Die Nackten und die Toten
(The Naked and the Dead)
USA 1958, 131 Minuten
Regie: Raoul Walsh

Drehbuch: Denis Sanders, Terry Sanders, nach dem Roman von Norman Mailer
Musik: Bernard Herrmann
Director of Photography: Joseph La Shelle
Montage: Arthur P. Schmidt
Produktionsdesign: Ted Haworth, William L. Kuehl

Darsteller: Aldo Ray (Sergeant Sam Croft), Cliff Robertson (Lieutenant Robert Hearn), Raymond Massey (General Cummings), William Campbell (Brown), Richard Jaeckel (Gallagher), James Best (Rhidges), Joey Bishop (Roth), Jerry Paris (Goldstein), Robert Gist (Red), L. Q. Jones (Wilson), Max Showalter (Dalleson), John Berardino (Mantelli), Edward McNally (Cohn), Greg Roman (Minetta), Henry Amargo (Martinez)

Schonungslos

„Ich sehe in diesem Krieg die
Umschichtung historischer Energien.
Es gibt Völker, bei denen ungenutzte
Kräfte brach liegen. Diese Völker
können heute noch auf unserer
Seite kämpfen, morgen aber
unsere Feinde sein., und umgekehrt.
Ich sage Ihnen, Robert, wir stehen
heute im Mittelalter einer neuen Ära.
Wir warten auf die Wiedergeburt der
wirklichen Macht. Wir sind heraus
aus dem stagnierenden Brachwasser
der Geschichte.”
(Cummings zu Hearn)

Kriegsfilme, die sich kritisch mit den Regeln und Verhaltensweisen des Krieges auseinander setzen, sind rar – besonders wenn sie in den USA produziert wurden. Insbesondere nach dem Vietnamkrieg befassten sich viele Regisseure mit dem Desaster dieses Krieges und der Verwicklung der USA. Der Watergate-Skandal tat ein übriges, um diese kritische Auseinandersetzung zu fördern. Doch nur wenige Jahre später setzen andere Leute andere Maßstäbe. Filme wie „We Were Soldiers”, „Black Hawk Down” oder „Pearl Harbor” zogen wieder das in den Mittelpunkt, was für die einzig verbliebene Weltmacht wichtig war. Verschrobene Begriffe wie „Ehre”, „Vaterland” usw. rückten spätestens nach dem Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten in den Mittelpunkt der US-Kriegsfilme.

Auf eine ganz andere Weise setzte sich 1958 Raoul Walsh in seinem Film „Die Nackten und die Toten” mit dem Krieg auseinander. Nach dem Roman von Norman Mailer erzählt Walsh die Geschichte einer Kompanie, die im zweiten Weltkrieg im Pazifik gegen die Japaner operiert. Im Film geht es um den Kampf um eine Pazifikinsel, die von den Japanern besetzt ist. Ausgangspunkt der Handlung ist die Tatsache, dass General Cummings (Raymond Massey) und seine Truppen nur stockend vorwärts kommen – auch angesichts der Tatsache, dass die japanischen Einheiten von einem schlauen Fuchs von General geführt werden.

Die Offiziere um General Cummings führen ein zunächst fast sorgenfreies Leben, werden – im Unterschied zur Truppe – sehr gut verpflegt und vertreiben sich ihre Zeit auf möglichst angenehme Weise. Das ändert sich, als Cummings Druck vom Generalstab bekommt. Er wird beauftragt, einen Spähtrupp auszusenden, der die Insel erkunden soll, um festzustellen, wo sich die japanischen Einheiten aufhalten. Diese Informationen wiederum sollen der US-Luftwaffe ermöglichen, die japanischen Stellungen zu bombardieren, um so den Kampf um die Insel zu gewinnen.

Wir treffen u.a. auf Sergeant Croft (Aldo Ray), einen abgebrühten Mann, der zwar keine Angst – vor welchem Einsatz auch immer – hat, der von seinen Leuten nicht mehr verlangt als von sich selbst, der andererseits aber auch skrupellos genug ist, seine Männer jederzeit zu opfern. Croft gehört zu jenen Soldaten, die kein Mitgefühl kennen – weder mit den eigenen Leuten, und schon gar nicht mit den „Japsen”. Croft ist ein Sadist. Bei der Ausspähung einer japanischen Stellung nehmen er und seine Leute einen Japaner fest. Croft lässt sich ein Familienfoto des japanischen Soldaten zeigen, gibt ihm eine Zigarette und etwas zu essen. Dann schickt er seine Leute weg und erschießt den Gefangenen.

Wir treffen auf Lieutenant Robert Hearn (Cliff Robertson), einen jungen gut aussehenden Mann, im Privatleben einer, der die Frauen liebt – und zwar nicht gerade wenige –, als Soldat seine Fähigkeit zur kritischen Sicht der Dinge nicht verloren hat. Hearn ist persönlicher Adjutant von General Cummings. Und Hearn lässt keine Gelegenheit aus, Cummings seine unterschiedliche Sicht der Dinge in diesem Krieg zu erläutern. provokant, ohne Umschweife, manchmal auch mit leisem Zynismus.

Ein zentraler Aspekt des Konflikts zwischen Cummings und Hearn durchzieht den ganzen Film: Cummings ist der Meinung, ein Krieg sei nur zu gewinnen, wenn man nicht nur dem Feind Angst mache, sondern auch den eigenen Soldaten. Nur, wenn die eigene Truppe Angst habe, wäre sie kriegsfähig; nur dann bestehe eine Chance, die Kriegsziele zu erreichen. Absoluter Gehorsam allein genüge nicht. Hearn sieht das ganz anders. Er will nicht, wie er deutlich sagt, dass seine Leute vor ihm Angst haben. Er plädiert für ein Vertrauensverhältnis zwischen Offizieren und einfachen Soldaten, das nur hergestellt werden könne, wenn Mitgefühl und Verständnis im Spiel seien.

Wir treffen auf weitere Soldaten, auf Martinez (Henry Amargo), der Croft voll ergeben ist, auf Red (Robert Gist), einen erbitterten Gegner Crofts, der keine Gelegenheit auslässt, um Croft zu zeigen, was er von ihm hält, auf Wilson (L. Q. Jones), den Clown der Truppe, der sich in die Tänzerin Lily (Lili St. Cyr) verliebt hat, auf Brown (William Campbell), der Sehnsucht nach seiner schwangeren Frau hat und von Rhidges (James Best) erfahren muss, dass seine Frau bei der Geburt des Kindes gestorben ist.

Als Cummings Druck gemacht wird, befiehlt er Crofts Truppe, die Insel zu erkunden, um die japanischen Stellungen auszukundschaften. Und weil er Hearns Mut, ihm seine Meinung zu sagen, einerseits zwar schätzt, andererseits Hearn ihn aber provoziert, befiehlt er Hearn, den Spähtrupp zu leiten. Eine Art Strafversetzung.

Hearn, Croft und dessen Leute begeben sich mit einem Boot auf die andere Seite der Insel und stoßen ins Landesinnere vor. Dabei bleiben Konflikte – zwischen Croft und Hearn, weil Croft nicht dulden will, dass man ihm einen Leutnant vor die Nase gesetzt hat – nicht aus. Die einen Soldaten stehen auf Crofts, einige andere auf Hearns Seite. Eine schwierige Aufgabe steht bevor ...

„Ich versuchte, Ihnen immer
schon klar zu machen, Robert,
dass die Moral der Zukunft nur
noch die Moral der Macht ist,
und dass der Mann, der sich
damit nicht abfinden will, verloren
ist. Etwas aber ist dieser Macht
eigen. Sie wird immer nur von
oben nach unten wirken. Und
wenn sie an irgendeiner Stelle
auf dem Weg von oben nach
unten auf Widerstand stößt,
wird sie den Druck nur noch
verstärken, um den Widerstand
zu brechen.”
(Cummings zu Hearn)

„The Naked and the Dead” ist eine schonungslose Abrechnung mit dem Krieg, den „Gepflogenheiten” des Krieges und dem Verhalten derjenigen, die den Krieg für sich selbst zu eigen machen. Dabei verzichtet Walsh allerdings gottlob auf jegliche plakative Momente. Nein, er zeigt uns drei Hauptakteure, die in ganz unterschiedlicher Weise in den Krieg und mit dem Krieg verwickelt sind.

Croft, der es nicht verwinden konnte, dass seine Freundin ihn betrogen hatte (der Film zeigt dies und anderes in kurzen Rückblenden), macht sich den Krieg zu seinem eigenen „Heim”. Er lebt nur für den Krieg und die Armee und die Ziele des Krieges – welche sie auch seien. In der Figur des Sergeant Croft erhält die Perversität des Krieges ihre „perfekte” Personifizierung”. Er ist kaltblütig, rücksichtslos und zugleich einer der besten Vollstrecker der Befehle von oben. Croft kennt keine Angst, nicht einmal vor seiner eigenen Handlungsweise. Der Tod seiner Kameraden ist für ihn eine Art Schicksal, eine kalte Notwendigkeit, die ihn nicht weiter berührt. Es gibt keine Opfer für Craft, nur Kanonenfutter in den eigenen Reihen. Sein Ziel ist nicht einfach der Sieg über den Feind. Sein Ziel ist dessen vollständige Zerstörung.

General Cummings denkt aus anderen Gründen ganz ähnlich. Aber Cummings denkt weiter. Ausgerechnet angesichts der Bedrohung der Welt durch Hitler und seine Verbündeten reproduziert Cummings exakt die Vorstellungen des Faschismus, die Hitler dazu bewegten, allen anderen Mächten den Krieg zu erklären und die Vernichtung anzudrohen. Für Cummings gibt es nur eine Moral: die der Macht. Wenn aber ausschließlich die Macht moralisch sein soll, dann sind auch alle Regeln und Merkmale der Macht ethisch gerechtfertigt. Wenn er betont, dass Macht nur von oben nach unten wirkt, wird aus dieser Moral die Moral der Diktatur – einer Diktatur, die nicht nach Zustimmung fragt, die nicht nach Gut und Böse fragt, die überhaupt nicht fragt. Cummings reproduziert – ohne auf den Rassismus, Antisemitismus, die dem Faschismus von Hitler eigen sind – den Dezisionismus etwa eines Staatsrechtlers wie Carl Schmitt („Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet”). Nach Schmitt gibt es nur eine Entscheidung für das Volk zu treffen: die Entscheidung für das Politische, und diese Entscheidung ist die für die unumschränkte Macht. Ist diese Entscheidung getroffen, hat das Volk künftig nichts anderes zu tun, als zu akklamieren. Cummings ist derselben Meinung. Die Macht legitimiert sich nicht demokratisch, sondern aus ihrem „So-Sein”, aus ihrer reinen, fast natürlichen Existenz, die man nicht hinterfragen könne. Letztlich ist es nur der Wille des mit Macht Ausgestatteten, auf den es ankommt. Wer entscheidet, ist souverän. Was er entscheidet, ist letztlich gleichgültig. In der Praxis jedoch ist diese (zum Teil auf Thomas Hobbes zurückgehende) Theorie antidemokratisch und antiparlamentarisch (Hobbes: „Die Autorität, nicht die Wahrheit, schafft das Gesetz.”). Cummings reproduziert sie, nicht aus irgendeiner Theorie her, sondern aus seinen Erfahrungen, die er nicht hinterfragt, hinterfragen will oder hinterfragen kann.

Ganz anders Lieutenant Hearn, der sich Cummings Reden und Akklamationen geduldig, kritisch und mit einer sanften, aber deutlichen Portion Sarkasmus anhört. Als er dahinter kommt, warum Cummings so denkt und dieser dies merkt, wird er von Cummings zum Leiter des Himmelfahrtskommandos befohlen. Hearn verabscheut den Krieg. Aber er weiß auch, dass er und die anderen ihm nicht mehr entweichen können. Daher will er, dass zwischen ihm als Vorgesetztem und seinen Leuten Vertrauen besteht, Vertrauen und jene Art von Zuneigung, in der sich zeigt, dass auch Soldaten Menschen geblieben sind. Das, dieses Empfinden ist es, was Cummings nicht ertragen kann.

Walsh siedelt die Handlung genau in diesem personellen Dreieck an. Das Kampfgeschehen steht nicht im Mittelpunkt des Films. Walsh verzichtet auf die trügerische Hoffnung, man könne durch eine vehemente Bebilderung eines Films mit den Grausamkeiten des Krieges wirklich dem Zuschauer die Realität des Krieges nahe bringen. Er weiß, dass dies nicht funktioniert. Umso drastischer ist es hören zu müssen, in welcher Weise Menschen wie Croft und Cummings handeln, denken, fühlen. Sie und ihr Empfinden sind der Ausgangspunkt jedes Krieges – nicht Diktatoren, nicht Waffen, nicht Ideologien, die alle nur wirksam werden, wenn es Menschen wie Croft und Cummings gibt.

Nein, die Bilder dieses Films zeigen vor allem, welche Folgen das Verhalten von Leuten wie Croft und Cummings hat. Die schauspielerischen Leistungen von Ray, Robertson und Massey sind in dieser Hinsicht mehr als zufriedenstellend, und auch die Nebenrollen sind entsprechend gut besetzt.

„The Naked and the Dead” gehört zu jenen Kriegsfilmen, die es verdient haben, immer mal wieder gesehen zu werden. Sie sind aktueller denn je – selbst in einer Zeit der scheinbar nur noch durch modernste Techniken geführten Kriege. Walsh zeigt, was Krieg aus Menschen macht und wie Menschen Krieg machen – auf eine unprätentiöse, „simple”, aber eben nicht simplifizierende Art. Der Film ist frei von jeglicher Landserromantik, jeglichen falschen Ehrbegriffen. Er ist schonungslos.

Übrigens komponierte Bernard Herrmann, der auch regelmäßig für Hitchcock arbeitete, die Musik für den Film. Besonders das Leitmotiv ist beeindruckend und fügt sich in Handlung und Geschichte hervorragend ein.

© Bilder: Warner Bros. Pictures.
Screenshots von einer TV-Aufnahme.