Rainer Werner Fassbinder

Wo steht man? Man wird hinein geboren, hinein geworfen – fragen kann einen niemand, ob man das will. Denn noch ist man kein Ich, das antworten kann. Wie ein Teufelskreis: Man ist noch nicht, aber man ist da, ein schreiendes Etwas ohne Standpunkt, ohne Orientierung. Das wird einem beigebracht, sehr schnell, zügig, ohne dass man es so richtig merkt und versteht. Die Welt um einen herum bekommt Konturen, und man glaubt, es seien die wirklichen. Es sind die wirklichen, die der anderen um einen herum. Wenn man es irgendwann merkt, dass es nicht die eigenen sind, bricht eine Welt zusammen, und man wird gezwungen, auf Gedeih und Verderb, sie neu aufzubauen. Mit was? Mit dem, was man hat. Aber was hat man?

Rainer Werner Fassbinder (1945-1982) stand irgendwo da – zwischen Kaiserreich und „Studentenrevolte”, Nationalsozialismus und Adenauer-Ära, links und rechts. Geboren im Jahr der bedingungslosen Kapitulation, gestorben im Jahr, in dem eine konservativ-neoliberale Koalition sich anschickte, diesem undefinierbaren Deutschland wieder die Architektur einer Großmacht zu verpassen.

„Oft frage ich mich, wo stehe ich in der Geschichte meines Landes? Warum bin ich ein Deutscher?” (1) Diese Frage verfolgte den meiner Meinung nach besten und bis heute unübertroffenen deutschen Nachkriegsregisseur bis zu seinem Tod. Verfolgung ist hier der passende und zweideutige Begriff in einem Leben zwischen unermüdlicher Kreativität und selbstzerstörerischen Tendenzen.

Fassbinders 45 Filme, die er zwischen 1966 und 1982 produzierte, sind beredte Dokumente für den verzweifelten, aber dennoch gelungenen Versuch, sich selbst und das Land, in dem er lebte, und dessen Geschichte zu verorten. Fassbinders Filme sind Geschichte und beinhalten eine ihm eigene Sicht der (deutschen) Geschichte, die erschreckend und faszinierend zugleich ist. Fassbinder hat nicht nur Filmgeschichte geschrieben; er hat das Kino verändert. Und er hat zugleich kaum Nachfolger gefunden.

Es kann hier nicht der Ort sein, auf die immense Bedeutung dieses Filmemachers im einzelnen einzugehen. Das können andere besser als ich. Vielleicht vermitteln die Besprechungen einiger von Fassbinders Filmen aber einen Eindruck davon, um was und wen es geht.


Wer sich zu Fassbinder näher informieren will, den verweise ich auf folgendes:

Thomas Elsaesser: Rainer Werner Fassbinder, Berlin 2001 (Bertz Verlag)
Umfassende Biografie des Regisseurs und Interpretation seines Werks (536 Seiten)

Gerhard Zwerenz: Der langsame Tod des Rainer Werner Fassbinder. Ein Bericht, München 1982 (Franz Schneekluth Verlag)
Tagebuchähnliche Erinnerungen des langjährigen Freundes (183 Seiten)

http://www.deutsches-filmhaus.de
Informationen zu allen Filmen Fassbinders, Biografie u.a.m.

http://www.fassbinderfoundation.de
Der Fassbinder-Foundation ist es u.a. zu verdanken, dass etliche Filme des Regisseurs neu abgetastet wurden und bei e-m-s auf DVD erscheinen konnten. Hier auch weitere Literaturempfehlungen zu Fassbinder.

(1) Interview in „Le Monde” vom 14.4.1981.

Zu Fassbinders Filmen:

Fassbinder I
Fassbinder II
Fassbinder III
Fassbinder IV
“Schatten der Engel”

Weitere Filme:
“Chinesisches Roulette” (1976)
“Angst vor der Angst” (1975)
“Niklashauser Fart” (1970)
“Whity” (1971)
“Warnung vor einer heiligen Nutte” (1971)
 

Despair-RWF
Schatten-Fassbinder
Rainer Werner Fassbinder
Fassbinder in Katzelmacher

Fassbinder in “Katzelmacher” (neben Hanna Schygulla)