Die verlorene Ehre der Katharina Blum, oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann
(Intern. Titel: The Lost Honor of Katharina Blum)
Deutschland 1975, 106 Minuten
Regie: Volker Schlöndorff, Margarethe von Trotta

Drehbuch: Volker Schlöndorff, Margarethe von Trotta, Heinrich Böll, nach dem Roman von Heinrich Böll
Musik: Hans Werner Henze
Director of Photography: Jost Vacano
Montage: Peter Przygodda
Produktionsdesign: Ute Burgmann, Günther Naumann

Darsteller: Angela Winkler (Katharina Blum), Mario Adorf (Kommissar Beizmenne), Dieter Laser (Werner Tötges, Journalist „Die Zeitung“), Jürgen Prochnow (Ludwig Götten), Heinz Bennent (Dr. Blorna, Anwalt), Hannelore Hoger (Trude Blorna), Rolf Becker (Staatsanwalt Hach), Harald Kuhlmann (Moeding, Polizist), Herbert Fux (Weninger, Journalist „Die Zeitung“), Regine Lutz (Else Woltersheim, Patentante Katharinas), Werner Eichhorn (Konrad Beiters), Karl-Heinz Vosgerau (Alois Sträubleder, Unternehmer), Angelika Hillebrecht (Frau Pletzer), Horatius Häberle (Staatsanwalt Dr. Korten), Achim Strietzel (Lüding, Konzernherr)

Pressefreiheit als Erpressungsfreiheit

„Wer die Zeitung angreift,
greift uns alle an.“

Rheinische Fröhlichkeit. Es wird getrunken. Es ist kalt. Aber niemand vertreibt die Kälte. Der Alkohol nicht, die karnevalistischen Frohnaturen nicht. Im Gegenteil, es wird kälter und kälter. Wie ein Strick schnürt sich die Kälte um den Hals. Es gefriert in Deutschland. Ein Gespenst geht um in Deutschland, nein, nicht das, was Karl Marx damit meinte. Die naive und bisweilen groteske Lächerlichkeit einer radikalen Linken hat nichts mit einem Gespenst gemein, kein Horror, nicht einmal ein kleiner Schrecken dieser Möchtegernrevolutionäre durchstreift die Republik. Etwas anderes durchstreift Deutschland. Das Wort vom „Sympathisanten“ geht um. Endlich kann die zur medialen Unternehmermacht gekommene Presse beweisen, was Pressefreiheit wirklich bedeutet. Nicht nur die Millionen Exemplare aus dem Hause Springer haben zur Jagd geblasen: auf alle, die in den Verdacht gerückt werden, mit Baader, Meinhof und den anderen zu „sympathisieren“. „Sympathisant“ und „Intellektuelle“ werden zu bedeutungsgleichen Begriffen erkoren. Heinrich Böll, einer, den insbesondere die Springer-Presse in den Dunstkreis des „Sympathisantensumpfs“ stellte, reagierte – kurz nach Eröffnung des Baader-Meinhof-Prozesses – mit einem Roman, der zunächst im „Spiegel“ veröffentlicht wurde. Ein Jahr später nahmen sich Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta des Stoffes an und adaptierten – in enger Zusammenarbeit mit Böll – den Stoff für’s Kino.

Böll selbst, dessen Haus von Polizei im Rahmen der „Terroristenfahndung“ am Tag der Festnahme Baaders umstellt worden war, hatte in Hetzartikeln von „BILD“ bereits 1971 und 1972 zu spüren bekommen, in welches Fahrwasser Menschen gestellt werden, die Kritik am Vorgehen staatlicher Sicherheitsorgane im Zusammenhang mit der Fahndung nach RAF-Mitgliedern bugsiert werden: „BILD“ verglich ihn mit Goebbels und dem SED-Fernsehagitator Karl Eduard von Schnitzler und die „Quick“ schrieb: „Die Bölls sind gefährlicher als Baader-Meinhof.“

„Katharina Blum ist keine politische Person,
sie ist keine Anarchistin, sie ist ein sehr
braves, tüchtiges Mädchen, das voll, ganz
voll im Wirtschaftswunderdenken verankert
ist. Sie ist also eine tüchtige Konformistin –
ob sympathisch oder nicht, das ist mir gleichgültig.“
(aus dem Roman Heinrich Bölls)

Karneval in Köln. Ausgelassenheit. Katharina Blum (Angela Winkler) lernt auf einer feucht-fröhlichen Faschingsparty bei ihrer Patentante Else Woltersheim (Regine Lutz) den gut aussehenden Ludwig Götten (Jürgen Prochnow) kennen, verliebt sich und verbringt die Nacht mit ihm – seit langem der erste Mann, der ihr zusagt. Männer vorher gab es, einen biederen Ehemann, von dem sie sich trennte, reiche Honoratioren, die sie über die Blornas kennen gelernt hatte, ein zudringlicher früherer Arbeitgeber, dem sie daraufhin den Dienst quittierte. Jetzt arbeitet Katharina als Hausangestellte bei dem wohlhabenden Rechtsanwalt Dr. Blorna (Heinz Bennent) und seiner Frau Trude (Hannelore Hoger), einer Architektin, die wohl vor langer Zeit mal eine „rote Gesinnung“ gehabt haben soll. Abends geht Katharina putzen.

Eine Tür wird eingetreten. Die Wohnungstür bei Katharina. Maskierte Spezialeinheiten der Polizei, der bärbeißige Kommissar Beizmenne (Mario Adorf) und Staatsanwalt Hach (Rolf Becker) breiten sich in Katharinas Wohnung aus. Sie suchen Götten, angeblich weil er ein Deserteur ist, ein Anarchist, wie die Presse später schreiben wird, der zudem eine Bank beraubt haben soll. Doch Götten ist spurlos verschwunden, obwohl die Polizei, die einen Spitzel auf der Faschingsparty eingesetzt und die Götten schon vorher beobachtet hatte, das Haus seit dem Vorabend umstellt hatte.

Man durchsucht die Wohnung, nimmt Katharina fest. Sie wird verhört, als ob ihre Schuld, ihre Mitwisserschaft, ihre tatkräftige Unterstützung Göttens schon feststünde. Beizmenne kennt kein Pardon: Mit Zuckerbrot und Peitsche führt er die Verhöre, macht aus jedem noch so unwichtigen Detail ein Indiz und reimt sich den verbrecherischen Hintergrund zusammen, in deren Zentrum nicht nur Götten, sondern auch Katharina stehe. Ein teurer Ring Katharinas, hohe Benzinkosten – all das passe nicht zu dem eher mageren Einkommen der jungen Frau.

Katharina lässt sich in eine Zelle sperren. Lieber ist sie allein eingesperrt, als sich den Erniedrigungen Hachs und Beizmennes weiter auszusetzen.

„Beizmenne: Die Zudringlichkeiten von Götten
haben Sie nicht gestört?
Katharina: Ludwig war nicht zudringlich
– er war zärtlich.
Beizmenne: Das kommt aufs selbe raus.
Katharina: Nein, eben nicht! Zudringlichkeit ist
eine einseitige Handlung – und Zärtlichkeit,
das ist etwas ganz anderes – das geht von beiden aus.
Beizmenne: Das interessiert doch keinen Menschen.“

Es kommt schlimmer. Die überregionale Gazette „ZEITUNG“ stilisiert aufgrund von „Recherchen“ des Journalisten Tötges (Dieter Laser) und seines Fotografen Schönner (Leo Weisse) Katharina zum Anarchisten-Liebchen und zur Verbrecherin. Tötges schnüffelt im Privatleben Katharinas herum; was ihm an zurecht gebogenen Informationen fehlt, lügt er hinzu. Und er begibt sich ohne Erlaubnis der Ärzte auf die Intensivstation, wo Katharinas Mutter nach einer schweren Operation liegt, und löchert die todkranke Frau, die wenige Stunden später stirbt.

Dr. Blorna und seine Frau sind entsetzt über die Hetzkampagne gegen Katharina, brechen ihren Urlaub aber zunächst nicht ab. Währenddessen schweigt Katharina über die Identität des Mannes, der ihr den teuren Ring geschenkt hat: Alois Sträubleder (Karl-Heinz Vosgerau), Unternehmer und Hochschulprofessor, Klient Blornas, ein angesehener Mann der rheinischen besseren Gesellschaft, der nun Angst bekommt, in die Affäre mit hineingezogen zu werden. Seine frühere Liaison mit Katharina könnte ihn ruinieren. Denn Katharina hatte er den Schlüssel zu seinem Landhaus gegeben, und Sträubleder befürchtet, Katharina könnte den Schlüssel Götten zugesteckt haben, damit der sich dort versteckt ...

„Siehste, Blümelein, du bist berühmt
geworden ... Warte nur ab, du kannst
mit deinem Namen noch viel Geld
machen, in der Story ist noch viel drin.
Nur müssen wir jetzt gleich etwas
nachschießen, ... immer nachschießen,
Mädchen, sonst vergessen die Leute dich
... Ich respektiere dich, sehr ... Ich
schlage vor, dass wir jetzt erst mal ein
bisschen bumsen.“
(Tötges zu Katharina)

Am Schluss: Tötges betritt Katharinas Wohnung. Die junge Frau sitzt dort regungslos auf einem Stuhl. Tötges schmeißt mit Geld um sich. Reich könne sie werden, meint er, man müsse die Geschichte nun noch mehr ausschlachten. Was die „ZEITUNG“ aus seinen „Recherchen“ gemacht habe, dafür könne er nichts. Jetzt aber käme es darauf an, „nachzuschießen“. Katharina zieht eine Pistole. Vier Schüsse fallen. Tötges bricht tot zusammen. Noch einmal begegnen sich Katharina und der inzwischen festgenommene Götten, als sie unabhängig voneinander abgeführt werden. Auf der Beerdigung von Tötges spricht der Konzernherr der „ZEITUNG“ über die Bedeutung der Pressefreiheit und die Bedrohung der Freiheit.

„ANARCHISTENLIEBCHEN VERWEIGERT
AUSSAGEN ÜBER HERRENBESUCH“
„10 000 MARK FÜR EINE NACHT
DER ZÄRTLICHKEIT“
(Schlagzeilen der „ZEITUNG“)

Im Gegensatz zu Bölls Roman, der die Geschichte der Katharina Blum in verschachtelten Rückblenden erzählte, setzten Schlöndorff und von Trotta auf eine chronologische Erzählung, die auf Rückblenden weitgehend verzichtet. Insgesamt drei Drehbücher entstanden in Kooperation mit Böll, der allerdings in die inhaltliche Konzeption des Films nicht eingegriffen haben soll.

Roman wie Film zeichnen in extremer Weise Schwarz-Weiß: hier die Guten, die Opfer, dort die Miesen, die Täter. Gerade die Rede des Zeitungsunternehmers Lüding am Schluss während der Beerdigung von Tötges – gespielt von dem Kabarettisten Achim Strietzel – ist derart plakativ überzeichnet, dass man meinen könnte, Film wie Roman bedienten sich genau jener konturlosen Methoden der Journaille, die sie doch gerade angreifen wollten. Das ist auch in gewisser Weise richtig und war schon von Böll bewusst eingesetzt worden. Allerdings geht der Film im Gegensatz zum Roman hier noch weiter. Das Grelle, Kontroverse wird hier noch dadurch mehr zum Pamphlet als Bölls Roman, als uns mit Angela Winkler in der Hauptrolle eine Frau präsentiert wird, die in dieser Form ausschließlich Sympathieträger sein kann. Zudem wird jeder politische Kontext aus der Darstellung verbannt. Über den zudem dem Publikum im Lauf der Handlung unbekannt bleibenden Götten weiß man nur, dass er desertiert sein und eine Bank ausgeraubt haben soll. Katharinas Motive in Bezug auf Götten beschränken sich auf etwas ganz Subjektives, ja Intimes: auf ihre Liebe zu diesem Mann. Dadurch wird die Nähe zur Figur der Katharina auf Seiten des Publikums noch verstärkt.

Der bewusste Einsatz der Schwarz-Weiß-Malerei ist aber in diesem Fall vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund eben der große Vorteil des Films (wie des Romans). Böll schlug in gewisser Weise die Journaille sowie die Machtmechanismen, resultierend aus der Verflechtung von Staatsmacht, Medien und wirtschaftlich Mächtigen, mit ihren eigenen Waffen, im Film dargestellt durch die gegenseitige „Informationspolitik“ zwischen Tötges und Beizmenne. So aktuell die „Sympathisantenhatz“ der Springerpresse und anderer – und dass mit der „ZEITUNG“ eben die Bildzeitung gemeint war, dürfte damals wohl niemandem entgangen sein – im politisch-gesellschaftlichen Klima war, umso prononcierter und im positiven Sinne plakativer musste ein Roman – und dann eben auch ein Film – sein, der dieses Klima der Denunziation, Erniedrigung vieler usw. in dieser Weise vorführte.

Böll erzählte die Geschichte einer „einfachen“, „normalen“ Frau, die – in die Enge getrieben von Polizei, Staatsanwälten, Presse und auch Öffentlichkeit (sie erhält Drohbriefe und -anrufe) – nicht mehr anders reagieren kann als durch einen Akt der Gewalt, nachdem ihre Ehre, ihr Ruf zerstört worden ist. Durch die Entpolitisierung der Geschichte (Götten ist keine RAF-Figur, bleibt fast anonym) wird zudem verdeutlicht – was im übrigen den Tatsachen entspricht –, dass jeder in eine solche Situation der öffentlichen Verunglimpfung durch eine Presse geraten kann, die Pressefreiheit mit Denunziation, Lüge und uneingeschränkter Macht gleichsetzt.

Diesem Konzept entspringen auch die restlichen Personen: Hach, der Staatsanwalt, einer, der jedem Regime dienen würde, nur am Wochenende nicht, da will er privat bleiben; Beizmenne, von Adorf als rauer, gefühlloser Machtmensch gespielt, der nur dann menschlich zu werden scheint, wenn er sein Mittagessen auspackt und Katharina zum Mitessen einlädt, die daraufhin es jedoch vorzieht, in eine Zelle abgeführt zu werden, weil sie diesen Anblick nicht erträgt; die taktischen Liberalen Blorna und Frau, taktisch empört über das, was Katharina widerfährt, sich aber um der eigenen sozialen Stellung willen zurückhaltend verhaltend; Tötges, ein wirklich realistisch beschriebener widerlicher Kerl, der über Leichen geht und seine eigene Mutter verkaufen würde, um einen Knüller zu landen; der schmierige Sträubleder, ein zu Ansehen und Geld gekommener Feigling – und nicht zuletzt eine Öffentlichkeit, die auf die ekelhaften Methoden der „ZEITUNG“ „anspringt“.