Im Zeichen des Bösen
(Touch of Evil)
USA 1958, 95 Minuten (Directors Cut: 112 Minuten, DVD: 106 Minuten)
Regie: Orson Welles

Drehbuch: Orson Welles, nach dem Roman „Badge of Evil” von Whit Masterson
Musik: Henry Mancini
Director of Photography: Russell Metty
Montage: Walter Murch, Aaron Stell, Virgil W. Vogel, Edward Curtiss
Produktionsdesign: Robert Clatworthy, Alexander Golitzen, John P. Austin, Russell A. Gausman

Darsteller: Charlton Heston (Ramon „Mike” Vargas), Janet Leigh (Susan Vargas), Orson Welles (Hank Quinlan), Joseph Calleia (Pete Menzies), Akim Tamiroff (Joe Grandi), Joanna Cook Moore (Marcia Linnekar), Ray Collins (District Attorney Adair), Dennis Weaver (Nachtportier des Mirador-Motels), Valentin de Vargas (Pancho), Mort Mills (Al Schwartz), Victor Millan (Manelo Sanchez), Lalo Rios (Risto), Marlene Dietrich (Tanya), Zsa Zsa Gabor (Strip-Club-Besitzerin)

Schattenseiten ...

Rasant fährt die Kamera durch die Nacht, durch Los Robles an der amerikanisch-mexikanischen Grenze. Rückwärts „grast” die Kamera den Ort ab. Ein Mann legt heimlich etwas in den Kofferraum eines Autos, mit dem ein älterer Mann und eine junge Frau dann wegfahren. Menschen bevölkern die Straßen, Männer, die Karren vor sich herschieben, andere mit Ziegen. Ein Paar geht auf die Grenze zu, an Baustellen vorbei. Die beiden haben gerade erst geheiratet: er, der mexikanische Polizist Vargas (Charlton Heston), der für seine Regierung arbeitet und Drogenhändlern auf der Spur ist, sie, eine junge, schöne Amerikanerin namens Susan (Janet Leigh). Sie passieren die Grenze, das Paar im Auto ebenfalls, und kurz danach explodiert dieses Auto kurz hinter der Grenze.

Allein schon diese Eingangssequenz des Films, ca. vier Minuten lang und untermalt durch die ebenso rasante Musik Mancinis, ist ein filmischer Rausch, ein visueller Exzess.

Die Rasanz, mit der Russel Metty die ersten Szenen dieses film noir fotografiert, bleibt dem Film bis zum Schluss erhalten. Rasanz und düstere Bilder, düstere Menschen und ein von Kriminalität gekennzeichneter Grenzort, eine Art Schmelztiegel des Bösen, des Verrats, der Kriminalität, des Verborgenen, Verheimlichten, des Betrugs und der Korruption. Orson Welles, dessen Film von Universum zerschnippelt wurde, wehrte sich in einem 58 Seiten langen Schreiben, einer Art Memorandum, gegen diese Zerstückelung seines Films, der später von Walter Murch in einer Art Directors Cut neu montiert wurde. Diese 112 Minuten lange Fassung, die Welles Vorstellungen wohl am nächsten kam, konnte ich nicht sichten. Aber auch die 106 Minuten lange Version des Films, die in der Reihe der SZ-Cinemathek erschienen ist, kommt den Forderungen des Regisseurs sehr nahe.

 

Es herrscht Rasanz und Chaos. Das Auto, das mit Dynamit hochgejagt wurde, ist umstellt von Feuerwehr, Polizei und Schaulustigen. Der Bezirksstaatsanwalt taucht auf, Vargas schickt seine Frau zurück ins Hotel und geht ebenfalls zum Tatort. Immerhin kam der Wagen aus Mexiko, die Bombe wurde dort deponiert. Und dann erscheint der amerikanische Polizeichef Quinlan (Orson Welles), ein gewichtiger Mann in jeder Hinsicht, einer, der Erfolge über Jahre bei der Verbrechensbekämpfung aufweisen kann, einer, der immer wieder zum Polizeichef gewählt wurde, der Ansehen genießt, einer, der seine Frau vor etlichen Jahren durch Mord verloren hat, einer, der früher Alkoholiker war und jetzt die flüssige Droge meidet. Quinlan ist ein Mann, der aufgrund eines Unfalls humpelt, aber sein Bein sagt ihm angeblich, was los ist, seine Intuition scheint in seinem kaputten Bein zu stecken. Vargas ist ihm im Weg. Was will dieser mexikanische Sheriff hier, in seinem Gebiet. Von Anfang an kanzelt er ihn mehr oder weniger freundlich ab.

Die Tochter des Opfers, eines Millionärs namens Linnekar, Marcia (Joanna Cook Moore), identifiziert ihren Vater. Die tote Frau ist eine Bartänzerin, eine von Linnekars Flittchen. Ein anderer Mann taucht auf, als Susan in ihr Hotel gehen will, der Neffe des Bruders eines Drogendealers, den Vargas vors Gericht gebracht hat. Man droht Susan, Vargas solle Joe Grandi (Akim Tamiroff) und seinen angeklagten Bruder in Ruhe lassen. Vargas entkommt knapp einem Säureanschlag, den einer der Neffen Grandis, Risto (Lalo Rios), auf ihn verübt.

Aber das alles ist nur Vorgeplänkel. Das alles sind nur Nebensächlichkeiten. Denn die Regie in dem nun folgenden Spiel, das zur Ergreifung des Täters führen soll, hat Quinlan, und nur Quinlan, diese dunkle Gestalt, die sich durch Vargas Fragen in seiner Regie des Geschehens gestört fühlt. Schnell hat Quinlan einen Täter ausgemacht, den mexikanischen Schuhverkäufer und Freund der Tochter des Toten Manelo Sanchez (Victor Millan). Er habe Linnekar in die Luft gejagt, weil der Millionär einen armen Schlucker als Schwiegersohn nie akzeptiert hätte, und Sanchez sei vor allem hinter dem Geld Linnekars her gewesen. Und prompt findet die Polizei in Sanchez Wohnung zwei Stangen Dynamit. Nur, als Vargas kurz zuvor den Karton, in dem das Dynamit liegt, gesehen hatte, waren die Stangen noch nicht darin. Und Vargas vermutet, dass Quinlan sie heimlich dort deponiert hat ...

Welles, der aus einer miserablen Romanvorlage, wie er einmal sagte, erst einmal ein angemessenes Drehbuch zaubern musste, inszenierte diese Geschichte um einen korrupten Polizeichef stringent und bis zum Ende ohne irgendwelche Abschweifungen oder Nebenplots „durch”. Dabei baute er auf die gegensätzlichen Charaktere der beiden Polizeibeamten Quinlan und Vargas. Für Quinlan zählt nur der (Ermittlungs-)Erfolg, der Weg, der ihn dahin führt, ist ihm egal. Vargas hingegen gehört zu jenen „Idealisten”, für die das Recht der einzige Maßstab ist, nicht der einzelne ermittelnde Beamte und seine Wünsche. Das schließt für Quinlan ein, Beweise zu fälschen, für Vargas ist so etwas kriminell.

Der Kampf beider Positionen zieht sich bis zum Schluss des Films durch, und Welles zeigt in seiner eigenen Darstellung Quinlans, wie dieser aufgrund der „nervenden” Zähigkeit Vargas beginnt, Fehler zu machen. Allerdings scheint der Schluss des Films, als Sanchez als der wirkliche Täter präsentiert wird – nur in einer Bemerkung des Assistenten des Bezirksstaatsanwalts – einen überraschenden Sieg Quinlans nahe zu legen. Hat er nicht recht gehabt mit seiner Verdächtigung? Wollte er das Ermittlungsverfahren durch die beiden Stangen Dynamit, die er selbst in Sanchez Wohnung deponiert hatte, nicht nur beschleunigen? Allerdings ist dieser Sieg trügerisch. Denn Welles zeigt und spielt diesen Quinlan als einen mehr oder weniger kaputten, desillusionierten alten Mann, dem aus tiefer Trauer um seine ermordete Frau und Enttäuschung über den dreckigen Job, den er zu verrichten hat und der ihm nichts anders als eine miese kleine Farm eingebracht hat, während einige Gangster in Millionen schwimmen, jedes Mittel recht zu sein scheint, um Erfolge aufweisen zu können.

Damit begreift Quinlan seinen Job sozusagen als eine Chance, über eine möglichst hohe Aufklärungsrate sich zu rächen – für seine verletzten Gefühle, seine Enttäuschungen usw. Dazu ist ihm jedes Mittel recht, und wie der Film zeigt, scheut er auch vor Mord nicht zurück. Allerdings ist diese Darstellung Quinlans im Hinblick auf die Frage der Identifikation mit der Figur nicht so eindeutig, wie das vielleicht scheinen mag. Denn obwohl die Sympathien eindeutig bei Vargas und dessen Frau, die nicht nur bedroht wird, sondern noch mehr erleiden muss, liegen, spielt Welles Quinlan nicht als absolut negativ besetzte Figur. Denn Quinlan ist tatsächlich ein Mann, der leidet, der bevor einen Mord begeht, um Vargas Ruf zu schädigen, wieder anfängt zu trinken, der Angst hat, dass insbesondere sein Kollege und Freund Menzies (Joseph Calleia) ihm auf die Schliche kommt und damit diese Freundschaft gefährdet. Welles „Trick”, am Schluss Sanchez als den Attentäter zu präsentieren, womit Quinlan in der Sache richtig liegt, hat natürlich auch die Absicht, den Zuschauer in eine Konfliktsituation zu führen. Hat Quinlan nicht Recht gehabt?

„Touch of Evil” ist ein film noir par excellence. Das Spiel mit der rückwärts fahrenden Kamera, aber auch die rasanten Szenen, das Spiel mit Licht und Schatten, eine Szene in einem Hotel, in dem Susan unter Drogen gesetzt wird (eine Szene, die an Hitchcocks späteren „Psycho” erinnert), die Sequenz, in der neben ihrem Bett im Hotel Ritz – Susan ist vollgepumpt mit Drogen – ein Mord begangen wird, die Charakterdarstellungen – all dies ist film noir at it’s best. Metty filmt die Personen in Großaufnahmen, immer zwischen Licht und Schatten, meist in Räumen, aus denen es kein Entkommen zu geben scheint.

In einer Nebenrolle ist übrigens Marlene Dietrich als Ex-Freundin Quinlans zu sehen – verrucht und geheimnisvoll. Und Zsa Zsa Gabor darf in einer kurzen Szene die Besitzerin eines Tanklokals spielen.

© Bilder: Universal International Pictures
Screenshots von der DVD


 

und Grandi