Fitzcarraldo (1982)
Invincible (2001)





Fitzcarraldo
(Fitzcarraldo)
Deutschland 1982, 158 Minuten (DVD: 151 Minuten)
Regie: Werner Herzog

Drehbuch: Werner Herzog
Musik: Popul Vuh; Vincenzo Bellini, Giacomo Puccini, Richard Strauss, Giuseppe Verdi
Director of Photography: Thomas Mauch
Montage: Beate Mainka-Jellinghaus
Produktionsdesign: Ulrich Bergfelder, Henning von Gierke

Darsteller: Klaus Kinski (Brian Sweeney Fitzgerald, genannt Fitzcarraldo), Claudia Cardinale (Molly), José Lewgoy (Don Aquilino), Miguel Ángel Fuentes (Cholo), Paul Hittscher (Kapitän Paul), Huerequeque Enrique Bohorquez (Huerequeque, der Koch), Grande Otelo (Bahnhofsvorsteher), David Pérez Espinosa (Indianerhäuptling)

Caruso im Urwald

„Cayahuari Yacu nennen die
Waldindianer dieses Land, ‚das Land,
in dem Gott mit der Schöpfung
nicht fertig wurde’. Erst nach dem
Verschwinden der Menschen,
glauben sie, werde er wiederkehren,
um sein Werk zu vollenden.”
(Aus dem Vorspann des Films)

Iquitos, Peru, Anfang des 20. Jahrhunderts. Großgrundbesitzer, die Kautschuk (indianisch: cao = Baum und ochu = Träne) gewinnen und Tausende von Indianern dafür ausbeuten. Don Aquilino (José Lewgoy) ist der mächtigste unter ihnen, ein Mann, der den Raum beherrscht, in dem er sich bewegt, ein sich weltoffen gebender Mann. Abenteurer tummeln sich wohl auch in der Schneise, die hier in den Urwald geschlagen wurde, zumindest einer, ein Träumer, vielleicht ein Phantast, aber einer, der seinen Traum nicht nur umsetzen will, sondern dafür auch alles tut: Brian Sweeney Fitzgerald, genannt Fitzcarraldo (Klaus Kinski). Nur ein einziges Mal verliert er die Fassung, als die Reichen von Iquitos seinen Traum nicht finanzieren wollen. Er besteigt den Kirchturm und schreit über den ganzen Ort, diese Kirche würde so lange geschlossen, bis sein Opernhaus gebaut sei. Das ist sein Traum: ein Opernhaus mitten im Urwald und Enrico Caruso als Star auf der Opernbühne.

Nur Molly (Claudia Cardinale), seine Freundin, eine Bordellbesitzerin, versteht Fitzcarraldo. Nur sie ist bereit, für seine Träume alles zu tun. Eine Eisfabrik, eine Eisenbahn mitten durch den Urwald – auch das waren Fitzcarraldos Träume, die er nicht realisieren konnte. Nun erfährt er von Don Aquilino, dass es noch ein riesiges Stück Land gebe, auf dem Kautschuk in Mengen gewonnen werden könne. Der Haken sei nur, dass man das wertvolle Rohmaterial von dort nicht weg transportieren könne, weil man mit keinem Transportmittel in dieses unwegsame Gebiet kommen könne. Fitzcarraldo kauft das Land, und er kauft Don Aquilino ein Dampfschiff ab, mit dem er das Land der Träume erreichen will, um Kautschuk zu gewinnen und aus dem Geld das Opernhaus zu finanzieren.

„Fitzcarraldo” ist in gewisser Hinsicht der Höhepunkt der Zusammenarbeit zwischen Herzog und Kinski. Nach „Aguirre, der Zorn Gottes” (1972), „Nosferatu” und „Woyzeck” (beide 1979) ist „Fitzcarraldo” der vierte gemeinsame Film. Und Herzog kehrte (nach „Aguirre”) in den Dschungel zurück. Dabei war das Projekt nicht nur von der Geschichte selbst aus betrachtet bombastisch. Auch die vier Jahre dauernden Arbeiten an diesem Projekt sprechen Bände über den Willen des Regisseurs selbst, Phantastisches zu produzieren. Der Film sollte zunächst von 20th Century Fox produziert werden, deren Verantwortliche jedoch verlangten, dass der Transport des Schiffes über einen Berg im Studio gedreht werden sollte. Das lehnte Herzog strikt ab. Und in langwierigen Vorbereitungen und mit der Unterstützung vor allem von Indianern wurden diese Szenen vor Ort gedreht (der Vorwurf, Herzog habe Indianer schlecht behandelt, der damals durch die Medien geisterte, wurde übrigens durch Vertreter von amnesty international entkräftet). Es gibt in „Fitzcarraldo” keinen „doppelten Boden”, keine Tricks, keine Spezialeffekte, alles ist echt.

Die Handlung (die übrigens auf einer wahren Begebenheit beruht, wobei der wirkliche, aus Irland stammende Fitzgerald diesen Plan des Transportes des Schiffes nie realisierte) wird von Herzog, wie gewohnt, in phantastische Bilder eingebettet. Herzog selbst meint im Audiokommentar auf der DVD, die eigentlichen Hauptpersonen des Films seien Enrico Caruso und der Urwald, also eine Person, die man nie zu Gesicht bekommt, aber hört, und die Umgebung, die man nahezu immer sieht, die aber Tausende von Geheimnissen in sich birgt.

Fitzcarraldo engagiert Kapitän Paul (Paul Hittscher; für seine Rolle war ursprünglich Mario Adorf vorgesehen, der aber wohl angesichts der Umstände der Dreharbeiten absprang), den dem Alkohol verfallenen, aber äußerst intelligenten und einfallsreichen Koch Huerequeque (Huerequeque Enrique Bohorquez) und etliche Indianer und andere, um die Fahrt in das „gelobte Land” zu beginnen. Don Aquilino stellt ihm den Maschinisten Cholo (Miguel Ángel Fuentes) zur Verfügung, nicht ganz ohne Hintergedanken, denn Don Aquilino will genau wissen, was Fitzcarraldo vor hat. Der Plan des Phantasten: Da der Zugang über Wasser zu dem unerschlossenen Kautschukgebiet durch Stromschnellen versperrt ist, will er auf einem anderen Fluss an die Stelle gelangen, an der nur eine schmale Landzunge die beiden Flüsse voneinander trennt. Über diese Landzunge will er das Schiff mit Stahlseilen und Winden und durch die Kraft Dutzender von Männern hinüber hieven.

Für die Figur des Fitzcarraldo, für Kinski und für Herzog – das macht sozusagen den Clou dieses Films aus – gibt es keinen Zweifel und kein Zurück in der Verfolgung ihrer Absichten. Aber der Film ist mehr als nur die Summe dieser drei Teile. Die Zivilisation und ihre Abenteurer stoßen zusammen mit den mysteriösen Indianern, von denen zunächst nur die Trommeln und Gesänge zu hören sind. Dann tauchen sie auf, setzen ihre Kanus in Bewegung Richtung „Molly Aida”, wie Fitzcarraldo das Schiff getauft hat. Die Mehrzahl der Besatzung ist bereits auf einem kleinen Boot geflohen; nur der Koch, der Kapitän, der Mechaniker und Fitzcarraldo befinden sich noch auf dem Dampfschiff – und sie haben keine Ahnung, was die Indianer vor haben, sind völlig erstaunt, als der Häuptling zusagt, sie würden ihnen helfen, das Schiff über den Berg zu transportieren. Warum, fragen sie sich, was haben die Indianer davon?

Aus diesem Zusammenprall von indianischer und europäischer Kultur ergeben sich einige Überraschungen im Fortgang der Geschichte. Herzog drehte diese Geschichte in einem gegen die Zeit bzw. den herrschenden Zeit-Takt gerichteten Tempo. Lange Einstellungen von der Bootsfahrt, von den Personen, von der schwierigen Arbeit des Schiff-Transports widersprachen schon damals dem im Kino gewohnten Zeit-Takt, der durch Actionfilme bzw. rasant inszenierte Handlungen geprägt war. Bei Herzogs Filmen wird der Betrachter gezwungen, sich ein anderes Zeitgefühl anzueignen. Tut er dies nicht, wird der Film „langweilig”. Die überwältigende Szenerie des tropischen Urwalds, das Einbrechen der europäischen Kultur durch die von Fitzcarraldo bewunderte Stimme Carusos, die Aura der Indianer, mit der sie die Europäer verunsichern, aber auch in Erstaunen versetzen – all das verschafft der Szenerie eine für das Kino seltene Größe, die visuell gesehen nur mit Filmen vergleichbar ist wie Kubricks „2001: A Space Odyssee” oder Coppolas „Apocalypse Now”, wie der amerikanische Filmkritiker Roger Ebert zu Recht in seiner Rezension des Films schreibt.

„Fitzcarraldo” ist eben vor allem ein visuelles und – wenn man sich darauf einlassen kann – emotionsgeladenes Erlebnis, das in der sicher zweideutigen Größe Herzogs und Kinskis seinen Grund findet.

Herzogs „Mein liebster Feind” (1999) über die Kooperation zwischen Herzog und Kinski und Les Blanks „Burden of Dreams” (1982) über die Dreharbeiten zu „Fitzcarraldo” dokumentieren nicht nur die Strapazen, bis dieser Film fertiggestellt werden konnte. Sie dokumentieren auch, wie Herzog seine Filme selbst versteht: als riskante, in vielerlei Hinsicht todesmutige Unternehmen. Fitzcarraldos Geschichte ist in dieser Hinsicht analoger visueller Ausdruck dieser Art von Filmemachen. Das hat Herzog oft den Vorwurf eingebracht, er leide an Selbstüberschätzung – ebenso wie sein „liebster Feind” Klaus Kinski, der während der Dreharbeiten mehrere seiner bekannten Tobsuchtsanfälle hatte, bei denen er sich nie scheute, andere in Grund und Boden zu demütigen oder zu beleidigen. Das ging so weit, dass der im Film mit spielende Häuptling Herzog anbot, Kinski zu töten, wie der Regisseur in „Mein liebster Feind” berichtet.

Andererseits war Herzog wohl fast der einzige, der Kinskis Egomanie zu bändigen und filmisch fruchtbar einzusetzen wusste. Und das Medium Film war andererseits für Herzog die einzige Möglichkeit, sich in seinen „extremen” Vorstellungen selbst zu „bändigen”. Immerhin: Das erbrachte für das Kino einige der besten und schönsten Filme aller Zeiten.

Dass Kinski die Rolle des Fitzcarraldo (für die ursprünglich der dann jedoch erkrankte Jason Robards vorgesehen war) in hervorragender Weise ausfüllt, bedarf kaum einer Erwähnung. Auch für die anderen Schauspieler, und insbesondere Claudia Cardinale (die allerdings nur in den Eingangs- und Schlussszenen zu sehen ist), gilt ähnliches.



Invincible (Unbesiegbar)
Deutschland, Großbritannien, USA 2001
Regie: Werner Herzog

Drehbuch: Werner Herzog
Musik: Klaus Badelt, Hans Zimmer
Director of Photography: Peter Zeitlinger
Montage: Joe Bini
Produktionsdesign: Ulrich Bergfelder

Darsteller: Jouko Ahola (Zishe Breitbart), Tom Roth (Hanussen), Anna Gourari (Marta Farra), Jacob Wein (Benjamin Breitbart), Max Raabe (Zeremonienmeister), Gustav Peter Wöhler (Landwehr), Gary Bart (Yitzak Breitbart), Renate Krößner (Mutter Breitbart), Udo Kier (Polizeipräsident Helldorf), Herbert Golder (Rabbi Edelmann), Gary Bart (Yitzak Breitbart), Renate Krößner (Mother Breitbart), Ben-Tzion Hershberg (Gershon), Rebecca Wein (Rebecca), Raphael Wein (Raphael), Daniel Wein (Daniel), Chana Wein (Chana), Guntis Pilsums (Wirt), Thorsten Hammann (Ringrichter), Jurgis Krasons (Rowdy), Klaus Stiglmeier (Zirkusdirektor), James Reeves (Koloss von Rhodos)

Eine Geschichte vor und nach Auschwitz

Es gibt wohl keine filmische Auseinandersetzung mit dem Holocaust, von der man behaupten könnte: Ja, das ist es – sei es „Das siebte Kreuz” nach Anna Seghers, um ein frühes Werk zu nennen, sei es „Schindlers Liste”, „Der Pianist” oder sonst irgendein Streifen. Warum mag das so sein?


Auschwitz heute

Wer glaubt, mit einem Film oder auf jegliche andere Weise die Frage nach dem Warum dieses singulären Verbrechens beantworten zu können, verkennt, dass es auf diese Frage keine endgültigen Antworten geben kann. Was ist Auschwitz heute? Die Frage nach dem Warum? Das ewige und zugleich hilflose „Nie wieder Faschismus!”? Was bedeutet uns Auschwitz heute? Etwas Unvorstellbares und daher letztlich auch nicht restlos Erklärbares – auch wenn viele nach Auschwitz behauptet hatten und es heute noch tun, sie hätten die Antwort parat.

Auschwitz heute kann für uns nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Gefühl sein, ein Gefühl der Ohnmacht, der Hilflosigkeit, der Trauer, des Schreckens oder zumindest der Ahnung von diesem Schrecken. Müssen wir uns dies nicht eingestehen? Viele fragen sich, warum Menschen so etwas anderen antun konnten. Die Antwort ist: Nur Menschen können so etwas anderen antun. Das Unmenschliche ist doch auch menschlich; kein Tier könnte so handeln.

Sicherlich gibt es Bedingungen, Voraussetzungen, Umstände, Vorläufer, Indizien, die zu Auschwitz geführt haben, das heißt zur Zerstörung all dessen, was bis dahin war. Aber sie alle erklären die Vernichtung von Millionen und Abermillionen Menschen nicht restlos. Auschwitz heute ist das erbärmliche Gefühl der Angst vor den Möglichkeiten menschlichen Denkens und Handelns, das Gefühl der Bedrohung durch die einzige Bestie auf Erden. Auschwitz ist die Erkenntnis, dass es möglich war und ähnliches künftig möglich wäre.


Ein Film wird vernichtet

Werner Herzog erzählt in seinem Film die Geschichte eines Juden aus dem Osten Polens, als diese Region noch jüdisch war, denn sie ist es spätestens seit 1945 nicht mehr.

Herzogs Film „Unbesiegbar” wurde von der Kritik scharf in die Mangel genommen. Zu lesen war von einem „hausbackenen Zeitbild” das vor „sentimentalen Platitüden” strotze, der Film sei lehrhaft; man bescheinigte Herzog „Aneinanderreihung von Klischees und Schwächen in der Darstellung”, schob nach mit: „übertrieben moralisch” und „zäh wie ein Kaugummi”; der Film sei „als Abitursaufsatz eben dann doch nicht allzu prickelnd”, „braves Bildungsbürgerkino der biederen Art”.


Die Geschichte ...

... beginnt in einem kleinen Ort im Osten Polens 1932. Dort lebt die jüdische Familie Breitbart, unter ihnen Zishe (Jouko Ahola), der mit seinem Vater eine Eisenschmiede betreibt. Zishe ist stark, sehr stark, und in einem Wettkampf besiegt er den in einem Zirkus arbeitenden angeblich stärksten Mann der Welt. Der Berliner Künstleragent Landwehr (Gustav Peter Wöhler) hat diesen Kampf beobachtet und möchte Zishe in die Hauptstadt holen. Nach anfänglichem Zögern macht sich der Schmied zu Fuß auf den Weg in eine ihm völlig fremde Welt und kommt im Mai 1932 in Berlin an. Landwehr vermittelt ihn an den Magier Hanussen (Tim Roth), in dessen Palast des Okkulten er als Ergänzung zu Hanussens charismatischem Auftreten und seinen Visionen von der Rettung Deutschlands durch einen großen Führer mit blonder Perücke und Germanenhelm sämtliche Ketten sprengen soll.

Bald wird Zishe als Siegfried zur Attraktion und ist natürlich besonders bei den reichlich anwesenden SA-Männern beliebtes Aushängeschild ihrer eigenen Ideologie.

Zishe, zunächst begeistert von seinem Erfolg, gleichzeitig aber die Gefahr ahnend, die mit den Nationalsozialisten kommt, lernt die junge Pianistin Marta Farra (Anna Gourari) kennen, die Hanussen aus Prag mitgenommen hat und deren unsicheren Aufenthaltsstatus als Staatenlose er ausnutzt, um sie in seiner Abhängigkeit zu halten. Zishe verliebt sich in Marta und ihr virtuoses Klavierspiel.

Hanussen hingegen, der immer weiter von seinen Großmachtvisionen abhängig zu werden scheint, erzählt Zishe, im neuen Staat Adolf Hitlers Minister des Okkulten werden zu wollen; ein entsprechendes Haus für sein Ministerium sei schon vorhanden.

Doch dann geschieht etwas, das Zishe sein Siegfried-Dasein gründlich überdenken lässt. Seine Mutter (Renate Krößner) und sein heiß-geliebter kleiner Bruder Benjamin (Jacob Wein) besuchen ihn; Benjamin erkennt seinen Bruder kaum wieder. Und Zishe entschließt sich, seine Herkunft nicht länger zu verstecken. Auf der Bühne reißt er sich die Perücke herunter und erklärt, er sei kein germanischer Siegfried, sondern Zishe, der jüdische Schmied aus Polen, und wenn überhaupt, dann sei er ab jetzt Samson. Es kommt zum Tumult.

Das Publikum in Hanussens Palast des Okkulten wechselt. Jüdische Bürger beklatschen den neuen Samson, und als es daraufhin zu einer Saalschlacht mit den immer noch anwesenden SA-Horden kommt, kann Hanussen die aufgebrachte Menge nur noch durch seine Vision beruhigen, die Machtübernahme Hitlers stehe kurz bevor.

Zishe gerät immer mehr in Widerspruch zu Hanussen, dessen okkultes Gehabe dem Schmied zuwider ist, und er bezichtigt ihn öffentlich des Betruges. Vor Gericht soll geklärt werden, wer lügt und wer die Wahrheit sagt. Die Wahrheit aber wird das Leben aller Beteiligten gründlich verändern ...


Die Inszenierung ...

... dieser Geschichte, die auf einer wahren Begebenheit beruht, ist im wahrsten Sinn des Wortes ungewöhnlich. Herzogs Film vereinigt einerseits Legende, Mythos und Symbolik, doch andererseits erzählt er „nur” eine Geschichte. Diese – sicherlich brisante – Mischung baut nicht zuletzt auf die Erkenntnis, dass jede Legende einen wahren Kern, jeder Mythos einen realen Ursprung hat. Vor allem aber reproduziert Herzog in der Gestalt des Zishe den Mythos des Sisyphos, und zwar nicht als „reinen Mythos”, sondern eingebettet in die reale Geschichte eines polnischen Juden und das Jahr vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten.

Zishe ist körperlich stärker als alle anderen, denen er begegnet; er wehrt sich gegen das Verstecken seiner jüdischen Herkunft und Identität. Er stellt sich bloß, als das, was er ist, kämpft gegen die ihm nicht erklärlichen Vorurteile, die Diskriminierung, die Verteufelung der Juden, obwohl er nichts weiß von der Entstehung all dessen. Zishe ist ein einfacher, manche würden sagen: „beschränkter” Schmied, der die Welt scheinbar nicht kennt. Und doch kennt er sie, immer besser, immer deutlicher, und er kämpft, wie Sisyphos, der den Fels schier endlos, immer wieder auf den Berg schleppt, dagegen an.

Zishe ist noch mehr. Und dieses Mehr unterscheidet ihn von Hanussen, dem Verschleierer, der in der absurden Hoffnung lebt, seine jüdische Herkunft hinter der zynischen Anpassung an die Zeit verstecken zu können – und Hanussen, der vermeintliche dänische Adlige, scheitert. Zishe stirbt. Scheitert auch er, der an einer unvorsichtigerweise nicht rechtzeitig behandelten Blutvergiftung wenige Tage vor dem 30. Januar 1933 in Polen stirbt?

Zishe erinnerte mich oft an moderne Helden, sogar ab und zu an einige Rollen Schwarzeneggers, etwa in „Running Man”. Doch während solche modernen Helden im action- und trickgeladenen (vor allem amerikanischen) Kino zum Schluss gegen die ideologischen Allmachtsphantasien meist den Sieg davontragen, ist Zishes Tod Scheitern und Sieg zugleich. Er siegt als Mensch. Zugleich jedoch glaubt er zumindest an die Möglichkeit seiner Unbesiegbarkeit, wenn nur seine Verwandten und Freunde erkennen würden, welche Gefahr auf sie zukommt. Hier, als prophetischer Samson, scheitert er. Denn so gut wie niemand glaubt 1933 an die Möglichkeit von Auschwitz.

Hanussen glaubt daran; er glaubt zu überleben, indem er sich verbirgt, duckt, übertreibt, heuchelt und betrügt.

Herzog erzählt; das mag einigen nicht passen, vor allem weil er sowohl von einer jüdischen Legende, als auch der wirklichen Person des Zishe erzählt. Das, was er erzählt, hat mit Geschichtsstunde nichts zu tun. Es ist die Geschichte vom Scheitern Zishes wie Hanussens, und damit zweier Wege von vielen, angesichts dessen, was da kommt. Und Herzog erzählt dies in einer selten vereinten Dichotomie. Wenn Anna Gourari etwa Beethoven spielt, man die Bilder aus Zishes Dorf, das muntere Treiben und die Vitalität des jüdischen Daseins im Stetl betrachtet, so kalkuliert Herzog mit dem Mehr an Wissen des Betrachters: dass dies alles dem Erdboden gleichgemacht werden wird: verbrannte Erde und verbrannte Menschen, als wären sie nie da gewesen.

Aber nicht eine Lehrstunde ist die Absicht solcher Szenen oder auch der Liebesgeschichte zwischen Marta und Zishe. Wer sich von der Erzählung Herzogs einfangen lässt, wird erfühlen, dass es um die Frage geht, was Auschwitz für uns heute bedeutet und dass kein Sisyphos, kein Samson, kein Held so etwas wie Auschwitz verhindern kann, dass nach Auschwitz alles anders war und ist als davor.


Die Darsteller ...

Die Besetzung der Rolle des Zishe mit dem finnischen Body-Builder Jouko Ahola, einem Laiendarsteller, ist vor diesem Hintergrund nicht nur nachvollziehbar. Ahola ist es gelungen, dem Zishe Breitbart genau diese Dimension des „einfachen”, des in seinem Menschsein aufgehenden polnischen Schmieds zu geben, der entlang seiner „natürlichen” Menschlichkeit dazu lernt, sich von der Musik der geliebten Marta begeistern lässt usw., der jedoch auch im Angesicht des sich abzeichnenden Terrors zum Irrglauben der mythisch hergeleiteten Unbesiegbarkeit Zuflucht nimmt – und scheitert.

Auch die russische Konzertpianistin Anna Gourari bringt in den Film eine Form von Natürlichkeit ein, die dem realen Geschehen genauso zuträglich ist, wie andererseits Tim Roth als „Schau-Spieler” der drohenden Allmacht des Nationalsozialismus nur zeitweise entgehen kann. Roth spult seine „Show” als Hanussen ab, als ob er sich selbst wie eine aufgezogene, verkleidete Puppe tanzen lässt. Doch irgendwann ist die Puppe „abgelaufen”, die Show vorbei.


Fazit

„Invincible” war für mich ein erschreckendes und bewundernswertes, (be)rührendes und grausames (Film-)Erlebnis zugleich, eine Geschichte, frei von Larmoyanz und Lehrhaftigkeit. Und doch wird der Film umstritten bleiben wie er schon umstritten ist. Er schildert, wie selbst ein Sisyphos, ein Samson, und erst recht ein Hanussen durch die „porösen Verhältnisse” (Herzog) seiner Zeit gnadenlos hindurch fallen, scheitern müssen, ins Nichts gestoßen werden.  Auschwitz wird eine unbeantwortete Frage bleiben. Herzog enthüllt dies auf seine unnachahmliche Art.


 

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