Gilda USA 1946, 110 Minuten (DVD: 106 Minuten) Regie: Charles Vidor
Drehbuch: Marion Parsonnet Musik: Hugo Friedhofer Director of Photography: Rudolph Maté Montage: Charles Nelson Produktionsdesign: Stephen Goosson, Van Nest Polglase, Robert Priestley
Darsteller: Rita Hayworth (Gilda Mundson Farrell), Glenn Ford (Johnny Farrell, Erzähler), George Macready (Ballin Mundson), Joseph Calleia (Det. Obregon), Steven Geray (Onkel Pio), Joe Sawyer (Casey), Gerald Mohr (Capt. Delgado), Mark Roberts (Gabe Evans), Ludwig Donath (Deutscher) Donald Douglas (Thomas Langford)
"Put the Blame on Mame"
Gilda – das scheint die Verkörperung der femme fatale, der Schönheit ohne Makel, aber auch des Zynismus, des Betrugs, des schönen Scheins, der Begierde schlechthin. Und tatsächlich repräsentiert Rita Hayworth in Charles Vidors (1900-1959) "Gilda" den – man verzeihe mir dieses Wort – Prototyp des unerreichbaren Traums, der sicherlich drei Jahrzehnte währte - das Pin-up-Girl par excellence, das Spint-Türen ebenso zierte wie Gefängniszellen – nicht nur in der Realität, sondern selbst in zahlreichen anderen Filmen, in denen die Hayworth zur "Frau schlechthin" deklariert wurde. Vidor hat sie durch "Gilda" dazu gemacht; er hat sie im wahrsten Sinne dazu produziert. Ohne die Hayworth wären die Models und Hochglanz-Pin-ups, ob nun in Modezeitschriften, in Werbeanzeigen oder sonst wo, kaum denkbar. Sie ist – filmisch gesehen – das weibliche Gegenstück zu Katherine Hepburn, der Emanzipierten, die auch liebt, die auch schön ist, aber auf andere Wiese, die, die über ihre Zeit hinaus handelt, denkt und fühlt, die die Männer "im Griff" hat, die mit ihnen auf ganz andere Weise spielt, die weiß, was sie will. Die Hayworth dagegen ist die, mit der gespielt wird, und dann, wenn auch sie spielt, in diesem Spiel nur Schwäche verkörpert – die Schwäche einer Frau, die liebt, aber nicht ankommt.
Vidor erzählt eine Geschichte, die manchmal an "Casablanca" erinnert, und doch in vielem so anders ist. Der Film, ein typischer film noir seiner Zeit, ist doch zugleich eine Romanze in Moll, mit Happyend und allem Drum und Dran vor diesem Happyend.
"When Mrs. O'Leary's cow kicked the lantern In Chicago town They say that started the fire That burned Chicago down That's the story that went around But here's the real low-down Put the blame on Mame, boys Put the blame on Mame Mame kissed a buyer from out of town That kiss burned Chicago down So you can put the blame on Mame, boys Put the blame on Mame." (1)
Kurz vor Ende des Krieges treibt sich der Abenteurer – ist er wirklich einer? – Johnny Farrell (Glenn Ford) (der diese Geschichte auch erzählt) in Buenos Aires herum. In der Stadt tummeln sich neben den Einheimischen Menschen aus aller Welt, geflohen vor dem Krieg und auf der Suche nach etwas Handfestem, nach Glück, nach Geld. Farrell ist ein Spieler, und würfelt und gewinnt, weil er beim Spiel betrügt. Als er nach einem Spiel überfallen wird, rettet ihn ein gut gekleideter Herr, der ihm den Rat gibt, doch in einem besseren Etablissement zu spielen – in seinem eigenen, einem Casino. Der Mann heißt Ballin Mundson (George Macready) und hat nur einen Freund: seinen Stock, der, wie er sagt, genau seinem Ideal eines Freundes entspricht – er tut, was er will. Der Stock ist mehr als ein Stock; er hat eine scharfe Klinge, die auf Knopfdruck herausfahren kann.
Farrell, der auch in Mundson Casino falsch spielt, wird von dessen Aufpassern erwischt. Aber irgend etwas gefällt Mundson an diesem Farrell, und er stellt ihn ein, um das Casino zu leiten. Farrell ahnt schnell, dass Mundson noch andere Geschäfte betreibt, denn Glücksspiel ist in Argentinien verboten. Die Polizei, vor allem Kommissar Obregon (Joseph Calleia) lässt Farrell aber gewähren.
Eines Tages bringt Mundson von einer Reise eine Frau mit und erzählt Farrell, er habe sie geheiratet. Es ist Gilda. Und Farrell ist erstaunt und entsetzt zugleich. Denn mit Gilda hatte er selbst einmal eine Affäre. Mundson ahnt bald, dass zwischen den beiden etwas war. Doch er schmeißt Farrell nicht raus, sondern vertraut Gilda dem Schutz Farrells an. Gilda reagiert auf Farrell zynisch, bitter, mit "süßem" Hass. Und umgekehrt reagiert Farrell auf Gilda nicht anders.
Alle drei eint der Hass. Und Mundson sagt zu Farrell einmal: "Hass ist das einzige, was mich jemals erregt hat." Vor allem aber erzählt er Farrell von seinen dunklen Geschäften. Er besitzt eine Wolfram-Mine und ist Leiter eines Kartells, das er zu unbegrenzter Macht führen will. Die Konzessionen für das Wolfram aber gehören eigentlich einigen Deutschen, die jetzt hinter Mundson her sind.
Gilda wiederum gibt sich mehr oder weniger offen den Vergnügungen mit Männern hin – jedenfalls scheint alles darauf hin zu deuten. Und dadurch provoziert sie Farrell mehr als Mundson. Farrell erfindet immer wieder Ausreden gegenüber Mundson, wo Gilda sich jeweils in den vergangenen Stunden aufgehalten hat. Sein Hass auch Gilda wächst in dem Maße, wie Gilda Farrell provoziert.
Bis eines Tages während des Karnevals ein Mord im Casino passiert. Einer der deutschen Unterhändler liegt tot am Boden – und Mundson flieht ...
"When they had the earthquake in San Francisco Back in nineteen-six They said that ol' Mother Nature Was up to her old tricks That's the story that went around But here's the real low-down Put the blame on Mame, boys Put the blame on Mame One night she started to shimmy-shake That brought on the Frisco quakes So you can put the blame on Mame, boys Put the blame on Mame." (1)
Die Sprache ist zynisch, die Atmosphäre – trotz aller Feierlichkeiten, die im Casino stattfinden – gedämpft, dunkel. Das Licht ist grell. Vidor dreht diesen film noir mit allem Können in Bezug auf den Einsatz von Licht und Schatten. Die drei Hauptakteure – Farrell, Mundson und Gilda – wechseln die Szenerie ständig: sie tauchen ins grelle Licht, dann wieder ab in den Schatten. Sie leuchten in der Lüge und dem Selbstbetrug, doch dann wandern sie wieder in das Dunkel ihrer eigenen Vergangenheit, die sie verheimlichen (wollen), verdecken, vertuschen.
Nur Onkel Pio (Steven Geray), der das Casino putzt, ist das Scharnier zwischen Lüge und Wahrheit. Mehr als einmal deckt er auf, wie verlogen sich alle verhalten. Wenn er mit dem Mob oder Besen durch die Räume geht, scheint er den Schmutz der Verlogenheit zu beseitigen – er, der Quasi-Philosoph des Geschehens.
Während sich Gilda in die Arme etlicher Männer flüchtet, einen von ihnen, Mundson, sogar heiratet, um ihm gleich wieder zu zeigen, dass sie ihn nicht liebt, und um Farrell zu demonstrieren, dass sie machen kann, was sie will, dass sie ihm nicht verzeihen kann, dass ihre Beziehung auseinander ging, lässt Farrell Gilda seine Verachtung und seinen Hass bei jeder Begegnung deutlich spüren. Dazwischen steht einer, Mundson, der glaubt, nur eines könne seine Situation verbessern: ein Kartell, das die Welt beherrscht. Er will mit Hilfe von Wolfram über andere herrschen – eine fatale Vorstellung. Er liebt den Hass – und er hasst die Liebe. Warum wissen wir nicht.
Exemplarisch für diese Atmosphäre sind etwa folgende Äußerungen Farrells in einer Szene, in der Gilda Mundson belügt, obwohl sie weiß, dass der ihr nicht glaubt. Alles Absicht. Die Lüge, und zwar sozusagen die "offene" Lüge, die jeder erkennt, der schöne Schein, ist zur Lebensweise aller drei geworden. Farrell reagiert mit den Worten: "Wollen wir nicht etwas trinken, bevor ich anfange zu weinen." Und: "Laut Statistik gibt es auf der Welt mehr Frauen als alles andere – ausgenommen Insekten."
Jeder lügt, jeder erzeugt einen falschen Schein, und jeder weiß vom anderen, dass er lügt und Falsches vorgibt. Selbst die Polizei arbeitet mit dem Mittel des Scheins, weil sie an die Wolfram-Minen-Patente Mundsons herankommen will – nur deshalb lässt sie das verbotene Glücksspiel gewähren.
Vidor erzeugt mit dieser Geschichte eine ganze, ins sich geschlossene Welt des Scheins und der Verlogenheit. Und man ist hin- und hergerissen, was diese drei Personen eigentlich treibt. Unter dieser Oberfläche aber verbirgt sich etwas, zumindest bei Gilda und Farrell, was mit Lüge wenig zu tun hat: die Unfähigkeit, sich seiner Gefühle sicher zu sein und sie anderen zu offenbaren. Die Erlösung, die uns Vidor darbietet, erst ganz zum Schluss, ist das gegenseitige Eingeständnis der Liebe zwischen Gilda und Farrell. Sie sind wie Kinder, oder besser Unerwachsene, die mit Verletzungen so gar nicht umgehen können. Der Schluss des Films hätte auch anders aussehen können. Aber er hat seine starke logische Komponente. Das ganze Theater, könnte man sagen, ist nur dieser Unfähigkeit geschuldet, diesen starken Defiziten zweier Menschen. Der Verlierer des Geschehens ist Mundson – und irgendwie kann er einem nur leid tun.
Vidors "Gilda" ist ein grandioser Film, der durch seine drei Hauptdarsteller viel gewinnt, natürlich vor allem durch Rita Hayworth, die Legende, die Ur-femme-fatale, das Ur-Pin-up-girl. Und durch ihre Lieder, die man in drei Szenen genießen kann.
(1) "Put The Blame in Mame", von von Doris Fisher and Allan Roberts, kann man bei Youtube hören.
© Bilder: Süddeutsche Zeitung GmbH (Nr. 21 SZ-Cinemathek "Traumfrauen") Screenshots von der DVD.
Wertung: 10 von 10 Punkten
16. Mai 2009
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