Fahrstuhl zum Schafott
(Ascenseur pour l’échafaud)
Frankreich 1958, 88 Minuten
Regie: Louis Malle

Drehbuch: Noël Calef, Louis Malle, Roger Nimier
Musik: Miles Davis (Trompete), mit Barney Wilen (Tenorsaxophon), Rene Urtreger (Piano), Pierre Michelot (Kontrabass), Kenny Clarke (Drums)
Director of Photography: Henri Decaë
Montage: Léonide Azar
Produktionsdesign: Jean Mandaroux, Rino Mondellini

Darsteller: Jeanne Moreau (Florence Carala), Maurice Ronet (Julien Tavernier), Georges Poujouly (Louis), Yori Bertin (Veronique), Jean Wall (Simon Carala), Micheline Bona (Genevieve), Hubert Deschamps (Staatsanwalt), Ivan Petrovich (Horst Becker), Elga Andersen (Frau Becker), Lino Ventura (Inspektor Cherier)

„Schicksalsschläge”

„...Wir werden frei sein,
es muss sein.“
(Florence zu Julien)

„Der Film von morgen wird
ein Akt der Liebe sein.“
(François Truffaut)

Der Mord ist akribisch bis ins letzte geplant. Der Ex-Soldat Julien (Maurice Ronet), angestellt bei einem französischen Konzern, der mit Waffen handelt, sagt seiner Sekretärin kurz vor Büroschluss, er habe noch Wichtiges zu erledigen und möge nicht gestört werden. Er schließt sich in seinem Zimmer ein, nimmt ein Seil mit einem großen Widerhaken, öffnet das Fenster, wirft das Seil hoch an das Sperrgitter im nächsten Stockwerk des Hochhauses, klettert hinauf, dringt so in das Zimmer des Konzernchefs Carala (Jean Wall) unter dem Vorwand ein, eine Expertise abgeben zu wollen, tritt neben seinen Chef und schießt ihm in den Kopf – mit dessen eigenem Revolver, den er von Caralas Frau Florence (Jeanne Moreau) bekommen hat. Dann drückt er dem Toten die Mordwaffe in die Hand, um die Tat als Selbstmord erscheinen zu lassen, hangelt sich über die Geländer wieder hinab in sein Arbeitszimmer und verlässt mit der Sekretärin das Gebäude.

Ein klassischer, scheinbar perfekt geplanter Mord, ein klassischer Auftragsmord, Auftraggeberin die schöne Florence, mit der Julien ein Verhältnis hat. Julien geht zu seinem schicken Auto, beobachtet von der Blumenverkäuferin Veronique (Yori Bertin) und deren Freund Louis (Georges Poujouly), einem jungen, ungestümen Draufgänger, der den flotten Schlitten von Julien bewundert. Alles könnte perfekt für Julien laufen, doch er hat etwas Wichtiges im Büro vergessen, kehrt um, betritt den Fahrstuhl – und kurz darauf stellt ein Mann vom Wachpersonal den Strom im Gebäude ab. Julien bleibt stecken.

Währendessen wartet Florence auf Julien. Und Louis beschließt, dessen Nobelkarosse für eine lange Spritztour mit Veronique zu „leihen”. Louis fährt los, und Florence sieht den Wagen an sich vorbeischießen, denkt, Julien sitze am Steuer, neben sich eine junge Frau.

Das Unglück nimmt seinen Lauf. Während Florence nichts weiß, nicht einmal ob ihr Mann tot ist, und ziellos in der Stadt umherirrt, um an einschlägigen Orten nach Julien zu fragen, rast Louis aus Paris heraus, aufs Land – bis er einem Mercedes begegnet und mit diesem ein Rennen über die Autobahn veranstaltet.

Louis Malle inszenierte mit „Ascenseur pour l’échafaud” 1958 einen in jeder Hinsicht düsteren Film, der Paris in einer kalten, berechnenden Atmosphäre erscheinen lässt, einen Film, den man getrost schon zur nouvelle vague rechnen kann, mit Anklängen an den film noir und den amerikanischen Gangsterfilm vor allem der 40er Jahre.

Nicht nur Julien und Florence – Jeanne Moreau in ihrer ersten großen Rolle, die sie weltberühmt machte – erscheinen (zunächst) als ausschließlich berechnende, kaltschnäuzige Killer, sondern ebenso praktisch alle anderen Personen, vor allem Louis und Veronique, die auf ihrer Spritztour bei einem Motel landen, wo sie der Fahrer des Mercedes, ein Deutscher namens Becker (Ivan Petrovich) und seine Frau (Elga Andersen) zum Essen einladen. Becker interessiert sich im Grund nicht für Louis und seine Freundin, beide sind für ihn lediglich eine Art Zeitvertreib – und rasch hat er herausgefunden, dass Louis nicht jener Ex-Soldat Tavernier ist, für den er sich ausgibt, um den Diebstahl von Taverniers Auto zu kaschieren.

Durch einen darauf bald folgenden Doppelmord werden Inspektor Cherier (Lino Ventura) und ein publicitysüchtiger Staatsanwalt (Hubert Deschamps) in das Geschehen verwickelt. Sie meinen – durch Zeugenaussagen bestärkt –, Tavernier als Doppelmörder ausgemacht zu haben. Der jedoch steckt noch immer im Fahrstuhl des Bürogebäudes und versucht vergeblich, aus der Falle zu entkommen, während Florence bei einer nächtlichen Razzia als vermeintliche Prostituierte festgenommen wird ...

Malle lässt die scheinbare Perfektion der Verbrechen wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. Die Kaltschnäuzigkeit der Handelnden hindert weder Florence und Julien, noch Louis und Veronique daran, ihren scheinbar nur skrupellosen Weg weiterzuverfolgen. Wenn Florence durch die nächtlichen Straßen und Gassen, Kneipen und Hotels von Paris zieht – begleitet von der betörenden Musik Miles Davis –, so hat sie nur eines im Sinn: Wo ist Julien? Hat er ihren Mann getötet? Ihre Gefühlskälte korrespondiert mit jener paradoxen emotionalen „Betroffenheit” in den Momenten, in denen ihr bewusst wird, dass sie ihr Ziel möglicherweise nicht erreichen wird. Diese – durch Jeanne Moreau exzellent dargebotene –, fast schon depressive Traurigkeit fängt Henri Decaë mit seinen fast ebenso „depressiven”, und doch so faszinierenden Bildern von Paris beeindruckend ein.

Auch das junge Pärchen denkt in einer rigorosen Weise nur an sich, eigentlich nicht an sich, sondern jeder an sich selbst – ein Pärchen, das nach außen als jugendlich ungestüm, unvernünftig, manchmal fast spielerisch erscheint in seinem jugendlichen Leichtsinn, hinter dem sich allerdings in Wirklichkeit eine enorme Selbstsüchtigkeit verbirgt. In gewisser Hinsicht feiert die nouvelle vague diese Selbstsüchtigkeit. Und so realistisch auch Malles Film im nächtlichen, regnerischen, und am nächsten Morgen nebligen Paris erscheint, so überhöht ist doch – künstlerisch gesehen – der Effekt, den er damit erzeugt.

Die Stadt ist natürlich Thema dieses Films, und Malle lässt Paris als einen Moloch sondergleichen erscheinen, in dem die Handelnden wie Figuren auf einem Schachbrett erscheinen – in jeder Hinsicht eingenommen durch die Anonymität der Stadt und die damit einhergehende Gleichgültigkeit. Selbst das Mordopfer Carala, einer der gern am Krieg verdient, „übt” sich bis kurz vor seinem Tod in überheblich zur Schau gestellter Gleichgültigkeit – selbst in dem Moment, als Julien ihm die Waffe an die Schläfe hält und Carala „nur” fragt, woher er seinen Revolver habe. Und Julien? Er sitzt nicht etwa im Fahrstuhl und verzweifelt, sondern überlegt kaltschnäuzig, wie er dieser Falle entkommen kann. Als man morgens den Strom wieder anstellt, verlässt er das Gebäude in der ebenso kaltblütigen Sicherheit, sein Ziel doch noch erreicht zu haben.

Was zu bleiben scheint, ist die Liebe von Florence zu Julien. Gerade die Schlussszene, in der ihr bewusst wird, dass sie Julien nie wiedersehen wird, dass sie in getrennten Gefängnissen einsitzen werden müssen. Gerade im Rückblick auf die vorhergehende Handlung erscheint die Sinnlosigkeit dieser Liebe, dieser Verschwörung zum Mord; aber – und das muss gerade im Rückblick auf den Film gesehen werden – es bleibt eben auch paradoxerweise ein gewisses Mitgefühl für das ertappte Paar, dessen Zuneigung sich fast unmerklich, schleichend durch den Film zieht. Und es ist Jeanne Moreau, die dies in ihrer unnachahmlichen Art zum Ausdruck bringen kann, beispielsweise in einer Szene, als sie im strömenden Regen bei einem Hotel ankommt und den Portier, der einen großen Regenschirm über sie hält, nach Julien befragt. Der verneint. Wie in einer Art Trancezustand zieht Florence durch den Regen weiter. Es ist gerade diese von Malle immer wieder gezeigte Suche Florence nach ihrem Glück innerhalb der Gleichgültigkeit der Stadt, die den Eindruck erwecken könnte, nur das Verbrechen könne dieses Glück garantieren.

Die düstere Sicht auf Schuld und Sühne, Liebe und Misstrauen in einer Welt, die immer undurchschaubarer wird, in der Schicksal und Verhängnis eins zu werden scheinen, erhöht in einem künstlerischen (nicht wirklichen), oft existentialistisch angehauchten Sinn Tod (auch Mord) und Selbsttötung als Fixpunkte, die zu Freiheit respektive Glück führen (sollen). Sie impliziert innerhalb der nouvelle vague aber auch das Scheitern dieses Drangs. Und hier genau liegt die besondere Bedeutung, die Art und Weise, wie die Regisseure der nouvelle vague das Kino der Zeit veränderten – nicht nur in Bezug auf die filmischen Mittel (Schnitttechnik, Handkamera u.a.), sondern auch im Hinblick darauf, dass sie dem klassischen Erzählstil und der erzählerischen Plausibilität entgegenarbeiteten (z.B. der von Louis und Veronique geplante Selbstmord sowie dessen Scheitern, weil sie nicht etwa zu wenig, sondern zu viel Tabletten geschluckt hätten).

Malle kombiniert diese drei Handlungsebenen – Julien im Fahrstuhl, Florence auf der Suche nach ihm, die Autofahrt Louis und Veroniques –, die, ohne dass es die Beteiligten wissen, man kann sagen: schicksalhaft miteinander verwoben sind, derart gekonnt, dass enorme Spannungseffekte auftreten. Das Verhalten der Beteiligten in einer dieser Handlungsebenen hat umgehend Auswirkungen auf die anderen Ebenen, was sich besonders in dem Moment zuspitzt, als die Polizei in das Geschehen eingreift und nach und nach die Verflechtungen aufdeckt.