Francisca
(De que lado estas?)
Mexiko, Deutschland, Spanien 2002
Regie: Eva López-Sánchez

Drehbuch: Eva López-Sánchez, Jorge Goldenberg
Musik: Jacobo Liebermann, Leo Heiblum
Director of Photography: Javier Morón
Montage: Santiago Torre, Sigfrido Barjau
Produktionsdesign: Sandra Cabriada

Darsteller: Ulrich Noethen (Bruno Müller / Helmuth Busch), Fabiola Campomanes (Adela), Juan Ríos (José), Arcelia Ramírez (Lucia), Julio Bracho (Serna), Gustavo Sánchez Parra (Luis), Rafael Martin (Burro Prudencio), Carlos Lucas (Matias), Giovanni Florido (Gabriel als Kind), Mickey Santana Arellano (Gabriel als Mann), Juan Carlos Colombo (Schloss), Héctor Ortega (Diaz)

Verloren in der Ideologie

Der Film der mexikanischen Regisseurin Eva López-Sánchez fand ein sehr geteiltes Echo in der Filmkritik. So schreibt die Frankfurter Rundschau: „›Der Idealismus wird mit der Enttäuschung konfrontiert, die Kraft der Entrüstung widersetzt sich dem dunklen Fatalismus‹, formuliert die Regisseurin in einem Text zum Film ihr politisches Credo. Ihr Anliegen mündet ein in die Hohlformeln des Agitprop, denen sich die ebenso analytische wie feinfühlige erste Hälfte des Films widersetzt. Der Film hätte besser daran getan, ganz auf der Seite seines Hauptdarstellers zu stehen. Sehenswert bleibt, wie Ulrich Noethen dem aus Idealismus geborenem Judastum seiner Figur die Dimension einer überhistorischen, universellen Zerrissenheit verleiht.“ Die „Welt“ meint: „Leider vergibt die mexikanische Regisseurin Eva López-Sánchez die große Chance, die tragische Gemeinsamkeit von Verräter und Verratenen aufzuzeigen, die Ausweglosigkeit zwischen dem Tod und der Aufgabe der Ideale. Nein, statt dessen geht es bei ›Francisca‹ nur gepflegt gefühlig und gedehnt langweilig zu.“ Und die „Süddeutsche Zeitung“ findet: „Man könnte dem Film, der im Original ›De que lado estas?‹ (Auf welcher Seite stehst du?) heißt, den Vorwurf machen, dass er sich allzu flach und holprig darbiete. Seine Politthriller-Elemente sind unspektakulär gefilmt, wie in Abbreviaturen. Seine Charakterstudie kommt ohne große Ausbrüche oder tiefschürfende Grundsatzdiskussionen aus. Irgendwann in der Mitte des Films bemerkt man, dass er gerade so die sympathische Gelassenheit eines B-Picture gewinnt“ (1).

Worum geht’s?

1971 kommt ein Mann auf dem Flughafen in Mexiko City an. Der Zollbeamte schaut sich lange seinen Pass an, stempelt ihn dann ab. Helmuth Busch nennt sich Bruno Müller (Ulrich Noethen) jetzt. Er stellt seine Taschenuhr auf mexikanische Zeit, lächelt verhalten, glaubt, dass er hier, fernab seiner bisherigen Heimat, ein neues Leben beginnen kann.

Vor dem Flughafengebäude wird er jedoch bereits erwartet. Zwei Sicherheitsbeamte lotsen ihn in ein Auto und bringen Bruno zu ihrem Chef Diaz (Héctor Ortega), der ihn zwingen will, für die mexikanische Polizei das zu tun, was Bruno bisher für den Staatssicherheitsdienst der DDR getan hatte: als Spitzel zu arbeiten. Diaz weiß genau Bescheid über Brunos Vergangenheit. Sohn kommunistischer Eltern, in der Sowjetunion als Halbwaise aufgewachsen, Geschichtsstudium in der DDR, überzeugter Kommunist, dann Tätigkeit für das „sozialistische Vaterland“ als Mitglied des MfS, erste Zweifel an Politik und System der DDR. Als Bruno seinen besten Freund bespitzeln soll, entschließt er sich zu Desertion und Flucht.

Diaz kennt alle Einzelheiten und stellt Bruno vor die Wahl: Entweder er arbeitet für ihn, um Studenten zu bespitzeln oder er wird in die DDR zurück abgeschoben. Bruno willigt ein: Als Professor für Geschichte mit falschem Pass diskutiert Helmuth Busch alias Bruno mit seinen gegen Ungerechtigkeit und Willkür aufbegehrenden Studenten. Er knüpft erste Kontakte, freundet sich mit den Studierenden an – und verliebt sich in Adela (Fabiola Campomanes). Über sie lernt er auch den Anführer der Studenten José (Juan Ríos) und dessen Frau Lucia (Arcelia Ramírez) sowie Serna (Julio Bracho) kennen. Bruno / Helmuth kommt in eine extreme Konfliktsituation: Er will in Ruhe leben, aber dazu muss er Diaz Informationen liefern; die Studierenden sind seine Freunde, aber er verrät sie, auch wenn er Diaz nur belangloses Material liefert.

Diaz jedoch führt anderes im Schilde: Er verlangt von Bruno, José zu töten. Bruno hat nur eine Wahl – die zwischen drei Waffen. Er nimmt sich eine, in die der Name Francisca eingekerbt ist, und sucht nach José. Er will ihn nicht töten, sondern warnen. Dann wird José aus einem Hinterhalt von einem von Diaz Leuten erschossen, und es sieht so aus soll aussehen, als wenn Bruno der Mörder ist ...

Hintergrund der von Eva López-Sánchez erzählten Geschichte sind die politischen Unruhen Ende der 60er Jahre in Mexiko (vor allem nach Beginn der Olympischen Spiele 1968), die im Blutbad von Tlatelolco endeten, bei dem Hunderte von Studenten ums Leben kamen.

Doch dieser historische Hintergrund, der anfangs des Films in Dokumentaraufnahmen Niederschlag findet, ist nur äußerer Anlass für eine Geschichte der Verstrickung eines Menschen in seine eigene Vergangenheit. Ihren Ausgangspunkt beschreibt die Regisseurin selbst so: „Wir können uns nicht vor unserer Vergangenheit verkriechen. Es ist vielleicht eine Wiederauferstehung nach dem Tode möglich, [...] aber die Wahrheit ist, dass dieses neue Leben das alte nicht ungeschehen machen kann. Es ist belanglos und auch sinnlos zu versuchen, die Verantwortung für das Leben abschütteln zu wollen, das man angeblich hinter sich gelassen hat.“ Dem Film ist weiterhin deutlich anzumerken, dass es López-Sánchez um die Ideale derjenigen geht, die Widerstand gegen Feigheit und Ohnmacht leisteten und dass dieser Kampf oft die Vereinsamung mit sich bringt. „Francisca“ ist im engeren Sinn jedoch kein politischer Film. Er versucht, das Drama eines Menschen zu zeichnen, der glaubt vor seiner Vergangenheit fliehen zu können und sich dabei immer heilloser darin verstrickt.

Den Weg Brunos auf seiner zum Scheitern verurteilten Flucht kontrastiert der Film mit den Studenten und Studentinnen, die gegen das antikommunistische, undemokratische Regime aufbegehren. Ausgerechnet Adela ist es, die letztlich einen ganz anderen Weg wählt als Bruno. Obwohl sie jahrelang nach 1971 noch verfolgt wird, entschließt sie sich zur Rückkehr zu ihren compañeros, um den Kampf fortzuführen, während Brunos Schicksal am Schluss des Films besiegelt scheint (ich will nicht zu viel verraten).

Ich habe erhebliche Zweifel an dieser Geschichte anzumelden. Vorab: Man muss bei der Beurteilung berücksichtigen, dass sich aus einer in vielem unterschiedlichen Situation zwischen in lateinamerikanischen und europäischen Ländern auch differente Sichtweisen sowohl über die politische Situation wie die individuelle Handlungsweise und Mentalität ergeben (können). Doch López-Sánchez zeichnet die Figuren in ihrem Film in einer besonderen Form von Schwarz-Weiß-Malerei. Nicht dass Bruno als durchweg negative und die Studenten als insgesamt positiv stilisiert werden. Aber das Urteil über ihre Figuren liegt von Anfang an klar und deutlich zutage. Sie stehen nicht für sich selbst. Dass, was die Regisseurin selbst beansprucht, erschlägt der Film durch die Art und Weise der Dramatisierung.

Noethen ist der Flüchtende; er will kein Spitzel mehr sein, seinen besten Freund nicht verraten. Mein Gott! Warum hat es in der DDR zu dieser Zeit (1971) nicht wesentlich mehr solcher Menschen gegeben! Die Flucht vor der Vergangenheit, vor einer Diktatur, ist sicherlich immer auch mit der Hoffnung für sich selbst verbunden. Sie ist aber doch verdammt noch mal auch Ausdruck der Abkehr von einem totalitären System. Ulrich Noethen aber ist der, der nicht nur einfach vor seiner Vergangenheit flieht, sondern den die Vergangenheit vollkommen bestimmt. Wenn das richtig sein würde: dass wir alle ausschließlich, unumwunden von unserer Vergangenheit abhängig wären, gäbe es keine Entwicklung, kein Fortkommen, keine Lehre, keine Erkenntnis. Bruno spitzelt wieder, weil er Angst hat, wieder in die DDR zurückgeschoben zu werden. Er wird wieder bewusst zum Instrument einer Staatssicherheit gemacht, und es ist ihm bewusst. Man kann ihm den Vorwurf machen, er hätte seine Freunde, Adela, José und die anderen informieren sollen; vielleicht hätten sie zusammen einen Weg gefunden, sich Diaz zu entziehen. Aber genau dies hat Bruno nicht gelernt und nur insofern (!) ist er von seinem bisherigen Leben noch immer abhängig.

Das alles kann López-Sánchez jedoch nicht vermitteln. Ihr Bruno ist Schicksal, ein Mensch, dessen Weg von Anfang bis Ende vorgezeichnet ist, Spitzel, Deserteur, Verräter, Toter. So einfach scheint Geschichte manchmal zu sein und offenbart sich in diesem Film als eine besondere Form des Geschichtsobjektivismus.

Auf der anderen Seite die Studenten, die gegen das undemokratische Regime in Mexiko kämpfen. Sie erscheinen als Heroen. Adela ist überzeugte Marxistin-Leninistin. Einerseits zeigt López-Sánchez einen vom Schicksal total beherrschten Bruno, andererseits aber Adela, die durch die Begegnung mit diesem Bruno, der ja immerhin seine praktischen Erfahrungen mit Marxismus-Leninismus hat, völlig unbeeindruckt zu sein scheint: Auf der Flucht lehrt sie Jugendlichen das ABC des Marxismus. Überhaupt erscheinen die kämpferischen Studenten und Studentinnen mehr als Heroen, denn als wirkliche Menschen. Die Gefühle, die sie auch zeigen, wirken konstruiert, oft gestelzt, unglaubwürdig, weil auch sie „für etwas“ stehen, aber nicht für sich selbst. Das kann man tatsächlich dann als Agit-Prop titulieren: Die Helden überleben (fast) alle, die Kämpfer sterben den Heldentod – und der Judas?

„Francisca“ ist nostalgische Verklärung und Urteil zugleich. Es besteht kein Zweifel, dass die historischen Umstände, die der Film ausschnittsweise dokumentiert, furchtbar waren. Es darf aber auch kein Zweifel darüber bestehen, dass die Personen im Film zu Schablonen, Abziehbildern, Marionetten einer Ideologie degradiert werden. Ulrich Noethen ist fast überall für seine Darstellung des Bruno gelobt worden. Das kann ich nicht vollständig nachvollziehen, weil auch er eine Person ohne Fleisch und Blut spielt. Der Film ist ein Konstrukt dieser Ideologie von opferbereiten Helden und einem durch und durch schwachen „Verräter“ und Deserteur. Der Chef der Sicherheitsbehörden, Diaz, ist personifizierter Ausdruck des Faschismus, aber eben auch nur Schablone.

Der revolutionären Nostalgie des Films – die nicht einmal in den Bahnen des Marxismus-Leninismus daher zu kommen braucht – entspricht die Verklärung der Geschichte. Ein lautes oder auch leiseres „Ach, ja! Wie haben wir doch gekämpft!“ surrt durch den Kinosaal. Auf der Strecke bleiben die wirklichen und wirkenden Personen, die sich nicht in die engen Bahnen der Verklärung einzwängen lassen, wollen sie nicht an Individualität verlieren. Und genau das ist es: Keine der Figuren lebt. Eva López-Sánchez vermittelt lediglich den Schein von Leben.

Dass zum Schluss der Racheengel auftritt und der Vergangenheit (scheinbar!) zum Recht verhilft, ist nicht dramatischer Höhepunkt, sondern eben Schicksal geschwängerte Geschichtsklitterung.

Eva López-Sánchez versucht, die Instrumentalisierung des Individuums durch Kommunismus wie Faschismus deutlich zu machen. Doch diese Darstellung bleibt äußerlich, oberflächlich, allzu plakativ. Sie scheitert, denn sie instrumentalisiert ihre Figuren selbst zu eigenen Zwecken. Sie lässt Adela aufgrund ihrer kämpferischen Haltung nach Mexiko City zurückkehren, während Bruno auf die Flucht in die USA mit ihr hofft – vergeblich. Für Eva López-Sánchez scheinen privates Glück und Widerstand gegen Ungerechtigkeit nicht zusammenzugehen. Dabei geht nicht nur die von der Idee her interessante und spannende Person des Bruno verloren, sondern auch die revolutionären Studenten. Ihre Mentalität und Haltung bleibt unangetastet. Aber niemand ist von Kritik frei.

(1) Zit. nach angelaufen.de

© Bilder: Media Luna Entertainment