Die Regeln des Spiels
(The Rules of Attraction)
USA 2002, 110 Minuten
Regie: Roger Avary

Drehbuch: Roger Avary, nach dem Roman von Bret Easton Ellis
Musik: Tomaandandy
Director of Photography: Robert Brinkmann
Montage: Sharon Marie Rutter
Produktionsdesign: Sharon Seymour, Christopher Tanden

Darsteller: James van der Beek (Sean Bateman), Ian Somerhalder (Paul Denton), Shannyn Sossamon (Lauren Hynde), Jessica Biel (Lara), Kip Pardue (Victor), Thomas Ian Nicholas (Mitchell), Kate Bosworth (Kelly), Fred Savage (Marc), Eric Stoltz (Mr. Lance Lawson), Clifton Collins Jr. (Rupert), Faye Dunaway (Mrs. Denton), Swoosie Kurtz (Mr. Jared), Clare Kramer (Candice)

Verfehlte Kulturkritik – ein kalter Film

Es gibt Filme, in denen man mit den Darstellern bzw. denen, die sie darstellen, mehr oder schnell warm wird. Sie stehen einem nahe oder man ist wütend auf sie, man hasst sie, man liebt sie, man fühlt mit ihnen, man möchte ihnen am liebsten dies oder jenes raten in der oder der Situation, man trauert um sie usw. Roger Avarys („Killing Zoe“, 1994) Adaption des Romans von Ellis gehört – jedenfalls für mich – nicht zu dieser Art von Filmen. Die drei Hauptpersonen Sean, Paul und Lauren ließen mich völlig kalt. Auch beispielsweise eine junge Frau, die sich in der Badewanne die Pulsadern aufschnitt und in ihrem Blut lag, konnte kein Mitgefühl aus mir herauslocken. Im Gegenteil: Ich habe seit langem zum ersten Mal während eines Kinobesuchs mehrfach auf die Uhr geschaut, wann dieser Film endlich zu Ende sein würde.

Avarys Film spielt am renommierten Camden College in New England. Dort sind Sean (James van der Beek), der mit Drogen dealt und hinter Lauren her ist, Paul (Ian Somerhalder), der – bisexuell – hinter Sean her ist, und Lauren (Shannyn Sossamon), die sehnlichst auf Victor (Kip Pardue) wartet, der sich eine Zeitlang in Europa aufhält, der Mann, der sie entjungfern soll, eingeschrieben. Weiterhin treffen wir auf Lara (Jessica Biel), die einen Jungen nach dem anderen vernascht, zwei ältliche Mütter (Faye Dunaway und Swoosie Kurtz), die Pillen einschmeißen, und Kelly (Kate Bosworth), selbstmordgefährdet.

Das Leben der privilegierten Studenten besteht aus Sex, Drogen, Gewalt und unendlicher Langeweile und Bedeutungslosigkeit ihres Lebens. Eine Party nach der anderen wird gefeiert, alle tragen Namen wie „Dress to Get Screwed Party“, „Pre-Saturday Night Party“ oder „End of the World Party“. Auch dort gilt die Devise: Sex, Drogen, Alkohol und Träumen von Sex mit dem oder jenem. Das Studium – der eigentliche Sinn eines Colleges – fehlt in diesem Film ebenso wie die Lehrkräfte – bis auf einen, der jedoch auch nichts anderes im Sinn hat, als sich von einer Studentin „verwöhnen“ zu lassen.

Sex ist hier eine Ware wie die Drogen, die hier alle konsumieren – allerdings ist Sex so gut wie umsonst. Kann ich nicht mit dem einen schlafen, nehme ich die andere, vice versa. Das geht quer durch die Geschlechter, mal lesbisch oder homosexuell, mal Männlein und Weiblein. Und wenn der Erfolg an einem Abend ausbleibt, legt man auch schon mal selbst Hand an.

Das ich nicht falsch verstanden werde: Ich beschreibe nur, was der Film zeigt. Es geht mir nicht um irgendwelche moralischen Einwände. Und er zeigt Studenten, die nichts anderes kennen als eben Sex in allen Varianten, Drugs und Depressionen. Wie eine Epidemie scheint sich am Camden College eine Sorte von jungen Menschen breit gemacht zu haben, die die Sinnlosigkeit ihres Daseins zum Programm erhoben haben und glauben, ihre innere Leere mit Drogen und Sex kompensieren zu können. Das jedenfalls ist das Fundament der Botschaft, die Regisseur Avary offenbar vermitteln will. Nur, welche Botschaft ist das eigentlich? Die Figuren, die er zeigt, sind mehr oder weniger Schablonen des Drehbuchs (ob auch des dahinter stehenden Romans weiß ich nicht), erfundene Personen. Jeder Film konstruiert Figuren; es kommt entscheidend darauf an, ob man sich als Betrachter diese Figuren als reale vorstellen kann oder nicht. Avarys Figuren kann ich mir nicht als wirkliche denken. Dass die Gefühle der handelnden Personen in seinem Film diese Schwankungen in ihrem Dasein als wirkliche Menschen in einem wirklichen Leben aushalten würden, kann man nicht nur stark bezweifeln.

Avary versucht, über schnelle Schnitte, rückwärts laufende Sequenzen, geteilte Bilder (rechts Realität, links Wunschtraum) dem ganzen einen dem Verhalten seiner Figuren entsprechenden Look zu verpassen, was Robert Brinkmann hinter der Kamera auch größtenteils gut gelingt. Doch all das verkommt fast schon zum Griff in die Trickkiste angesichts einer geradezu aufdringlichen „Seht her, so schlimm oder auch nicht schlimm sieht es mit diesen jungen Leuten aus“-Botschaft, die über 110 Minuten lang nichts anderes zu bieten hat. Völlig abstrus wird es, wenn Sean dann Lauren seine Liebe (!) gesteht und ihr weismachen will, er habe nur mit einer anderen geschlafen, weil er Lauren liebt, und ähnlicher Unsinn. Dann versucht er, sich an einem Haken an der Zimmerdecke aufzuhängen, die Pulsadern aufzuschneiden – und als das alles nicht gelingt, gießt er sich Kunstblut über das Gesicht. Ich muss gestehen, dass mir der Sinn dieser Szene völlig unklar ist. Wollte er sich nun wirklich umbringen? War's nicht so ernst gemeint? Hat er sich nur dumm angestellt? Ich will eigentlich gar nicht weiter darüber nachdenken, denn einen Sinn macht diese Szene so wenig wie viele andere.

Ebenso abstrus ist es etwa, wenn Sean, der bei einem Dealer 3.000 Dollar schulden hat, ausgerechnet bei diesem Mann, der eh schon sauer auf Sean ist, mit 300 Dollar aufkreuzt, um Drogen zu kaufen. Der Dealer gerät in Rage, was auch für Sean und jeden einigermaßen mit Intelligenz ausgestatteten Menschen von vornherein absehbar war. Wer handelt so dumm und warum? Diese Szene ist für den Film im übrigen völlig überflüssig und füllt ganze fünf bis acht Minuten. Die Beispiele ließen sich fortsetzen, aber ich lasse es.

„The Rules of Attraction“ verkauft sich als eine Art kulturkritische Studie, aber der Film ist weder kulturkritisch, noch eine Studie. Er zeigt Menschen, die es beim besten Willen – derart verkürzt auf Essen, Ficken, Drogen einschmeißen – nirgendwo gibt. Sie sind durchsichtig, diese Figuren, sie bergen keine Geheimnisse, sie handeln widersprüchlich usw., man kann mit ihnen nicht wirklich warm werden, sie sind Marionetten einer verfehlten und flachen Botschaft, die angeblich ein Stück Realität beschreibt, aber daran gnadenlos scheitert. Materialistisches Denken und eine spezielle Coolness sollen angeblich die 80er Jahre geprägt und entsprechende Menschen produziert haben. Aber erstens ist das auch nicht die ganze Wahrheit über die 80er Jahre, und zweitens steht der Film abseits jeglicher Glaubwürdigkeit hinsichtlich der Beschreibung eines Jahrzehnts und seiner Jugend.

Zwei andere Romane von Ellis wurden übrigens besser für das Kino aufbereitet: „American Psycho“ (2000, R: Mary Harron) und „Less Than Zero“ (1987, R: Marek Kanievska).