In den Straßen der Bronx
(A Bronx Tale)
USA 1993, 121 Minuten
Regie: Robert de Niro

Drehbuch: Chazz Palminteri
Musik: Butch Barbella, James Brown, Jimi Hendrix, John Lennon u.a.
Director of Photography: Reynaldo Villalobos
Montage: Robert Q. Lovett, David Ray
Produktionsdesign: Wynn Thomas, Chris Shriver, Debra Schutt

Darsteller: Robert De Niro (Lorenzo Anello), Chazz Palminteri (Sonny), Lillo Brancato (Calogero im Alter von 17), Francis Capra (Calogero im Alter von 9), Taral Hicks (Jane Williams), Kathrine Narducci (Rosina Anello), Clem Caserta (Jimmy Whispers), Alfred Sauchelli Jr. (Bobby Bars), Frank Pietrangolare (Danny K.O.), Joe Pesci (Carmine), Rober D’Andrea (Tony Toupee), Eddie Montanaro (Eddie Mush), Fred Fischer (JoJo the Whale), Dave Salerno (Frankie Coffeecake), Jo D’Onofrio (Slick, 17 Jahre), Luigi Angelo (Aldo, 17 Jahre), Louis Vanaria (Crazy Mario, 17 Jahre), Dominick Rocchio (Ralphie, 17 Jahre)

Real Heroes

Ich kann nicht leugnen, dass Robert De Niros „A Bronx Tale“ zu meinen Favoriten gehört, was das Genre des so genannten Mafia-Films angeht, Streifen, die weit mehr sind als Mafia-Filme. Nach der Trilogie „The Godfather“ (1972, 1974, 1990, R: Francis Ford Coppola) gehören hierzu sicherlich „Goodfellas“ (1990, R: Martin Scorsese) und „The Untouchables“ (1987, R: Brian de Palma). All diese Filme sind Gangsterfilme, aber vor allem Filme, die sich mit einem sozialen Milieu beschäftigen, mit der Geschichte von Charakteren, auf deren Entwicklung en detail sehr viel Wert gelegt wird. Nichts anderes gilt für die Geschichte Chazz Palminteris, dessen Kindheit und Jugend im Film von Lillo Brancato (im Alter von 17 Jahren) und Francis Capra (im Alter von 9 Jahren) nachgespielt wird. Allein schon das Design von „A Bronx Tale“ versetzt den Zuschauer in eine Welt, in die es leicht ist einzutauchen, eben weil der entsprechenden Umgebung, hier der Bronx in den 60er Jahren, die Figuren entsprechen, die handeln, kämpfen, leiden, lieben, leben und sterben.

Palminteri selbst spielt den lokalen Mafiosi Sonny, irgendwo in der Fordham-Nachbarschaft in der East 187th Street in der Bronx. Sonny ist kein brutaler Schläger, kein Durchschnittskrimineller ohne Sinn und Verstand. Wenn es sein muss, kennt er kein Pardon; aber er weiß, dass Gewalt nur ein Mittel von vielen ist, um seine Ziele zu erreichen.

Er wird von einem kleinen Jungen beobachtet, als er auf offener Straße, gleich neben dem Lokal, in dem Sonny und seine Spießgesellen sich treffen, einen Mann erschießt, scheinbar weil der sich mit einem anderen um einen Parkplatz streitet. Der Junge, Calogero (Francis Capra), sitzt auf der kleinen Außentreppe des Hauses, in dem er mit seinen Eltern, dem Busfahrer Lorenzo Anello (Robert de Niro) und Rosina (Kathrine Narducci), irgendwo in der dritten oder vierten Etage in einer kleinen Wohnung lebt. Sonny bemerkt, dass er beobachtet wurde, nicht nur von Calogero, auch von vielen anderen Passanten. Die allerdings sind nicht sein Problem. Sie fürchten ihn oder sie lieben ihn, wie er später einmal sagt. Sie werden nichts sagen. Aber Calogero, gerade mal neun Jahre alt. Wie wird er sich verhalten? Calogero und Sonny schauen sich von weitem in die Augen. Und der Junge versteht sofort, was Sonny ihm sagen will: Schweige. Calogero schweigt, auch als die Polizei ihn bei einer Gegenüberstellung auffordert, den Täter zu identifizieren.

Eine Hand wäscht die andere. Bist du mir gefällig, tue ich dir ebenfalls einen Gefallen. Sonny bietet Lorenzo einen Nebenverdienst für 150 Dollar die Woche an. Er soll Wettscheine für ihn transportieren. Lorenzo lehnt ab. Er will mit der Mafia nichts zu tun haben. Lorenzo sorgt für seine Frau und seinen Sohn, und er versucht, seinem Sohn deutlich zu machen, dass nur der ein wirklicher Held ist, der dies tagein tagaus als seine Aufgabe sieht und den kriminellen Machenschaften widersteht, die sich in der Bronx oder sonst wo bieten. Lorenzo ist kein autoritärer Vater, aber er weiß, warum er Calogero den Umgang mit Sonny verbietet.

Calogero ist fasziniert von diesem Mann da zwei Häuser neben der kleinen Treppe. Sonny hat Autorität, alle achten ihn, er ist selbstbewusst – und er hat es offenbar nicht nötig, sein Geld durch irgendeine Art von Maloche jeden Tag schwer zu verdienen. Über die Gänge im Keller des Hauses steigt Calogero immer wieder hinüber in die Bar, um Sonny und seine Leute zu beobachten. Und Sonny frisst einen Narren an dem Jungen, der in der Bar – heimlich, damit seine Eltern nichts merken – die Mafiosi mit Kaffee versorgen darf und einmal auch für Sonny würfeln.

Trotz aller Warnungen Lorenzos und Rosinas treibt es Calogero immer wieder in die Nähe Sonnys. Und Sonny wird zum zweiten Vater für den Jungen. Während Lorenzo seinem Sohn sagt, es gebe nichts Schlimmeres als ein vergeudetes Talent, bekommt Calogero von Sonny zu hören, dass sich letztlich niemand für einen interessiere. Er solle nicht denselben Fehler machen wie er. Lerne auf der Straße zu leben und bilde dich fort, in einem guten Job. Soweit voneinander entfernt sind Lorenzo und Sonny nicht, was Calogero anbetrifft.

Acht Jahre später, es ist 1968, Calogero ist 17, und wie die meisten anderen jungen Männer in seiner Gegend gehört auch er zu einer kleinen Bande, die – zunächst jedenfalls – nichts Weltbewegendes oder Tragisches anstellen, sich aber für den Nabel der Welt halten. Sie tragen Hüte wie die großen Vorbilder um Sonny & Co., klopfen Sprüche, halten sich für unwiderstehlich. Der Widerstand der Schwarzen gegen Rassismus trägt Früchte. Viele von ihnen trauen sich, aus ihren eigenen Vierteln in der Bronx herauszukommen. Ein neues Selbstbewusstsein ist erwacht, Black Panther und King, Malcolm X und andere haben ihre Spuren hinterlassen. Calogeros Freunde hassen die schwarzen Jugendlichen, die auf Fahrrädern an ihnen vorbeifahren, oder im Bus – ohne zu wissen, warum sie hassen. Schwarze sind für sie Nigger. Calogero versteht dies nicht. Er kann nur jemand hassen, der ihm oder seinen Freunden Böses will oder angetan hat. Aber der Cliquenzwang hält ihn bei seinen Kumpels.

Und dann sieht Calogero eine junge Frau, schlank, lange Beine, lächelnd, stolz, und vor allem Augen, denen er nicht widerstehen kann. Sie sitzt im Bus seines Vaters, der ihn mal wieder zu einem Gespräch auf eine letzte Tour an diesem Abend mitgenommen hat. Calogero kann den Blick von dieser jungen Frau nicht abwenden. Viel später sieht er sie wieder, in der Schule, und nach Unterrichtsschluss nimmt er all seinen Mut zusammen und spricht sie an. Sie heißt Jane, schlicht und einfach Jane Williams (Taral Hicks), und es stört Calogero überhaupt nicht, dass sie Schwarze ist. Sie verabreden sich, denn auch Jane findet etwas an Calogero. Es scheint beiden völlig bedeutungslos, dass eine irgendwie geartete Beziehung zwischen einem weißen Jungen und einer schwarzen Frau durch ihre jeweilige Umwelt kaum akzeptiert werden wird. Sonny redet Calogero zu. Wenn er Jane liebe, solle er sich von niemandem davon abhalten lassen. Lorenzo hat Einwände, aber letztlich würde er seinen Sohn nicht verdammen.

Dann allerdings gerät Calogero zwischen die Fronten. Seine Freunde haben nämlich nichts anderes im Sinn, als den „Niggern“ einmal so richtig eins auszuwischen ...

Was ist das Besondere an „A Bronx Tale“? Palminteri erzählt eine einfache Geschichte. Aber diese Geschichte ist prall gefüllt mit schillernden Figuren, komplexen sozialen Verhältnissen, der Frage, welche Bedeutung für die italienisch-stämmigen Einwohner Familie hat und welche Folgen dies wiederum für das Aufwachsen der Jugendlichen in einer Welt, die sich ständig verändert. Calogero wird erzogen, von seinem Vater, Sonny, aber eben auch von dem, was um ihn herum passiert. Schon im Alter von neun ist er intelligent und einfühlsam genug, um instinktiv zu erkennen, ohne die Tragweite seines Entschlusses zu durchschauen, dass er Sonny wegen des Mordes nicht verraten darf. Er muss nicht nur sich, sondern auch seine Eltern schützen. Es gibt eben keine einfachen Antworten auf komplizierte Fragen.

Calogero hat zwei Väter, und man kann nur sagen, dass er mit dieser Konstellation – jedenfalls im nachhinein betrachtet – ein Riesenglück hatte. Lorenzo will, dass sein Sohn sich auf die Suche begibt nach seinem Talent, nach dem Talent, was in ihm steckt. Sonny weiß – diese wichtige Erkenntnis hat er offensichtlich aus seiner eigenen Kindheit und Jugend gewonnen –, dass C, wie er Calogero nennt, weil ihm dessen Name zu kompliziert auszusprechen ist, Erziehung auf der Straße und Erziehung aufgrund eines Talents unabdingbar sind, um der Interesselosigkeit der anderen zu entgehen. Sonny wird entweder gefürchtet oder geliebt. Als Calogero ihn fragt, was ihm lieber sei, antwortet Sonny: Am liebsten sei ihm, wenn man ihn zugleich fürchten und lieben würde, aber Liebe sei oft nur von kurzer Dauer, daher werde er lieber gefürchtet. Das ist die Quintessenz seines Lebens als Mafiosi. Und Sonny weiß, warum er sich um C kümmert. Er will nicht, dass der Junge den gleichen Weg geht wie er.

All das, die Beziehungen Calogeros zu seinen zwei Vätern, würde wenig nützen, wenn in dem Jungen selbst nicht die Fähigkeit stecken würde, dafür ansprechbar zu sein. Seine Freunde sind es nicht. Und sie müssen bitter dafür bezahlen. Die Geschichte zwischen C und Jane scheint im ersten Moment vielleicht als eine Art Sub-Plot, aber sie ist zentral für das weitere Leben des jungen Mannes. Sicher, im Vordergrund steht das Verliebtsein der beiden. Genauer betrachtet jedoch liebt C bedingungslos. Es spielt für ihn keine Rolle, dass Jane eine Schwarze ist – und umgekehrt. Er sieht in Jane nichts weiter als den Menschen – und diese Fähigkeit hat er seinen Vätern zu verdanken.

Calogero entscheidet sich in wichtigen Momenten seines Lebens, instinktiv, später bewusst, für das Richtige. Lorenzo und Sonny zeigen ihm die Möglichkeiten, die bestehen, wohin sie führen und wohin sie nicht führen. Sonny reißt ihn aus der Situation des Gruppenzwangs, Lorenzo „unterfüttert“ Calogeros Weg immer wieder mit der Einsicht, wie wichtig es ist, für die da zu sein, die um ihn herum sind. Familie ja, aber letztlich dahinter ein Gefühl der Humanität in der eigenen sozialen Umgebung.

Ein überaus gelungenes Regiedebut De Niros, dem es gelingt, eine ganze Palette von Gefühlen in eine Geschichte zu packen, die zwar in der Bronx spielt, unter spezifischen sozialen und historischen Bedingungen, die aber letztlich so nah wirkt, so beklemmend und befreiend, dramatisch und hoffnungsvoll, dass sie weit über ihre konkreten Details hinaus Bedeutung gewinnt. Eine bis in die Nebendarsteller exzellente Besetzung, vor allem natürlich de Niro, Palminteri, Brancato, Capra und Hicks, machen „A Bronx Tale“ zu einem kleinen Epos, das einem Vergleich mit verwandten Filmen wie „Goodfellas“ durchaus gewachsen ist.


 

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