Herz im Kopf
Deutschland 2001, 90 Minuten
Regie: Michael Gutmann

Drehbuch: Michael Gutmann, Hans-Christian Schmid
Musik: Rainer Michel
Director of Photography: Klaus Eichhammer
Montage: Monika Abspacher

Darsteller: Tom Schilling (Jakob), Alicja Bachleda-Curus (Wanda), Anna von Berg (Petra), Marcello Mahr (Patrick), David Scheller (Ben), Clara Gutmann (Charlotte), Leonard Lansink (Wolfgang Gebhard), Katharina Müller-Elmau (Ute Gebhard), Sebastian Kroehnert (Gelmut),Matthias Schweighöfer (Dirk), Anna Kalata (Milena)

Jakob, Wanda und die Nähe

Die Geschichte, die Michael Gutmann in „Herz im Kopf“ verfilmt hat, wurde von manchen als typische Teenie-Geschichte tituliert. Zur Verleihung dieses Etiketts reicht es offenbar schon aus, dass ein Streifen die Geschichte von Jugendlichen erzählt – und schwuppdiwupp reiht sich das Zelluloid hinter, vor oder neben Britney Spears & Compagnon ein. Ein Film nur für 16- bis 19jährige?

Nach dem Tod seiner Mutter hatte Jakob (Tom Schilling) die Schule geschmissen und war zu seinem Vater nach Berlin gezogen. Doch dort fühlte er sich nicht wohl, und so kehrt er ein Jahr später nach Frankfurt am Main zurück, zu seiner hochschwangeren Schwester Petra (Anna von Berg) und deren achtjährigem Sohn Patrick (Marcello Mahr), die beide in beengten finanziellen Verhältnissen leben. Petras Freund ist ständig abwesend, treibt sich herum. Jakob scheint vom Regen in die Traufe zu kommen.

Jakob erzählt Petra, er sei nur auf der Durchreise, wolle in die USA. Petra kann Hilfe dringend gebrauchen. In einer Tankstelle nimmt Jakob einen Job an. Doch beim Rückwärtsfahren in die Waschanlage beschädigt er den Pkw eines Kunden. Der Tankstellenbesitzer schmeißt ihn raus, fordert Schadensersatz. Jakob drückt sich.

Als er auf Bitten Petras wenig später Patrick bei den Pfadfindern abholen will, trifft er einen alten Schulkameraden, Helmut (Sebastian Kroehnert), wieder – und lernt das polnische Au-pair-Mädchen Wanda (Alicja Bachleda-Curus) kennen. Die Pfadfinder singen ihr Abschiedslied; da bricht Jakob ohnmächtig zusammen. Seit Tagen hat er nämlich nichts gegessen. Wanda nimmt ihn mit zu ihren Gast-Eltern, dem Chefkoch Wolfgang Gebhard (Leonard Lansink) und seiner Frau Ute (Katharina Müller-Elmau), die früher Jakobs Lehrerin war. Mit Spaghetti gefüttert kommt Jakob wieder auf die Beine. Gebhard verschafft ihm einen Job in seiner Großküche als Küchenhilfe. Dort arbeitet auch Helmut als Koch, der Jakob spüren lässt, das der nur Küchenhilfe ist.

Jakob rackert sich ab. Im Sinn hat er jedoch nur Wanda, in die er sich unsterblich verliebt hat. Alles andere scheint ihm egal. Als Wanda zu einer Verabredung bei den Pfadfindern nicht erscheint, gerät Jakob mit Helmut in Streit, weil der ihm verschwiegen hat, dass Wanda sich bei Ben (David Scheller) mit anderen Jugendlichen, u.a. ihrer Freundin Milena (Anna Kalata), treffen wollte. Jakob hat Angst, dass Wanda und Ben etwas miteinander haben könnten. Aber langsam kommen sich Jakob und Wanda dann doch näher ...

Das könnte nach Teenie-Film klingen. Aber Hans-Christian Schmid und Michael Gutmann verzichteten in „Herz im Kopf“ auf sämtliche Effekte, Schlichen und Utensilien dieses Genres. Nein, sie erzählen die Geschichte zweier Jugendlicher und ihrer Freunde im Übergang zu dem, was man wohl Erwachsensein zu nennen pflegt. Die Unaufdringlichkeit, mit der diese Geschichte erzählt wird, der Verzicht auf jegliche psychologische Deutung und die beinahe schon penible Beiläufigkeit, mit der die Konflikte und Gefühle zwischen den Figuren in Bilder und Dialoge umgesetzt wurden, machen das große Plus dieses Films aus. Die Handlung scheint voraussehbar, doch man ist überrascht, dass dem nicht so ist.

Der Verzicht auf eine „Erklärung“ der Person Jakobs ist das enorme Verdienst, mit dem der Film beginnt. Jakob ist für das Publikum einfach „da“. Man kennt lediglich äußere Fakten, die einem nichts sagen und sofort an Bedeutung verlieren. Jakob kehrt nach Frankfurt zurück, aber dieses Zurück ist nicht irgendeine Form der Aufarbeitung von „Früher“, sondern ein „Zurück“ nach vorn: Er versteht sich mit seiner Schwester und deren Sohn; er ist da, als Petra in die Klinik muss, auch wenn er etwas zu spät kommt und das Baby schon da ist. Zwischen den Geschwistern besteht eine Innigkeit, die keiner Worte oder Erklärungen bedarf: sie ist präsent.

Etwas ähnliches gilt für die sich anbahnende Liebesgeschichte zwischen Wanda und Jakob. Beide Beziehungen Jakobs sind zwar nicht „da“ ohne Zutun der Beteiligten: Jakob möchte seine Schwester unterstützen, er geht arbeiten, kümmert sich um Patrick, sorgt sich scheinbar ansonsten aber nur um sich selbst. Doch seine Anwesenheit bei Petra, Patrick und dem kommenden Baby ist mehr, als jede Handlung oder gefordertes Verhalten erreichen könnten. Zwischen ihnen besteht eine Art funktionierende Chemie der Gefühle.

Der Gegenpart zu diesem Beziehungsgeflecht ist die Umgebung von Ute Gebhard: Pädagogin, ich möchte fast sagen: Menschenschnitzerin. Ute ist verhärmt, alles muss im „richtigen Lot“ sein, pädagogisch und psychologisch abgesichert en detail. Ute ist der Inbegriff des verhärmten Biests, zickig, arrogant, lustfeindlich. Als sie Jakob und Wanda in ihrem Haus erwischt, als beide gerade das erste Mal miteinander geschlafen haben, kündigt sie Wanda den Job. Dass dies in ihrem Haus passiert ist, gibt ihr die Möglichkeit, ihrer Lustfeindlichkeit entsprechend Jakobs und Wandas „Verhalten“ mit Sanktionen zu quittieren. Doch auch wenn es woanders stattgefunden hätte, hätte Ute ihr Urteil gesprochen. Ihren Mann Wolfgang hat Ute längst hinter sich gelassen. Der Koch wirkt nach außen durchaus selbstbewusst, doch letztlich hat er nichts zu sagen, wenn es drauf ankommt.

Jakob reagiert gegen Ute trotzig, hilflos, so wie auch in anderen Situationen. Und Jakob ist (noch) verantwortungslos, er steht nicht zu seinen Fehlern. Das gerade fordert Wanda von ihm ein. Sie ist der eigentliche „Star“ dieses Films, eine sich selbst bewusste junge Frau, die schon ganz gut zwischen dem unterscheiden kann, wogegen man sich wehren soll, und dem, was man akzeptieren muss. Wanda hat bereits diese Art Feingefühl für das Leben, das der viel älteren Ute längst abhanden gekommen ist, wenn sie es denn jemals besaß.

Jakob will Wanda, Wanda zeigt ihm den emotionalen und „logistischen“ Raum und das Zeitgefühl, in dem es ausschließlich möglich ist, sich zu besitzen. Wanda kämpft mit ihrem Feingefühl, Jakob noch zu sehr mit Trotz, aber deutlichen und ehrlichen Absichten.

Das Beziehungsgeflecht, was sich dort bildet, nicht nach vorgefertigten Mustern, sondern situativ, unvorhersehbar und nicht mit irgendwelchen Sicherheiten oder Blankoschecks, dieses Geflecht zwischen Petra, Jakob, Wanda und Patrick, die sich vom „Rest der Welt“ absetzen und doch zugleich mitten in ihr verhaften, knüpft sich nicht nach einem Plan, sondern auf eine zufällig unzufällige Art. Das Muster steht nicht am Anfang, sondern entwickelt sich.

„Herz im Kopf“ entwickelt diese Geschichte vollkommen und herzhaft unaufdringlich, mit einiger Situationskomik und ohne urteilende Absicht. Motto des Films ist: „Schaut einfach hin.“ Der Film ist, trotz etlicher Konfliktsituationen, ruhig gehalten, ohne Abdriften in Pathos, Klischees über Jugendliche oder Erwachsene. Die Liebesgeschichte scheint im Zentrum zu stehen, sie wird ebenso nüchtern und liebevoll erzählt wie das letztlich im Mittelpunkt stehende Beziehungsgeflecht, von dem niemand weiß, wie es sich weiterranken wird. Die Figuren wirken nicht nur nicht aufgesetzt oder allzu stark konstruiert. Im Gegenteil: Tom Schilling, Alicja Bachleda-Curus, Anna von Berg und auch der junge Marcello Mahr spielen in einem sehr positiven Sinn: natürlich. Die Komik ist nicht Ziel einzelner Handlungsstränge, sondern ergibt sich geradezu beiläufig. Für die Gefühlswelten, die sich auftun, gilt dasselbe.

Der Film verfällt nicht in Extreme. Die Verweigerungs- und Trotzhaltung Jakobs, besonders im Hinblick auf Ute Gebhard, eskaliert zwar ab und an, wird aber nicht in Unglaubwürdigkeit übertrieben. Auch die Figur der Ute, für mich die negativste des Films, steht nicht als Feindbild parat, ist aber in ihrer Brüchigkeit ständig präsent.

Ein überraschend gelungener deutscher Film, der sicherlich nicht die Massen inspirieren wird. Eben einer der vielen kleinen, schönen Streifen, die einem ab und zu begegnen und wirklich gut tun, weil sie es ehrlich meinen, ein Film der dem Mainstream zwar nicht bewusst entgegenarbeitet, aber dennoch abseits von ihm eine Nische zu finden hofft. Das ist ihm in jeder Hinsicht zu gönnen.

P.S. In einigen Kinozeitschriften, in der Internet Movie Database und sogar auf dem offiziellen Filmplakat (!) (zumindest in Freiburg) heißt der Streifen „Herz über Kopf“. „Herz im Kopf“ ist jedenfalls der Titel im Vorspann und auf der offiziellen Homepage.