Endstation Sehnsucht
(A Streetcar Named Desire)
USA 1951, 122 Minuten
Regie: Elia Kazan

Drehbuch: Tennessee Williams, nach seinem Roman
Musik: Alex North
Director of Photography: Harry Stradling Sr.
Montage: David Weisbart
Produktionsdesign: Richard Day, George James Hopkins

Darsteller: Vivien Leigh (Blanche Du Bois), Marlon Brando (Stanley Kowalski), Kim Hunter (Stella Kowalski), Karl Malden (Harold „Mitch” Mitchell), Rudy Bond (Steve), Nick Dennis (Pablo Gonzales), Peg Hillias (Eunice)

Sehnsucht und Besessenheit

I don't want realism. I want magic!
Yes, yes, magic. I try to give that to
people. I do misrepresent things.
I don't tell truths. I tell what ought to be truth.
(Blanche)


Die Zensur kann einen Film zerstückeln bis zur Unkenntlichkeit. Sie kommt in der Regel daher als moralische Instanz, als Sittenwächter. Dabei ist sie in Wahrheit nichts weiter als der Machtwillen einer Minderheit von Menschen, die ihre Kleinlichkeit, ihre Selbstbezogenheit und ihr Spießbürgerlichkeit kaschieren wollen – durch die Hybris scheinbarer Überlegenheit und die Ausübung von Macht.

Elia Kazan hatte mit Erfolg Tennessee Williams Drama „A Streetcar Named Desire” 1947 in New York für das Theater inszeniert. Das Stück lief zwei Jahre erfolgreich am Broadway. Jack Warner und andere mussten ihn davon überzeugen, das Stück auch für das Kino zu inszenieren – und es waren Karl Malden, Marlon Brando und Kim Hunter, die sich bereit erklärten, auch für den Film ihre Rollen zu spielen, die sie so erfolgreich auf der Bühne gespielt hatten. Nur die Rolle der Blanche Du Bois wurde neu besetzt, mit Vivien Leigh.

Von Anfang an wusste man um die Schwierigkeiten, die man mit der Selbstzensurbehörde der Filmindustrie, dem sog. Breen Office (Motto: „Eine Eintrittskarte für einen unanständigen Film ist eine Fahrkarte zur Hölle.”), haben würde, wenn man Williams Stück unverändert auf die Leinwand bringen wollte. So wurden die Szenen, in denen die vermeintliche Nymphomanie von Blanche, die Homosexualität ihres Ex-Mannes und die Vergewaltigung von Blanche durch Kowalski, thematisiert werden, fast bis zur Unkenntlichkeit geändert (insgesamt wurden vier bis fünf Minuten weg geschnitten). Die Sittenwächter der sog. „Legion of Decency”, einer katholischen Zensurbehörde setzten noch eins drauf und erzwangen, dass die Treppenszene – in der Stella Kowalski noch einmal zu ihrem Mann zurückkehrt – stark gekürzt wurde und einige Dialoge entschärft wurden.

Erst 1993 wurde der Film dann in einer ungekürzten Fassung auf DVD veröffentlicht.

Der Freundschaft zwischen Williams, der auch das Drehbuch zum Film schrieb, und Kazan, der beginnenden Freundschaft zwischen Malden und Brando sowie den hervorragenden Leistungen der weiblichen Hauptdarsteller Leigh und Hunter sowie derer von Brando und Malden ist es zu verdanken, dass trotz des Eingriffs der Zensur ein Film entstand, der das Kino in einigen Punkten neu definierte.

Williams und Kazan erzählen die Geschichte der Lehrerin Blanche (Vivien Leigh – unvergessen als Scarlett O’Hara in „Gone With The Wind”, 1939), die in einem dieser typischen schwülen Sommer des Südens bei ihrer Schwester Stella (Kim Hunter) im französischen Viertel von New Orleans auftaucht. Stella ist schon vor Jahren von Zuhause weggegangen und inzwischen mit dem Arbeiter Stanley Kowalski (Marlon Brando) verheiratet – einem ungehobelten, rauen Kerl, den Stella aber von ganzem Herzen zu lieben scheint. Blanche erzählt, sie sei, um sich zu erholen, von dem Direktor ihrer Schule beurlaubt worden. Und sie erzählt, das gesamte Vermögen der einst wohlhabenden Familie Du Bois sei verloren gegangen.

In der äußerst beengten Zwei-Zimmer-Wohnung kommt Blanche in einem der Zimmer unter, das von dem anderen nur durch einen Vorhang getrennt ist. Und dann kommt Kowalski nach Hause, schwitzend, im Unterhemd, und von Anfang an ist ihm diese Schwester seiner Frau ein Dorn im Auge. Ihre ganze Art ist ihm zuwider. Er fragt sie aus, zwingt sie schließlich, ihm alle Papiere zu zeigen, die das Vermögen der Familie betreffen, weil er hofft, irgend etwas an Geld oder Grundbesitz müsse doch noch vorhanden sein.

Blanche lebt in zwei Welten – in der realen, die ihr so viel Leid zugefügt zu haben scheint, und in einer Phantasiewelt, in der sie ihre Träume und Wünsche, Sehnsüchte und Hoffnungen auszuleben versucht. Und genau das ist es, was ihren Schwager auf die Palme bringt, sie ihm verhasst macht. Blanche wiederum versteht nicht, wie Stella mit Stanley zusammenleben kann, mit einem Mann, der sie schlägt, zu dem Stella, die schwanger ist, aber immer wieder zurückkehrt.

Als sie einen der Freunde Kowalskis, Mitch (Karl Malden), der regelmäßig zum Pokerspiel mit zwei anderen Männern zu Kowalski kommt, kennen lernt, glaubt Blanche in diesem ruhig und besonnen wirkenden Mann denjenigen gefunden zu haben, bei dem sie den Schutz bekommen könnte, den sie schon lange bei einem Mann sucht. Und Mitch verliebt sich in die blonde Frau.

Stella, die ihre Schwester liebt, versucht, Blanche vor allen Anfeindungen ihres Mannes zu schützen. Sie will es sich mit beiden nicht verderben. Doch Stanley hat inzwischen Erkundigungen über Blanche eingezogen. Und die besagen, dass Blanche eine Lügnerin ist, die verheimlicht hat, dass sie als Lehrerin entlassen wurde, weil sie ein Verhältnis mit einem 17jährigen Schüler hatte, dass sie aus einem Hotel in Auriol, ihrer Heimatstadt, hinausgeworfen wurde, weil sie einen Mann nach dem anderen hatte. Genau das erzählt Stanley auch Mitch, der sich wütend und enttäuscht von Blanche abwendet.

Die Situation spitzt sich zu, als Kowalski, während Stella im Krankenhaus liegt, um ihr Kind zu bekommen, Blanche vergewaltigt ...

Getragen wird diese Geschichte von den vier in ihren Charakteren so unterschiedlichen Personen Blanche, Stanley, Stella und Mitch.

Blanche lebt in einer widersprüchlichen Doppelwelt. Sie verschweigt die Tragik ihres Lebens, die Beziehung zu einem homosexuellen oder bisexuellen Mann, der sich durch einen Schuss in den Mund das Leben nahm, den Missbrauch durch andere Männer, ihre Hingezogenheit zu sehr jungen Männern, insgesamt ihre Flucht in sporadische, kurze Beziehungen auf der Suche nicht nach Liebe, sondern nach Schutz und Sicherheit vor der Unbill des Lebens . Sie flüchtet immer deutlicher in eine Phantasiewelt ihrer Sehnsüchte, lebt immer öfter in dieser Welt, die sie sich nur geschaffen hat, weil sie in der wirklichen Welt nicht zurecht kommt.

Ihre Schwester Stella flüchtete vor der Welt ihrer Familie und deren sozialen Abstieg frühzeitig – in die Arme eines Mannes, der so ganz anders lebt, denkt und fühlt als die Menschen ihrer Herkunft. Das arme, wenn auch nicht verarmte New Orleans wurde ihr Zuhause – eine Welt des Glaubens nur an das, was (angeblich) ist, an die „harte Realität”, eine Welt ohne Phantasie, ohne Träume. Was sie zu Kowalski trieb, war die Lust an dieser Welt der scheinbaren Einfachheit und Klarheit, auch die sexuelle Lust, die von diesem breitschultrigen, starken Mann ausstrahlt, eine Lust, die sie alles andere in Kauf nehmen ließ, auch die Gewalttätigkeit dieses Mannes. Sie wird Kowalski hörig. Besonders deutlich wird diese Beziehung Stellas zu Stanley in jener Treppenszene, die in der Kinofassung zur Unkenntlichkeit gekürzt wurde, als Stella aus der Wohnung der Nachbarin Eunice (Peg Hillias) zu dem verzweifelt „Stella” schreienden Kowalski wieder einmal zurückkehrt. Mit einem Gesicht – Kim Hunter ist hier einfach nur großartig –, in das Enttäuschung, Wut, Verletzlichkeit, aber eben auch das Gefühl des Verlusts gezeichnet sind. Sie geht langsam die Treppe hinunter, und man sieht, wie sich ihr Gesicht verändert, wie die Zuspitzung ihres Lebens auf einen Punkt, die reine Lust, die Hörigkeit alles andere wieder überwiegt.

Marlon Brandos Kowalski ist für die damalige Zeit ein neuer Typus im Kino. Die Zweideutigkeit seines Charakters ist es nicht, was diesen Typus ausmacht. Auch Bogart konnte dies verkörpern, gerade in jenen Jahren. Aber von der äußerlichen Geschliffenheit, ja fast Vollkommenheit eines Bogart ist bei Brando nichts mehr zu spüren. Das Rohe, das Gewalttätige ist in ihm genauso wie die unermessliche kindliche Schwäche zu finden. Nur, dass das alles hier nicht „versteckt” wird, verborgen liegt hinter einer äußerlichen Fassade. Brando zeigt diesen Kowalski zumeist im Unterhemd, verschwitzt, dreckig von der Arbeit, und vor allen in seinen Blicken kommt diese Figur in einer Weise zum Tragen, die im amerikanischen Kino etwas Neues darstellte.

Zu erwähnen ist schließlich Karl Malden, der diesen zurückhaltenden, freundlichen, zuvorkommenden Mitch spielt, der sich in Blanche verliebt, dessen Urteilsfähigkeit jedoch durch seine eigene Biografie getrübt ist. Zu Hause kümmert er sich um seine todkranke Mutter. Zu Frauen hat Mitch offenbar nie richtigen Kontakt gehabt, außer eben zu seiner Mutter. Williams und Kazan lassen durchblicken, wie stark Mitchs Verhältnis zu Frauen eben durch das Verhältnis zu seiner (Über-)Mutter geprägt zu sein scheint. Auch Mitch sucht nicht so sehr die erwachsene Liebe zu einer Erwachsenen. Auch er handelt und fühlt eher wie Blanche: Beide suchen den Schutz und die Sicherheit, die ein Kind sucht. Man könnte auch mit Erich Fromm sagen: Sie brauchen sich nicht, weil sie sich lieben. Sie lieben sich, weil sie sich brauchen. An dem Punkt, als Mitch erfährt, wie Blanche wirklich gelebt hat, bricht für ihn eine Welt zusammen. Eine Frau, die einen Mann nach dem anderen hatte, kann für ihn nicht die Ersatzmutter sein, die er sich wünscht.

Obwohl „A Streetcar Named Desire” ein typisches Theaterstück ist, das im wesentlichen in einem überschaubaren Raum spielt (der Wohnung der Kowalskis), gelang es Kazan dennoch, den Film von der Bühneneigenschaft des Stücks weitgehend zu befreien. Der Raum, die Wohnung, bekommt eine eigentümliche Beengtheit, ja klaustrophobische Atmosphäre, bedingt vor allem durch das exzellente Spiel seiner vier Akteure. Williams rekapituliert über die konkrete Geschichte der vier Akteure hinaus den Untergang des alten Südens des Geldadels und Großgrundbesitzes und das Aufkommen der durch Einwanderungswellen geprägten neuen Mentalität, repräsentiert durch Stanley, polnischer Abstammung, und Mitch. Die „Verbannung” von Blanche am Schluss des Films in die Psychiatrie – beweint nur von Mitch und Stella –, die ihre Unfähigkeit erkennen, Blanche wirklich zu verstehen, markiert den Sieg der durch Kowalski repräsentierten neuen „Moral” der Realistik.

Überhaupt stehen sich in Blanche und Stanley zwei Lebensprinzipien diametral gegenüber, die zwar beide durch tiefe Wunden geprägt sind, deren positive Elemente jedoch gerade durch diese Wunden immer wieder zerstört werden. Kowalskis Mentalität ist stark von einem brutalen Realismus geprägt, der immer wieder seine zweifellos vorhandene Liebe zu Stella überschattet. Blanche hingegen kann ihre unerfüllte Sehnsucht nach einem glücklichen Leben abseits des alten Südens nicht verwirklichen, weil sie zu wahrhaftigen Beziehungen unfähig ist. Die Phantasie, die Illusion tritt immer deutlicher an die Stelle realer Möglichkeiten.

Stella ist – so macht der Schluss des Films deutlich – ihrer Schwester viel näher, als sie glaubt. Die Vergewaltigung Blanches wird kaschiert, auch von den Nachbarn und Kollegen Stanleys, Blanche selbst psychiatrisiert. Kowalski scheint als Sieger aus der Geschichte hervorzugehen. Aber der Schein trügt auch diesmal. Williams und Kazan zeigen diesen Sieg als Pyrrhussieg einer neuen Gesellschaft, die sich nur vermeintlich über die untergehende des alten Südens erhebt. Und so erscheint dann auch der Bürgerkrieg zwischen dem Norden und dem Süden – der in der Geschichte des Stücks quasi kleinräumig wiederholt wird – in Williams Interpretation als ebenso trügerisch.

Die Sehnsüchte der Akteure werden gefressen – von ihrer Besessenheit.

DVD
Die von Warner Bros. editierte Special-Edition des Films ist ein wahres Meisterwerk der DVD-Geschichte. Der Schwarz-Weiß-Film wurde für die DVD nicht nur hervorragend restauriert, er enthält auch die geschnittenen Szenen, insbesondere die Treppenszene, die mit deutschen Untertiteln versehen wurden.

Nicht nur das. Auf einer zweiten DVD finden sich weitere Glanzstücke:

„Elia Kazan: A Directors Journey” (1 h 15 m) ist ein von Eli Wallach erzähltes und dem Filmhistoriker Richard Schickel geschriebenes Porträt des (wegen seiner Aussagen vor dem McCarthy-Ausschuss in den 50er Jahren umstrittenen) Regisseurs, in dem Kazan selbst ausführlich zu Wort kommt. Das Feature liefert einen überaus interessanten Überblick über Kazans Werk und seine Art, Filme zu machen.

„A Streetcar On Broadway” (22 m) und „A Streetcar in Hollywood” (28 m) erzählen die Geschichten von der Entstehung des erfolgreichen Theaterstücks und des ebenso erfolgreichen Films. Die beiden Features enthalten Aussagen von Karl Malden, Rudy Behlmer (Filmhistoriker), Richard Schickel, Kim Hunter und Elia Kazan.

„Censorship and Desire” (16 m) erzählt die Geschichte der Zensur des Films durch das Breen Office und die katholische „Legion of Decency”. Auch hier äußern sich Malden, Behlmer, Hunter und Schickel.

„North And The Music Of The South” (9 m) berichtet über die Arbeit des Filmkomponisten Alex North.

„An Actor Named Brando” (8 m) zeigt die Bedeutung des Films für die steile Karriere Brandos und die Arbeit an seiner Rolle.

Schließlich findet man zwei weitere Featurettes, Probeszenen vor dem Bildschirm mit Brando („Marlon Brando: Screen Test”, knapp 5 m) und „Outtakes”, also Szenen, die nicht verwendet wurden (15 m 30 s).

© Bilder: Warner Bros.
Screenshots der von der DVD.