|
Die dritte Generation (1979) Querelle (1982) Die Ehe der Maria Braun (1979)
Die dritte Generation (Int. Titel: The Third Generation) Deutschland 1979, 105 Minuten Regie: Rainer Werner Fassbinder
Drehbuch: Rainer Werner Fassbinder Musik: Peer Raben Director of Photography: Rainer Werner Fassbinder Montage: Juliane Lorenz Produktionsdesign: Raúl Gimenez
Darsteller: Harry Baer (Rudolf Mann), Hark Bohm (Gerhard Gast), Margit Carstensen (Petra Vielhaber), Eddie Constantine (Peter Lurz), Jürgen Draeger (Hans Vielhaber), Raúl Gimenez (Paul), Claus Holm (Großvater Gast), Günther Kaufmann (Franz Walsch), Udo Kier (Edgar Gast), Y Sa Lo (Ilse Hoffmann), Bulle Ogier (Hilde Krieger), Lilo Pempeit (Mutter Gast), Hanna Schygulla (Susanne Gast), Volker Spengler (August Brem), Vitus Zeplichal (Bernhard von Stein)
Bitterböse Farce über deutsche Verhältnisse
„Eine Komödie in sechs Teilen um Gesellschaftsspiele voll Spannung, Erregung und Logik, Grausamkeit und Wahnsinn, ähnlich den Märchen, die man Kindern erzählt, ihr Leben ertragen zu helfen.” (Rainer Werner Fassbinder)
Wie erträgt man den „Deutschen Herbst” 1977?
Mit Petra, die ihren Mann hasst – und ihn „bei günstiger Gelegenheit” tötet?!
Mit Susanne, die sich selbst verachtet, aber nicht so arg – und deshalb ihren Mann mit ihrem Schwiegervater, dem Schwein, betrügt?!
Mit dem Großvater Gast, der die Welt nur so verstehen kann, dass er sich einen Krieg herbeisehnt – weil die neue Generation nur so den wahren Wert der Werte wieder entdecken könne?!
Mit Ilse, die der Welt abhanden gekommen ist – und das Rauschgift hilft ihr dabei?!
Mit Paul, dem treffsicheren Schützen, dem selbst ernannten Illegalen – der seine Selbständigkeit dadurch beweist, dass er Hilde erniedrigt?!
Mit Hilde, die von irgendeiner Leidenschaft träumt und von den Aufzeichnungen einer 17jährigen Selbstmörderin fasziniert ist – und sich gern erniedrigen lässt?!
Deutscher Herbst 1977. Aber jetzt schreibt man das Jahr 1979. Es ist kalt, Winter, in Westberlin. Und der Chef einer amerikanischen Computerfirma, Peter J. Lurz (Eddie Constantine) muss seinem Vorgesetzten in den Staaten mitteilen, dass leider momentan in Deutschland niemand Computer kaufen will. Keine Personal PCs, versteht sich, denn die gab es erst kurze Zeit später (wenn man von Apples 1976 entworfenem Computer im Holzgehäuse einmal absieht). Nein, Abnehmer für die aus heutiger Sicht riesigen Magnetbänder waren Firmen oder staatliche Stellen.
Doch Lurz hat eine phänomenale Idee: Wenn man in der Öffentlichkeit den Eindruck einer nach dem Deutschen Herbst 1977 wieder brisanter gewordenen Sicherheitslage vermitteln könnte, würden die Verkaufszahlen schon steigen und die staatlichen Sicherheitsorgane würden um entsprechende (Fahndungs-)Computer betteln. Für die Inszenierung einer solchen Scheingefahr allerdings benötigt man die richtigen Leute. Nein, keine RAF aus früheren Zeiten wäre da hilfreich. Eher Leute wie das Ehepaar Edgar und Susanne Gast (Udo Kier, Hanna Schygulla), er ein Möchtegern-Komponist aus reichem Elternhaus, sie Sekretärin bei Lurz und Geliebte des Schwiegervaters Gerhard Gast (Hark Bohm), der seine Brötchen als Polit-Kriminalpolizist verdient. Hinzu gesellen sich noch Petra Vielhaber (Margit Carstensen), die enttäuschte Frau des kleinen Bankiers Hans Vielhaber (Jürgen Draeger), Rudolf Mann (Harry Baer), der seine riesige Wohnung aus Mitleid mit der drogenabhängigen und in ihrer eigenen Welt lebenden Ilse Hofmann (Y Sa Lo) teilt, sowie die Lehrerin Hilde Krieger (Bulle Ogier), die ihren erwachsenen Schülern die richtigen Kenntnisse über die Revolution von 1848 vermitteln will. Und last but not least der adrett im Anzug gekleidete August Brem (Volker Spengler). Ach ja, und später gesellen sich noch Franz Walsch (Günther Kaufmann), Freund von Ilse und Sprengstoffexperte, und Bernhard von Stein (Vitus Zeplichal) hinzu, beide frisch von der Bundeswehr verabschiedet.
All diese in mehr oder weniger gut bürgerlichem Milieu lebenden Damen und Herren verbindet vor allem eines: Langeweile und ein gewisses Gefühl der Unbehaglichkeit. Das eint sie unter dem „frei nach Schopenhauer” vereinnahmten Motto „Die Welt als Wille und Vorstellung”, ein Code-Wort, dessen Bedeutung man wahrscheinlich, nein sicher nicht verstanden hat, das im alltäglichen, verschwörerischen Umgang miteinander aber gut zu gebrauchen ist. Man erkennt sich an ihm. Vor allem aber träumt man von einer großen Aktion, einem Fanal, einem Zeichen, das gesetzt werden müsse, um ... Ja, warum eigentlich? Um sich nicht mehr unbehaglich zu fühlen? Vielleicht.
Jedenfalls engagiert man, das heißt diese Gruppe, einen von außen, einen, der es versteht, mit der Waffe präzise zu treffen, Paul (Raúl Gimenez), um mit ihm gemeinsam die große Aktion durchzuführen. August ist der Vermittler, der, der die Fäden in der Hand hält, nur, dass die anderen nicht wissen, woher die Fäden gezogen werden. August steht in ständigem Kontakt mit Peter J. Lurz – und so nehmen die Dinge ihren Lauf. Und dazwischen steht Gerhard Gast, der über jeden Schritt der Gruppe stets gut informiert ist ...
„Die dritte Generation könnte meinen das deutsche Bürgertum von 1848-1933, unsere Großväter und wie sie das Dritte Reich erlebten und wie sie sich daran erinnern, unsere Väter, die nach Ende des Krieges die Chance gehabt haben, einen Staat zu errichten, der so hätte sein können, wie es humaner und freier vorher keinen gegeben hat, und zu was diese Chancen letztlich verkommen sind.” (Rainer Werner Fassbinder)
„Die dritte Generation” ist eine Art Farce, ein kolportageähnliches Spiel, das bei seiner Uraufführung in Hamburg 1979 die Sympathisanten der RAF-Szene und andere Linke furchtbar ärgerte. Symptomatisch ist, dass einige verärgerte Zuschauer die Kopie des Films mit Säure zerstören wollten. Und tatsächlich deutet der Titel des Stücks auf die dritte Generation der RAF, Leute, die längst nicht mehr wie Meinhof oder Ensslin aus der Verzweiflung heraus zu Mitteln griffen, die sie ins politische und individuelle Abseits stellten, für deren Motive jedoch etliche Menschen noch Verständnis haben konnten, weil sie verstehbar waren, sondern Leute, für deren Handeln es keine nachvollziehbaren Gründe mehr gab. Ihr Tun begründete sich ausschließlich durch die Tat selbst.
Genauso werden die oben genannten Personen im Stück dargestellt.
„Ich bin überzeugt, sie wissen nicht, was sie tun, hat Sinn in nichts weiter als im Tun selbst, der scheinbar erregenden Gefahr, dem Scheinabenteuer in diesem – zugegeben – immer beängstigend perfekter verwalteten System. Handeln in Gefahr, aber ganz ohne Perspektive, und wie im Rausch erlebte Abenteuer zum Selbstzweck, das sind die Motivationen der dritten Generation.” (Rainer Werner Fassbinder)
Allerdings, und das räumte Fassbinder in diesem Kontext ein, könne eine solche „dritte Generation” in ihrer un-politischen, un-bewussten, un-motivierten und un-historischen Handlungsweise auch nur in einem Land aufwachsen und gedeihen, das es nicht gelernt habe zu lernen – vor allem aus der eigenen Geschichte.
„Die dritte Generation” ist insoweit – als Farce, als „komische Oper” – zugleich ein Blick in das Bürgertum und in die Geschichte des deutschen Bürgertums. Im Film selbst werden Hinweise gegeben, etwa, wenn Hilde Krieger über die Konsequenzen des feigen Handelns des feigen Bürgertums 1848 (das die begonnene Revolution nur halbherzig unterstützte, um sich dann der Obrigkeit zu beugen) nicht mit ihren Schülern sprechen will. Oder wenn Opa Gast in seiner ganzen Unwissenheit und Unbewusstheit der eigenen Geschichte gegenüber meint, nur regelmäßige Kriege könnten die Menschen wieder daran erinnern, die Werte (welche eigentlich?) zu schätzen.
Eine „komische Oper” – wenn zugleich allerdings auch eine deutsche Tragödie – ist der Film vor allem in der Art der Inszenierung. Fassbinder ließ den gesamten Film über Fernseher oder Radios laufen, mit den aktuellen Nachrichten sowie an einer Stelle einer Diskussion zwischen Rudi Dutschke und (wenn ich es richtig gesehen habe) Daniel Cohn-Bendit. Diese permanente Präsenz der Medien, gepaart mit der nicht sichtbaren, aber ebenso permanenten Anwesenheit der Polizei im Hintergrund und die Verschwörung zwischen Lurz und Brem lassen die Gruppe als Marionetten erscheinen, die ausschließlich fremden Zwecken dient, ohne es zu wissen. Der Film basiert also äußerlich auf einer Verschwörungstheorie (das Kapital erfindet den Terrorismus, um den Schutz des Kapitals durch den Staat zu verbessern, eine „Idee”, die in einer Szene Gerhard Gast Lurz als seinen eigenen Traum erzählt, worüber beide nur lachen).
Aber dieser Gedanke bezieht sich lediglich auf den äußeren Ablauf der Dinge. Tatsächlich schließt Fassbinder – wenn auch vor dem Hintergrund der noch nahen Ereignisse des Jahres 1977 (Schleyer-Entführung und -Mord, Politik des starken Staates, Mogadischu, Kontaktsperregesetz, Verfolgung von Intellektuellen etc.) – mit „Die dritte Generation” an seine „historischen” Filme an, die einer Aufarbeitung deutscher Geschichte gewidmet waren. Tatsächlich „entsteht” der terroristische Gedanke der im Film agierenden Gruppe aus der Mitte des Bürgertums selbst – so wie der Faschismus auch (wenn auch nicht in der primitiven Lesart der Kommunistischen Internationale). Fassbinder schrieb damals zum Film:
„Dennoch, dass es dieses Phänomen ausschließlich in diesem Land gibt, das hat natürlich mit diesem Land zu tun, hat tatsächlich erschreckend viel zu tun mit diesem Land, seinen Fehlern, seinen Versäumnissen, seiner zum Geschenk erhaltenen Demokratie, der man wie dem geschenkten Gaul nicht ins Maul schaut, einer Demokratie, deren Grundwerte, auf denen sie basiert, man immer entschiedener zu Tabus verkommen lässt, die der Staat gegen seine Bürger blind verteidigt, und das zudem – versteht sich – im wiederum blinden Einverständnis mit eben diesem Bürger, der unaufgeklärt ... gar nicht in der Lage ist, aufmerksam zu werden darauf, dass das Gebilde um ihn herum, dass dieser Staat von Tag zu Tag ein ganz kleines bisschen totalitärer wird." (Rainer Werner Fassbinder)
Man kann diese Meinung teilen oder auch nicht. Man könnte es auch anders formulieren – böse wie man sein könnte: Die 68er, die zu Recht die Verschleierung der Verbrechen des NS, den Vietnam-Krieg usw. anprangerten, waren eben doch die Söhne und Töchter ihrer Eltern und in diesem Sinne und in einem speziell deutschen Sinne in ihrem Denken und Handeln begrenzt. Die einen wagten den Gang durch die Institutionen und machten teilweise Karriere. Die anderen machten die Wut zum Inhalt ihres politischen Handelns – und kamen um. Der Staat, der im Film tatsächlich in der Person des Gerhard Gast totalitär dargestellt wird, tat so gut wie nichts, um aus der Protestbewegung seit 1968 einschließlich der terroristischen Entwicklung etwas zu lernen und das Gelernte weiter zu geben und zu diskutieren.
Die Überzogenheit der staatlichen Reaktionen vor, während und nach dem „Deutschen Herbst 1977” ist später oft kritisiert worden. Man kann es auch anders formulieren – und das wird gerade in weiser Voraussicht durch Fassbinder formuliert: Die Ereignisse gaben niemand Anlass dazu, in eine breite gesellschaftliche Diskussion einzusteigen über die Wunden, Verletzungen, Fehlentwicklungen usw. der deutschen Geschichte und die Frage, was man tun könne. Im Gegenteil: Der Staat baute statt dessen den Hochsicherheitstrakt in Stammheim, und die Linke schmorte weiterhin in eigenen, verkrusteten Strukturen.
So endet „Die Dritte Generation” denn auch mit der Pseudo-Entführung von Lurz, am Karnevalsdienstag des Jahres 1979. Die noch lebenden Entführer – einige hat Gast schon ins Jenseits befördert, ganz im Sinne der verfolgten Strategie – haben sich in Karnevalskostüme verpackt, und in den Schlusssätzen, die Lurz in die laufende Kamera der Entführer, immer mit einem leichten Lächeln im Gesicht, spricht, offenbart sich der ganze Zynismus der Geschichte: „Heute ist Dienstag, der 27. Februar 1979. Karnevalsdienstag. Ich werde hier gefangen gehalten – im Namen des Volkes und zum Wohle desselben.” Wahrhaftig!
Eine bitterböse, schwarze Komödie, die Fassbinders tiefe Bedenken gegen jede Art von festgefahrener gesellschaftlicher Struktur nicht besser zum Ausdruck bringen konnte, und ein ebenso böser Kommentar gegen links wie rechts. Oder, wie die Münchner Abendzeitung damals schrieb: „Ein schriller, bösartiger Film, der nach links schlägt, nach rechts keilt und immer trifft.” Und insofern Fortsetzung seiner beiden Filme „Mutter Küsters Fahrt zum Himmel” (1975) und „Satansbraten” (1976).
Querelle – Ein Pakt mit dem Teufel (Querelle) Deutschland 1982, 106 Minuten Regie: Rainer Werner Fassbinder
Drehbuch: Rainer Werner Fassbinder, Burkhard Driest, Kurt Raab, nach dem Roman „Querelle de Brest” (1947) von Jean Genet Musik: Peer Raben Director of Photography: Xaver Schwarzenberger Montage: Juliane Lorenz, Rainer Werner Fassbinder Produktionsdesign: Rolf Zehetbauer
Darsteller: Brad Davis (Querelle), Franco Nero (Lt. Seblon), Jeanne Moreau (Lysiane), Laurent Malet (Roger), Hanno Pöschl (Robert / Gil), Günther Kaufmann (Nono), Burkhard Driest (Mario), Dieter Schidor (Vic Rivette), Roger Fritz (Marcellin), Neil Bell (Theo), Volker Spengler (Transvestit), Harry Baer (Armenier), Y Sa Lo, Isolde Barth (zwei Mädchen), Natja Brunckhorst (Paulette), Karl Scheydt, Gilles Gavois, Michael McLernon (drei Matrosen), Robert van Ackeren, Wolf Gremm, Frank Ripploh (drei Soldaten), Werner Asam, Axel Bauer, Vitus Zeplichal, Karl-Heinz von Hassel (vier Arbeiter), Hilmar Thate (Erzähler)
„Each man kills the thing he loves”
„Jemand muss sich in die tiefsten Tiefen dieser Gesellschaft begeben, um sich für eine neue zu befreien oder sich befreien zu können. Dass jemand, der das tut, wie auch immer faszinierend ist, ist klar. [...] Das Thema ist die Identität des Einzelnen und wie er sich diese verschafft. Das hängt damit zusammen [...] , dass man, um vollständig zu sein, sich selber noch einmal braucht. [...] Jeder, der sich an Grenzen begibt, oder an gesellschaftliche Grenzen, oder alles, was sie übertritt, muss zwangsläufig in dieser Gesellschaft pornographisch sein, und jede denkbare Utopie birgt natürlich in sich die Gefahr faschistoider Momente. Das ist ganz klar.” (Rainer Werner Fassbinder) (1)
Alles scheint künstlich und zeitlos, selbst das Medium, die Kulisse, die Figuren, die Dialoge. Ein Erzähler aus dem Off und eingeblendete Texte vermitteln. Die künstliche Sonne hängt am Horizont, zumeist verdeckt durch Häuser schmettert sie in die Zwischenräume, die die Szenerie beherrschen und doch ein Ganzes, eine Art Homogenes bilden, das grelle Licht zwischen Orange und Gelb – fast immer gleich bleibend. Nur ab und an strömt ein kaltes Blau durch die Räume, die so für immer festgelegt scheinen wie die Figuren, die sich in ihnen bewegen. Der Hafen von Brest, ein Schiff ist angekommen, der Zerstörer „Vengeur”. Doch es scheint anders. Es scheint, als ob in dieser Szenerie immer alles schon so war, wie es jetzt ist, und es scheint zu bleiben. Der Raum bildet sich aus Hafen, Schiff, dem Bordell „Feria” und den mal engen, mal etwas breiteren Gassen von Brest.
„Querelle”, dem die Verleihfirma aus kommerziellen Gründen den Zusatztitel „Ein Pakt mit dem Teufel” verpasste, ist vielleicht Fassbinders am schwersten zugänglicher Film. Vielleicht. Aber auch nur vielleicht. Die literarische Vorlage von Jean Genet, einem der außergewöhnlichsten (französischen) Schriftsteller, „Querelle de Brest”, erschien 1947, war zeitweise verboten aufgrund der Schilderung homoerotischer Szenen.
Ein Matrose, Querelle (Brad Davis), geht von Bord und will in dem Bordell „Feria” Opium verkaufen, das er zusammen mit seinem Komplizen Vic (Dieter Schidor) geschmuggelt hat. Abnehmer ist der Besitzer des „Feria”, Nono (Günther Kaufmann). In dem Bordell ist der reiche Polizist Mario (Burkhard Driest) Stammgast. Unter seinen Augen und mit seiner Zustimmung verkauft Querelle das Rauschgift. Im „Feria” trifft er auch seinen Bruder Robert (Hanno Pöschl), der ein Verhältnis mit Nonos Frau Lysiane (Jeanne Moreau) hat.
Mario macht auf Querelle einen starken Eindruck; er ist fasziniert von der Macht und stets präsenten Körperlichkeit des Polizisten. Und aus diesem Grund, sozusagen um ihm allein und einzig ebenbürtig zu werden, tötet Querelle seinen Komplizen Vic, indem er ihm die Kehle durchtrennt. Um diesen Mord zu sühnen, gibt sich Querelle zum ersten Mal in seinem Leben einem Mann hin: Beim Würfelspiel mit Nono verliert Querelle. Hätte er gewonnen, hätte er Lysiane bekommen. Jetzt muss er sich Nono hingeben. Aber Querelle ist danach nicht geschlagen und verloren – im Gegenteil: er fühlt sich wieder sicher und stark. Alle scheinen ihn zu bewundern: Lysiane, sein Vorgesetzter Leutnant Seblon (Franco Nero), der von Querelle träumt, und auch Mario, dem er sich ebenfalls hingibt.
Dann lernt er Gil (Hanno Pöschl) kennen, einen Maurer, der seinen Vorgesetzten Theo (Neil Bell) mit einer Flasche getötet hat, weil der seine Ehre verletzt hatte. Querelle versteckt Gil, zieht ihn an wie seinen Bruder Robert, samt Bärtchen, und zwischen beiden entwickelt sich so etwas wie tiefe Freundschaft und Zuneigung. Um diese Freundschaft zu verewigen, verrät Querelle Gil an die Polizei; er opfert ihn, um sich selbst unsterblich zu machen.
Querelle wird fast zum Idol aller im Hafen Anwesenden. Auch Lysiane versucht, ihn für sich zu gewinnen. Vergeblich. Nur Leutnant Seblon gelingt es, Querelle durch seine uneigennützige Liebe für sich zu gewinnen. Die „Vengeur” und mit ihr Seblon und Querelle verlassen Brest.
„Zum ersten Mal küsste Querelle einen Mann auf den Mund. Es schien ihm, als stoße er sein Gesicht gegen einen Spiegel, der sein eigenes Bild zurückwarf, als wühle seine Zunge im starren Inneren eines granitenen Kopfes.” (3)
Diese Geschichte, die vor allem außergewöhnlich scheint, weil Querelles Verhalten widersprüchlich erscheint, erschließt sich kaum aus der Wiedergabe ihrer wesentlichen Punkte. Man hat behauptet, dieser Film sei Fassbinders Vermächtnis. Doch sein Tod ist für mich nur ein schwaches Argument für diese These, zumal man in fast jedem seiner Filme so etwas wie Vermächtnis sehen könnte. Ich sehe in „Querelle” eher einen weiteren Schritt in Fassbinders Werk, der sich logisch aus seinen früheren Filmen erschließen lässt. Dass Liebe und Tod in seinen Filmen eine immense Bedeutung spielten, ebenso die Frage danach, wie jemand Identität erlangen könne, ist sowieso ein offenes Geheimnis.
Spiegelungen sind in „Querelle” ein Schlüssel zum Verständnis dieses letzten Films von Fassbinder, den er nicht mehr selbst montieren konnte. Fassbinder starb am 10. Juni 1982, der Film kam am 17. September 1982 in die Kinos. Querelle z.B. spiegelt sich in seinem Bruder Robert, mit dem ihn eine Art Hassliebe verbindet; aber auch mit Gil, der Querelles Bruder äußerlich immer ähnlicher wird, der den „richtigen” Bruder Querelles repräsentiert, während Robert das Negative, das Objekt seines Hasses verkörpert. Was für Querelle gilt, gilt aber auch für alle anderen Personen, für Lysiane etwa, die als Ausgeschlossene in einer Männerwelt zuerst Robert und dann seinen Bruder als männliches Pedant zu sich selbst sucht. Auch Leutnant Seblon spiegelt sich in Querelle als Ausdruck seiner unerfüllten Liebe.
Dieses wechselseitigen Spiegelungen montiert Fassbinder in eine künstliche Welt, oder wie er sagt: in eine surrealistische Landschaft (2), in der der Raum und die in ihm Agierenden wie Kunstprodukte erscheinen, fast wie märchenhafte Figuren einer weit entfernten Welt, die der unsrigen entrückt zu sein scheint. Aber in dieser Entrückung liegt wiederum ein Rückbezug zu uns selbst. Der Hafen als zeitweiliger Ankerplatz, als Ruhepunkt, aber auch als Unruheherd, und das Schiff in seiner Bestimmung als Permanenz der Bewegung, der Suche, des Risikos, des Unbekannten und als Machtinstrument symbolisieren in gewisser Weise den Raum, in dem die Suche nach vollkommener Identität der Agierenden stattfindet.
Eine Zugang zu „Querelle” ist für mich nur möglich, wenn ich diesen Film in einer Art systemischen Perspektive betrachte, in einer Gesamtschau der (symbolischen) Beziehungen, die die Personen zueinander eingehen, und eben nicht in der Betrachtung der einzelnen Figuren für sich selbst. Identität erscheint dabei weniger als ein fester, fixierter Zustand eines einzelnen, sondern als Prozess, in dem sich einzelne ihrer Identität in Beziehung zu anderen vergewissern wollen, dies zumindest versuchen.
Seblon ist äußerlich betrachtet ein Träumer, aber einer, der es am „perfektesten” versteht, seine eigene sexuelle Energie in Macht umzusetzen. Er zeichnet seine Wünsche, Erlebnisse usw. auf Tonband auf. Er repräsentiert sozusagen die medial ummantelte Macht „als solche”, eine Macht, die zu sich selbst gekommen ist, die ständig nur protokolliert, das sie zum personifizierten Zeichen „der Macht” geworden ist. Seblon existiert in diesem Sinne ganz allgemein als schützende Mutter seiner Matrosen, als Schutzmechanismus für eine Männerwelt, in der das Homoerotische ein Geheimnis bleibt und unter Strafe (bei Enthüllung) bleiben muss. Man kann ihn aber auch als Vater sehen; das bleibt offen. Querelle ist für Seblon eine Art Sohn, und in ihm offenbart sich letztlich – wiederum Zeichen, das zur Realität Bezug nimmt – ein dem Gottvater-Jesus analoges Verhältnis, nur das Seblon hier eher als Stellvertreter, als Funktionär einer höheren Macht handelt, sozusagen als weltlicher Papst, der in seinen Aufzeichnungen auch auf den defizitären Zustand seiner selbst verweist: auf die gefühlvolle Gefühllosigkeit des Einsamen.
Demgegenüber und in Bezug darauf repräsentiert Lysiane die vom Thron gestürzte Weiblichkeit. Auch Lysiane kann sich medial vermitteln, nicht durch Aufzeichnungen, sondern indem sie Robert zuflüstert oder indem sie singt „Each man kills the thing he loves”. Sie steht für die Mutter eines Kindes (Robert), für die Heilige Maria, die Unberührte, denn in dieser Männerwelt ist für wirkliche Frauen kein Platz. Lysiane ist das Sinnbild einer Frau, der entmachteten Frau, die erfahren muss, dass sich die Männer nicht für sie interessieren, sondern für das Würfelspiel der Macht (Nono), für Rache (Querelle).
Und Mario? Er ist der andere Stellvertreter der weltlichen Macht, der in seinem Handeln allerdings durchaus flexibel reagieren kann. Während er den Drogendeal nicht verfolgt, weil er Nono auf seiner Seite weiß und behalten will, möchte er Querelle gerne verhaften, verliert diesen Kampf aber letztlich gegen Seblon und dessen Machtbereich, so dass er sich auf den anderen Mörder konzentriert: auf Gil, das zweite Spiegelbild Querelles.
Nono ist ein nüchterner Machtmensch. Das Würfelspiel versetzt ihn spielerisch in die Lage, seine Bedürfnisse zu befriedigen. Und er weiß Mario als schützende Staatsmacht an seiner Seite. Non ist ein nach Kriterien der Vernunft Handelnder, das Würfelspiel symbolisiert die Waage zwischen Erfolg und Verlust und garantiert Nono eine Art ausgeglichenes Leben.
Robert ist sozusagen weniger wirklicher Bruder Querelles als sein Alter Ego. Er ist der gescheiterte Versuch Querelles, sein Spiegelbild zu finden, ein Mann, der das Heterosexuelle verkörpert und in dem Weibliches offenbar geblieben ist. Zum Schluss behauptet Lysiane, Robert habe nie wirklich existiert, sondern nur in der Vorstellung Querelles. Robert ist ein Trugbild in dieser Männerwelt.
Und Robert ist zugleich Gil, der ungeschickte, weil aus Spontaneität handelnde Mörder, den Querelle opfert. Gil sehnt sich nach Paulette, also nach dem Weiblichen, das für ihn aber unerreichbar bleibt. In seiner Nähe ist nur Paulettes Bruder, Roger, in der er Paulette wiederzuerkennen glaubt, dem er sich nähert. Gil ist so zugleich der gescheiterte Heterosexuelle, der zum wirklichen Opfer, nicht nur Querelles, sondern des Systems der Beziehungen in „Querelle” wird.
„Querelle war eine Art von unausgesprochenem Pakt mit dem Teufel eingegangen. Nicht seine Seele oder seinen Leib verschrieb er ihm, sondern etwas, was ebenso kostbar ist: einen Freund. Und der Tod dieses Freundes heiligt seine Verbrechen. Unsere Aufgabe ist es, das Universelle eines besonderen Phänomens auszudrücken. Es geht nicht mehr um ein Kunstwerk – denn das Kunstwerk ist frei.”
Querelle schließlich steht letztendlich – man könnte sagen – für den normalen Bürger, den einzelnen, der in eine Welt geboren wurde, in der alles fertig zu sein scheint. Er steht am Scheideweg zwischen teuflischem Tod-Bringer und himmlischem Engel. Seine erste Bluttat, der Mord an seinem Komplizen Vic, ist zum einen sozusagen der Weg aus der kindlichen Unschuld in die erwachsene Schuld. Querelle „kauft” sich in die (Männer-)Welt ein. Er will Opium schmuggeln, was zweierlei bedeutet: Er verschafft sich Zugang zum „Geschäft” im allgemeinen, zu der Art von Tätigkeit, die Einfluss, Geld verspricht. Zugleich ist dieses spezielle Geschäft illegal. Mario deckt jedoch das Geschäft, d.h. Querelle bekommt staatliche Erlaubnis, natürlich auch, weil das Geschäft mit Nono abgeschlossen werden soll. Mario integriert Querelle durch diese Handlung in die erwachsene Männerwelt und bei Nono verschafft sich Querelle durch den ersten Geschlechtsakt mit einem Mann die Sühne, die innere Strafe, mit der allein er den Mord an Vic seelisch überwinden kann.
Der Mord an Vic ist damit vor allem anderen Zeichen für die Aufnahme eines nur scheinbaren Rebellen in die Machtstrukturen. Vic hingegen symbolisiert das notwendige Opfer dieser Strukturen. Dass er, so will es scheinen, gar „freiwillig” dieses Schicksal akzeptiert, sich vor dem Tötungsakt auszieht, steht für nichts anderes als den Glauben, er, Vic, werde durch einen Liebesakt jetzt ebenso in diese Männerwelt aufgenommen. Der Tod jedoch, der es nie zu diesem Liebesakt kommen lässt, erscheint damit als höchste Auszeichnung eben dieser Machtstrukturen.
Dies wird umso deutlicher, als Querelle – was unserem Empfinden zu widerstreben scheint – den einzigen Menschen, zu dem er eine wirkliche Freundschaft, ja Liebe empfindet, am Schluss an Mario verrät: Gil. Dieser Verrat integriert Querelle in das Machtgefüge; er wird sozusagen zum vom System geduldeten Mörder, denn eigentlich ist er es, der Gil durch seinen Verrat tötet. Und er wird durch die zu Marios Staatsmacht parallele Machtstruktur Seblons unter den Schutz des Systems gestellt.
Die im Film gezeigten homosexuellen Handlungen können als entscheidende Schnittpunkte der Handlung, der Geschichte Querelles, seines Weges, gesehen werden. Sie sind zugleich Unterwerfungsakte (Mario), aber eben auch Stationen auf dem Weg Querelles zur Integration in das Machtgefüge dieser Männerwelt, hinter der letztlich nichts anderes als die Moderne lauert: integrative Unterwerfungsakte, geprägt durch eine visuell deutlich präsente Körperlichkeit sowohl Marios (der mit Leder und Ketten bekleidete Polizist) und Nonos (an dessen physischer Präsenz kaum ein Zweifel aufkommen kann).
Obwohl Fassbinders letzter Film visuell, darstellerisch und textlich „aus der Reihe zu tanzen” scheint, ist er doch eine konsequente Fortführung des Bemühens, Gesellschaft und Individuum der Moderne, insbesondere des 20. Jahrhunderts zu verstehen. Im magischen Dreieck von Macht (Seblon, Mario), Geld (Nono, Querelle) und Sexualität (als Unterwerfungs- und Integrationsstrategie) offenbart sich Macht als Organisationsprinzip von Gesellschaft, die – ganz im Foucaultschen Sinne – weniger das Instrument einer herrschenden Klasse repräsentiert, als das Zentrum, um das sich eine ganze Gesellschaft samt ihrer Geschichte und damit auch den Mythen, die sich um diese Geschichte bilden, gruppiert. Das bedeutet in Bezug auf „Querelle”, dass die Herrschaft des „Alles oder nichts”, des männlichen Prinzips, das seinen Schlusspunkt eben im Tod und in der Handlung „zum Tod”, im Mord, findet, durch Fassbinder in einer, wie er sagt surrealistischen Art, ich würde sagen, in einer überhöht artifiziellen Art und Weise thematisiert wird.
Dabei ist Mord sowohl im wörtlichen, vor allem aber im symbolischen Sinn zu verstehen. Denn die Tötungen finden, führt man die Handlung im systemischen Blick auf sie auf eine „realistische” Ebene herunter, in der Tötung von etwas ihren Grund, das in den Personen selbst liegt. Unterwerfung zum Beispiel ist vor allem ein Akt, der etwas in einem selbst auslöscht, in dem man einem anderen etwas von sich „abtritt”, und zugleich etwas „Neues” projiziert: die Bereitschaft, sich dem Prinzip der Macht als Organisationsprinzip von Gesellschaft zur Verfügung zu stellen.
Querelles Weg ist damit sozusagen der Weg des zivilisierten Menschen – immer nahe am Übergang zum Faschismus oder zur Humanität. Die Entmachtung des weiblichen Prinzips, repräsentiert durch Lysiane, kontrastiert mit einer Suche nach Identität, die den Tod, das heißt die vollkommene Identität, permanent als Möglichkeit einbezieht. Hier genau liegen die Verknüpfungselemente zu den vorangegangenen Filmen Fassbinders. Die Rückkehr des „Todesengels”, des „apokalyptischen Reiters” ist in Querelle immer gegenwärtig – aber ebenso der Befreier, das Gute, der Erlöser, je nachdem, auf wen Querelle trifft. Querelle entscheidet sich im Film letztlich gegen Lysiane und für Seblon, also für das System. Fassbinders Inszenierung ist in dieser Hinsicht zwar logisch, aber nicht eindeutig in dem Sinne, dass Querelle keine andere Wahl geblieben wäre. Die Alternative, die an jedem Punkt des Films „lauert”, wäre hier die Flucht mit Lysiane gewesen – vielleicht auf dem Schiff Seblons vielleicht auch auf anderen Wegen.
(1) Zitiert nach: Dieter Schidor: Rainer Werner Fassbinder dreht „Querelle – Ein Pakt mit dem Teufel”, München 1982, S. 130, 136 f., 128.
(2) „Ich kann mir die Welt des Jean Genet, also zwangsläufig auch die Beschäftigung mit dieser Welt, nicht an Originalschauplätzen vorstellen, da jedwede Handlung, die in dieser Welt geschieht, jede Geste, jeder Blick, immer anderes bedeutet, immer wesentlich mehr und immer Größeres, meist Heiliges. Ich habe mich daher [...] dafür entschieden, dass der Film ‚Jean Genet's Querelle’ in einer Art surrealistischen Landschaft gedreht wird, die sich aus spezifischen Teilen und Signalen aller angesprochenen Motive zusammensetzt. In dieser Landschaft stehen einige Projektionswände, die ermöglichen, durch Aufprojektionen diese Kunstwelt mit Partikeln der Wirklichkeit ins Unendliche zu verlängern. Ein ganz wesentlicher Aspekt [...] ist, dass in jeder Szene die Möglichkeit besteht, jedwedes andere Motiv in etwa kontrapunktisch mit ins Bild zu bringen, [...] ." Rainer Werner Fassbinder: Querelle Filmbuch, München 1982, S. 11.
(3) Im Film eingeblendete Zwischentexte.
Hinweise:
Tobias Markus Strebel: Male entangled animals. Sex, Macht und Medium. Bilder, Codes und Grenzen von Männlichkeit und der Kult der Differenz, ausgehend von Rainer Werner Fassbinders „Querelle”, 2004
Dirk Schneider: Querelle – Geschlossene Ästhetik, grelle Kunstwelten und Identitätssuche, 2002
Die Ehe der Maria Braun Deutschland 1979, 120 Minuten (DVD: 115 Minuten) Regie: Rainer Werner Fassbinder
Drehbuch: Peter Märthesheimer, Pea Fröhlich Musik: Peer Raben Director of Photography: Michael Ballhaus Montage: Rainer Werner Fassbinder, Juliane Lorenz Produktionsdesign: Helga Ballhaus, Claus Hollmann, Norbert Scherer
Darsteller: Hanna Schygulla (Maria Braun), Klaus Löwitsch (Hermann Braun), Ivan Desny (Karl Oswald), Gisela Uhlen (Marias Mutter), Elisabeth Trissenaar (Betti Klenze), Gottfried John (Willi Klenze), Hark Bohm (Senkenberg), Greg Eagles (Bill), Claus Holm (Arzt), Günter Lamprecht (Hans Wetzel), Anton Schiersner (Großvater Berger), Lilo Pempeit (Frau Ehmke)
Geschichte und Eigensinn
Zerbombt, ausgebombt, tot gebombt. Der Anfang wie das Ende, und doch anders. Eine Ehe, einen halben Tag und eine ganze Nacht lang, und ansonsten unerfüllt über ein Jahrzehnt: das ist Maria Braun. Das Bild vom Führer fällt durch eine Granate. Der 1000jährige Horror fällt in Schutt und Asche und mit ihm Millionen und Abermillionen. Der Blick wird frei durch das Loch, das die Granate reißt – auf Maria und Hermann (Hanna Schygulla, Klaus Löwitsch), die sich das Ja-Wort geben, das nicht nur ein Ja-Wort ist für die romantische Liebe, die „wirkliche“ Liebe, die ewige Liebe, sondern auch ein Ja für eine Zeit nach dem Schrecken. Und doch reißt die Gewalt die beiden noch einmal auseinander. Hermann wird einberufen, Maria bleibt zurück. Und bleibt und bleibt und bleibt.
Wie in „Lola“ (1981) und „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ (1981/82), den anderen beiden Filmen der sog. „BRD-Trilogie“, präsentiert uns Fassbinder wiederum eine Frau im Zentrum einer melodramatisch inszenierten Nachkriegsgeschichte. Zentrum ist Maria nicht nur als Hauptcharakter dieser Geschichte, sondern – wie Lola und Veronika Voss – auch als medialer Star, nicht als Schauspielerin oder Sängerin, sondern diesmal als aufstrebendes Medium der neuen Wirtschaft. Medium zudem – wie Lola und die Voss – als fast anachronistisch zu den Verhältnissen anmutende Frau, die sich, weil sie weiß, was sie will, und ebenso, wie sie es will, in der dezimierten, aber nichtsdestotrotz weiter herrschenden Männerwelt durchzusetzen versteht.
Maria versteht es, an Traum und Wirklichkeit zugleich festzuhalten. Ihr Traum ist die ewige Liebe zu Hermann in beider Ehe, die durch den Krieg nicht zerstört werden kann. Ihre Wirklichkeit ist das „Alles“, was zu tun ist, um auf die Verwirklichung des Traums hinzuarbeiten. Als ihr Schwager Willi (Gottfried John) aus der Gefangenschaft zurückkehrt und vom Tod Hermanns berichtet, bricht für Maria nicht etwa eine Welt zusammen. Nein, sie glaubt nicht an den Tod Hermanns. Sie spürt, dass er noch leben muss. Sie freundet sich bei der Arbeit in der Bar Bronskis, in der auch ihre Schwester Betti (Elisabeth Trissenaar) arbeitet, mit dem amerikanischen Soldaten Bill (Greg Eagles) an, der sie schwängert. Aber sie wird Bill nie heiraten. Bill verschafft ihr Seidenstrümpfe und Lucky Strikes. Bill kümmert sich um sie und schläft mit ihr. Der Vertrag ist eindeutig und klar. Aber sie liebt Hermann und verheiratet ist sie mit Hermann. Das bleibt, das andere vergeht. Als Hermann eines Tages in der Tür steht, Maria und Bill vor Augen, da erschlägt sie Bill ohne Zögern – und Hermann geht für sie ins Gefängnis. Das Kind von Bill treibt sie ab.
Wieder bleibt beider Liebe unerfüllt, und wieder entscheidet sich Maria für ihren Traum und das „Alles“. Das „Alles“ ist nun der aus der Emigration zurückgekehrte Unternehmer Karl Oswald (Ivan Desny), der mit Maria schlafen, aber sie nicht lieben darf. In seinem Betrieb macht sie als Beraterin Oswalds Karriere und kommt zu Geld und Ansehen. Als sie nach seiner Entlassung Hermann alles geben will, was sie erreicht hat, lehnt der ab und wandert nach Kanada aus und als er nach Jahren zurückkehrt, es selbst zu etwas gebracht hat, scheint der Ehe der Maria Braun nichts mehr im Weg zu stehen. Eine Gasexplosion tötet beide, während die deutsche Nationalelf Fußballweltmeister wird.
„Die Ehe der Maria Braun“ wirkt wie eine Mixtur aus zwei Bilanzen: der historischen Bilanz der jungen Bundesrepublik Deutschland und einer ganz privaten, eigenen Bilanz der Maria Braun, die es versteht, Geist und Körper, Verstand und Gefühl als zwei Seiten ihrer persönlichen Bilanz, ihrer privaten Biografie zu trennen. Sie schläft mit Bill und Oswald, aber sie liebt beide nicht. Beide sind nicht das Ziel, das sie erreichen will, sondern nur Mittel zum Zweck. Daran lässt sie beiden gegenüber auch keinen Zweifel. Ihr Ziel bleibt die Erfüllung ihrer Ehe mit Hermann. Demgegenüber, dieser „weiblichen“ Bilanz entgegengesetzt, erweist sich die Geschichte als „Nachkriegsgeschichte“, als Restauration alter Werte durch politische Kräfte, die die Zeichen der Zeit wohl erkannt haben. Die Bilanzen kreuzen sich, treffen sich an dem Punkt dessen, was jetzt angesagt ist, was jetzt Programm, was jetzt aber nicht wirklicher Neu-Anfang ist: der Restauration alter Machtverhältnisse.
Maria Braun ist eine Protagonistin der Ökonomie der Liebe, die die Ökonomie der Ökonomie für ihre Zwecke einzuspannen versucht: erfolgreich. Sie kommt zu Ansehen und zu Geld. Wie Hermann, wenn auch später und über den Umweg Kanada. Der Tausch scheint perfekt. Die Ökonomie der Liebe scheint sich mit der Ökonomie der Ökonomie zu vereinbaren, ja vereinbaren zu lassen. Sie schenken sich beide alles und scheinen damit eins zu werden: ein Paar, ein geradezu romantisches Paar. Die Liebe in den Zeiten der Erstarrung, die sich als Wiederaufbau tarnt, des ewig Gestrigen, das sich als Wirtschaftswunder verkleidet, und der Verdrängung, die sich nur kläglich unter dem Mantel der „formierten Gesellschaft“ (Erhard) verstecken kann, scheint nicht nur möglich, sondern geradezu bedingt durch die neuen Formen des gesellschaftlichen Verkehrs.
Maria scheint das Alte, die Konvention, die scheinbar obsolet gewordenen Regeln geschlagen zu haben: den Buchhalter Oswalds, Senkenberg (Hark Bohm), dem sie den Erfolg in der Firma durch eigenwillige Strategien streitig macht, die eigene Familie, in deren Enge die Ehe zwischen Betti und Willi scheitert und in der die Beziehung zwischen ihrer Mutter (Gisela Uhlen) und dem Tunichtgut Hans Wetzel (Günter Lamprecht) nichts wirklich Bewegendes bewegt. Aber der Schein scheint zu trügen. In dem Moment, in dem sich der Erfolg der Ökonomie der Liebe einzustellen gedenkt, führt eine Unvorsichtigkeit zum Tod des Paares. Oder war es Absicht?
Der Film lässt in Wahrheit offen, inwieweit Aufstieg und Fall wem zuzurechnen sind. Man könnte in den personellen Konstellationen auch wieder jene Spiegelbilder vermuten, die in Fassbinders Filmen die Identität von Personen so schwierig ermitteln lassen. Hier Maria und Hermann, dort Betti und Willi. Hier der immer wieder gefangene Hermann (Soldat, Verurteilter, Ausreisender), dort der erfolgreiche Oswald und sein „gutes Gewissen“ Senkenberg. Verdoppelte Personen. Vielfach wird der Film als Kritik Fassbinders an der Restauration des Kapitalismus in Westdeutschland gewertet. Aber Fassbinders Filme waren nie die Außenansicht eines Regisseurs „auf“ einen Zustand oder eine Entwicklung. Seine Filme beherrscht die Binnenperspektive, die Sicht aus den Verhältnissen selbst heraus. Die zentrale Frage dabei ist vor allem: Welches Kapital im Sinne von nicht nur ökonomischem Vermögen besitzen die Handelnden, um welche Ziele zu verfolgen? Bezüglich dieser Geschichte muss man davon ausgehen, dass Maria über ein enormes Vermögen verfügt, um ihr Ziel zu erreichen. Ihr Scheitern stellt keine Sperre im Gang der Dinge dar. „Deutschland ist Weltmeister.“ Trotzdem ist ihr Eigensinn als individuelles Vermögen mit oder auch gegen die Geschichte von enormer Gewalt, andererseits nicht allmächtig. Denn es scheint, dass die „Exkursion“ Hermanns nach Kanada auf einen ihr unbekannten „Vertrag“ zwischen Hermann und Oswald zurückzuführen ist – ausgehandelt, weil Oswald als todkranker Mann für den kurzen Rest seines Lebens Maria für sich allein haben wollte. Die Ökonomie der Ökonomie schlägt auch Maria ins Kreuz. Und die Vereinbarungen, die sie selbst mit Bill und dann mit Oswald getroffen hatte, erzeugt Vereinbarungen zwischen anderen, von denen sie nichts weiß oder die ihren Plänen hinderlich sind oder sein können.
„Die Ehe der Maria Braun“ beginnt mit der Sprengung des Hitler-Bildes, endet mit den Negativen der Bilder der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland – Adenauer, Erhard, Kiesinger, Schmidt, der dann wieder als Positivabzug erscheint (Willi Brandt zeigt Fassbinder explizit nicht in dieser Reihe!!). Es wäre simpel, hier eine triviale Kontinuitätsthese zu vermuten. Die Negative deuten eher auf Abgrenzung vom vorherigen in einem Prozess, der dann wieder zur „Normalisierung“ führt (Schmidt im Positivabzug, „Modell Deutschland“), allerdings einer Entwicklung, die von Verleugnung und Verdrängung gekennzeichnet ist. Man könnte auch sagen: Die Ökonomie der Ökonomie schlägt sich ganz unpolitisch, ganz neutral, ganz ahistorisch in einem langwierigen Prozess zur „Normalisierung“ durch, zum „Wir sind wieder wer“. Die individuellen Biografien verblassen in diesem Prozess, den man auch als erneute „ursprüngliche Akkumulation des Kapitals“ bezeichnen könnte, aber weitaus mehr eine ganze Gesellschaft erfasst und kulturelle Hegemonie beansprucht. Konsequent weiter gedacht würde dann heute die neoliberale Ideologie und Praxis den Gipfel all dessen darstellen. Nur der überdurchschnittliche Eigensinn einer Frau wie Maria Braun leuchtet für kurze Zeit und vielleicht in der Erinnerung als etwas auf, das als Widerstand oder Gegenstück zu dieser Entwicklung gesehen werden könnte.
Diese Frage nach dem Verhältnis von in den Herzen und im Kopf von Menschen geronnener Geschichte hier und ihrem Eigensinn dort sowie beider Einfluss auf Denken und Handeln ist aktueller denn je. Fassbinders BRD-Trilogie ist nicht nur insofern Teil seiner lebenslangen Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte aus einer ihm ganz eigenen Sicht, einer Binnenperspektive, die sich von der vieler linker Protagonisten, die behaupteten, „über“ den Dingen zu stehen, unterscheidet. Sie ist nicht beherrscht von einer Weltsicht oder Ideologie, sondern vom Hineinbegeben in die jeweilige Zeit und ihre Maßstäbe, und vom Erzählen einer ganz „privaten“ Geschichte.
|