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Getaway (The Getaway) USA 1972, 122 Minuten Regie: Sam Peckinpah
Drehbuch: Walter Hill, nach einem Roman von Jim Thompson Musik: Quincy Jones Director of Photography: Lucien Ballard Montage: Robert L. Wolfe Produktionsdesign: Angelo P. Graham, Ted Haworth, George R. Nelson
Darsteller: Steve McQueen (Carter „Doc” McCoy), Ali McGraw (Carol Ainsley McCoy), Ben Johnson (Jack Benyon), Sally Struthers (Fran Clinton), Al Lettieri (Rudy Butler), Richard Bright (Dieb im Bahnhof), Jack Dodson (Harold Clinton), Dub Taylor (Laughlin), Bo Hopkins (Frank Jackson)
Fluchtwege?
„Amerika verschließt seine Augen vor dem Hunger und der Gewalt, man muss diesem Amerika die Augen öffnen!“ (Sam Peckinpah)
Wenn Toots Thielemans, einer der wohl bekanntesten Jazzmusiker der damaligen Zeit und auch heute noch, auf seiner Mundharmonika Quincy Jones Liebeslied spielt, so wirkt dies zur Handlung des Films bzw. zur Art und Weise der unterkühlten Inszenierung der Geschichte um Doc McCoy und seine Frau Carol wie eine Art musikalischer Kontrapunkt. Man hat Peckinpah, einem der wohl umstrittensten Regisseure jener Zeit, vorgeworfen, er habe in diesem Film dem Machismo gehuldigt und Frauen als dumm und hinterhältig (so die Rolle der Fran Clinton) bzw. untertänig (so die Rolle der Carol McCoy) dargestellt. Außerdem habe Peckinpah ein gestörtes Verhältnis zur Gewalt. Andererseits heißt es, der Regisseur habe selbst heftig gegen den fertigen Film protestiert, auf dessen Inszenierung kein anderer als Steve McQueen enormen Einfluss genommen habe. Doch Peckinpah, auch das muss man berücksichtigen, hat Zeit seines Lebens gegen die Verschnitte seiner Filme protestiert und protestieren müssen.
Peckinpah erzählt die Geschichte von Carter, genannt Doc, McCoy (Steve McQueen) und seiner Frau Carol (Ali McGraw). Doc sitzt seit vier Jahren wegen bewaffneten Raubüberfalls im Gefängnis. Die Bewährungskommission lehnt seine vorzeitige Haftentlassung trotz guter Führung ab. Sheriff und Lokalpolitiker Jack Benyon (Ben Johnson), der McCoy gut kennt und vor allem weiß, wie übermäßig hart das Eingesperrtsein für McCoy ist, schlägt ihm einen Deal vor: Er will seinen Einfluss geltend machen, damit Doc doch noch vorzeitig entlassen wird. Im Gegenzug verlangt Benyon von Doc, er solle für ihn einen Banküberfall durchführen. Der korrupte Benyon, sein Bruder und seine Hilfssheriffs haben sich bei der in Aussicht genommenen Bank über Benyons Bruder, der bei der Bank im Vorstand sitzt, bereits illegal mit 250.000 Dollar bedient. Doc bittet Carol, Benyon auszurichten, er sei jetzt mit dem Deal einverstanden. Was er nicht weiß: Benyon verlangt von Carol, Doc nach dem gelungen Coup zu erschießen.
Benyon will, dass Doc mit zwei Leuten des Sheriffs den Banküberfall durchführt: dem jungen unerfahrenen Jackson (Bo Hopkins) und dem skrupellosen Butler (Al Lettieri). Doc weiß, dass der Safe der Bank jeden Morgen für einige Minuten geöffnet wird. Er durchtrennt die elektrischen Leitungen im Keller der Bank, während Jackson und Butler die Bank überfallen und die Angestellten in Schach halten. Doc räumt derweil den Tresor aus. Mit 500.000 Dollar verlässt man die Bank. Das ganze hat nur einen Haken: Der nervöse Jackson erschießt den einzigen bewaffneten Wachmann der Bank. Dafür muss er mit dem Leben bezahlen – Butler erschießt Jackson, weil er das Geld für sich allein haben will, und hat auch vor, Doc ins Jenseits zu befördern, bevor der das Geld zu Benyon bringen kann. Doch Doc ahnt dies und ist schneller und schießt auf Butler, der tot zu sein scheint. Weit gefehlt: Eine kugelsichere Weste rettet ihm das Leben; nur ein Schlüsselbeinbruch zwingt ihn dazu, einen Arzt namens Clinton (Jack Dodson) aufzusuchen. Damit der und dessen Frau Fran (Sally Struthers) ihn nicht bei der Polizei verpfeifen, nimmt er beide als Geisel auf dem Weg nach El Paso. Butler wie Benyon ist bekannt, dass Doc nach dem Coup dort vorläufig untertauchen will, um dann nach Mexiko zu türmen. Butler hat nur eines im Sinn: Doc das Geld abzujagen und ihn zu töten.
Währenddessen erreichen Doc und Carol Benyons Haus. Benyon hofft auf die Abmachung mit Carol, ihren Mann zu erschießen. Doch Carol tötet nicht ihren Mann, sondern Benyon.
Es beginnt eine Jagd auf das Geld auf Leben und Tod: Der Bruder des Sheriffs einerseits und Butler mit seinen Geiseln andererseits jagen Doc und Carol. Erschwerend kommt hinzu, dass Carol in einem Bahnhof auf einen Trickdieb hereinfällt und sich die Tasche mit der Beute wegnehmen lässt ...
Die unterkühlte, man könnte fast sagen: gefühllose Inszenierung dieser – im übrigen durchaus spannenden, manchmal zum Zerreißen spannenden – Geschichte durchzieht so gut wie den ganzen Film. Fast keiner der Beteiligten zeigt in irgendeiner Weise Emotionen, nicht einmal Butler, dessen Schwur, McCoy zu töten, von ihm fast schon maschinell in Worte gefasst wird. Noch deutlicher scheint diese mentale Kälte in der Beziehung zwischen McCoy und Carol zu existieren. Als McCoy von dem heimlichen Deal zwischen Carol und Benyon erfährt, ohrfeigt er Carol mehrfach (wohl eine der Szenen, die Peckinpah den meiner Meinung nach haltlosen Vorwurf, er himmle den Machismo an, eingetragen haben). Auch diese Szene scheint geprägt von emotionaler Kälte. McCoy scheint mechanisch zu reagieren. Die Personen erscheinen wie in einem inneren Käfig gefangen, der sie daran hindert, über ihr Verhalten nachzudenken, geschweige denn, dass sie Gefühle zeigen würden und wollten.
Gleiches gilt für Butler, der sich während der Fahrt nach El Paso an Clintons Frau heranmacht, in einem Hotelzimmer mit Fran im Bett liegt, während der auf einem Stuhl gefesselte Clinton zusehen muss, wie die naive und laute Fran mehr und mehr Gefallen an dem skrupellosen Gangster zu finden scheint. Fran wird als Flittchen, das zudem dumm und naiv ist, dargestellt, was wiederum hervorragend zu der Skrupellosigkeit Butlers zu passen scheint. Auch der Showdown im Hotel in El Paso, in dem sich Doc und Carol, die Bande des Bruders des Sheriffs und Butler einfinden, ist geprägt von nackter Gewalt – nach dem Motto: Nur eine Seite wird übrig bleiben und mit dem Geld verschwinden.
Man könnte Peckinpah sogar den Vorwurf machen – und er ist ihm gemacht worden –, er ignoriere absichtlich, dass McCoy letztendlich nicht besser ist als Butler bzw. die Kumpanen des Sheriffs. McCoy hat keine Skrupel, diejenigen, die sich ihm in den Weg stellen, zu töten.
Bei näherer Betrachtung allerdings muss man dieses Bild relativieren. Denn die anfangs erwähnte Musik Quincy Jones ist tatsächlich mehr als ein Hinweis auf anderes. Immer wieder durchbrechen einzelne Bilder und Szenen das scheinbar Vorgefertigte dieser Kälte des Films. Da ist z.B. die Beziehung zwischen den McCoys, etwa, dass Carol den Deal mit Benyon nur eingegangen ist, um ihren Mann nicht nur aus dem Gefängnis zu holen, sondern durch Überrumpelung des Sheriffs diesen los zu werden und mit Doc verschwinden zu können, um ein anderes Leben zu führen. Emotionale „Einsprengsel“ enthält der Film immer wieder. Besonders in einer Szene wird dies deutlich, als die beiden auf der Flucht in einem Müllwagen auf der Deponie ausgekippt werden und in einem Autowrack – völlig verschmutzt und fertig – sich gegenübersitzen. Carol ist wütend auf McCoy, weil der nicht erkannt hat, dass sie aus Liebe zu ihm auf den Deal mit Benyon scheinbar eingegangen war. In ihrer Wut sagt sie, sie wolle ihn verlassen. McCoy antwort leise: Man könne sich jetzt trennen oder es nochmals miteinander versuchen. Carol weint, und beide ziehen zusammen weiter.
Auch der während der ganzen Fahrt nach El Paso stumm bleibende Arzt Clinton reagiert aus tiefer Enttäuschung: Er erhängt sich im Bad eines Hotels, weil er die „Liaison” zwischen Fran und Butler nicht mehr ertragen kann, völlig verzweifelt über seine Frau, vielleicht auch in der Gewissheit, dass Butler ihn in absehbarer Zeit ermorden wird.
Auch die Schlussszene deutet auf diesen Kontrapunkt in Peckinpahs Film zu der ansonsten gezeigten, durch Gewalt und Gefühllosigkeit geprägten Atmosphäre. Auf der Flucht nach Mexiko bedienen sich McCoy und Carol eines älteren Mannes, der die beiden, wie er sagt, mit dem Auto gern über die Grenze bringt, um der Verfolgung durch die Polizei zu entgehen. Dieser Mann erkennt sofort, dass den beiden nur eines hilft: endlich zur Ruhe zu kommen und ein Leben in Würde und Liebe zu führen. Sie sollten heiraten und Kinder bekommen, meint er. Dieser Schluss wirkt fast wie ein ironischer, ja sarkastischer Kommentar des Regisseurs selbst zu seinem Film – in zweierlei Hinsicht. Zum einen spricht dieser Mann – eine Art Deus ex machina – einen deutlichen, aber wohlgemeinten Kommentar zum bisherigen Leben der McCoys. Zum anderen wirken seine Worte auch deshalb sarkastisch, weil er die geordnete amerikanische Familie (er selbst sei, so sagt er, seit 35 Jahren glücklich verheiratet und wolle seine Frau nicht missen) als positiven Kontrapunkt setzt. Das ist zum einen ehrlich gemeint, zum anderen aber, wie Peckinpahs Film insgesamt nach zwei Stunden Darstellung brutaler und diskriminierender menschlicher Verhältnisse ein zeitgeschichtlich ironischer Blick auf das eigene Land. Denn woher sonst, wenn nicht auch aus den speziellen familiären Verhältnissen dieses Land, erwachsen Charaktere wie die gezeigten?
Man kann also aus dieser Darstellung durchaus zweierlei schlussfolgern. Man kann Peckinpah die oben genannten Vorwürfe machen. Man kann ihm allerdings auch attesttieren, dass sein Film ein äußerst kritischer Kommentar zu den Verhältnissen im eigenen Land darstellt. Ich neige da eher zu der zweiten Interpretation (man vergleiche demgegenüber z.B. Roger Eberts Kritik zum Film in der Chicago Suntimes).
Gerade in der Darstellung der Carol und McCoys kommt dies meinem Gefühl nach deutlich zum Ausdruck. McCoy wird einerseits als äußerst unterkühlt, berechnend, wortkarg gezeigt, andererseits als Opfer seines eigenen emotionalen Gefängnisses. Seine Gefühle wirken tatsächlich wie eingesperrt, so dass er die Angst (u.a. vor einem ganz anderen Leben) nur durch sein (im Vergleich zu den anderen Beteiligten ebenso gewalttätiges) Verhalten scheint kompensieren zu können. Peckinpah zeigt eine Art „Kampf ums Dasein” in einer Welt, in der nur noch dies zu zählen scheint, und eine Frau – und hier finde ich darf man die Rolle Ali McGraws nicht unterschätzen –, die versucht, unter den gegebenen Umständen und den äußerst beengten Möglichkeiten, die sie vorfindet, wie durch eine Art Schleuse einen Weg heraus aus diesem Kampf ums Dasein zu finden. Insofern ist sie – resümierend betrachtet – im Vergleich zu McCoy die wirklich starke Person im Film – und eine tragische noch dazu. Denn sie selbst nimmt an der Gewalt teil (beim Showdown im Hotel in El Paso), die sie überwinden will.
Dabei darf man allerdings nicht übersehen, dass Peckinpah dem Film (Jim Thompson schrieb aufgrund seines Romans das erste Drehbuch) ein depressives Ende geben wollte. Und kein anderer als Steve McQueen setzte durch, dass Thompson durch Walter Hill ersetzt und das Ende geändert wurde.
© Bilder: Warner Brothers
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