Die Schwindler
(Il Bidone)
Italien 1955, 92 Minuten
Regie: Federico Fellini

Drehbuch: Federico Fellini, Ennio Flaiano
Musik: Nino Rota
Director of Photography: Ortello Martelli
Montage: Mario Serandrei, Giuseppe Vari
Produktionsdesign: Dario Cecchi

Darsteller: Broderick Crawford (Augusto), Giulietta Masina (Iris), Richard Baseheart (Picasso), Franco Fabrizi (Roberto), Sue Ellen Blake (Anna), Irene Cefaro (Marisa), Alberto de Amicis (Rinaldo), Lorella de Luca (Patrizia), Giacomo Gabrieli (Baron Vargas), Riccardo Garrone (Riccardo)

Betrug ...

Betrüger und Betrogene – allerorten. Die Welt scheint sich in nichts anderes zu teilen. Betrogene und Betrüger scheinen immer die gleichen zu sein. Und sie stammen in Fellinis weniger bekanntem Film aus dem Jahr 1955 mehr oder weniger aus den unteren Klassen der Gesellschaft – beide. Noch ganz dem Neorealismus verhaftet, aber ab und an durchsetzt mit einem Schuss „sanfter“ Melodramatik führt uns Fellini in die Enge und paradoxerweise eben auch Weite einer Welt, in der der Betrug zu einer zentralen Kategorie des Lebens geworden ist. Es sind nicht die armen Fischer in Viscontis „Die Erde bebt“ (1948), die durch den einbrechenden Kapitalismus ihrer Lebensgrundlage beraubt werden und dies nicht verstehen können, die in „Il Bidone“ betrogen werden. Es sind die Armen und Ärmsten in den Großstädten Italiens, die aufgrund ihrer Unwissenheit, ihres Gottvertrauens oder ihres Urvertrauens in die Menschen ihrer eigenen Herkunft von einem Teil eben dieser über's Ohr gehauen werden.

Vier Männer machen sich auf den Weg: Der „Baron“ Vargas, Augusto, Picasso und Roberto – Augusto in der Soutane eines Bischofs, Picasso als Priester und Roberto als Chauffeur. Sie fahren aufs Land, aber nicht um die Landschaft zu genießen. Bei einem Bauernhof stoppen sie und erzählen der Besitzerin Stella Florina, auf ihrem Grundstück sei die Leiche eines Mannes vergraben – zusammen mit der Beute aus einem Einbruch des Mörders des Begrabenen, die immens wertvoll sei. Da der Mörder inzwischen gefasst sei, gehöre der „Schatz“ demjenigen, auf dessen Grundstück man ihn finde: also Senora Florina, unter einer Bedingung: Das Opfer habe testamentarisch verfügt, der neue Besitzer müsse 500 Messen lesen – die Messe zu 5.000 Lire. Kurze Zeit später ziehen die Gauner mit immerhin über 400.000 Lire (damals: knapp 2.700 DM) ab und lassen Sen. Florina mit billigem Modeschmuck zurück.

Ein zweiter Betrug: Im Armenviertel gibt sich Augusto als Vertreter der städtischen Wohnungskommission aus, der Wohnberechtigungsscheine für neu gebaute Sozialwohnungen ausgeben wolle. Allerdings müssten die Berechtigten eine erste Rate für die neue Wohnung in Höhe von ca. 10.000 Lire bezahlen. Augusto und Picasso haben auch hier das Glück der „Tüchtigen“ und machen sich mit viel Geld aus dem Staub.

Für Fellini gibt es aber nicht nur Betrogene und Betrüger. Er zeichnet eine Welt, in der die Gutgläubigkeit, zumeist religiös bedingt, skrupellos von Männern ausgenutzt wird, die derselben Schicht entstammen wie die Betrogenen selbst. Für Roberto, Augusto und Picasso, aber auch den „Baron“ sind diese Missetaten so selbstverständlich wie das Amen in der Kirche für die Arme in der Großstadt, hier in Rom. Wie so oft in Fellinis Filmen „teilt“ der Regisseur die Gesellschaft in eine Spezies von Menschen, die von einem tiefgläubigen Katholizismus geprägt sind, und in eine betrügerische Spezies von Menschen, die diese Religiosität, die eng mit einer vergangenen Welt korreliert, gnadenlos ausnutzen. Diese Form des Katholizismus ist eng verbunden mit dem Land, der traditionellen bäuerlichen Lebensweise und den vom Land vertriebenen Armen in den Randbezirken der Städte. Deren Hoffnung auf eine Besserung ihrer Lebensgrundlage ist stark – und sie ergreifen sozusagen jeden Strohhalm, um ihrer Lage zumindest teilweise zu entrinnen. Während die einen dabei z.B. auf die Ehrlichkeit der Behörden vertrauen, die ihnen Sozialwohnungen versprochen hatten, gibt es unter ihnen auch andere, wie Sen. Florina, die im Angesicht des ausgegrabenen „Schatzes“ und seines scheinbar immensen Werts ihr letztes Geld zusammenkratzen, um an diesen heranzukommen.

So sind es Gier, Habsucht und Betrug hier, eine Art existentielles und religiös motiviertes Urvertrauen dort, die diese enge Welt beherrschen, die sich doch gleichzeitig so weit erstreckt – bis in die letzten Winkel der Städte.

Die Gauner feiern – in den Nachtbars Roms, in denen sich so manche Gesinnungsbrüder, aber auch reiche Ladys und Gentlemen herumtreiben und sich auf den nächsten Coup vorbereiten. Auf einer Party des zu Geld gekommenen Betrügers Rinaldo, eines Bekannten von Augusto, stiehlt Roberto Schmuck und wird erwischt. Hier werden die Grenzen der „kleinen“ Betrüger offenbar – und die Grenzen auch des Betrugs, den Picasso begeht. Der nämlich hat seiner Frau Iris bisher erfolgreich verschwiegen, wie er sein Geld verdient. Nun, auf dieser Party Rinaldos, wo der Alkohol in Mengen fließt und das Desinteresse aller an allen offenkundig wird, wird Iris bewusst, in welchen Kreisen sich ihr Mann aufhält und was er möglicherweise alles getan hat, um an Geld zu kommen.

Und auch Augusto gerät immer deutlicher an die Grenzen seines Ganovenlebens. Als er mit seiner Tochter Patrizia ins Kino geht, wird er zufällig von einem seiner Opfer erkannt und dann von der Polizei vor den Augen seiner Tochter verhaftet.

Als er nach seiner Entlassung aus der Haft mit anderen Betrügern die Priester-Bischof-Schatz-Nummer erneut durchführen will, trifft er auf eine Frau, deren Tochter – im Alter seiner eigenen Tochter – durch Kinderlähmung stark beeinträchtigt ist – und gibt das Geld zurück. Seinen Mitganoven erzählt er dies erst später. Sie kennen kein Pardon ...

Der Schwindel ist allgegenwärtig – in einem doppelten Sinn. Die Schwindler betrügen andere und letztlich sich selbst. Augusto betrügt am Schluss doppelt, um etwas wieder gutzumachen, aus Mitgefühl für ein krankes Mädchen, und muss dies mit seinem Leben bezahlen. Diese Welt ist aber auch eine schwindelerregende Welt, in der Sicherheit, Zuverlässigkeit, Geradlinigkeit, Vertrauen usw. Fremdworte sind. Die Welt des Schwindels macht einen im Wortsinne schwindlig: Alles steht jederzeit auf der Kippe, und doch reproduziert sich diese Welt tagtäglich.

Es wird deutlich, wer Fellinis Sympathien in dieser Welt hat. Und trotzdem geht es ihm nicht um die Aburteilung einzelner, sondern um die Auswirkungen eines Systems, in dem eigentlich ganz andere die wahren Gewinner sind, während unsere Kleinganoven lediglich einen letzten Rest absahnen können – mit dem immer präsenten Risiko des gnadenlosen Scheiterns.

Die zumeist nüchterne, bedrückende und oft auch kalte Inszenierung dieser Geschichte hinterließ bei Fellinis Kritikern nicht immer den besten Eindruck. Trotzdem reiht sich „Il Bidone“ in das Werk des Regisseurs nahtlos ein – zwischen „La Strada“ (1954) und „La Dolce Vita“ (1960). Gerade die scheinbare Simplizität der Geschichte vermag die Tristesse dieser Welt in Bildern mehr als deutlich und unausweichlich schildern.

Wertung: 9 von 10 Punkten.
© Bilder: Arthaus, Kinowelt

8. Februar 2009