Der Feuerwehrball (1967)
Einer flog übers Kuckucksnest (1975)
Amadeus (1984)
Larry Flynt (1996)
Der Mondmann (1999)

Der Feuerwehrball
(Horí, má panenko)
Tschechoslowakei 1967, 71 Minuten
Regie: Milos Forman

Drehbuch: Milos Forman, Jaroslav Papousek
Musik: Karel Mares
Director of Photography: Miroslav Ondrícek
Miroslav Ondrícek
Montage: Miroslav Hájek
Produktionsdesign: Karel Cerný

Darsteller: Jan Vostrcil (Komitee-Vorsitzender), Josef Sebanek, Josef Valnoha, Frantisek Debelka, Vratislav Cermák, Josef Rehorek, Václav Novotný, Frantisek Paska, Frantisek Rein-stein, Ladislav Adam (Mitglieder des Festkomitees), Josef Kolb (Josef), Milada Jezková (Josefs Frau), Stanislav Holubec (Karel), Josef Kutálek (Ludva), Frantisek Svet (alter Mann), Antonín Blazejovský (Standa)

Exzellente Satire Formans

Bevor Milos Forman (eigentlich: Jan Tomas Forman, *1932) mit Filmen wie dem sensationellen „Einer flog über’s Kuckucksnest” (1975), dem Musical-Film „Hair” (1979), „Ragtime” (1981), der eigenwilligen Geschichte um Mozart und Salieri „Amadeus” (1984), „Larry Flint” (1996) und „Der Mondmann” (1999) zu einem der besten Regisseure der westlichen Hemisphäre wurde, drehte der tschechische Regisseur in seiner Heimat mehrere, heute zumeist vergessene Filme, zu denen auch „Horí, má panenko” gehört, eine ausschließlich mit Laienschauspielern gedrehte Groteske über einen Feuerwehrball in einem kleinen Ort in der damaligen Tschechoslowakei. Vor diesem Film drehte Forman in seiner Heimat bereits weitere fünf Filme, darunter „Die Liebe einer Blondine” (1965) (ein Liebesdrama mit Formans damaliger Schwägerin als Laiendarstellerin) die ebenfalls auf DVD erhältlich ist.

„Der Feuerwehrball”, eine für die damaligen Verhältnisse in der CSSR gewagte soziale und politische Satire (jedenfalls konnte sie mit Fug und Recht so verstanden werden), die Forman während des „Prager Frühlings” unter Dubcek drehte, wurde nach der brutalen Niederschlagung des Reformkurses nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes durch die neue Parteiführung unter Gustav Husak verboten. Die Zensoren warfen dem Film vor – wie vielen anderen auch –, er enthalte eine mehr oder weniger versteckte Kritik an der Partei und stelle die Bevölkerung der CSSR in ein schlechtes Licht.

François Truffaut war es zu verdanken, dass der Film dann in den Westen kam, nachdem Carlo Ponti zuvor erhebliche Mittel zur Realisierung des Farbfilms gestiftet hatte. Forman verließ Europa und arbeitet seitdem in den USA, wo er 1975 die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt.

Inhalt
„Der Feuerwehrball” schildert einen Tag in einer Kleinstadt irgendwo in der Tschechoslowakei. Das Festkomitee der Feuerwehr bereitet einen Ball vor. Der Höhepunkt soll die Verleihung einer Feuerwehr-Axt an den 86jährigen Ehrenhauptmann der Truppe sein. Das Komitee, bestehend aus zehn gestandenen Feuerwehrmännern, hat sich etwas Besonderes einfallen lassen: Neben einer Tombola soll eine Misswahl die Stimmung der Einwohner heben. Allerdings kam dem Komitee diese Idee recht spät, und so ist man gezwungen, am Abend mit der Auswahl der Damen zu beginnen, die zur Wahl kandidieren sollen. Eine nach der anderen wird gefragt, beäugt, von der Liste wieder gestrichen, dann doch wieder nominiert usw. Einige Komiteemitglieder wollen selbstverständlich ihre Töchter dabei haben. Die Gewinnerin der Misswahl soll dem Ehrenhauptmann, der schwer an Krebs erkrankt sein soll, sodann das Präsent überreichen.

Währenddessen wacht Feuerwehrmann Josef (Josef Kolb) mit scharfem Auge über den Tisch, auf dem sich die nummerierten Gewinne befinden. Trotzdem verschwindet ein Presssack, eine Flasche Wein, ein Kuchen und noch so einiges andere. Zu allem Überfluss muss sich unter dem großen Tisch auch noch ein Pärchen vergnügen, das Josefs Aufmerksamkeit bezüglich der Los-Gewinne beeinträchtigt.

Derweil hat sich das Festkomitee – allesamt Männer versteht sich – in einen separaten Raum zurückgezogen, um die auserwählten Damen zu begutachten. Ein Brand unterbricht die Festlichkeiten. Inzwischen sind fast alle Gewinne vom Tisch verschwunden und zu allem Überfluss flüchten die auserwählten Miss-Kandidatinnen geschlossen auf die Damentoilette, um sich der Zurschaustellung zu entziehen. Der Ball droht im Chaos zu versinken. Das Festkomitee versucht zu retten, was noch zu retten ist. Aber was retten die braven Männer eigentlich?

Inszenierung
Forman „versammelt” so gut wie alle negativen Eigenschaften einer von Männern beherrschten örtlichen Gemeinde: die Doppelmoral des Festkomitees, das nach außen Anstand und Sitte verkörpern will, gleichzeitig aber durch die Misswahl den geilen Blick zum Höhepunkt des Abends erklären will, ein Komitee, das Ehrlichkeit und Offenheit repräsentieren will, es aber zulässt, dass auch die eigenen Mitglieder sich am Diebstahl der Tombolagewinne beteiligen; den kaum versteckten, aber doch eigentlich verpönten Blick auf den Westen, dem man nun auch bei so etwas wie einer Misswahl mal zeigen will, dass man das zumindest genauso gut kann.

Der spezielle Clou des Films aber, das sind die typischen, aber letztlich vergeblichen Bemühungen des Komitees, noch zu retten, was zu retten ist, nachdem man in ein Fettnäpfchen nach dem anderen getreten ist. Besonders grotesk wird die Situation, nachdem es die Feuerwehrleute nicht mehr schaffen, das Haus eines alten Mannes vor dem völligen Herunterbrennen zu retten. Der alte Mann wird auf einen Stuhl gesetzt, mit dem Rücken zu seinem brennenden Haus, damit er die Katastrophe nicht sehen muss, obwohl er genau weiß, was da vor sich geht. Gleichzeitig setzt man ihn jedoch nahe ans Feuer, damit er – es ist Winter – nicht friert. Die famose Idee, dem Obdachlosen die Tombolalose zu schenken – nachdem alle Preise inzwischen gestohlen sind – setzt dem allem noch die Krone auf.

Forman erzählt eine letztlich tragische und von menschlicher Skrupellosigkeit charakterisierte Geschichte mit dem ihm eigenen Humor. Nach außen präsentieren sich die Mitglieder des Komitees als Ehrenmänner, ihr Handeln deutet auf das Gegenteil. Sie gehören zu jener Sorte Menschen, die z.B. in aller Öffentlichkeit den Krieg verurteilen und sich als Pazifisten aufführen, in der eigenen Nachbarschaft jedoch mit Kanonen schießen – aber nicht auf Spatzen.

Der Ehrenhauptmann beispielsweise – die eigentliche Hauptperson des Abends – sitzt einsam auf seinem Stuhl und wartet. Allein gelassen steht er ab und zu auf, weil er meint, jetzt „dran” zu sein, und wird wieder auf seinen Platz zurückgeschickt. Er, der geehrt werden soll, wird in Wirklichkeit instrumentalisiert. Oder: Ausgerechnet der ehrlichste unter den Feuerwehrleuten – Josef – wird, nachdem das Komitee befohlen hat, das Licht auszuschalten, um den Dieben zu ermöglichen, die Preise anonym wieder auf den Tisch zu legen, dabei erwischt, wie er den von seiner Frau geklauten Presssack wieder zurücklegt, während andere bei ausgeschaltetem Licht die Situation nutzen, um noch die letzten Preise zu stehlen. Forman versteht es auf eine geradezu einmalige Art, diese Szenen in Humor aufzulösen, ohne dass das Tragische dieser Ereignisse verloren geht.

Erstaunlich ist auch, wie die Laiendarsteller mitspielen. Mit viel Engagement bestreiten sie ihren jeweiligen Part in diesem absurden Spektakel. Besonders sehenswert sind die hinter (teilweise) verschlossener Tür stattfindenden Begutachtungen der auserwählten Frauen.

„Horí, má panenko” kann sicherlich als versteckte Kritik an den typischen Verhaltensweisen realsozialistischer Partei- und Staatspolitik verstanden werden, auch wenn Forman selbst später in den USA sagte, der Film enthalte keine „hidden symbols or double meanings”. Schönrederei, Heuchelei, Kritiklosigkeit, hohles Solidaritätsgerede, gerade wenn es um die eigennützigen Interessen einiger weniger geht, und die entsprechenden Strukturen der damaligen Parteien erfahren trotzdem eine gehörige Portion satirischer Schläge – nicht wegen des Films und Formans Absichten, sondern wegen dem Schuh, den sich die KP der Tschechoslowakei selbst anzog, als sie den Film der Zensur opferte. Aber gleichzeitig ist der Film so gehalten, dass die Darstellung des Fiaskos auch auf andere (soziale, politische) Zustände gemünzt sein kann und sollte.

Fazit
Alles in allem ein heute immer noch sehenswerter Film Formans, der auch ab und an im Fernsehen zu sehen ist, dort allerdings mit einer deutschen Synchronisation, die schwer verständlich ist. Man ließ die Synchronsprecher Deutsch mit stark böhmischen Einschlag sprechen. Wenn dies eine Assoziationen zu Geschichten à la „Der brave Soldat Schwejk” auslösen sollte, so ist dies gründlich misslungen.



Einer flog über’s Kuckucksnest
(One Flew Over the Cuckoo’s Nest)
USA 1975, 133 Minuten
Regie: Milos Forman

Drehbuch: Bo Goldman, Lawrence Hauben, nach dem Roman von Ken Kesey
Musik: Jack Nitzsche
Director of Photography: Haskell Wexler, Bill Butler
Montage: Richard Chew, Lynzee Klingman, Sheldon Kahn
Produktionsdesign: Paul Sylbert, Edwin O’Donovan

Hauptdarsteller: Jack Nicholson (Randle Patrick McMurphy), Louise Fletcher (Schwester Mildred Ratched), Danny DeVito (Martini, Patient), Brad Dourif (Billy Bibbit, Patient), William Redfield (Harding, Patient), Will Sampson (Häuptling Bromden, Patient), Sydney Lassick (Charlie Cheswick, Patient), Christopher Lloyd (Taber, Patient), Delos V. Smith Jr. (Scanlon, Patient), Louisa Moritz (Rose), Mews Small (Candy), Michael Berryman (Ellis), Dean R. Brooks (Dr. John Spivey), Scatman Crothers (Turkle, Wächter), Josip Elic (Bancini, Patient), Lan Fendors (Schwester Itsu), Nathan George (Wächter Washington)

Normaler Wahnsinn und wahnsinnige Normalität

In seinem Meisterwerk „Amadeus“ zeigte Milos Forman 1984 zwei völlig unterschiedliche Menschen: den egozentrischen, selbstverliebten, verbissenen und gerissenen Salieri hier, den lebenslustigen, jeglicher Konvention gegenüber zweifelnden Mozart. Auf beiden Seiten stellte sich Wahnsinn ein: auf seiten Salieris der Wahnsinn der Anmaßung, auf seiten Mozarts der des musikalischen Genies. Würde man beide Charaktere als Repräsentanten sozialer Mechanismen verstehen, könnte man vom Gegensatz von Macht und Phantasie, produktivem Chaos und lebloser Ordnung sprechen. F. Murray Abrahams Salieri und Tom Hulces Amadeus allerdings bezogen sich aufeinander, mussten sich aufeinander beziehen, ob sie es wollten oder nicht. Denn sie waren gewissermaßen beide Produkte einer ständischen Gesellschaft. Ihr Handeln und Denken gruppierte sich um die gleichen Dinge, vollzog sich in ein und demselben Machtgefüge der österreichisch-ungarischen Monarchie. Die Angst vor der Revolution und die Sehnsucht nach Neuem (hier der Musik Mozarts) trieb den (Reform-)Kaiser Joseph II. mal auf die Seite Salieris, mal auf die des Komponisten.

Man könnte dies auch als eine Art personelle wie soziale Auseinandersetzung zwischen Individualität und Zwang, Subjektivität und Ordnung begreifen, Gegensätze, die Forman bereits früher zum Inhalt eines inzwischen als Klassiker geltenden filmischen Meisterwerks gemacht hatte, der Geschichte von McMurphy in „Einer flog über's Kuckucksnest“. Die Verhältnisse zwischen dem nach Freiheit dürstenden Individuum und der vorgegebenen Ordnung sind in beiden Filmen zwar unterschiedlich ausgeprägt, aber doch vergleichbar.

Inhalt
„Unzucht“ lautet der Vorwurf, der den eigensinnigen und lebhaften, wortgewandten und intelligenten Randle Patrick McMurphy (Jack Nicholson) in eine psychiatrische Anstalt bringt, in der er auf seinen „Geisteszustand“ untersucht werden soll. Irgendwie hat er es geschafft, hierher statt ins Gefängnis zu kommen. McMurphy hatte Sex mit einer Minderjährigen; er behauptet, dies nicht gewusst zu haben. Das Mädchen habe ausgesehen wie 18. Zudem wurde McMurphy „unehrenhaft“ aus der Armee entlassen, war in etliche Schlägereien verwickelt und des öfteren alkoholisiert.

Der Leiter der Anstalt Dr. Spivey (Dean R. Brooks) bekommt McMurphys intelligente und extrem emotional bestimmte Mentalität als erster zu spüren. Er ist ihm intellektuell kaum gewachsen. McMurphy wird in eine Abteilung mit „leichten“ und „schweren“ Fällen verlegt, die von der unnahbaren Schwester Mildred Ratched (Louise Fletcher in einer grandios-erschreckenden Rolle) geleitet wird. Einen ersten Eindruck von Ratched erhält McMurphy in einer der täglichen Gruppensitzungen, in der Patient Harding (William Redfield) erzählen soll, warum er gegen seine Frau den Verdacht des sexuellen Betrugs hegt. Andere Patienten können die Geschichte schon nicht mehr hören, vor allem Taber (Christopher Lloyd) nicht, der sich Harding gegenüber aggressiv verhält. Ratched dagegen ist nicht aus der Ruhe zu bringen.

Wir treffen auf andere Patienten, den ständig grinsenden Martini (Danny DeVito), Bancini (Josip Elic), der des öfteren angeschnallt zu sehen ist, Cheswick (Sydney Lassick), der nicht verstehen kann, warum ihm Schwester Ratched die Zigaretten weggenommen hat und deshalb außer sich gerät, den schweigenden und in sich gekehrten vollbärtigen Scanlon (Delos V. Smith Jr.), den jungen stotternden Billy Bibbit (Brad Dourif), der McMurphy sehr sympathisch findet, und last but not least Häuptling Bromden (Will Sampson), der taubstumm sein soll.

McMurphy ist von Anfang an darauf aus, sich nicht in den penibel von Ratched vorgegebenen und streng überwachten Tagesablauf zu integrieren. Als er auf Chief Bromden trifft, versucht er, ihm Basketball beizubringen. Weder Patienten, noch Pfleger und Aufseher glauben, dass McMurphy irgendeine Chance hat, den Chief zu irgend etwas zu bewegen. Sie irren sich gewaltig. Doch McMurphy will mehr. Er mischt sich in das Kartenspiel der anderen ein und beginnt, Wetten abzuschließen. Zahlungsmittel sind Zigaretten. Und das ist Grund genug für Ratched, die Zigaretten zu konfiszieren und zu rationieren.

McMurphy will durchsetzen, den Tagesablauf zu ändern. Er schlägt vor, abends ein Basketballspiel im Fernsehen anzuschauen. Aber die Mehrheit der Gruppe stimmt aus Angst vor Ratched und möglichen Repressalien nicht für ihn.

Schließlich fährt McMurphy schwerere Geschütze auf: Er bringt sich in den Besitz des Busses der Anstalt und fährt mit einigen der Patienten ans Meer, nimmt sich dort ein Boot und gibt gegenüber dem Bootsverleiher an, er und die anderen seien Ärzte. Die Patienten fahren hinaus und angeln, während McMurphy mit einer „alten Bekannten“, Candy (Mews Small), in der Kajüte Sex haben will.

McMurphy ist fest entschlossen, Ratched als Verkörperung der unmenschlichen Bedingungen in der Anstalt zu entthronen und mit Chief Bromden zu flüchten. Die Situation spitzt sich zu, als McMurphy Schwester Ratcheds Ordnung endgültig zerstören will, indem er Candy und eine weitere „alte Bekannte“, Rose (Louisa Moritz), samt Alkohol zu einem nächtlichen Fest auf die Station holt ...

Inszenierung
Wer definiert, was „normal“ ist? Wer dies definiert, hat Definitionsmacht. Wer Definitionsmacht besitzt, hat allgemein Macht. Wer Macht hat, muss die Möglichkeiten haben, sie auch durchzusetzen. Diese Möglichkeiten werden nicht nur durch den Besitz von Geld und die Kontrolle über Gewalt(apparate) bestimmt, sondern auch durch die Definition dessen, was Gesellschaft ist, wie sie zu funktionieren hat und wie sie (angeblich) auf keinen Fall funktionieren kann. Die Katze beißt sich scheinbar in den Schwanz. Aber Macht ist nicht so sehr die Gewaltausübung einer herrschenden Klasse, Kaste oder Nomenklatura gegenüber anderen, die keine Macht haben (also ein strikt „linearer“ Kausalzusammenhang), sondern eher das Zentrum, um das sich eine Gesellschaft gruppiert (Foucault), in der Ohnmacht und Widerstand nur die andere Seite der Medaille der Macht darstellen („zirkulärer“ oder netzwerkartiger Kontext von Macht).

Eine schwierige Gesellschaft, in der wir leben, zumal sich die Frage stellt, ob es in einer Demokratie Diktatur geben kann. Definitionsmäßig ist dies ausgeschlossen, und alles, was möglicherweise danach riecht – nach Diktatur, Fremdbestimmung, Unterdrückung –, wird strukturell als „besonderes Gewaltverhältnis“ definiert, dem eine demokratische Bestimmung zugesprochen wird: Gefängnissen, Gewaltapparaten wie Polizei und Militär – und psychiatrischen Anstalten.

Gerade hier, in einer geschlossenen Abteilung, aber auch, wie der Film zeigt, unter Bedingungen, in denen einige Patienten „freiwillig“ sich einer Behandlung unterziehen, überkreuzen sich die Parameter von Freiheit und Demokratie hier, Zwang und Diktatur dort in manchmal kaum auflösbarer Weise. Die Grenzen scheinen zu verschwimmen.

McMurphy ist von Anfang an – trotz des Eingesperrtseins – ein freier Mann. Das klingt paradox. Aber seine Freiheit ist die des Geistes, der Seele, des Charakters, die keine noch so gesicherte Anstalt zerstören kann – es sei denn durch physische respektive psychische Zerstörung. Schwester Ratched begreift die Gefährlichkeit McMurphys sehr schnell. McMurphy ist kein Maschinenstürmer, sondern eine „strukturelle“ Gefahr. Er unternimmt alles, um in die Zwangsanstalt, in der mit Elektroschocks, psychischer Indoktrination über das vermeintlich „Richtige“, „Normale“ gearbeitet wird, etwas hinein zu bringen, was die Ordnung nach Ansicht ihrer Vertreter zerstören würde: Vitalität, Phantasie, Lebenslust. Die Busfahrt, das Basketballspiel, Kartenspielen, Feste feiern, Meisterschaften im Basketball im Fernsehen anschauen, Billy Bibbit mit einer Frau zusammenbringen – all das sind unter „normalen“ Bedingungen außerhalb der Anstalt „normale“ Lebensäußerungen. In der Anstalt bedrohen sie die Ordnung, die Ziele der Behandlung usw.

Billy Bibbit stottert. Ratched ist mit seiner Mutter befreundet, einer – wie zu vermuten ist – Übermutter, einer herrschsüchtigen Frau, und Ratched erfüllt in der Psychiatrie gegenüber Billy die gleiche Funktion. So wird er nie aufhören zu stottern. McMurphy spürt dies genau und er sperrt Billy mit Candy in einen Raum, damit er mit ihr schläft. Danach stottert Billy nicht mehr.

Auch Chief Bromden, der Taubstumme, der Verweigerer, ist dem rauen, dauernd an Alkohol und Frauen denkenden McMurphy ans Herz gewachsen. Er bringt den Chief nicht nur zum Sprechen; er zeigt ihm mit einfachsten Mitteln, wieder ins Leben zurückzufinden. McMurphy muntert die Patienten der Station auf. Als er dem Bootsverleiher gegenüber sich und die anderen als Dr. Martini, Dr. Cheswick usw. vorstellt, dient dies nicht nur dazu, sich gegenüber dem skeptischen Bootsverleiher Respekt zu verschaffen. Er stellt seine Mitpatienten sozusagen auf eine angemessene, auf eine menschliche Stufe.

Doch McMurphys Verhalten, Denken und Fühlen ist nicht die eines Revolutionärs, er ist kein Held, keine Lichtgestalt, kein widerspruchsloser Fahnenträger des Umsturzes. McMurphy schwankt zwischen der Sehnsucht, dieser Anstalt nach Kanada zu entkommen und der tief empfundenen Solidarität mit dem Schicksal der anderen. Mehrmals hat er die Möglichkeit zu fliehen – und bleibt. Damit wird er quasi zum Anti-Revolutionär, und zwar in dem Sinn, dass er nicht eine „andere“ Welt gegen die bestehende setzt, sondern auf tragische Weise erkennen muss, dass es nur eine, nämlich diese Welt gibt, in der sich etwas verändert oder eben nicht. McMurphy kalkuliert mit dem Tod, auch seinem eigenen. Der Chief hat dies ebenfalls erkannt und handelt dementsprechend.

Auf der anderen Seite steht Schwester Ratched als Sinnbild, ja geradezu Ausgeburt des Asexuellen, des Lustlosen in einem weiten Sinne, des Unerotischen, der Macht einer Vernunft und eines Verstandes, die den Tod ebenfalls einkalkuliert: den der anderen. Ratched ist ein Mensch, den man als Menschenschnitzer bezeichnen könnte. Sie hat einen Plan, der prinzipiell nicht hinterfragt werden darf, also als Ausdruck von „Normalität“ gilt. Dieser Plan ist bis in die letzten Winkel des Lebens der Insassen ausgetüftelt und beherrscht ihren Tagesablauf wie ihre „Heilung“. Hier wird die Psychologie zur Menschenschnitzerei, zur Produktion von Menschen, die sich der Normalität à la Ratched und dem System, das sie repräsentiert, völlig zu unterwerfen haben. Die Herrschaft eines eiskalten Verstandes, einer alles Vitale tötenden Vernunft ist zu allem bereit.

Hat McMurphy – haben McMurphys eine Chance gegen dieses System? Was sich innerhalb der Anstalt abspielt, ist nicht so weit von dem entfernt, was außerhalb stattfindet, wie man vielleicht glauben mag. Das „Innen“ ist nur eine zugespitzte Form des „Außen“, auch wenn die Chancen außerhalb vielleicht größer erscheinen oder sein mögen, die Brutalität zu bekämpfen. In dem, was in der Anstalt passiert, drückt sich allerdings noch ein anderes Problem aus: Wie geht man mit denen um, die für nicht-normal erklärt werden? Wie gehen sie mit uns um und welche Schlussfolgerungen wären daraus zu ziehen. Gegenüber dem Chief und Billy Bibbit zeigt Forman über McMurphy deutlich, was getan werden kann. Bei anderen ist dies schwieriger. In McMurphys Verhalten den beiden gegenüber drückt sich allerdings schon etwas aus, was im Kern der Lösung des Problems nahe kommt: Er verhält sich gegenüber beiden wie zu allen anderen Menschen draußen auch. Für McMurphy sind die anderen auf der Station, soweit sie jedenfalls zur Kommunikation fähig sind (einige sind es nicht oder auf eine Weise, die schwer zugänglich ist), zu allererst Menschen wie er, Candy, Rose, wer auch immer, nicht Insassen einer psychiatrischen Anstalt.

Fazit
Forman besetzte seinen Film mit exzellenten Haupt- wie Nebendarstellern. Nicholson, Fletcher, Dourif, Redfield, Sampson, Lassick und DeVito wären als erste zu nennen. Die Inszenierung hält sich streng an die Regeln des Dramas, an Einheitlichkeit von Ort, Zeit und Handlung. „Einer flog über’s Kuckucksnest“ ist, wie beschrieben, auch eine Art Zustandsbeschreibung, vielleicht gemünzt auf die amerikanische Gesellschaft, aber sicherlich darüber hinaus aussagekräftig und vor allem noch immer aktuell. Ein Klassiker, der immer wieder begeistert und erschreckt, vor allem natürlich durch Nicholsons Leistung, durch den bissigen Humor und die sozusagen bis an den Wahnsinn gehende Inszenierung.



Amadeus
(Amadeus)
USA 1984, 160 Minuten
Director’s Cut 2001: 180 Minuten
Regie: Milos Forman

Drehbuch: Peter Shaffer
Musik: Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Antonio Salieri, Giovanni Battista Pergolesi
Director of Photography: Miroslav Ondrícek
Montage: Michael Chandler, Nena Danevic, Michael Magill
Produktionsdesign: Patrizia von Brandenstein

Darsteller: F. Murray Abraham (Antonio Salieri), Tom Hulce (Wolfgang Amadeus Mozart), Elizabeth Berridge (Constanze Mozart), Simon Callow (Emanuel Schikaneder), Roy Dotrice (Leopold Mozart), Christine Ebersole (Katerina Cavalieri), Roderick Cook (Graf von Strack), Jeffrey Jones (Kaiser Joseph II.), Charles Kay (Graf Orsini-Rosenberg), Lisabeth Bartlett (Papagena), Barbara Bryne (Frau Weber), Martin Cavina (Der junge Salieri)

Ein klassisches Meisterwerk

Lang ist’s her, als ich »Amadeus« das erste Mal im Kino sah. Milos Forman (»Einer flog über’s Kuckucksnest«, 1975; »Hair«, 1979; »Ragtime«, 1981) hat nun sein Epos in einem um 20 Minuten erweiterten »Director’s Cut« erneut in die Kinos gebracht. Der Film erhielt 1984 acht Oscars sowie weitere drei Oscar-Nominierungen – und das war in jeder Hinsicht verdient.

Inhalt
In einer Winternacht im Jahr 1823 wird Antonio Salieri (F. Murray Abraham) in ein Krankenhaus eingeliefert. Er hatte lauthals, verzweifelt verkündet, er sei der Mörder von Wolfgang Amadeus Mozart. Einige Zeit später besucht ihn ein junger Pfarrer und fordert ihn auf zu beichten. Zunächst lehnt Salieri ab, doch dann sieht er die Chance, endlich über sein Leben Rechenschaft abzulegen, und erzählt dem jungen Pfarrer die Geschichte von sich und Mozart.

Rückblende: 1781 – Salieri ist Hofkomponist Kaiser Josephs II. (Jeffrey Jones) – erscheint der 26jährige Mozart (Tom Hulce) in Wien. Schon als Kind war er von seinem Vater Leopold (Roy  Dotrice) von einem Konzert ins andere geschleppt worden. Mozart ist jung, frech, albern, lüstern, lacht in einer Weise, die auf die adligen Herrschaften provozierend und abstoßend wirkt – vor allem aber will er beweisen, dass er der beste Komponist seiner Zeit ist. Auf einem Konzert im Palast des SalzburgerErzbischofs hört Salieri, der sich für den führenden Musiker am Hof hält, Mozart zum ersten Mal. Sein Leben verändert sich von diesem Moment an grundlegend. Diese Musik stammt nicht von ihm, aber von wem? Als er Mozart mit einer jungen Dame durch die Säle des Palasts kichern und albern sieht, kann er es nicht glauben, dass dieser Geck eine solche Musik geschrieben haben soll.

Doch noch schlimmer: Mozart kommt nach Wien, wird dem Kaiser vorgestellt, verändert ein schnell hin geschriebenes Stück von Salieri in ein kleines Meisterwerk, das später in die »Hochzeit des Figaro« einfließt, für dessen Hauptrolle er Katerina Cavalieri (Christine Ebersole) auswählt und verführt, Salieris Lieblingsschülerin, die der heimlich liebt. Doch Mozart verdient mit den Opern, die er jetzt schreibt, zu wenig Geld, bewirbt sich um eine Stelle als Musiklehrer für des Kaisers Nichte. Mozart hat inzwischen Constanze (Elizabeth Berridge) geheiratet, die Salieri Partituren von Mozart vorlegt, um ihn dazu zu bewegen, beim Kaiser für Mozart zu werben. Salieri ist immer mehr beeindruckt von der göttlichen Musik Mozarts. In seinem Leben sieht er nur noch einen Sinn: Er muss Mozart vernichten, den Gott statt seiner auserkoren hat, diese Musik zu komponieren. Salieri kämpft, intrigiert, nicht nur gegen Mozart, sondern auch gegen Gott, der sein Flehen nicht erhört hat, ihn zum Musiker Gottes auf Erden zu machen. Er verbrennt das Kreuz Jesus und setzt alles daran, damit Mozart endlich stirbt ...

Inszenierung
Mir ist nicht bekannt, welches zusätzliche Material Forman in diese Fassung des Films eingebaut hat. Doch es lohnt sich auf jeden Fall, dieses dreistündige Meisterwerk (nochmals) anzusehen und zu genießen. Forman inszenierte eine Geschichte des Wahnsinns – des Wahnsinns Mozarts und des Wahnsinns Salieris, die so gegensätzlich sind wie die beiden Figuren selbst. Auf der einen Seite der junge, agile, lebenslustige Mozart, der sich nicht nur für den besten Komponisten seiner Zeit hält, sondern dies auch in jeder Sekunde seines unermüdlichen Schaffens beweisen kann, ein Wahnsinniger, für den Komponist nicht ein Beruf ist, sondern sein Leben; der in der Musik lebt, der die Musik im Kopf fertig komponiert, hört, bevor er die Noten aufschreibt; ein Mensch, der versucht, von seinem dominanten Vater wegzukommen; einer der so unpraktisch dem Leben gegenübersteht, dass er das große Glück hat, in Constanze eine Frau zu finden, die ihn nicht nur bedingungslos liebt, sondern so weit es irgend geht, dafür sorgt, dass die Familie überleben kann. Tom Hulce und Elizabeth Berridge spielen in diesen ihren Traumrollen traumhaft schön und begeisternd.

Auf der anderen Seite Salieri, ein von sich besessener Mann, der den gleichen Traum wie Mozart hat, innerlich aber an sich selbst zweifelt, Gott als Verbündeten verpflichtet, ihm den Traum zu erfüllen. Er bittet in Gebeten Gott, fleht ihn an, doch letztlich fordert er von Gott. Salieri lebt in einer Situation des erpresserischen, egozentrischen Wahnsinns. Er stellt für sich einen Absolutheitsanspruch. Und dann erscheint Mozart, dieser alberne Kasper, dieser lächerliche Pimpf. Der soll es sein, den Gott statt seiner auserkoren hat? F. Murray Abraham spielt den Salieri zwischen Hingerissensein von Mozarts Musik und rasender Eifersucht und Neid, Hass und Mordgedanken grandios.

Bestechend ist z.B. die Szene kurz vor Mozarts Tod, in dem Mozart, im Bett liegend, ein Requiem »im Kopf« komponiert und Salieri die Noten aufschreibt: hier der geniale Meister der Musik, dort sein zwischen Ehrfurcht, Bewunderung, Neid, Verzweiflung, Vernichtungsphantasien schwankender Notenschreiber, der das Werk in den Händen hält, die Noten sieht, die er aufgeschrieben hat, die aber nicht von ihm stammen, der sieht, wie Constanze sie am anderen Morgen, als Mozart stirbt, im Schrank verschließt, weil sie das Stück für Mozarts Tod verantwortlich macht. Salieri schaut das Stück ein letztes Mal hinter der Glastür des Schrankes an, ein göttliches Requiem, das er inkognito in Auftrag gab, das Mozart tötete, den er also tötete. Doch Gott hat sich an Salieri gerächt: Er siecht in einem Krankenhaus dahin, seine Musik ist vergessen, doch die Mozarts unsterblich.

Formans »Amadeus« ist ein Epos, in dem alles stimmt, eine feine, überlegte Komposition wie Mozarts Opern, mit der Musik Mozarts. »Amadeus« ist selbst eine Art dramatische, doch zugleich auch komödiantische Oper, in der Mozart bis zu seinem Tod nicht bewusst ist, dass Salieri ihn von Beginn an bekämpft hat. Ausstattung, Kostüme, die barocke Pracht des Absolutismus, Besetzung, Musik, Dialoge – alles ist von Forman genial aufeinander abgestimmt. Dasselbe gilt für die Besetzung, z.B. für Roderick Cook als Graf von Strack und Charles Kay als Graf Orsini-Rosenberg – enge Berater des Kaisers –, die ihre Unterwürfigkeit dem Herrscher gegenüber, ihren absolutistischen Konservativismus immer wieder (komödiantisch) beweisen und sprachlos mit ansehen müssen, wie Joseph II. von diesem »Geck« von Mozart begeistert ist. Jeffrey Jones überzeugt als Kaiser, der einerseits in der absolutistischen Tradition verhaftet, andererseits offen für die Phantasien des jungen Mozart und dessen Experimentierfreudigkeit ist.

Fazit
Man muss kein Freund klassischer Musik – wie ich – sein, um diesen Film zu lieben. Es gibt sogar Stimmen, die meinen, durch »Amadeus« könne man sich für Mozarts Musik begeistern.  »Amadeus« ist eine Geschichte des Kampfes: des Wahnsinns des Egozentrikers gegen den Wahnsinn des Genies. Und diese Geschichte erzählt Forman in einer begeisternden Weise. Die Frage, ob die Geschichte den historischen Biografien der beiden Hauptfiguren entspricht, ist übrigens völlig unbedeutend. »Amadeus« ist ein filmisches, operngleiches Drama, kein Historienfilm.



Larry Flynt – Die nackte Wahrheit
(The People vs. Larry Flynt)
USA 1996, 129 Minuten
Regie: Milos Forman

Drehbuch: Scott Alexander, Larry Karaszewski
Musik: Thomas Newman
Director of Photography: Philippe Rousselot
Montage: Christopher Tellefsen
Produktionsdesign: Patrizia von Brandenstein

Darsteller: Woody Harrelson (Larry Flynt), Courtney Love (Althea Leasure), Edward Norton (Alan Isaacman), Brett Harrelson (Jimmy Flynt), Donna Hanover (Ruth Carter Stapleton), James Cromwell (Charles Keating), Crispin Glover (Arlo), Vincent Schiavelli (Chester), Miles Chapin (Miles), James Carville (Simon Leis)

„25 years. All I'm guilty of is bad taste.”

„Wenn sie einen Schmutzfinken
wie mich schützen, dann schützen
sie euch alle.”
(Larry Flynt)

Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika ist bekannt für seine weite Auslegung der verfassungsrechtlich garantierten Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinsfreiheit. Dass diese wohl gefestigte Rechtsprechung u.a. einem King of Porno zu verdanken ist, weiß allerdings hierzulande kaum jemand. Sein Name war und ist: Larry Flynt. 1988 entschied das Gericht nämlich, dass die in Flynts Magazin „Hustler” erschienene Karikatur eines seiner ärgsten Gegner, Jerry Falwell, einem selbst ernannten Moralapostel, in dem Falwell beim Sex mit seiner Mutter auf einem Plumpsklo zu sehen ist, keine Beleidigung darstellt und durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt ist. Die Entscheidung erging einstimmig.

Da fragten und fragen manche nach den Grenzen der Meinungsfreiheit, die sie dann doch enger gezogen haben wollen. Wie dem auch sei. Milos Forman, der sich in seinen Filmen schon oft auf Außenseiter, man kann auch sagen: „außenseiterische” Situationen, gestürzt hat – man denke an „Amadeus” oder „Einer flog über’s Kuckucksnest” –, nahm sich der Biografie des „Hefners der Unterschichten” an. Auch wenn Forman wenig Wert auf hundertprozentige Authentizität legte, so gehört der unter dem unsäglichen Titel „Larry Flynt – die nackte Wahrheit” 1996 inszenierte Streifen mit zum besten, was das Kino zu bieten hat.

Dabei legt Forman zugleich – sozusagen: schamlos – offen, was der American Way of Life eben bedeutet: Mit dem Verkauf von WAS man vom Tellerwäscher zum Milliardär aufsteigt, ist völlig egal; Hauptsache: Der Traum erfüllt sich. Geld und Freiheit – wie nahe liegt ihr doch zusammen!

Klein hat dieser Larry Flynt wahrlich angefangen. Ein paar schäbige Hustler-Clubs, die teuren Alkohol und viel nacktes Fleisch zu bieten hatten – und das in der amerikanischen Provinz –, bringen dem geschäftstüchtigen und -süchtigen Flynt (Woody Harrelson in einer Paraderolle) und seinem Bruder Jimmy (Brett Harrelson) nicht unbedingt den gewünschten Geldsegen. Doch die entsprechende Gesinnung – vor allem unterhalb der Gürtellinie – bringt den Hustler-Chef bald auf neue Ideen. Zunächst als eine Art Newsletter für seine Clubs gedacht, der mehr Leute, sprich: vor allem Männer, als Kunden werben sollten, erscheint bald – in Cincinatti mitten im frommen Ohio – das erste Hustler-Magazin.

Schon die zweite Nummer schlägt ein wie eine Bombe. Denn sie zeigt Fotos der am griechischen Strand nackt badenden Jackie Onassis. Zwar befinden wir uns Anfang der 70er Jahre mitten in einer Welle der sexuellen Befreiung (oder vielleicht glaubten wir das alle auch nur); doch sehr schnell bringt Flynt sowohl feministische Bewegungen wie auch stockkonservative Moralwächter gegen sich auf. Denn Flynt zeigt nicht – wie etwa der „Playboy” – retuschierte, intellektuell „aufgeleuchtete” Nacktheit. Er zeigt: Porno – Porno, wie man ihn wenige Jahre später an allen Ecken und Enden, sprich Kiosken über oder teilweise auch noch unter dem Ladentisch käuflich erwerben kann.

Eine pompös hässlich-kitschig ausgestattete 24-Zimmer-Villa wird zum Domizil des angehenden Porno-Kings und seiner späteren Frau, Althea Leasure (Courtney Love), die er als noch minderjährige Tänzerin in einem seiner Clubs kennen und lieben lernt. Für beide gibt es im Leben eigentlich nur zweierlei: Geld und Sex. Und Forman macht kein Hehl daraus, dass Geld und Sex für beide im Grunde das gleiche bedeuten.

Schnell steigt der Umsatz auf eine Million Dollar und höher und weiter. Während seine feministischen Gegnerinnen Flynt wohl nur politisch die Hölle heiß machen, jagen ihn der religiös-fundamentalistische Finanzhai Charles Keating (James Cromwell) und der moralisch nicht minder besessene Staatsanwalt Leis (James Carville) bis zum ersten Prozess vor den ehrenwerten Richter Morrissey – gespielt vom richtigen Larry Flynt selbst (!) –, der ihn doch 1977 glattweg zu 25 Jahren Zuchthaus verdonnert – eine absturse Strafe, die Flynt dann doch nicht absitzen muss.

Schon hier beweist Flynt – der sich ansonsten sprachlich wie neben ihm noch plastischer seine ihm angetraute Althea eher vulgär auszudrücken pflegt – sein rhetorisches Talent. Unter dem Motto „Was ist obszöner: Sex oder Krieg” hält er öffentliche Verteidigungsreden gegen die sexuelle Versklavung, die seine Gegner dem amerikanischen Volk aufdrängen wollten.

Als Flynt dann auch noch mit der Schwester des damaligen amerikanischen Präsidenten Carter,  Ruth Carter Stapleton, einer Evangelistin, die Gegner der Freimaurerei als „ranghöchste amerikanische Hexe” verunglimpften, einen Bund auf Zeit eingeht und sich – vorübergehend – als wiedergeborener Christ empfindet, kocht die Nation. Na ja, jedenfalls der Teil der Nation, der sich in ewigem Ringen um die Aufrechterhaltung von Sitte und Ordnung abmüht.

Niederlagen sind für Flynt keine Zeichen der inneren Einkehr. Im Gegenteil. Es scheint, dass jede Niederlage ihn weiter nach vorne treibt. Selbst das bis heute nicht aufgeklärte Attentat auf ihn vor einem Gerichtsgebäude 1978, das ihn an den Rollstuhl fesselt, lässt ihn nicht müder, sondern nur noch aggressiver im Kampf für sein Hustler-Magazin werden.

So selbstverständlich, wie dieser Larry Flynt Pornographie nicht nur zu seinem Lebensinhalt werden ließ, sondern sich für deren Legalität einsetzte, so selbstverständlich zeigt uns ihn Forman. Der Film hat tatsächlich sehr viel von einer Dokumentation und ist doch zugleich die Visualisierung eines Traums – vom Tellerwäscher .... –, der in diesem Fall sogar einmal wahr wurde, und die Dramatisierung eines Lebens, in dem Woody Harrelson, als ob er nie etwas anderes getan hätte, einen Larry Flynt darstellt, der nur ein Ziel vor Augen hat.

Man mag Forman vorwerfen, diesen Mann zu idealisieren. Ich sehe das nicht so. Forman überlässt wie immer in seinen Filmen dem Zuschauer völlig die Freiheit der Bewertung und Begutachtung des Gezeigten. Natürlich gibt er „vor”. Kein Wunder. Forman, der aus der Tschechoslowakei stammt, in der seine Filme zensiert wurden, z.B. „Fireman’s Ball”, weiß, von was er redet, wenn er den Kampf um Meinungsfreiheit in seinen Filmen thematisiert. Dass er dies an einem Extrembeispiel geradezu provokativ demonstriert, ist sein Stil und fordert vom Betrachter  sozusagen einen Blick ins eigene Innere, verbunden mit der Frage: „Wie hältst Du es denn mit der Meinungsfreiheit?” Über Geschmack lässt sich streiten. Aber über Meinungsfreiheit?

Neben Woody Harrelson glänzt Rocksängerin Courtney Love als freisinnige, geschäftstüchtige,  kluge, wenn auch nach den üblichen Maßstäben nicht sehr intelligente Althea, die ihr Leben wie Flynt der Promiskuität verschrieben hat. Edward Norton als Flynts langjähriger Anwalt Isaacman bleibt zwar – wie die meisten anderen Mimen auch – etwas stark im Hintergrund. Doch Norton bietet nicht nur wie gewohnt solides schauspielerisches Handwerk; er hat auch seine zwei, drei herausragenden Szenen, vor allem vor Gericht.



Der Mondmann
(Man on the Moon)
USA 1999, 118 Minuten
Regie: Milos Forman

Drehbuch: Scott Alexander, Larry Karaszewski
Musik: R.E.M., Peter Buck, Mike Mills, Michael Stipe
Director of Photography: Anastas Michos
Schnitt: Christopher Tellefsen, Lynzee Klingman, Adam Boome
Produktionsdesign: Patrizia von Brandenstein, James F. Truesdale, Ray Kluga

Hauptdarsteller: Jim Carrey (Andy Kaufman), Danny DeVito (George Shapiro), Courtney Love (Lynne Margulies), Paul Giametti (Bob Zmuda), George Shapiro (Mr. Besserman, Club-Besitzer), Vincent Schiavelli (Maynard Smith), Peter Bonerz (Ed Weinberger), Jerry Lawler (Jerry Lawler), Gerry Becker (Stanley Kaufman), Leslie Lyles (Janice Kaufman), J. Alan Thomas (J. Alan Thomas), Richard Belzer (Richard Belzer)

Katzenklo

Jim Carrey und seine spezifische Komik muss man lieben. Ich kann mich für diese Art Humor nicht sehr begeistern. „Die Truman Show“ ist der einzige Film, in dem mir Carrey sehr gut gefiel. Das hat seinen Grund vielleicht auch darin, dass er hier in eine Geschichte eingebettet war, die ihm nicht ermöglichte, wie etwa in „Bruce Allmighty“ oder mit Abstrichen in „Der Mondmann“ seine Komik voll auszuleben; in der Truman Show stand nicht er als Jim Carrey im Zentrum, sondern die Geschichte, in die er eingespannt war. In der Geschichte um einen jungen Mann, der als einziger nicht weiß, dass er Zeit seines Lebens in einer Scheinwelt der Medien zum Star herangezüchtet wurde, konnte Carrey beweisen, dass er für eine dramatische Rolle, die zugleich komische Situationen erzeugt, begabt ist. Anders in „Der Mondmann“. Milos Forman erzählt die Geschichte des amerikanischen Komikers Andy Kaufman, der in den 70er Jahren als Provokateur das Publikum zur Raserei bringen konnte, nach dem viele Zuschauer aber immer wieder verlangten. Kaufman wird nachgesagt, er habe die Mechanismen der Show zu Ende gedacht. Seine Narreteien, wird sogar behauptet, hätten die Kunst im Fernsehen revolutioniert. Er führte das Publikum an der Nase herum, bis dahin, den Herzanfall einer älteren Dame auf der Bühne vorzutäuschen, um kurz darauf als Indianer verkleidet ihre Auferstehung zu feiern. Nach seinem Tod 1985 sollen sogar engste Freunde geglaubt haben, das alles könne inszeniert sein; irgendwann werde Kaufman irgendwo auf der Bühne oder im Fernsehen auftauchen und „Ätsch“ sagen.

Ich kann dies nicht beurteilen, weil ich Kaufman nie bei seiner Arbeit gesehen habe. Von Milos Formans biografischem Film allerdings wird behauptet, er zeichne zumindest das öffentliche Leben Kaufmans realistisch nach und Jim Carrey – der Kaufman-Fan sei – bringe den Komödianten wieder zum Leben.

Wenn Forman zu Beginn des Films Carrey / Kaufman mit Kinderstimme das Publikum davon überzeugen will, das Kino wieder zu verlassen, weil der Film schlecht sei, und eine Platte auflegt, die den Abspann musikalisch begleitet, um zu erreichen, dass sich beim Publikum die Spreu vom Weizen trennt, lässt dies hoffen. Auch einige andere Szenen, in denen Kaufman Publikum, Freunde, Produzenten von TV-Shows und die Fans von Catcher-Kämpfen bis zum geht nicht mehr an der Nase herumführt und sogar Jerry Lawler, einen siegreichen und bekannten Catcher, für sein Vorhaben eingespannt hat, enthalten teilweise durchaus komische Situationen und Gags. Aber eine Schwalbe macht noch keinen Frühling. Insgesamt gesehen gehöre ich wohl zu der starken Minderheit respektive knappen Mehrheit von Leuten, denen Kaufmans Humor – so kritisch seine Absichten auch gewesen sein mögen – fremd ist.

Der Film zeigt Kaufman als kleinen Jungen, der von seinem Vater (Gerry Becker) einmal wieder „erwischt“ wird, als er auf dem Bett herum hüpft, Schabernack treibt und behauptet, die bunte Tapete sei sein Publikum. Als Erwachsener tingelt Kaufman durch Bars, um seinen merkwürdigen Humor an die Frau und an den Mann zu bringen. Erfolg hat er damit zunächst nicht. Die meisten Leute sind gelangweilt, wenn Kaufman das Publikum auffordert, Tierstimmen nachzuäffen, und selbst seine Elvis-Parodie, von der schon mehr begeistert sind, ließ mich ehrlich gesagt: kalt.

Bei einem seiner Auftritte entdeckt ihn George Shapiro (Danny DeVito), ein Talentsucher und Produzent. Shapiro spürt offenbar, dass in Kaufman etwas steckt, aus dem man etwas machen kann. Kaufman selbst bestreitet, er sei Komiker: „Ich mache keine Witze. Ich weiß überhaupt nicht was das ist, lustig.“ Shapiro engagiert ihn für Sitcoms, u.a. als Laudka für „Taxi“, für Saturday Nigh Live und anderes mehr. Kaufman selbst schafft sein eigenes Double, von dem zunächst niemand weiß, dass er es selbst ist, dieser Tony Clifton, ein offenbar untalentierter und aggressiver Barsänger, der so ein bisschen wirkt wie die amerikanische Ausgabe von Helge Schneider. Kaufman leimt selbst Shapiro, weil er Cliftons Auftritt in einer Show zur Bedingung macht, damit er selbst daran teilnimmt.

In einer der Shows provoziert er die Frauen, von denen er behauptet, sie seien im Bügeln, Kochen etc. viel besser als die Männer, und fordert dazu auf, eine Zuschauerin solle sich doch melden, um gegen ihn zu kämpfen. So lernt er seine spätere Liebe Lynne (Courtney Love) kennen. Die Show hat Folgen. Im vollbesetzten Zelt provoziert Kaufman das Publikum, das Wrestlern zuschauen will; wiederum sind die Frauen Objekt seiner Verballhornung. Wieder kämpft er gegen eine Frau, siegt, und der Wrestler-Star Jerry Lawler (gespielt von dem Catcher selbst) droht ihm, er solle endlich mal gegen einen Mann kämpfen. Kaufman spielt das Großmaul, den agent provocateur, aber der größte Betrug ist, dass Lawler selbst von ihm engagiert wurde und auch nur eine Rolle spielt.

Kaufmann ist nicht unumstritten. 1982 wird er aus Saturday Night Live rausgeschmissen, als ihm bei einer Telefonumfrage weniger als 30% der Anrufer noch sehen wollen.

Ich gestehe Milos Forman zu, dass er einem Mann, der die Medien und ihre Mechanismen offenbar kräftig durcheinander wirbelte, einen Outsider, den Forman und Carrey aber dennoch glücklicherweise nicht als pathologischen Fall darstellen, eine Art Denkmal setzen wollte. Das liegt auch in der Tradition der Filme Formans, wenn man an „Amadeus“ (1984), „Einer flog übers Kuckucksnest“ (1975) oder „Larry Flint – Die nackte Wahrheit“ (1997) denkt. In all diesen Filmen spielen Außenseiter die zentrale Rolle, man denke etwa an Mozart und seinen Gegner Salieri. Man denke an Jack Nicholson als McMurphy und seinen Gegenpart, Schwester Ratched (Louise Fletcher) in „Einer flog übers Kuckucksnest“. Jim Carrey ist in dieser Hinsicht zweifellos in seinem Element, wenn er Kaufman als einen Mann darstellt, der auf außergewöhnliche Weise die Medien, ihre Regeln und das Publikum durcheinander bringt.

Unter der Voraussetzung, dass Kaufman in „Man on the Moon“ (Titel nach dem Song von R.E.M) hautnah dargestellt wird, frage ich mich allerdings, was an ihm tatsächlich nonkonformistisch gewesen sein soll. Sicherlich, Kaufman wirbelte Staub auf. Aber wenn er beispielsweise, statt das Publikum in seinen Erwartungen zu befriedigen, eine Stunde lang auf der Bühne aus einem Roman vorliest, bei einem Sketch oder ähnlichem seinen Text nicht aufsagen will oder einfach vergisst, so mag das für manchen einer medialen Revolution gleichkommen. Ich fand es schlichtweg: nichtssagend und langweilig. Und ich sehe keinen Anhaltspunkt dafür, warum hierin etwas Rebellisches zu sehen sein soll. Selbst die Publikumsbeschimpfung im Ring, in denen er Frauen massiv provoziert und der Catcher Jerry Lawler sich munter in Kaufmans „Intrige“ einspannen lässt, mag auf den ersten Blick ganz nett sein, eine Provokation, deren Sinn jedoch beim zweiten Hinsehen eher verpufft. Ich finde diesen Kaufman nur selten komisch, aber das wollte er wohl auch gar nicht sein. Wie man sich allerdings in den 70er Jahren, was andernorts zu lesen war, stundenlang langweiligen, schier endlosen Tiraden Kaufmans oder seines Alter Egos Clifton aussetzen konnte, bleibt mir ein Geheimnis.

Für mich ist Carreys bzw. Formans Kaufman ein schierer Langweiler, zum Teil geschmacklos und in jeder Hinsicht konformistisch, das heißt den Regeln der Medien angepasst. Er führt deren Logik vielleicht zu Ende, zeigt, wohin es führt, wenn man sie bis zum bitteren Ende weiter treibt. Aber muss ich deshalb Helge Schneider oder Andy Kaufman eine Medaille um den Hals hängen? Schneider macht nämlich letztlich etwas ähnliches: Er zeigt den Schlager in seiner gänzlichen Bedeutungslosigkeit. Trotzdem stirbt der Schlager nicht aus. Das kann man aber auch ohne Schneider wissen. Und es ist nichts Besonderes daran, weil letztlich die Mechanismen der medialen Welt eben doch ausschließlich mit sich selbst konfrontiert werden. Das führt aber nicht aus diesen Regeln ein Stückweit hinaus, sondern bleibt dem System verhaftet. Nicht Rebellion, sondern kindlicher Trotz eines Erwachsenen und Reproduktion der medialen Mechanismen auf eine zugegebenermaßen außergewöhnlichen Ebene zeichnen Kaufman – zumindest im Film – aus. Das Publikum macht fast alles mit. Da wissen wir. Warum sollte es nicht auch Kaufman mitmachen?

Man mag das mögen. Ich kann damit nichts anfangen.

 

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