Ein Mann und eine Frau (Un homme et une femme) Frankreich 1966, 102 Minuten Regie: Claude Lelouch
Drehbuch: Claude Lelouch, Pierre Uytterhoeven Musik: Vinicius De Moraes, Francis Lai, Baden Powell Director of Photography: Claude Lelouch, Patrice Pouget Montage: Calude Barrois, G. Boiser, Claude Lelouch Produktionsdesign: Robert Luchaire
Darsteller: Anouk Aimée (Anne Gauthier), Jean-Louis Trintignant (Jean-Louis Duroc), Pierre Barouh (Pierre Gauthier), Valérie Lagrange (Valérie Duroc), Antoine Sire (Antoine Duroc), Souad Amidou (Françoise Gauthier)
Ein langer Augenblick der Zartheit
Claude Lelouch ist so etwas wie ein hoffnungsloser Romantiker. „Un homme et une femme“ ist ein Film, den man im Vergleich zu damaligen und heutigen Romanzen aus Hollywood als unromantisch bezeichnen müsste. Es geht nicht um Anne und Jean-Louis sondern, wie der Titel besagt, um einen Mann und eine Frau. Natürlich geht es um Anne und Jean-Louis, aber ihre Charaktere sind derart minimalistisch ausgelegt, dass es auch um, sagen wir, Claudine und Jacques gehen könnte. Der Film hat zudem kaum so etwas wie Handlung, erzählt keine Geschichte im üblichen Sinn. Das klingt paradox: Ein Romantiker dreht einen unromantischen Film? Nicht ganz.
„Ein Mann und eine Frau“ reduziert die romantische Beziehung zwischen zwei Menschen auf das wesentliche, abstrahiert völlig von den „Zutaten“ und Beigaben, den Unterfütterungen der romantischen Komödie respektive der romantischen Tragödie, wie wir sie alle zur Genüge kennen. Anne (Anouk Aimée) ist irgendeine Frau, Jean-Louis (Jean-Louis Trintignant) irgendein Mann, beide haben ein Kind, Anne ihre Tochter Françoise (Souad Amidou), Jean-Louis seinen Sohn Antoine (Antoine Sire), die beide zufällig das gleiche Internat besuchen. Bei einem Besuch der Kinder verpasst Anne den Zug zurück nach Paris, und die Rektorin bittet Jean-Louis, Anne in seinem Auto mitzunehmen.
Es regnet in Strömen, es ist dunkel. Anne und Jean-Louis sitzen zunächst schweigend nebeneinander. Beide waren verheiratet, beider Ehegatten sind tot. Anne erzählt von ihrem Mann, Pierre (Pierre Barouh), einem Sensationsdarsteller beim Film, der bei Drehaufnahmen durch eine Explosion ums Leben kam. Jean-Louis erzählt, er habe einen Beruf, der sehr viel Geld einbringe. Lelouch zeigt in Rückblenden Ausschnitte aus dem Leben der beiden Paare, das, was sie sich gerade erzählen. Diese Rückblenden sind in grellen Farben, vor allem Gelb- und Rottönen gedreht und wirken wie Urlaubsaufnahmen. Jean-Louis ist Test- und Rennfahrer. Lelouch zeigt mehrmals in langen Einstellungen Bilder von Testfahrten und von Autorennen in Monte Carlo; sie wiederum wirken wie Sportberichte und sind meist in Schwarz-Weiß gehalten.
Jean-Louis möchte Anne wiedersehen, Anne, diese geheimnisvolle Frau, die etwas zu verbergen scheint. Aber auch Jean-Louis erzählt erst viel später, dass seine Frau Valérie (Valérie Lagrange) nach einem schweren Renn-Unfall von Jean-Louis einen derart gravierenden Nervenzusammenbruch erlitten hatte, dass sie Selbstmord beging.
Die beiden gehen mit den Kindern essen, unternehmen lange Strandspaziergänge, lieben sich das erste Mal in einem Hotelzimmer – bis Anne sich von Jean-Louis zurückzieht. Sie liebt ihren Mann noch immer, sagt sie. Und Jean-Louis schließt daraus, ihr Mann würde noch leben.
Liebeslieder von Baden Powell, der berühmt gewordene Titelsong von Francis Lai – fern jeglicher Rührseligkeit – begleiten diesen 100 Minuten dauernden Augenblick der Nähe, der zeitweiligen Distanz und des Happyends, unterbrochen nur von den Rückblenden und den Rennszenen. Die Umgebung, in der sich Anne und Jean-Louis bewegen, ist trist, kühl, selbst die Spaziergänge am Meer wirken in den Farben des Films eher matt, das einzige was glänzt, sind die Augen Annes und Jean-Louis Blick, das Lächeln, das sie sich zuwerfen. Vorsichtig, behutsam kommen sich beide näher, eine Handbewegung, ein kurzer Blick, ein Lächeln, eine Geste.
In der Schlusseinstellung umkreist die Kamera – von Lelouch zumeist selbst geführt – die sich Umarmenden auf einem Bahnhof in Paris. Es ist diese Ankunft, dieses Ankommen, sie mit dem Zug und er mit dem Auto, ihr nachfahrend, um sie abzuholen und auf ihrer beider Liebe zu insistieren, diese Absage an die Nekrophilie, die den entscheidenden und völlig überzeugenden Schlusspunkt dieser langen Momentaufnahme setzt.
Lelouch ist im wahrsten Sinn des Wortes anti-modern, wenn man dies auf den gängigen Liebesfilm und die damit verbreiteten Klischees bezieht. „Un homme et une femme“ enthält keine Klischees und ist doch romantischer als jede Hollywood-Romanze. Den Film beherrscht eine unproblematische Schwerelosigkeit, ein gut 100 Minuten dauerndes angenehmes Gefühl, und trotzdem ist er nicht problemlos. Lelouch schafft sozusagen Urformen von Mann und Frau, Archetypen, in denen jeder Betrachter ein bisschen sich selbst wiederfinden kann, ohne nicht zugleich zwei konkrete Menschen, eben Anne und Jean-Louis, zu zeigen, die sich einem konkreten Augenblick in einer konkreten Umgebung hingeben.
Wir haben uns mehr oder weniger alle an eine bestimmte Form der romantischen Komödie oder Tragödie gewöhnt, das heißt vor allem an ihre unrealistischen, verträumten und zum Teil albernen Zutaten, und vor allem an ihre immer wieder reproduzierten Handlungsstränge. Aus diesem Grund ist ein in dieser Hinsicht schnörkelloser Film wie „Ein Mann und eine Frau“ ungewohnt, gewöhnungsbedürftig. Man muss sich auf ihn einlassen können, in ihn eintauchen können, um seine Widersprüche und Kontraste, seine Zartheit und seine Romantik empfinden, um den Augenblick genießen zu können.
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