Fall 39
(Case 39)
USA, Kanada 2009, 109 Minuten
Regie: Christian Alvart

Drehbuch: Ray Wright
Musik: Michl Britsch
Director of Photography: Hagen Bogdanski
Montage: Mark Goldblatt
Produktionsdesign: John Willett

Darsteller: Renée Zellweger (Emily Jenkins), Jodelle Ferland (Lillith Sullivan), Ian McShane (Det. Mike Barron), Kerry O'Malley (Margaret Sullivan), Callum Keith Rennie (Edward Sullivan), Bradley Cooper (Douglas J. Ames), Adrian Lester (Wayne), Georgia Craig (Denise), Cynthia Stevenson (Nancy)

Fall abgeschlossen

I love horror movies! I really adore horror movies!! And the cheaper they are the better they are? (1) Das letztere eher nicht. Gruseln ist ein menschliches Bedürfnis, bei den einen mehr, bei den anderen weniger ausgeprägt – bei einigen auch gar nicht vorhanden. Es gibt Menschen, die vertragen jeden Psychothriller als Roman – aber in den Film, der daraus gemacht wurde, würden sie keine zehn Pferde treiben. Alles Ok. Es gibt auch Gruselfilme – um bei diesem schönen Begriff zu bleiben –, die mich ärgern, weil sie nur aus anderen ähnlichen Filmen ohne Gewissensbisse klauen oder derart dämliche Handlungen konstruieren, dass man sich nur an den Kopf langen kann – und sich fragt. Wes Geistes Kind war der Drehbuchautor?

Egal.

Ich schaute mir "Case 39" an. Und da ich Renée Zellweger gerne sehe, erwartete ich einen guten Film. Weit gefehlt, musste ich feststellen. Aber zunächst zum Inhalt.

Die Sozialarbeiterin Emily Jenkins (Renée Zellweger) hat 38 Akten auf ihrem Schreibtisch liegen – Fälle, in denen es um Kinder geht, die unter miserablen Bedingungen aufwachsen, deren Eltern nicht in der Lage sind, Kinder zu erziehen, misshandelte Kinder usw. Da knallt Emilys Vorgesetzter Wayne ihr Fall 39 auf den Tisch. Margaret und Edward Sullivan sollen ihre zehnjährige Tochter Lillith nicht gut behandeln. Emily besucht die Familie. Die Mutter begegnet Emily mit Misstrauen und Ablehnung, der Vater redet gar nicht erst mit ihr, sondern flüstert seiner Frau Antworten auf die Fragen Emilys ins Ohr. Auch Gespräche mit Wayne und Emily im Amt bringen nicht viel ans Licht.

Emily gibt Lillith ihre Telefonnummer – und wenig später bekommt sie einen Anruf von Lillith, die sich offenbar sehr fürchtet. Emily und der ihr sehr gute bekannte Detective Barron treffen sich vor dem Haus der Sullivans – und was sie dann vorfinden, ist grauenhaft: Die Eltern haben Lillith im Backofen eingeschlossen und das Gas angestellt. Nach einem kurzen Kampf können sie die Sullivans überwältigen.

Kurz darauf werden die Eltern verurteilt und in die Psychiatrie eingewiesen. Lillith möchte gern bei Emily wohnen, zu der sie Vertrauen gefasst hat. Obwohl Emily zweifelt, ob das gut gehen kann, erreicht sie beim Jugendamt, dass Lillith zumindest vorübergehend bei ihr leben darf, bis eine Pflegefamilie für das Mädchen gefunden ist (bis hier: erst halbe Stunde des Films).

Dann geschehen die berühmten merkwürdigen Dinge, die dem bisherigen Verlauf der Geschichte eine ganz andere Bedeutung geben. Ein zehnjähriger Junge ermordet auf bestialische Weise seine Eltern im Schlaf. Angeblich hat kurz vor der Tat aus Emilys Wohnung jemand im Haus dieses Jungen angerufen. Emily war es nicht. Dem Freund Emilys, dem Psychologen Douglas, erzählt Lillith, die in Gruppen- und Einzeltherapie die Vergangenheit verarbeiten soll, sie habe vor nichts und niemandem Angst – außer vor sich selbst, weil sie böse Gedanken habe bezüglich bestimmter Menschen in ihrer Umgebung. Ja, sie droht Douglas sogar. Der stirbt kurz darauf – angeblich bei einem Unfall im Bad.

Die Sullivans erzählen Emily, die Zweifel an der Unschuld des Kindes bekommt, Lillith sei nicht ihre Tochter – sie sei ein Dämon, Emily könne nur eines tun: Lillith töten! ... (bis hier: erste Stunde des Films).

Was glaubt man, wie der Film weitergeht? Eben. Man weiß im Grunde bereits nach spätestens einer halben Stunde, wie dieser Film weiter- und ausgeht. Wenn man genau aufpasst – denn der Streifen wird als Horror / Thriller angekündigt –, kann man dies schon nach der ersten Viertelstunde mehr als ahnen. Richtig! Die Bösen sind nicht die Sullivans – böse ist hier nur die "süße" (Jodelle Ferland) Lillith. Das allein wäre noch kein Grund, den Film in die Kategorie "bad movies" einzuordnen. Nur, was im letzten Drittel des Films passiert, ist derart sattsam aus anderen Filmen bekannt, dass einem unausweichlich das Wort "geistiger Diebstahl" in den Kopf gerät.

Da wäre der Bienen-Horror (dem Douglas zum Opfer fällt), der Telefon-Horror (aufgrund dessen der kleine Diego seine Eltern umbringt), der Fahrstuhl-Horror (dem Emily ausgesetzt wird), der Tür-Klopf-und-Tür-Einreißen-Horror (bekannt aus "Shining" und vielen anderen Filmen), der Gesicht-von-Mensch-zu-Dämon-Verzerr-Horror und last but not least der Sich-in-anderen-Personen-Verstecken-Horror.

Alles gemopst – alles kopiert. Und das noch nicht einmal (wenn schon, denn schon) besonders spannend und gruselig. So nähert sich der Film dem Ende, das man längst erahnt hat – einem Zweikampf zwischen den beiden Hauptdarstellern nach dem Motto: Wer killt den anderen.

Wem kommen da nicht Erinnerungen auf wie an Filme wie "Der Exorzist", "Der Exorzismus der Emily Rose", "Shining" habe ich schon genannt, "Das Omen", "The Ring" und viele andere. Christian Alvart bedient sich aus der Geschichte des Horrorfilms sattsam – und es ist einzig und allein den beiden weiblichen Hauptakteuren zu verdanken, dass "Fall 39" nicht vollends unter die Rubrik fällt: Ab in den Backofen, Gas an!

Denn Renée Zellweger gibt durchaus eine sympathische, glaubwürdige Sozialarbeiterin ab, deren Labilität sie zunächst hilflos gegenüber Lillith erscheinen lässt, bevor sie sich offensiv dem Kampf stellen kann. Und Jodelle Ferland spielt die beiden Rollen, den Dämon und das liebevolle Mädchen in einem, durchaus sehr überzeugend: hier das hilflose, verletzliche Mädchen, dort der grauenvolle Dämon. Nur – das rettet den Film letztendlich nicht. Auch der rasante Showdown vermag an diesem Urteil nichts zu ändern.

Leider gehört "Fall 39" zu jener Sorte massenhafter Gruselfilme, deren Phantasie sich darin erschöpft, aus bekannten Beispielen des Genres zu zehren, statt eine eigene Spannungsdynamik aufzubauen, dem Genre wenigstens eine neue Nuance hinzuzufügen. Es wundert mich daher kaum, dass der Film in den USA bislang nicht im Kino gezeigt wurde und hierzulande erst am 11.3.2010 zu sehen sein soll.

(1) In Abwandlung eines Zitats von Frank Zappa: "I love monster movies ...." usw.

Wertung: 4 von 10 Punkten.
© Fotos: Paramount Pictures.

(7. Februar 2010)