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Geographie der Angst (auch: Komplizinnen aus Angst) (Pelon maantiede) Finnland, Deutschland, Schweden 2000, 95 Minuten Regie: Auli Mantila
Drehbuch: Auli Mantila, nach dem Roman von Anja Snellman Musik: Hilmar OR Hilmarsson Director of Photography: Heikki Färm Montage: Kimmo Taavila Produktionsdesign: Tiina Tuovinen, Jukka Uusitalo
Darsteller: Tanjalotta Räikkä (Oili Lyyra), Leea Klemola (Maaru Tang), Anna-Elina Lyytikäinen (Laura Lyyra), Kari Sorvali (Eero Harakka), Kaarina Hazard (Kristiina Kukkonen), Eija Vilpas (Saara Tanner), Elsa Saisio (Riika Malkavaara), Maaria Rantanen (Leenakaisa Sukunen), Irma Junnilainen (Johanna Louhimies), Pertti Sveholm (Rainer Sakari Auvinen), Heikki Nousiainen (Tarmo Lipponen), Johan Storgård (Johan Ahlbäck)
Das Gespenst der Angst
Die Leiche, die die Polizei aus Helsinki aus dem Wasser holt, ist weitgehend verwest. Man sieht fast nur noch Knochen. Bekleidet ist die männliche Leiche nur mit einer roten Badehose. Die Gerichtsmedizin hat eine schwierige Aufgabe, um die Leiche zu identifizieren. Eero Harakka ist der ermittelnde Kriminalbeamte. Seine Freundin Oili Lyyra, eigentlich Zahnärztin, ist – wie in solchen Fällen üblich – dem Pathologen Lipponen behilflich. Doch dieser Fall erweist sich für die Polizei, vor allem aber für Oili als besonderer Fall. Lange tappen Eero und sein Kollege Ahlbäck im Dunkeln.
Auli Mantila inszenierte „Pelon maantiede” nach einem Roman Anja Snellmans, einer zumindest in Finnland sehr bekannten Autorin, die sich in ihrem Roman mit den Folgen von Vergewaltigung und männlicher Gewalt und den Reaktionen und Ängsten der Opfer. Die Ärztin Oili spielt dabei eine zentrale Rolle. Sie lernt einige Tage nach dem Leichenfund die Freundinnen ihrer Schwester Laura kennen, eine Gruppe von Frauen, die Oili anfangs sehr unsympathisch sind. Zu ihnen gehört Maaru Tang, eine Frau, die schreibt und Vorträge hält, im Fernsehen Interviews gibt – über Angst und die Bedingungen für ein Leben ohne Angst.
Laura ist eine sehr verstörte Frau, eine, die sich durch Oili schon lange bevormundet fühlt, die ihr Studium der Medizin vor fünf Jahren aufgegeben hat und seitdem beruflich und privat keinen Fuß fassen konnte, eine, die sich der Gruppe um Maaru angeschlossen hat, einer Frauengruppe. Kurze Zeit, nachdem Oili die Frauen kennen gelernt hat, trifft sie sie nachts wieder. Und die Frauen erzählen ihr, sie hätten den Mann, den die Polizei tot aus dem Wasser gefischt hat, getötet. Unabsichtlich, wie sie sagen. Denn eigentlich hätten sie ihm nur eine Lektion erteilen wollen, weil er zu jenen Männern gehöre, die sich gewaltsam an Frauen heranmachen. Sein Herz habe versagt, und deshalb habe man sich der Leiche entledigt und sie ins Wasser geworfen.
Oili ist geschockt, vor allem, weil sie vermutet, dass auch ihre Schwester bei dieser Tat mitgemacht hat. Die Frauen verlangen von Oili, die Identifizierung des Toten zu verhindern. Sie schwankt zwischen ihrer Pflicht als Pathologin, ihrer Vertrauensposition gegenüber Eero und der Angst um ihre Schwester. Dann passieren zwei Dinge, die Oili noch weiter in den Konflikt hineintreiben. Ihre Schwester selbst wird Opfer eines brutalen Überfalls. Zum zweiten: Die Frauengruppe hat ihr nächstes Zielobjekt ausgemacht: den Fahrlehrer Auvinen, der die junge Riika während einer Fahrstunde zu erpressen versucht. Sie bekomme den Führerschein ohne Probleme, wenn sie mit ihm in ein Hotel gehe. Die Frauen greifen sich Auvinen ...
„Pelon maantiede” ist zunächst einmal ein düsterer Thriller. Alles scheint beherrscht durch Gewalt und Gegengewalt, und auch die Beziehungen aller Personen untereinander sind kompliziert und komplex, z.T. von verbaler Gewalt und oft von gegenseitigem Unverständnis geprägt. So etwa das Verhältnis zwischen Oili und Eero, das zwischen Oili und ihrer Schwester, aber auch die Beziehungen innerhalb der Frauengruppe, zu der noch Kristiina, Saara, Leenakaisa und Johanna gehören, alles Frauen, die in ihrer Vergangenheit Gewalt durch Männer erfahren haben, und die Beziehungen Oilis zu der Frauengruppe, die sich zum Ziel gesetzt hat, gewalttätigen Männern Lektionen zu erteilen.
Im Zentrum aber steht vor allem Oili selbst, die Gewalt genauso verabscheut wie die Frauen der Gruppe und daher auch deren Verhalten missbilligt. Als Laura jedoch Opfer einer Gewalttat wird, gerät sie in schwere Gewissens- und Loyalitätskonflikte. Sie will ihre Schwester schützen, fordert sie im Krankenhaus auf, das Land zu verlassen, weil sie an der Tötung des Mannes beteiligt war. Es sind jetzt vor allem Ängste, die Oili beherrschen. Und auch bei den Frauen der Gruppe herrscht Angst, nicht so sehr davor, dass sie falsch handeln, sondern davor, als Täterinnen entlarvt zu werden und ihre Ziele nicht weiter verfolgen zu können.
Auli Mantila inszeniert eine Art Netzwerk der Angst, das für die Männer des Films, also v.a. Eero und seinen Kollegen Ahlbäck, nicht greifbar, nicht erkennbar ist. Sie sind Polizisten, und der Fall ist ein Fall wie jeder andere, selbst als Eero dahinter kommt, dass Oili mehr weiß, als sie zugibt. In diesem Moment reagiert er ausschließlich „polizeitaktisch”: Ob sie mehr wisse und was sie wisse – während er die gespannte Gefühlssituation Oilis überhaupt nicht erkennt.
Andererseits schildert die Film – teilweise sehr plakativ, aber nicht unrealistisch – das Denken der Frauen der Gruppe um Maaru. Bei einem letzten Vortrag Maarus vor der Flucht der Frauen aus Finnland sagt sie: Man dürfe Grenzüberschreitungen nicht dulden. Jedes Mitglied der Gesellschaft sei verantwortlich dafür, Grenzen zu respektieren. Nur so sei ein Leben ohne Angst möglich. Toleranz und Gespräche seien im Fall von Grenzüberschreitungen nicht angebracht. Handeln sei in solchen Fällen notwendig – wobei sie natürlich insgeheim das Handeln meint, dass sie und ihre Gruppe praktizieren. Selbst in diesem Moment scheinen bei Maaru kaum Zweifel am eigenen Verhalten aufzukommen. Sie bietet Oili sogar an, mit ihr und den anderen Frauen Finnland zu verlassen.
Trotz dieser Darstellung gehört „Pelon maantiede” nicht zu jenen stark plakativen Filmen, die nichts anderes im Sinn haben, als Selbstjustiz zu predigen nach dem Motto vieler Frauengruppen der 70er Jahre „Vergewaltiger, wir kriegen dich.”
Am Schluss des Films bleibt ein Gefühl der Unsicherheit, der Haltlosigkeit, der Ratlosigkeit, auch der Angst – vor allem personifiziert in Oili –, und vor allem in Bezug auf die Unfähigkeit der „zivilisierten” Gesellschaft, der zunehmenden Gewalt gegenüber Frauen zu begegnen. Diese Unfähigkeit personifiziert sich vor allem in den männlichen Polizeibeamten, die zwar ermitteln, wer für die Tat verantwortlich ist, denen aber jedes Gefühl und Verständnis für das Handeln der Frauen zu fehlen scheint. Sie zeigt sich aber auch in Bezug auf die Frauengruppe selbst, die Gleiches mit (fast) Gleichem vergelten will und dies für einen zivilisatorischen Fortschritt hält und nicht nachvollziehen kann, dass ihre Selbstjustiz selbst eine Grenzüberschreitung darstellt – wenn auch geboren, und das darf man nicht vergessen, aus der Angst, die sich in Wut, Hass und Rachegefühle verwandelt hat.
Man mag den Film an manchen Stellen für „wirr” inszeniert halten. Aber diese „Wirrniss” deckt sich eher mit der Wirrniss, den Ängsten und Konfliktsituationen vor allem Oilis, die durch die Geschichte aus der Bahn geworfen wird. Insofern ist „Pelon maantiede” der weitgehend gelungene Versuch, die Ängste und Konflikte einer Frau auch visuell in Szene zu setzen.
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