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Flickering Lights (Blinkende Lygter) Dänemark 2000, 109 Minuten Regie: Anders Thomas Jensen
Drehbuch: Anders Thomas Jensen Musik: Bent Fabricius-Bjerre, Jeppe Kaas Director of Photography: Eric Kress Montage: Anders Villadsen Produktionsdesign: Søren Breum
Darsteller: Søren Pilmark (Torkild), Ulrich Thomsen (Peter), Mads Mikkelsen (Arne), Nikolaj Lie Kaas (Stefan), Sofie Gråbøl (Hanne), Ole Thestrup (Alfred Jæger), Iben Hjejle (Therese), Frits Helmuth (Carl), Peter Andersson (Der Färöer), Niels Anders Thorn (William), Henning Jensen (Peters Vater), Solbjørg Højfeldt (Peters Mutter), Jesper Asholt (Torkilds Vater), Helle Dolleris (Torkilds Mutter)
Wie man sich so durchs Leben kämpft
Lediglich Aufmerksamkeit am Rande erfuhr der Film des dänischen Regisseurs Anders Thomas Jensen in der hiesigen Filmkritik. Die „Welt“ meint, der Filme erzähle „vom schwierigen Versuch, ein guter Mensch zu werden“, wobei unklar bleibt, was der Autor unter einem guten Menschen versteht. Der Film sei „bemerkenswert amüsant und gewandt“, schreibt Julian Hanich vom „Tagesspiegel“ und hatte den Eindruck, Quentin Tarantino habe eben mal kurz bei Jensen vorbeigeschaut. Martina Knoben von der „Süddeutschen Zeitung“ hingegen erläutert: „Wie er nun Gewalt und Komik mischt [...], wie er Genremuster bedient und dann wieder respektlos links liegen lässt – das ist oft sympathisch, manchmal klar misslungen, meistens einfach nur seltsam“ (1).
Jensen, der hier sein Spielfilmdebut vorliegt und als Co-Drehbuchautor an Filmen wie „Mifune“ (1999) und „In China essen sie Hunde“ (1999) beteiligt war, wollte aus dem Dogma-Image des dänischen Films heraus. Ca. 400.000 Landsleute von Jensen schauten sich „Blinkende Lygter“ im Kino an.
Es langt. Torkild (Søren Pilmark) hat sein bisheriges Leben als Gangster satt. Gerade hat ihn seine Freundin anlässlich seines vierzigsten Geburtstages verlassen. Seine langjährigen Freunde und Mit-Gangster haben nichts besseres zu tun, als ihm ein hochmodernes Gewehr zu schenken. Ja, und außerdem sitzt ihm noch der brutale Färöer (Peter Andersson) im Nacken, ein mafiöser Gangster, dem Torkild Geld schuldet.
Da bietet sich Torkild eine unerwartete Gelegenheit: Der Färöer zwingt ihn, einen Koffer mit vier Millionen Kronen in einer Villa aus dem Tresor zu stehlen. Zusammen mit Peter (Ulrich Thomsen), der kifft und manchmal vor Selbstmitleid ertrinkt, Arne (Mads Mikkelsen), der seine Aggressionen oft nicht im Griff hat und eine große Tasche voller Waffen mit sich herumschleppt, und Stefan (Nikolaj Lie Kaas), der wie ein kleiner Junge das Essen in sich hineinstopft und von der großen Liebe träumt, holt sich Torkild ohne große Probleme den Koffer. „Nur“ ein Mann geht dabei drauf und Peter wird durch einen Schuss verletzt. Dann überlegt Torkild: Warum das Geld dem Färöer geben? Vier Millionen in eigenen Händen – das passiert nicht alle Tage.
So konfrontiert Torkild seine Freunde mit dem Plan, das Geld einzupacken und nach Barcelona abzuhauen. Nach anfänglichem Widerstand, vor allem von Arne, fahren die vier los. Peter jammert vor Schmerz, Arne flucht und Torkild bleibt im Wald stecken. Das Auto ist kaputt.
So landen die vier enttäuscht, wütend, verärgert mitten in einem dänischen Wald in einer abbruchreifen ehemaligen Waldwirtschaft. Torkilds Gedanken kreisen aber den der anderen weit voraus. Wenn nicht Barcelona, dann eben dänischer Wald. Warum sollte man die Wirtschaft nicht wieder aufbauen? Nachdem er Peter, der keinen Koks mehr hat, beim Telefonieren mit einem Dealer erwischt hat, sperrt er ihn ein – und beginnt nach und nach die Utensilien zu kaufen, die zum Aufbau eines Restaurants notwendig sind. Aber insbesondere Arne, der dort nicht bleiben will, und Stefan, der seine schwangere Freundin Hanne (Sofie Gråbøl) anschleppt, machen Probleme. Und schließlich wird sich der Färöer auch nicht gefallen lassen, dass ihm Torkild die Beute weggeschnappt hat ...
Jensen lehnt es ab, seinen Erstlingsfilm einem bestimmten Genre zuzurechnen. Tatsächlich bewegt sich „Blinkende Lygter“ (übrigens Titel eines Gedichts, später dann des Gasthauses) zwischen Räuberpistole, National-Satire, schwarzer Komödie und Psychologie-Studie, die aber die gängige Psychologie selbst kräftig auf die Schippe nimmt. Der Vergleich zu Quentin Tarantino trifft zumindest teilweise dort, wo Jensen Gewalt und Komik in einer fast unerträglich skurrilen und boshaften Weise aufeinander treffen lässt. Das erinnert tatsächlich stellenweise an „Pulp Fiction“. Absurd wirkt etwa die Szene, in der Arne zusammen mit einem Jäger dessen Kühe erschießt, dann in den Wald geht, um alles, was ihm und dem Jäger vor die Flinte kommt, zu „erledigen“. Der Jäger meint zu Torkild, Arne brauche das, um durch Abbau seiner Aggressionen wieder zu sich zu finden. Andere Szene: Als Hanne, die Stefans Freunde nicht gerade mag, versucht, Kontakt zu ihnen zu finden, indem sie sie zum Eierausblasen ermuntert, sitzen die vier wie kleine Kinder am Tisch vor der alten Wirtschaft und blasen, was das Zeug hält. Torkild versagt allerdings beim Ausblasen. Hanne verschmäht ihn, lacht über ihn. Und die ganze Sympathie ist auf seiner Seite, als er ihr daraufhin wütend mit der Faust auf die Nase haut. Schlechtes Gewissen ob solcher Gewalt und klammheimliche Freude über den Schlag liegen in solchen Szenen eng beieinander.
Doch „Blinkende Lygter“ ist mehr. Jensen schwankt zwischen Hass und Liebe zu Dänemark. Das wird nicht nur deutlich an der Darstellung des primitiven Ausländerhasses des Jägers, der zudem verkündet, er habe schon immer mal einen Menschen erschießen wollen, aber nie die Gelegenheit gehabt (die bekommt er später), sondern vor allem an den Rückblenden in die Kindheit der vier Hauptdarsteller. Einerseits sind sie alle auf ihre Weise stark neurotisch, geprägt von Kindheitstraumata, andererseits nimmt Jensen die psychologischen Klischees kräftig auf die Schippe. Etwa wenn die Eltern von Torkild ihrem Sohn verbieten, die nur vier, aber dafür umso saftigeren Äpfel vom Baum seines Vaters zu pflücken. Er isst einen nach dem anderen und den dritten tunkt er in einen Farbtopf. Das ist zu viel für seinen Vater: Der hängt sich am gleichen Morgen an seinem geliebten Apfelbaum auf. Auf ewig soll sich Torkild vorwerfen, am Tod seines Vaters schuld zu sein. Solche Geschichten schwanken zwischen der Darstellung wirklicher Neurosen, Satire auf psychologische Klischees und Kritik an engen, kleinbürgerlichen Familienverhältnissen. Wie konnte er nur vom Baum der Erkenntnis essen und schuldig werden!
Jensen zieht die Genre kräftig durch den Kakao. Der Road-Movie bleibt stecken, als das Auto brennt, die Liebesgeschichten werden abrupt beendet, aus der Midlife-Crisis wird die boshafte Geschichte vom Aufbau absonderlicher Existenzen als Köche und Wirte. Die Kriminalgeschichte löst sich am Schluss in einer Weise auf, als wenn die vier Gangster den ruhestörenden Lärm von Nachbarn dadurch beseitigen wollten, dass sie die Nachbarn ins Jenseits befördern. Torkild und die anderen räumen auf und ab. Zurück bleiben etliche tote Kühe und Gangster und eine blühende Schenke im Wald – so etwas wie das Wirtshaus im Spessart.
Aus neurotischen Kindern werden neurotische Erwachsene. Immerhin lernen sie Kochen und Bedienen und erhalten vier Sterne – aber nicht für ihr Essen, das nicht gerade Feinschmeckerqualität hat, sondern wegen ihrer sympathischen Entwicklung – so Torkilds Ex-Freundin Therese (Iben Hjejle). Immerhin.
Es darf gelacht werden, auch wenn es einem manchmal im Halse stecken bleibt – das Lachen. Die Figuren des Films, besonders die vier Ganoven, sind so klar und hell gezeichnet, dass es – in diesem Fall zumindest – eine Freude ist, ihnen zuzuschauen. Ihre Probleme und die Lösungen, die sie dafür suchen, sind andererseits so „daneben“, dass man von Torkild & Co. magisch angezogen wird. Die vier Hauptdarsteller, aber auch die anderen Mimen, haben sich ganz offensichtlich im Drehbuch gut zurecht gefunden. Sie spielen grandios.
(1) Zit. nach angelaufen.de
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