Gattaca
(Gattaca)
USA 1997, 112 Minuten
Regie: Andrew Niccol

Drehbuch: Andrew Niccol
Musik: Michael Nyman
Kamera: Slawomir Idziak
Schnitt: Lisa Zeno Churgin
Produktionsdesign:

Darsteller: Ethan Hawke (Vincent Freeman), Uma Thurman (Irene Cassini), Jude Law (Jerome Eugene Morrow), Gore Vidal (Direktor Josef), Yander Berkeley (Dr. Lamar), Jayne Brook (Marie Freeman), Elias Koteas (Antonio Freeman), Blair Underwood (Gen-Spezialist), Chad Christ (Vincent als Kind), William Lee Scott (Anton als Kind), Ernest Borgnine (Caesar), Tony Shalhoub (German), Alan Arkin (Inspektor Hugo), Loren Dean (Anton)

Schöne neue Welt ... Valids and Invalids

Zukunfts-Szenarien, die ohne knallende Effekte auskommen, sind eher selten. Der neuseeländische Regisseur und Drehbuchautor Andrew Niccol, der u.a. das Drehbuch zu „The Truman Show“ (1998) schrieb, erreichte 1997 mit seinem Debutfilm eine respektable Leistung über eine Welt, deren Regeln nicht so unwahrscheinlich erscheinen wie in manch anderen Sciencefiction-Filmen. In der Welt von „Gattaca“ werden Menschen nicht mehr nach Blut, Hautfarbe oder anderen äußeren Merkmalen unterschieden. Der genetische Code ist das Differenzierungsmerkmal, das hart diejenigen, deren genetische Kombination wissenschaftlich überwacht wurde – also Retortenmenschen, die „perfekt“ zusammengebaut wurden –, von denen unterscheidet, die noch auf „alte Art“ gezeugt wurden oder einen genetischen Defekt aufweisen. Die letztere Gruppe dieser Gesellschaft des 21. Jahrhunderts werden als „Invaliden“ eingestuft. Ihnen bleiben die Handlangerdienste in einer von den „perfekten“ Menschen geführten und streng kontrollierten und überwachten Gemeinschaft.

Vincent Freeman (Ethan Hawke) gehört zu den „Invalids“. Seine Eltern erfüllten sich in einer schon von der Gentechnologie und ihrer Ideologie des perfekten Menschen beherrschten Gesellschaft noch den Traum vom natürlich geborenen Kind. Sein jüngerer Bruder Anton (Loren Dean) dagegen gehört zu den Retortenkindern.

Vincent leidet unter starker Kurzsichtigkeit und hat schwere Herzprobleme. Die Ärzte sagten seinen Eltern voraus, dass er eine Lebenserwartung von nicht mehr als 30 Jahren habe. Schon als Kind wollte Vincent sein Schicksal nicht einfach hinnehmen. Im Wettschwimmen mit seinem Bruder verlor er zwar regelmäßig, doch eines Tages war er stärker als Anton und rettete ihm das Leben.

Als Erwachsener ist Vincent Mitglied einer Putzkolonne in den Räumen der Gattaca Aerospace Corporation. Sein Traum ist es, mit dem ersten bemannten Raumschiff zum Saturn, genauer zu einem seiner Monde zu fahren: Titan. Über einem kriminellen Mittelsmann bekommt er Kontakt zu Jerome (Jude Law), der zwar genetisch perfekt konstruiert, durch einen Unfall (Selbstmordversuch) aber an den Rollstuhl gefesselt ist. Jerome verkauft Vincent seine Identität, einschließlich Urin und Blut, soweit Vincent dies für die Kontrolluntersuchungen bei Gattaca benötigt, Fingerabdrücke, Haare und anderes. Von jetzt an scheinen sich Vincents Träume zu erfüllen. Er wird zum respektierten Mitarbeiter bei der Firma, steigt vom Programmierer auf zum Kandidaten für den Weltraumflug zum Saturn.

Eine Woche vor dem Start zu Titan allerdings gerät Vincent in eine gefährliche Situation. Einer der Direktoren der Gattaca Corporation wird ermordet. In einem Raum finden Polizisten unter Leitung des ermittelnden Inspektors Hugo (Alan Arkin) eine Wimper, die einem Invaliden zugeordnet werden kann – Vincents Wimper höchstwahrscheinlich. Für Vincent, der sich gerade mit der ebenfalls bei Gattaca arbeitenden Irene (Uma Thurman) angefreundet hat, beginnt ein Kampf nicht nur um die Teilnahme am Start, sondern um sein Leben. Wenn seine wahre Identität entdeckt wird, wird er als Mörder verurteilt werden für eine Tat, die er nicht begangen hat ...

Slawomir Idziak fotografierte eine kalte, gefühllose, spartanische, elegant-langweilige Welt, in der Computersysteme und Gentechnologie über die soziale Zugehörigkeit entscheiden. Die Schärfe, die Härte dieser Spaltung in „Valids“ und „Invalids“ ist so enorm, dass zwar ein Abstieg zu den „Invalids“ möglich ist – wie bei Jerome –, ein Aufstieg zur Elite aber ausgeschlossen. Darüber wacht ein ausgeklügeltes System hochentwickelter technischer Kontrollen und der Polizeiapparat. Die Welt von Gattaca, ist trist, trügerisch ruhig. Die Menschen bewegen sich wie Anhängsel einer automatisierten sozialen Szenerie. Die hochgesteckten Ziele – z.B. die Reise zu Titan – scheinen nur weitere Schritte einer Gesellschaft zu sein, in der gemacht wird, was machbar ist. Die Menschen leben länger, gesünder, sind wohlgeformt – aber wozu? Die Eltern bestellen sich perfekte Kinder, die keine Zeit damit verschwenden zu rebellieren, sondern schon früh ihre spätere Karriere im System der Perfektion angehen. Selbst klassische Musik wird zur Vollkommenheit geführt: ein Pianist spielt mit zwölf Fingern, um ein klassisches Musikstück zur vermeintlichen Perfektion zu treiben.

Mit dieser Welt kann sich Vincent nicht abfinden. Er will nicht sein Leben lang putzen. Doch was bleibt ihm? Ein Traum, der Traum, Titan von Nahem zu sehen, durch die Weite des Alls zu schweben. Für ihn ist Titan nicht irgendein Ziel um des Ziels willen. Wichtiger ist ihm der Weg, um dorthin zu kommen, das Ausleben seiner Phantasie, seiner Gefühle, seiner Leidenschaften, aber unter extrem erschwerten Umständen. In der Figur des Vincent setzt Niccol einen deutlichen Kontrapunkt zur „Neuen Welt“ von Gattaca. Vincent entwickelt Phantasie, die in seinem Fall nach den Gesetzen von Gattaca krimineller Energie gleichkommt, er muss geschickt sein, extrem vorsichtig usw.

In zwei, drei Szenen sieht man Vincent, wie er sich Haut und Haare bürstet. Man glaubt einen Neurotiker vor sich zu haben. Der Sinn liegt darin, keine Spuren zu hinterlassen, die seine Identität verraten könnten. Insbesondere nach dem Mord schnüffelt Inspektor Hugo hinter all diesen Dingen besonders penibel her. Die Reinlichkeit, zu der Vincent gezwungen ist, macht sie ihn vielleicht doch neurotisch? Dazu kommen Urin und Blut, die Jerome für ihn im Kühlfach sammelt und Vincent noch extremer seiner Identität berauben. Er ist auf die Körpersäfte, äußere Merkmale eines anderen fast vollständig angewiesen. Er ist nicht er selbst und kämpft verzweifelt darum, es wieder zu werden.

Vincent will zu Titan, das einzige Ziel, in dem er für sein Leben noch einen Sinn sieht, und muss dafür alles aufgeben, was er ist: sein Ich. Hätte er nicht Jerome, würde er wahrscheinlich daran zugrunde gehen. Jerome seinerseits hat nur noch ein Ziel in seinem Leben: Dass das sich fortsetzt, was ihm selbst durch den Unfall vergönnt ist: irgendwie wieder Mensch zu sein. Für Jerome, dem aus der Elite Herabgestürzten, dem „gefallenen Engel“ spielt vielleicht auch Rache eine Rolle, wenn er Vincent nicht nur seine Identität verkauft, sondern ihm in jeder Hinsicht und so gut er kann hilft, und die Einsicht, dass diese Welt keine menschliche mehr ist.

Vor allem aber verbindet beide eine unausgesprochene Zuneigung, die zwar daraus entsteht, dass beide aufeinander angewiesen sind, aus der unterschiedlichen Not, die beide zwingt, eine Zuneigung, die aber dennoch frei von Zwang wird. In beiden Figuren treffen sich sozusagen die Reste der Rebellion, des inneren Widerstandes gegen die soziale Kälte und Härte in Gattaca.

Irene steht da zunächst eher im Abseits. Auch Dr. Lamar (Xander Berkeley), der die medizinischen Kontrollen durchführt, bleibt im Verborgenen von Gattacas scheinbarer Übermacht. Erst gegen Ende des Films erweist sich, dass Jerome und Vincent nicht allein sind. Für Vincent ein Anfang, aber von was? Für Jerome das Ende.

Jude Law spielt einen verbitterten, enttäuschten Mann, der in Vincents Träumen eine Chance sieht, dem Sozialwesen entgegenzutreten, das ihn gnadenlos fallen gelassen hat. Ethan Hawke verkörpert einen Mann, der von seinem Kindheitstraum nicht lassen will, der ihm zur einzigen Chance geworden ist, der „Neuen Welt“ zu entkommen. Der Tod des einen ist die Flucht des anderen. An diesem Punkt kommt der tiefe Pessimismus des Films zum Ausdruck, obwohl Vincent sein Ziel erreicht.

Kritisch wäre anzumerken, dass im zweiten Teil – nach dem Mord an dem Direktor der Gattaca Corporation – der Film zu sehr in Richtung Kriminalstory entwickelt wird und insgesamt das Drehbuch zu wenig über die politischen Verhältnisse in der „schönen neuen Welt“ offenbart. Mir fällt dazu z.B. ein: Wie hätte eine Szene ausgesehen, in der Eltern miteinander darüber sprechen, wie ihre Kinder genetisch konstruiert sein sollen? Auch die Liebesgeschichte zwischen Irene und Vincent fällt ein bisschen aus dem Rahmen und ist zu lasch erzählt, um zur Handlung wirklich etwas beitragen zu können. Die Konfliktsituation, in die Irene kommt, nachdem sie erfährt, dass Vincent ein „Invalid“ ist, gibt es im Grunde im Film nicht, obwohl sowohl Loyalitätsprobleme als auch ein innerer Konflikt durch diese Enthüllung entstehen müssen.

„Gattaca“ ist ein extrem ruhiger, gelassener Film. Diese Ruhe fühlt sich oft an wie die Ruhe vor einem vernichtenden Sturm, der alles zerbersten lässt. Doch wenn man genau hinschaut, ist schon fast alles zerrissen. Trotz einiger Mängel – wie dargestellt – eine exzellentes Beispiel für einen Sciencefiction, der ohne Weltraumkämpfe auskommt und sich an einer Vision abarbeitet, die nicht allzu fern liegen muss.