Fickende Fische (Fickende Fische) Deutschland 2001, 103 Minuten Regie: Almut Getto
Drehbuch: Almut Getto Musik: Tom Deininger Director of Photography: Andreas Höfer Montage: Ingo Ehrlich Produktionsdesign: Peter Menne
Darsteller: Sophie Rogall (Nina), Tino Mewes (Jan), Annette Uhlen (Lena Borcherts), Hans-Martin Stier (Hanno Borcherts), Ferdinand Dux (Opa Borcherts), Angelika Milster (Angel), Jürgen Tonkel (Wolf), Thomas Feist (Roger), Uwe Rohde (Onkel Dieter), Ellen ten Damme (Caro), Nora Fritz (Celine), Uwe Kämper (Sweetheart), Veit Stübner (Dr. Weishaus), Marlen Tidtke (Katja)
„... nur nicht, wie man lebt“
Fern, weit weg vom üblichen Teenie-Genre Hollywoods tauchen in hiesigen Kinos des öfteren Filme auf, die sich auf eine ganz andere Weise, ernsthaft, mit Jugendlichen und ihren Problemen auseinander setzen. Daniel Haas vom „Spiegel“ meint (nicht ganz zu Unrecht), der deutsche Film – wenn es ihn gäbe – produziere „schlechte Komödien, passable Dramen, exzellente Pubertätsgeschichten“. Die „Welt“ (Hanns-Georg Rodek) urteilt zu Almut Gettos „Fickende Fische“: „Derart fest verankert in der Realität wirken die kontrastierenden Traumsequenzen umso effektiver. Und je länger der Film dauert, desto mehr färben diese Träume in die Realität ab, und je länger, desto mehr überzeugt er – bis zu diesem traurigen und hoffnungsvollen, endgültigen und offenen Schluss, wie es ihn selten gibt“. (1)
Jan wurde durch eine Blutkonserve im Krankenhaus infiziert: Er ist HIV positiv. Er lebt bei seinen Eltern Lena und Hanno (Annette Uhlen, Hans-Martin Stier) in einer eigenen Welt. Die Eltern wissen nicht, wie sie mit Jans Erkrankung umgehen sollen. Während der Vater wenig spricht, kümmert sich die Mutter um Jan fast wie um ein Kleinkind. Jans Welt bestimmt das Wasser. Er hat in seinem Zimmer ein großes Aquarium mit Zierfischen. Seine stummen Freunde sind genau das richtige für ihn. In der Badewanne übt Jan mit der Stoppuhr, wie lange er es unter Wasser aushalten kann. Er balanciert auf Brückengeländern und träumt vom Leben unter den Fischen, von einem Leben ohne allzu viele Vorschriften und Regeln.
Aber er übt auch den Tod. Als er eines Tages mit geschlossenen Augen eine befahrene Straße überquert, kann ein Autofahrer gerade noch bremsen, ohne Jan zu überfahren. Nina (Sophie Rogall) nicht. Sie fährt mit ihren Inline Skates voll auf den Jungen, der mit einer Kopfverletzung ins Krankenhaus gefahren wird. Auf einer Brücke treffen sich beide wieder. Nina fährt diesmal nicht Jan um, sondern einen Fisch, den er in einem Plastikbeutel transportiert. Jan ist sauer. Auch Nina lebt in einer eigenen Welt, seit ihre Mutter sich von ihrem Vater getrennt hat und seither in Afrika lebt. Ihr Vater lebt mit einer jüngeren Frau zusammen, Nina und ihr Bruder in Distanz zu ihr. Nur zu Angel (Angelika Milster), einer Nachbarin, die Dessous und Erotikwaren verkauft, hat sie Vertrauen; ihr kann sie alles erzählen.
Nina sieht eine Chance. Nachdem Jan den bewusstlosen Fisch in den Fluss gekippt hat, lässt sie nicht locker. Jan interessiert sie. Sie fragt ihn, wie es Fische eigentlich machen. Ficken Fische eigentlich? Man sollte einen Fachmann fragen. Jan erkennt, dass Nina ihm sehr ähnlich ist. Heimlich bricht Nina mit Jan nachts in das örtliche große Aquarium ein, hilft ihm, sein Zimmer zu renovieren; sie verbringen die Zeit an einer einsamen Stelle eines Baggersees, tauchen, wie die Fische, umkreisen sich unter Wasser, wie die Fische. Sie tanzen in Jans Zimmer eng umschlungen. Nina möchte mit Jan schlafen. Jan traut sich nicht, Nina die Wahrheit über sich zu sagen. Er will das Glück mit ihr nicht jäh zerstören.
Nach einem gemeinsamen Bad liegen beide in Jans Bett. Nina streichelt Jan, will ihn verführen. Als Jan für Nina völlig unverständlich plötzlich aufspringt und sich wortlos und verzweifelt auf die andere Seite des Zimmers setzt, bricht für Nina eine Welt zusammen. Sie flüchtet. Alles scheint wie ein Traum, ein Alptraum ...
Ähnlich wie schon Michael Gutmann mit „Herz im Kopf“ (2001) ist Almut Getto ein enormer Einblick in das Seelenleben zweiter Jugendlicher gelungen, die mit einer Welt fertig werden müssen, die sie sich nicht aussuchen konnten. Auf einem Zettel in Jans Zimmer an der Wand steht der Spruch: „Alles hat man herausgefunden, nur nicht, wie man lebt.“ Jan steht zudem vor dem Problem, nicht zu wissen, wie man in so jungen Jahren stirbt. Sein Freund – ebenfalls von einer Blutkonserve mit AIDS infiziert, stirbt im Krankenhaus. Tage zuvor war er noch guter Hoffnung auf Besserung.
Jan lebt, ihm droht der Tod, und dann lernt er Nina kennen, diese neugierige, offenbar keine Grenzen kennende Nina, die ihm in die Augen schaut, die immer wieder zu ihm kommt und der er die Wahrheit (zunächst jedenfalls) nicht sagen kann. Das Spiel der beiden Hauptdarsteller Sophie Rogall und Tino Mewes wirkt derart natürlich, unverkrampft und poetisch schön, dass es eine Freude und ein Leid zugleich ist. Auf das Leben losgelassen, und doch in so manchen Situationen erwachsener als die Erwachsenen kämpfen sich beide durch ihre Probleme, teils gegen, teils mit den Erwachsenen.
Almut Getto inszenierte die Geschichte zwischen Traum und Wirklichkeit, die oft nicht auseinanderzuhalten sind. Dabei wirkt nichts gekünstelt, gewollt, gestellt. Getto erzählt, auch davon, wie Nina und Jan ein Verhältnis zu Leben und Tod finden, das jenseits der Überbesorgtheit der Mutter (Jan darf auf keinen Fall Fett, Fleisch, Fisch essen, muss immer seine Tabletten nehmen etc.), der Routine der Ärzte und des Desinteresses der Erwachsenen den entscheidenden Platz in ihrem Leben einnimmt.
Beide überwinden für sich die Unfähigkeit der Erwachsenen. Als Nina erfährt, dass ihre Mutter ausschließlich deshalb aus Afrika anreist, um die Scheidung zu regeln, packt sie Wut und Verzweiflung. Gleichzeitig erkennt sie, dass die neue Freundin ihres Vaters, die sie für eine Zicke hielt, zu ihr hält, ja sie liebt. Als Jan, nachdem er Nina mit einem anderen Jungen in der Disco gesehen hat, ausrastet, muss er sich entscheiden: für ein kurzes Leben in der Lüge oder für die Wahrheit.
Ein rundum überzeugender Film über für Jugendliche (scheinbar) schier unlösbare Probleme, der auch Erwachsenen einen Spiegel vor die Nase hält – ohne Zeigefinger, ohne pathetische Allüren, ohne Rührseligkeit.
(1) Zit. n. angelaufen.de
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