Die Schöne und die Bestie [das Biest]
aka „Es war einmal“
(Frankreich 1946, 90 Minuten)
Regie: Cocteau, René Clément

Drehbuch: Jean Cocteau, nach einer Geschichte von  Jeanne-Marie Leprince de Beaumont
Musik: Georges Auric
Director of Photography: Henri Alekan
Montage: Claude Ibéria
Produktionsdesign: Christian Bérard, Lucien Carré

Darsteller: Jean Marais (Die Bestie / Der Prinz / Avenant); Josette Day (Die Schöne, Bella); Mila Parély (Félicie); Nane Germon (Adélaïde); Michel Auclair (Ludovic); Raoul Marco (Der Wucherer); Marcel André (Vater der Schönen)

Es war einmal ... Cocteau

„In der Kindheit glaubt man, was einem gesagt wird
und zweifelt nichts an. Man glaubt, dass, wenn man
eine Rose pflückt, der Familie ein Unglück widerfährt.
Man glaubt, dass die Hände einer menschlichen Bestie,
sobald sie jemanden tötet, zu dampfen anfangen, und
dass sich die Bestie dafür schämt, wenn ein junges
Mädchen in ihrem Hause wohnt. Man glaubt noch
tausend andere naive Sachen. Ein bisschen von dieser
Naivität erbitte ich mir jetzt von Ihnen, und sage, um
uns allen Glück zu bringen, die drei magischen Worte,
das wahre ‚Sesam öffne dich‘ unserer Kindheit:
‚Es war einmal‘.“
(Jean Cocteau zu Beginn des Films)

… und wie wunderbar ist es, für einige Momente der Welt zu entrücken und sich dem Zauber der Phantasie des Märchens hinzugeben. „Und es begab sich, dass das junge, schöne Mädchen ihrem Vater helfen wollte …“ und so weiter. Die Geschichte von der schönen jungen Frau und dem verunstalteten Biest, der Bestie, die im Walde haust wie der Wolf, der die sieben Geißlein schluckt, oder die Großmutter in Rotkäppchen, oder Rumpelstilzchen, das aus den dunkelsten Ecken des Waldes kommt – diese Geschichte ist so oder so ähnlich schon tausend Mal erzählt worden. Doch immer wieder fasziniert sie uns, ob wir fünf Jahre alt sind oder fünfzig. Denn wir haben unseren Hang zum Entrücken in die Welt des Märchens nicht verloren – jedenfalls, so hoffe ich, die meisten nicht, auch wenn die heutigen Märchen etwas anders aussehen als Jean Cocteaus wunderbare Verfilmung des alten französischen Märchens über die Schöne und die Bestie.

Gabrielle-Suzanne de Villeneuve schrieb dieses Märchen – wie alle Märchen, auch die der Brüder Grimm, zunächst über Jahrhunderte hinweg nur mündliche Überlieferungen in den verschiedensten Versionen – als erste 1740 auf.

Bekannt wurde aber vor allem die Version von Jeanne-Marie Leprince de Beaumont, die eine kürzere Version des Stoffs 1756 veröffentlichte (nachzulesen bei Projekt Gutenberg).

Hierauf beruhen auch die diversen Verfilmungen, darunter wohl am bekanntesten der Animationsfilm von 1991 aus dem Hause Disney.

Mir am liebsten aber bleibt dieser kurz nach dem 2. Weltkrieg gedrehte Film von Cocteau mit Jean Marais, dem langjährigen Lebensgefährten Cocteaus, in gleich drei Rollen als Bestie, Avenant und Prinz.

„Ich frage mich, waren diese anstrengenden Tage der
Freundschaft, des Streits und Lachens die glücklichsten
meines Lebens?“
(Jean Cocteau, Filmtagebuch)

Es war einmal … ein Herrenhaus, umgeben von Wald und Wiesen, in dem ein Vater mit seinen drei Töchtern und seinem Sohn lebt. Während der Sohn Ludovic und sein Freund Avenant Herumtreiber und Spieler sind, sind die beiden Töchter Félicie und Adélaïde eingebildet, hochnäsig und dumm. Nur Bella, die Schöne, ist nicht nur von liebreizender Gestalt, sondern auch liebenswürdig. In sie ist Avenant verliebt. Sie ist das Aschenputtel im Haus des Vaters, der große Geldsorgen hat. Denn seine Handelsschiffe sind – bis auf eines – alle untergangen, und noch bevor der Vater die Stadt verlässt und den Heimweg antritt, haben seine Gläubiger sich das letzte ihm verbliebene Schiff unter den Nagel gerissen.

Als der bei starkem Nebel den Heimweg antritt, verirrt er sich mit seinem Pferd und gerät an ein scheinbar verlassenes Schloss. Als er das Tor öffnet, weisen ihm Arme, die aus der Wand ragen, mit Kerzenleuchtern den Weg. Aus einem Tisch ragt ebenfalls eine Hand und gießt Wein ein. Vor Erschöpfung schläft er ein, und am nächsten Morgen, durch einen Schrei geweckt, verlässt er den unheimlichen Ort. Vor dem Tore pflückt er eine Rose, die sich Bella gewünscht hat, und erregt damit den Zorn eines merkwürdigen Wesens, halb Mensch, halb Tier, das sich selbst die Bestie nennt. Für das Pflücken der Rose soll der Vater sterben oder eine seiner Töchter opfern. Die Bestie schickt den Vater nach Hause und setzt ihm eine Frist von drei Tagen – danach müsse er sterben, wenn keine seiner Töchter zur Bestie gekommen sei.

Nur Bella, die ihren Vater über alles liebt, opfert sich. Das der Bestie gehörende Pferd „Windsbraut“ bringt Bella zur Bestie, doch statt die Schöne zu töten, erklärt die Bestie, sie werde Bella jeden Tag nur einmal erscheinen und sie fragen, ob sie seine Frau werden wolle.

Bella antwortet jeden Abend mit „Nein“, und zugleich hat sie Heimweh. Doch erst als die Bestie erfährt, dass der Gerichtsvollzieher alles im Haus des Vaters bis auf die Betten konfisziert hat, lässt er Bella für eine Woche zu ihrem Vater – und gibt ihr einen Zauberhandschuh mit, der Bella direkt ins Haus des Vaters bringt, sowie den goldenen Schlüssel zur Schatzkammer der Bestie. Als die beiden Schwestern, Ludovic und Avenant von dem Schlüssel erfahren, kennen sie nur noch ein Ziel …

Auch den Rest der Geschichte werden die meisten kennen.

„Wenn er etwas hasste,
dann den Hass selbst.“
(Marais über Cocteau)

… und genau das merkt man der Interpretation des Märchens durch Cocteau in jedem Moment des Films an. Den Zauber, den seine Inszenierung umgibt, schafft Cocteau vor allem durch drei Dinge: seine exzellenten Schauspieler, die Arbeit seines Kameramanns und seiner Produktionsdesigner und die Mithilfe eines anderen großen Regisseurs, René Clément („Verbotene Spiele“, 1952; „Nur die Sonne war Zeuge“, 1960). Hinzu kommt die unglaublich phantastische Maske des Biestes (verantwortlich: Maskenbildner Hagop Arakelian), die eben nicht nur Furcht, sondern auch Mitgefühl ausstrahlt und anderseits erzeugt.

Cocteaus Inszenierung ist voller Zuneigung für die „verlorenen Seelen“ des Märchens: Die Schöne, die von ihren Schwestern traktiert und von dem Herumtreiber Avenant bedrängt wird, und die Bestie, die verwunschen ist zu diesem Leben und die Liebe einer Frau benötigt, um erlöst zu werden. Das eigentliche Thema Cocteaus ist diese Liebe, die Liebe überhaupt – verständlich nicht nur vor dem Hintergrund der Zeit vor 1946.

Daneben versteht es Cocteau, durch den Einsatz neuer Mittel ausgehend von einem klassischen Märchen im Grunde den ersten Schritt zum Fantasy-Film zu gehen: Er zeigt uns sich bewegende Gesichter in einem Kamin, Hände ohne Körper, die Leuchter halten oder Wein eingießen, eine Bestie, die nach dem Reißen eines Rehes aus dem Mund und aus dem Pelz raucht (der Rauch steht für das Leiden des verwunschenen Prinzen). Er zeigt uns den Wald, in dem sich Äste biegen, zur Seite, wenn jemand hindurch schreitet, und dann wieder schließen. Und insbesondere Henri Alekan gelingt es hinter der Kamera, mit dem Spiel von Licht und Schatten, von Dunkel und Hell eine visuelle Atmosphäre zu erzeugen, die in jeder Szene der Geschichte gerecht wird.

Durch diese Art der Inszenierung gelingt noch etwas anderes. Cocteau versteht es, die Stilmittel der Geschichte als etwas Selbstverständliches aussehen zu lassen, etwa die verschiedenen Verwandlungen von Personen, die letztlich, so könnte man sagen, drei Seiten einer Person darstellen. Avenant, der Herumtreiber, die Bestie, der verwunschene Prinz, und dann der durch Liebe erlöste Prinz selbst – alle, wie schon gesagt, von Jean Marais gespielt. Während Avenant für seine Geldgier mit dem Tode bestraft wird und zur toten Bestie wird, entsteht aus der sterbenden Bestie der Prinz.

Etliche Motive anderer Märchen finden sich hier wieder: Der Froschkönig etwa und das Aschenputtel-Motiv. Auch der goldene Schlüssel ist als Motiv bekannt aus „Der goldene Schlüssel“ oder „Blaubart“, zwei Märchen der Brüder Grimm. Und auch den Spiegel, in dem die beiden hochnäsigen Schwestern ihr wahres Gesicht sehen müssen, kennen wir, z.B. aus „Schneewittchen“, aus „Die Schneekönigin“, aber auch aus „Harry Potter“.

Im Kontext der Inszenierung Cocteaus gewinnen diese Stilmittel oder man könnte auch sagen Katalysatoren (Spiegel, Schlüssel, Handschuh) eine besondere Bedeutung: Sie wechseln den Besitzer, die Bestie gibt den Handschuh und den Schlüssel der Schönen und drückt damit sein tiefes Vertrauen zu Bella aus. Der Schlüssel wechselt wieder den Besitzer, wird von einer der Schwestern entwendet, so dass Avenant und Ludovic sich auf den Weg machen können, um ihre Habgier zu befriedigen. Als Avenant beim Versuch des Betretens der Schatzkammer der Pfeil der Gerechtigkeit trifft, verliert der Schlüssel seine Bedeutung. Die Habgier ist besiegt. Für die Schöne und das Biest, das sich zurückverwandelt hat in den Prinzen, spielt der Schlüssel keine Rolle mehr, ebenso wenig wie der Spiegel oder der Handschuh. Das Märchenhafte, das Verzauberte, das Verwunschene – all das ist wie verflogen, wie von Zauberhand getilgt, als der Prinz mit Bella auf den Armen am Schluss in ein Land entschwebt, in dem die Habgier und der Hass keine Rolle spielen – jedenfalls nicht im Märchen.

octeau gelingt es also, durch seine Inszenierung nicht nur einfach ein Märchen zu erzählen, sondern die tiefe Menschlichkeit einer solchen Erzählung in den Vordergrund zu rücken – wie gesagt vor dem Hintergrund der menschlichen Katastrophe des damals gerade Geschehenen. Das macht diesen Film, der manchen heute vielleicht „veraltet“ oder „unzeitgemäß“ erscheint, für mich zu einem Glanzstück der Filmgeschichte.

Wertung: 10 von 10 Punkten.
(19.11.2013)