Die Verachtung
(Le Mépris)
Frankreich, Italien 1963, 103 Minuten (DVD: 99 Minuten)
Regie: Jean-Luc Godard

Drehbuch: Jean-Luc Godard, nach dem Roman „Il Disprezzo“ von Alberto Moravia
Musik: Georges Delerue
Director of Photography: Raoul Coutard
Montage: Agnès Guillemot, Lila Lakshmanan

Darsteller: Brigitte Bardot (Camille Javal), Michel Piccoli (Paul Javal), Jack Palance (Jeremy Prokosch), Giorgia Moll (Francesca Vanini), Fritz Lang (Fritz Lang), Raoul Coutard (Kameramann), Jean-Luc Godard (Langs Assistent), Linda Veras (Siren)

Ein Markt voller Lügen

„Das Kino schafft für unseren
Blick eine Welt, die auf unser
Begehren zugeschnitten ist.
‚Die Verachtung’ ist die
Geschichte dieser Welt.“
(Andrè Bazin)

Die Irrfahrt des Odysseus, wenn es denn eine Irrfahrt gewesen ist, wohin führte sie ihn? Zurück zu Penelope? Hin zu einer tieferen Erkenntnis? Und wohin führt uns das Kino, speziell hier Jean-Luc Godard? „Le Mépris” zähle nicht zu den besten Filmen des französischen Regisseurs und Mitbegründers der nouvelle vague, liest man gelegentlich. Vielleicht ist es Godards ungewöhnlichster Film, weil er das große Thema „Kino” mit dem großen Thema „Leben” auf eine Godard eigene Art und Weise verknüpft. Aber welches Begehren meint Bazin, dass er Godard bescheinigt, einen Film gedreht zu haben, dass unser aller Begehren zum Zentrum macht?

Eingekleidet ist die Geschichte des Films, eigentlich die von Camille und Paul Javal, in die Chronologie eines Films im Entstehen. Fritz Lang spielt Fritz Lang, einen erfahrenen, alten Regisseur, der die Geschichte des Odysseus neu erzählen, in Bilder fassen soll. Der amerikanische Produzent Jeremy Prokosch will einen modernen Odysseus, sozusagen zugeschnitten auf die Moderne, während Lang darum kämpft, den antiken Odysseus als solchen in Bilder zu setzen. Prokosch engagiert Paul Javal, einen bislang nicht sehr erfolgreichen Schriftsteller, das Drehbuch entsprechend umzuschreiben – aus einer Geschichte, in der die Menschen tragische Figuren ihres Schicksals, ihres Kampfes mit und auch gegen die Götter sind, eine postmoderne zu kreieren. Der Blick auf die Kinokasse wirkt im Hintergrund des amerikanischen Produzenten.

Diese Rahmenhandlung ist jedoch nicht wirklich eine Rahmenhandlung. Sie korrespondiert mit der Liebesgeschichte des Ehepaares Javal, genauer: dem Ende dieser Ehe.

Ob er ihre Fesseln liebe, ihre Schultern, ihre Brüste, ihre Augen, ihren Po, ihre Hüften – fragt Camille in der Anfangsszene Paul, und Paul antwortet – fast brav, aber ehrlich – immer mit Ja. Beide liegen im Bett, sie nackt halb auf ihm. Georges Delerues Musik tut ein übriges, um die Stimmung dieser Szene zu verstärken, während es dieselbe Musik sein wird, die die Tragik der nun folgenden Ereignisse einfangen und verstärken wird.

Prokosch lädt die Javals in seine Villa ein. Er nimmt Camille in seinem roten Ferrari mit, der nur zwei Sitzplätze hat, so dass Paul mit dem Taxi nachkommen muss. In dieser halben Stunde, bis Paul dort eintrifft, verändert sich Camille, verhält sich völlig anders gegenüber Paul als bisher.

Der gesamte Mittelteil des Films spielt dann in der Wohnung der Javals irgendwo in der Nähe von Cinecitta, der Filmstadt, in der der Film über Odysseus u.a. entstehen soll. Paul hat die Wohnung gekauft, vor allem wegen Camille, die nicht mehr im Hotel übernachten will. Überall stehen noch Farbtöpfe herum, es fehlen Gardinen an den Fenstern. Und nun zeigt Godard Camille und Paul, wie sie sich in der Wohnung beobachten, umkreisen, verfolgen, ansehen ... Sie schleichen umeinander herum, Paul mehr fragend als Camille antwortend. Paul spürt deutlich, dass sich Camille von ihm – sozusagen über Nacht – abgewendet hat, und immer neue Ausreden erfindet, warum sie sich anders verhält, nachdem sie noch kurz zuvor behauptet hat, sie verhalte sich wie immer, sie liebe ihn noch immer usw. Die Kamera blickt durch die Gänge und Türen auf beide, dann auf einen von beiden, in der Badewanne, auf der Couch, am Fenster. Sie fängt die gespannte Atmosphäre, den Untergang einer Beziehung, die Ausreden Camilles, die Unwissenheit Pauls ein. Der Liebe folgt die Verachtung. Irgendwann später, auf Capri, wird sie Paul sagen: „Ich habe dich wirklich geliebt. Aber jetzt verachte ich dich, weil du diese Liebe nicht mehr in mir erwecken kannst.” Schon hier wird deutlich, wie die Ökonomisierung der Beziehungen zu einer Entwertung der Beziehungen führt.

„Zu wissen, was man nicht weiß,
ist die Gabe des höheren Geistes.
Nichts zu wissen und zu glauben,
dass man weiß, ist falsch.
Zu wissen, dass es falsch ist,
hält einen davon ab.“

Wie ein Unwissender, ein Ahnungsloser, Hilfloser kreist Paul um Camille, die ihm ausweicht, ihn belügt, und immer deutlicher wird ihm, dass er auch die Geschichte des Odysseus umschreiben muss – dass nämlich Odysseus Penelope geliebt hat, während sie von ihm nichts mehr wissen wollte. Fritz Lang widerspricht dieser Interpretation. Odysseus sei keine Geschichte der Neuzeit.

Paul schwankt. Immer deutlicher vermischt sich die Frage der Tragik seiner Beziehung zu Camille mit der Frage des Drehbuchs. Godard inszeniert dies allerdings nicht in der Art dieser vordergründigen klischeebesetzten Filmchen, die dem Zuschauer allzu deutlich ins Auge drücken, was sie vermeintlich (aussagen) wollen. Wir treffen auf eine doch eher subtile, auch nahe gehende Tragödie, eine, in der die Ironie nicht fehlen darf.

Im Kinosaal treffen sich die Javals wieder mit Lang und Prokosch, dann auf Capri, hoch über dem Meer, wo Lang weitere Szenen drehen will. Die Bilder wechseln, mal sieht man die Handelnden, mal antike Statuen mit den Helden und Göttern, denen die Augen blau oder rot gefärbt wurden, starr, in jeder Hinsicht unbeweglich, und doch im Verein mit der Erzählung Godards wiederum so lebendig, als wenn sie sagen wollten: Was geht uns das an, was ihr dort treibt?

Camille küsst Prokosch. Später wird sie mit ihm Capri verlassen und im roten Ferrari Richtung Rom fahren. Doch sie werden dort nie ankommen, weil Prokosch mit dem Auto in einen Lkw rast und beide den Tod finden. Paul wird das Drehbuch nicht umschreiben und abreisen.

„Jeden Morgen, mein Brot zu verdienen,
Geh' ich zum Markt, wo Lügen verkauft
werden. Hoffnungsvoll
Reihe ich mich ein unter die Verkäufer.“
(Bertolt Brecht, 1942)

Godards scharfer Blick auf die ökonomistische Durchstrukturierung des Filmgeschäfts und der persönlichen Beziehungen sowie ihre erzählerische Verschränkung in diesem Film leben vor allem von zweierlei: Von dem scharfen Kontrast zwischen den hellen, sonnendurchfluteten Bildern eines sommerlichen Italiens hier und der den Film durchziehenden Tragik der Geschichte der Javals und der Entstehung des Films dort. Fritz Lang, gelassen wie er durch den Film hindurch spielt, verkörpert einen mit diesen Strukturen vertrauten Mann, eben sich selbst, und manchmal wirkt er wie einer, der es längst aufgegeben hat, diese Mechanismen zu durchbrechen, als ob er wüsste, dass dies nie gelingen werde, oder als ob er ahne, dass er es nicht mehr erleben werde.

Aber Lang ist nur die eine Seite des eigentlichen Hauptdarstellers: nämlich Jean-Luc Godard selbst. Die andere Seite Godards ist Paul Javal, der anfangs nicht begreifen will, dass das Geld, die Ökonomie auch seine eigene Beziehung beherrscht. Und es ist auch Godard, der mit diesem Film einmal mehr der Hoffnung Ausdruck verleiht, es könne ja mal eine Zeit kommen, in der man Filme machen kann, wie man sie machen will (ursprünglich wollte Godard übrigens für die Hauptrolle Kim Novak, aber er musste die Bardot akzeptieren, die Schwierigkeiten mit Godards minimalistischem Stil nicht verhehlte), und eine Zeit, in der Beziehungen nicht mehr der Ökonomisierung preisgegeben sind.

Getragen wird die Geschichte aber zum zweiten von den Darstellern, vor allem Michel Piccoli und Brigitte Bardot. Piccoli, dessen Paul immer mit Hut herum läuft, egal wo er sich gerade befindet, spielt einen dieser Träumer, der ehrliche Geschichten schreiben will, aber auch einen dieser Schwankenden, die aus persönlichen Erfahrungen heraus plötzlich ihre Meinung ändern. Erst zum Schluss lehnt er es ab, Prokosch ein Drehbuch zu schreiben, das nicht seiner eigenen Überzeugung entspricht. Die Bardot spielt überzeugend Camille, und das trotz der Probleme mit Godards minimalistischer Art. Ihre Camille lügt, versteckt sich vor Paul, läuft vor ihm weg, schweigt, ist aggressiv – eine etwas andere Bardot, als man sich ihrer vielleicht ansonsten erinnert.

Irgendwann, auf Capri, diesem göttlichen Ort, sagt Camille zu Paul, dass ihre Beziehung früher den Taumel eines Rausches gehabt habe. Und es ist genau dieser Rausch, den sie selbst opfert, indem sie mit dem geschäftstüchtigen Prokosch Capri verlassen will. Nur von hier aus wird vielleicht verständlich, wie viel Bedeutung in der Anfangsszene des Films liegt, in der Camille Paul fragt, ob er ihre Beine usw. liebe. Schon hier ist der Rausch nur eine Illusion, wenn überhaupt ein schöner Traum, der wie eine Luftblase über Nacht zerplatzen wird, in der Sex als Instrument und Geld längst die Überhand gewonnen haben und es damit nur eine Frage der Zeit ist, wann der Aspekt der Macht, der Bemächtigung und damit korrespondierend der Ohnmacht und der Entmachtung der Liebe, der Zuneigung, der Zärtlichkeit und der Behutsamkeit die Oberhand gewinnen werden. Camille versteht ihren Körper als Kapital. Sexualität wird zur Bestätigung dieses Kapitals. Und sie merkt, dass Paul kein analoges Kapital, das heißt kein geldliches Kapital besitzt, so dass eine solchermaßen von der Ökonomie beherrschte Beziehung von Dauer sein könnte. Plötzlich ist die Wohnung, die Paul für sie gekauft hat, wertlos für sie. Der Kapitalisierung analog ist die Entwertung der Dinge und der Personen. Und so wie Camille Paul entwertet, will Prokosch die Odyssee entwerten.

Auch hier ist Godard „unbarmherzig” scharf in der Analyse, ohne das die Bilder, in denen er dies zeigt, plakativ wirken würden. Die Kapitalisierung betrifft aber nicht nur den Körper, sondern alles, was Beziehung in jedweder Form angeht. Der Antagonismus zwischen den Gefühlen und deren Ökonomisierung drückt sich aus in der Lüge – so, wie jede Werbung ihr Produkt mit einem Schleier umgibt, nur, um es zu verkaufen, welches Maß an Gebrauchswert-Qualität es auch immer haben mag. Was bleibt, sind die schönen Farben, das Rot, Blau und Gelb, und der Blick über die Weite des Meeres.

Auch heute ist „Le Mépris” ein sehenswerter Film, dessen Bilder und Personen faszinieren, dessen Geschichte berührt.

© Bilder: Arthaus und Kinowelt
Screenshots von der DVD