhaft gespielt.
Das Tragische der Geschichte zeichnet sich ab, als ausgerechnet der Mann, Krauthagen, von dem sich beide Hilfe erhoffen, in seiner Einsamkeit und Verlorenheit (er selbst ist schwul), aber aufgrund seines Einflusses Thomas dazu zwingt, bei ihm zu bleiben und Martin zu verlassen, um eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland zu bekommen. Hier beginnt ein Prozess, in dessen Verlauf Thomas regelrecht kaputt gemacht wird. Petersen zeigt, wie Thomas vor den elenden Umständen – als Schwuler, als Minderjähriger – zum Schluss nicht nur kapituliert, sondern – wieder in der Erziehungsanstalt – alles mit sich machen lässt.
Ein wichtiger Film und neben Petersens und Wolfgang Menges „Smog“ wohl sein wichtigster Film in den 70er Jahren. Der Film wurde übrigens damals vom Bayerischen Fernsehen boykottiert. Nomen est omen.
© Bilder: Westdeutscher Rundfunk.
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