|
Früchte des Zorns (The Grapes of Wrath) USA 1940, 128 Minuten (DVD: 124 Minuten) Regie: John Ford
Drehbuch: Nunnally Johnson, nach dem Roman von John Steinbeck Musik: Alfred Newman, James Kerrigen („Red River Valley“) Director of Photography: Gregg Toland Montage: Robert L. Simpson Produktionsdesign: Richard Day, Mark-Lee Kirk, Thomas Little
Darsteller: Henry Fonda (Tom Joad), Jane Darwell (Ma Joad), John Carradine (Casy), Charley Grapewin (Großvater Joad), Dorris Bowdon (Rose-of-Sharon Rivers), Russell Simpson (Pa Joad), O. Z. Whitehead (Al Joad), John Qualen (Muley Graves), Eddie Quillan (Connie Rivers), Zeffie Tilbury (Großmutter Joad), Frank Sully (Noah Joad)
„We’re the people”
„Mine eyes have seen the glory of the coming of the Lord. He is trampling out the vintage where the grapes oft wrath are stored. He has loosed the fateful lightning of His terrible swift sword His truth is marching on.” (Julia Ward Howe, Battle Hymn of the Republic)
Der nach dem populären, gleichnamigen Roman von John Steinbeck von John Ford gedrehte Film „Früchte des Zorns” ist für den eher als konservativ bekannten Regisseur fast ein Unikum. Obwohl Ford mit „The Informer” (1935) und „How Green Was My Valley” (1941) bereits so etwas wie soziale Protestdramen inszeniert hatte, fällt „The Grapes of Wrath” doch eher aus dem Rahmen. Roger Ebert von der Chicago Sun-Times qualifiziert den Film als sozialistisch in seinen Aussagen. Und auch für Filmhistoriker ist „Früchte des Zorns” der populärste „linkslastige” Film der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg in den USA.
Angesiedelt in den Zeiten der tiefen (Welt-)Wirtschaftskrise handelt „Früchte des Zorns” am Beispiel der Familie Joad von den Millionen Verlierern dieser Depression – einer Familie von Farmern aus Oklahoma, und zwar aus einem Gebiet, das man „The Dust Bowl” nannte, weil dort die einfachen Farmer aufgrund der (zu) geringen Niederschläge in armen und größtenteils erbärmlichen Verhältnissen leben mussten. Sandstürme taten ein übriges, um die Bearbeitung des Bodens schwierig und die Ernten dürftig zu machen. Millionen solcher armer Farmer, die zumeist in extrem ärmlichen Holzhäusern ihr Dasein fristeten, ließen sich in den 30er Jahren von Schwindlern und skrupellosen Abenteurern dazu verleiten, im fruchtbaren „goldenen” Kalifornien eine neue Heimat zu suchen. Von den Einwohnern anderer Staaten verächtlich „Okies” beschimpft, ging die Diskriminierung dieser Farmer so weit, dass sie praktisch aus der hoch gepriesenen amerikanischen Gemeinschaft ausgeschlossen wurden.
Ford inszenierte „Früchte des Zorns – wie schon Steinbeck in seinem weit verbreiteten und in den 50er Jahren auch in der Bundesrepublik Deutschland viel gelesenen Roman – als eine Art Exodus im eigenen Land (im Unterschied zum biblischen Exodus), eine erzwungene Flucht von Amerikanern innerhalb Amerikas.
Der Film beginnt mit Bildern über die erbärmlichen Verhältnisse in Oklahoma und zeigt uns dann einen dieser Farmer, Tom Joad (Henry Fonda in einer seiner glanzvollen Rollen), der gerade aus dem Gefängnis kommt. Tom hatte einen Mann im Streit getötet, der mit einem Messer auf ihn losgegangen war und ihm in den Rücken gestochen hatte. Auf dem Weg zu seiner Familie trifft er auf den ehemaligen baptistischen Prediger Casy (John Carradine), der seinen Beruf respektive seine Berufung aufgegeben hat, weil er seinen Glauben verloren hat. Casy erzählt Tom, dass immer mehr Farmer ihr Land verlassen, weil das Pachtsystem zusammengebrochen ist. Die großen Landeigentümer vertreiben die kleinen Farmer, lösen die Pachtverträge, um die Äcker künftig nach der Vergrößerung der Betriebsflächen mit Maschinen zu bewirtschaften. Als Tom im Haus seiner Familie ankommt, ist niemand mehr da – nur ein verzweifelter Farmer namens Muley (John Qualen), der – schon halb verrückt – von seiner Vertreibung und der anderer Farmer erzählt. Tom trifft seine Familie bei Onkel John (Frank Darien) wieder, entschlossen, ebenfalls in das „gelobte Land” Kalifornien zu ziehen.
Eigentliches Oberhaupt der Familie ist nicht Pa Joad (Russell Simpson), sondern Toms Mutter (Jane Darwell), eine Frau, die man fast schon als Urmutter titulieren könnte, wobei Ford – vielleicht überraschender Weise – darauf verzichtet, Ma Joad in übertrieben pathetischer Weise in der Geschichte wirken zu lassen. Überhaupt verzichten Ford und seine Darsteller auf Pathos, Heldenmut u.ä. Statt dessen setzt der Regisseur auf eine fast schon nüchterne Betrachtung der Ereignisse und Personen, und insbesondere Henry Fonda und Jane Darwell als zentrale Figuren des Films neben John Carradines Casy tun ein übriges, um der Geschichte die nötige Überzeugungskraft und ein gutes Maß an Realismus zu verschaffen.
Der Werbezettel eines betrügerischen Arbeitsvermittlers lockt:
„800 PICKERS WANTED Work in California Good Wages Tents and Cabins Furnished Free. Store on Camp Ground Busy from October to February COME AT ONCE!”
Die Familie packt zusammen, was sie noch hat; der kleine, alte Truck ist überfrachtet. Das bisschen Geld, das noch übrig ist, muss vor allem für Benzin ausgegeben werden. Zur Familie gehören noch der Großvater, den man mit einer Medizin heimlich betäuben muss, weil er seine Heimat nicht verlassen will, und seine Frau, die später – vor allem wegen der Schmerzen über die Vertreibung aus ihrer Heimat – sterben werden –, vier weitere Söhne von Ma Joad und eine schwangere Tochter namens Rosasharn, deren Mann später spurlos verschwinden wird, weil er keinen Mut hat, in Kalifornien ein neues Leben anzufangen, und Onkel John. Und auch Casy kommt mit.
Ford zeigt den Exodus als teilweise qualvollen Wegzug aus Oklahoma, der aber auch beherrscht wird von der Hoffnung der Familie auf ein menschenwürdiges Dasein in Kalifornien. Polizisten, Sheriffs und Deputies, Wachpersonal auf den großen Anbauflächen im fruchtbaren Kalifornien und viele Menschen, die nicht so arm dran sind wie die Joads und die Zehntausenden von anderen Vertriebenen, stehen für ständige Kontrolle, Diskriminierung und Verachtung der „Okies”. Aber es gibt – auch das zeigt Ford – auch andere. Als die Joads in einem Schnellrestaurant um ein Brot bitten, aber nur 15 Cent dafür zahlen können, weil sie das andere Geld für Benzin benötigen, hat der Besitzer Erbarmen mit ihnen. Die Polizeikontrollen auf dem langen Weg haben vor allem zwei Gründe: Man will verhindern, dass die Vertriebenen mit Pflanzensamen nach Kalifornien fahren. Jede Lebensgrundlage als Farmer soll ihnen entzogen werden. Zum zweiten wollen die Verantwortlichen in den Durchgangsstaaten bis Kalifornien verhindern, dass sich die armen Schlucker dort sesshaft machen.
Drei Lager durchqueren die Joads im „gelobten Land”. Zunächst das „Hooverville Transient-Migrant Camp”, in dem sich alle Okies aufhalten müssen, weil sie in den Städten nicht campieren dürfen – ein Lager von Ausgesetzten, eine Art Slum, der immer wieder überfallen wird und in dem ein skrupelloser Arbeitsvermittler Leute für ein paar Cent anwerben will. Tom Joad schützt einen der Vertriebenen, der gegen den Arbeitsvermittler protestiert und daraufhin von einem Sheriff als „Aufrührer” festgenommen werden soll. Tom schlägt ihn nieder.
In einem weiteren Lager „The Keene Fruit Ranch” kommen die Joads an, als dort gerade die Arbeiter streiken, weil ihnen der Besitzer der Orangenplantagen nur noch die Hälfte des Lohns zahlen will: 2,5 Cent pro Eimer. Die Joads wissen nichts von diesem Streik und lassen sich wie viele andere anwerben. In dem total überwachten Lager wird jede Lebensregung beobachtet und nach gefährlich oder harmlos eingestuft. 5 Cent bekommen die ahnungslosen Streikbrecher – bis die Streikfront zusammenbricht.
Und dann erreichen die Joads ein Regierungslager, „The Farmworker’s Wheat Patch Government Camp”, eingerichtet vom Landwirtschaftsministerium und geleitet von einem Mann, der in Aussehen, Kleidung und Verhalten der Person des damaligen amerikanischen Präsidenten Roosevelt sehr nahe kommt. Hier gibt es keine Polizei, keine Überwachung, aber hygienische Verhältnisse, Solidarität und Frieden. Selbst einer Provokation von Deputies, denen das Camp ein Dorn im Auge ist, begegnet man mit Gelassenheit und einem Trick, der die Intrige zunichte macht.
Doch auch hier kann die Familie, die angesichts der häufigen Entbehrungen auseinander zu brechen droht, nicht für immer bleiben – zumal Tom polizeilich gesucht wird, weil er (sowieso nur auf Bewährung entlassen) bei einem Überfall von Plantagenaufsehern auf Casy, bei dem dieser getötet wurde, einen der Aufseher aus Notwehr getötet hatte.
Ford lässt den Film in gewisser Hinsicht dann doch heroisch enden. Tom entscheidet sich, das Werk Casys, der gegen soziale Ungerechtigkeit kämpfen wollte, fortzusetzen, während Ma Joad entschlossen ist, sich und den Rest ihrer Familie nie wieder unterkriegen zu lassen. In einem Schlussdialog mit Tom sagt sie u.a.:
„Rich fellas come up an’ they die an’ their kids ain’t no good, an’ they die out. But we keep a-comin’. We’re the people that live. They can’t wipe us out. They can’t lick us. And we’ll go on forever, Pa ... cause ...we’re the people.”
Doch selbst dieser Heroismus erscheint eher aus einer nüchternen Perspektive und daher dem Realismus verhaftet, der den gesamten Film kennzeichnet. „Früchte des Zorns” ist im übrigen alles andere als ein Propagandafilm, was von John Ford auch kaum zu erwarten war. Die nüchterne Darstellung der Verhältnisse ist aber sicher eine der gelungensten Anklagen gegen die krasse soziale Ungerechtigkeit jener Jahre im Gefolge der Weltwirtschaftskrise – eine Anklage vor allem gegen die Skrupellosigkeit der die Notlage der „Okies” ausnutzenden Plantagenbesitzer und gegen die Gleichgültigkeit vieler anderer Amerikaner und deren Verachtung der Millionen verarmten Mitbürger – ganz anders also angelegt als die bekannten Western des Regisseurs, in denen der Westen oft maßlos glorifiziert wurde.
Dies gilt selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Ford den Film viel optimistischer enden lässt als Steinbeck seinen Roman. Der endet mit dem Tod Casys, Rosasharn verliert ihr gerade geborenes Baby und gibt einem hungernden Mann auf der Straße ihre mit Milch gefüllten Brüste und Tom wird während einer Auseinandersetzung beim Streikbrechen übel verprügelt.
Trotz der Nüchternheit der Darstellung ist „Früchte des Zorns” auch ein sentimentaler Film, ein Streifen, dessen Inhalt berührt, was nicht zuletzt auf der grandiosen Darstellung durch Fonda und Jane Darwell beruht, die für ihre Rolle zu Recht einen Oscar bekam. Gerade im Verhältnis zwischen Tom und seiner Mutter kommt der schier ungebrochene Lebensmut und Wille von Menschen zum Ausdruck, sich durch nichts unterkriegen zu lassen und zusammenzuhalten – gleich einer Sisyphus-Arbeit. Auch wenn diese Mentalität auf typische amerikanische Weise vor allem als typisch amerikanisch dargestellt wird und Fondas spätere Rolle als tadeloser Amerikaner begründete, tut dies dem positiven Eindruck, den der Film hinterlässt, keinen Abbruch – denn die Darstellung lässt sich trotzdem insofern verallgemeinern, als sie auf ähnliche Situationen in anderen Ländern durchaus übertragbar erscheint.
© Bilder: 20th Century Fox Screenshots von der DVD
|