Equilibrium
(Equilibrium)
USA 2002, 102 Minuten
Regie: Kurt Wimmer

Drehbuch: Kurt Wimmer
Musik: Klaus Badelt, Ramin Djawadi, Geoff Zanelli
Director of Photography: Dion Beebe
Montage: Tim Rolf, William Yeh
Produktionsdesign: Wolf Kroeger, Erik Olson, Justin Warburton-Brown, Anne Kuljian, Otu Tetteh

Darsteller: Christian Bale (John Preston), Sean Bean (Partridge), Taye Diggs (Brandt), Emily Watson (Mary O’Brien), Francesco Cabras (Rebellenführer), Sean Pertwee (Vater), Matthew Harbour (Robbie Preston), Emily Siewert (Lisa Preston), Maria Pia Calzone (Prestons Frau), Alexa Summer (Viviana Preston),William Fichtner (Jürgen), Angus MacFadyen (Dupont), Dominic Purcell (Seamus), David Hemmings (Proctor)

Die Diktatur der Konformität

Eine Welt im Gleichgewicht, alles ausgeglichen, eingeebnet, im Einklang mit sich selbst. Ein Paradies? Oder die Hölle auf Erden? Ideologen des sozialen Gleichgewichts träumten schon immer vom absoluten Frieden durch Ausmerzung all dessen, was „der Natur des Menschen“ zuwiderlief. Eine merkwürdige und erschreckende Durchschnittskonformität wurde zum alleinigen Maßstab für ganze Gesellschaften – nur nicht für die elitären Banden, die sich für geistige Führer und Rächer am Abnormen hielten. So geriet der Staat in die Hände sich selbst legitimierender Gauner. Die Kehrseite dieser Medaille sind die post-post-modernen Ideologen der Beliebigkeit und Gleichgültigkeit, die ihre Weisheiten als Individualismus anpreisen und verkaufen. Die einen geben den Menschen das Gefühl, genauso viel Wert wie jeder andere zu sein, und ducken sie unter die Knute der elitären und totalitären Herrschaft. Die anderen geben ihnen das Gefühl der subjektiven Besonderheit und werfen sie den „Gesetzen“ des Marktes zum Fraß vor. Welch Alternative!

Kurt Wimmers Sciencefiction handelt vor allem von ersteren. Irgendwann im 21. Jahrhundert hat ein Teil der Menschheit den dritten Weltkrieg überlebt. Machtbesessene selbst ernannte Führer unter Leitung eines sich als Vater (Sean Pertwee) bezeichnenden Mannes machen sie glauben, Emotionen seien für die brutalen Schlachten der Vergangenheit verantwortlich. Nur wer fühle, sei zu Hass und Skrupellosigkeit fähig. Ergo: Wer keine Gefühle mehr habe, sei nicht mehr in der Lage Krieg zu führen. Eine Art Droge, mit einer Spritze in den Hals verabreicht, ist Pflicht für jeden Erdenbürger, um seine Emotionen auf den Nullpunkt zu bringen. Aber Vater weiß natürlich auch, dass die Tugend der Gefühllosigkeit gegen die Schwäche des Fleisches geschützt werden muss. Eine ganze Armee schwarz gekleideter Polizei-Soldaten unter Führung der so genannten Kleriker wacht über die Einhaltung dieser „Tugend“. Sie sind in der Kampfsportart „Gun-Kata“ ausgebildet, bei der der Kämpfer durch äußerst geschickte und flinke Bewegungen seinen schießwütigen Angreifern bzw. deren Kugeln entkommen muss, während er sie gleichzeitig mit Spezialwaffen zur Strecke bringt.

Die Verfolgten, die bewusst die Verabreichung der Droge mit Namen Prozium verweigern, heißen bei den Mächtigen „Sinnestäter“ und werden gnadenlos verfolgt. Festnahmen sind auf Befehl Vaters seit einiger Zeit nicht mehr erwünscht; die Sinnestäter werden sofort liquidiert oder, sofern sie den Angriff der Kleriker überleben, in eigens eingerichteten Öfen bei lebendigem Leibe verbrannt.

Die sich selbst antitotalitär ausgebende Elite, ein Rat „weiser“ Männer unter Führung Vaters, handelt nach einer Devise, die sattsam bekannt ist. Tugend durch Terror hieß es schon bei Robespierre. Der Krieg ist beseitigt. Es lebe der Krieg gegen die Sinnestäter. Riesige Bildschirme überziehen die Stadt, über die Vater verkündet, was er der Gesellschaft vorschreibt und ihr als natürlich und logisch verkauft. Er zieht zu Felde gegen Julius Cäsar, Stalin, Hitler und die anderen Diktatoren der Weltgeschichte, um sich selbst als Heiligen, Erlöser zu zelebrieren.

In dieser düsteren Welt der nahen Zukunft gehört John Preston (Christian Bale) zu den Klerikern. Zusammen mit Earl Partridge (Sean Bean) steht er an der Front gegen die Sinnesstraftaten, die zugleich auch Gesinnungsstraftaten sind. Preston wohnt mit seinen beiden kleinen Kindern, Robbie (Matthew Harbour) und Lisa (Emily Siewert), in einer der kalten, karg eingerichteten und von Gefühllosigkeit gekennzeichneten Wohnungen, in der vor Jahren seine Frau (Maria Pia Calzone) als Sinnestäterin verhaftet und später exekutiert worden war. Lisa spricht kaum ein Wort, während Robbie darauf bedacht ist, jedes auffällige Verhalten, auch seines Vaters, zu registrieren und zu konterkarieren. Der staatlich verordnete Mord macht auch in den eigenen Familien nicht Halt. Mitleid ist eines der Gefühle der Vergangenheit. Keine Gnade den Terroristen des Gefühls.

Bei einem Einsatz gegen Sinnestäter eignet sich Partridge ein Buch an, das er angeblich als Beweisstück registrieren lassen will. Tatsächlich liest er das Buch selbst. Und als Preston dahinter kommt, gibt es auch für Partridge kein Erbarmen. Preston tötet ihn und muss fortan mit einem neuen Partner, Brandt (Taye Diggs), seine Arbeit verrichten. Brandt ist ein skrupelloser Karrierist, der ganz nach oben will, einer der behauptet, er könne ahnen, was in anderen Menschen vorgehe, noch bevor sie es selbst merken. Als Preston eines Morgens seine Tagesration der Droge auf den Boden fallen lässt und das Gebäude, in dem er Nachschub bekommt, wegen angeblicher terroristischer Aktivitäten vorübergehend geschlossen ist, lässt er Prozium einfach weg. Bei einem Einsatz lernt er die schöne Mary O’Brien (Emily Watson) kennen, die ebenfalls als Sinnestäterin verhaftet wird, und verliebt sich in sie. Bei einem Verhör fragt Preston sie nach ihren Freunden, den bewaffneten Sinnestätern, die Vater stürzen wollen und im Untergrund operieren. „Freunde? Sie wissen doch gar nicht, was dieses Wort bedeutet. Wozu existieren Sie?“ antwortet Mary. Und Preston antwortet, er existiere, um die Existenz der Menschheit zu gewährleisten. „Sie existieren, um zu existieren. Was ist das für ein Leben. Ich lebe, um zu fühlen.“

Ab diesem Zeitpunkt ist es um Preston geschehen. In einer beschlagnahmten Wohnung von „Sinnestätern“ hört Preston Beethoven und weint. Später rettet er einen jungen Hund vor der Tötung durch die Truppe. Er reißt die Folie von einem Fenster in seiner Wohnung, um den niedergehenden Regen zu beobachten. Kurzum: Preston erfährt, was es heißt etwas zu empfinden, und er will dieses Gefühl nicht mehr missen. Obwohl er zumeist verbergen kann, dass er jetzt selbst Gefühle entwickelt, steht er unter scharfer Beobachtung Brandts und des Ratsmitglieds Dupont (Angus MacFadyen), dem er als Vorwand für seinen Entschluss, sich den Rebellen anzuschließen, den Vorschlag macht, die organisierten Sinnestäter zu suchen, um sie ein für allemal zu eliminieren. Ein Kampf auf Leben und Tod beginnt für Preston.

Kurt Wimmer und Dion Beebe hinter der Kamera konstruierten eine erschreckend kalte, von den Ruinen des Weltkrieges, aber vor allem der eisigen und düsteren Atmosphäre einer Diktatur geprägte Welt, in der gnadenlos Konformität und die Aufgabe von Subjektivität eingefordert und das alles als Fortschritt verkauft wird. Vater erscheint den „Schutzbefohlenen“ nur über die Riesenleinwände, die in der ganzen Stadt zu sehen sind, und im Fernsehen. Seine „Weisheiten“ prasseln tagein tagaus hernieder wie Gottes Gebote. Nur in den versteckten Nischen der Rebellen zeigt sich die Welt der Emotion, der Zuneigung, der Lust, der Leidenschaft. Wie verlorene Inseln sind die Räume, in denen ein altes Grammophon, Porzellanfiguren, abgenutzte Sessel, Bilder usw. vor dem Zugriff der Kleriker verborgen sind, ständig in Gefahr, auf dem Altar der Diktatur verbrannt zu werden. Die Mona Lisa gehört zu den Opfern der Krieger, jedes Buch, sogar Spiegel sind verboten. Wimmer zeigt, wie diese Nischen und die Menschen, die sie eingerichtet haben, immer wieder der eiskalten Umwelt trotzen. Mit relativ einfachen Mitteln zeigt er, „verpackt“ zwischen den mit erheblichem Aufwand überzeugend und spannend inszenierten Kampfszenen, die Auseinandersetzung zwischen der Vater-Ideologie und der Philosophie der Sinnenlust der Rebellen.

Christian Bale überzeugt in der Rolle des sich vom Saulus zum Paulus wandelnden Preston, der sich zunächst gegen das Zulassen von Gefühlen wehrt, dann aber entdeckt, was ihm bislang verloren gegangen ist. Angus MacFadyen als Gegenspieler Prestons spielt den skrupellosen Machtbesessenen, der sich hinter der Fassade der Tugend versteckt. Taye Diggs spielt einen anderen Typ des Skrupellosen, einen Karrieristen, der jedoch nicht mit der Gewalt der Gefühle kalkulieren kann. Emily Watson, die etwas zu kurz kommt (jedenfalls hätte ich mir mehr von ihr gewünscht), überzeugt als kompromisslose „Sinnestäterin“.

„Equilibrium“ hat ein bisschen etwas von „Matrix“, vor allem aber rekurriert Wimmer auf einen älteren Film, auf Truffauts „Fahrenheit 451“ (1966), der eine Welt visualisierte, in der es bei Strafe verboten war, Bücher zu lesen. „Equilibrium“ ist spannend, sowohl was Geschichte und Figuren als auch was die special effects angeht.