In den Wind geschrieben
(Written on the Wind)
USA 1956, 99 Minuten (DVD: 95 Minuten)
Regie: Douglas Sirk

Drehbuch: George Zuckerman, nach einem Roman von Robert Wilder
Musik: Frank Skinner
Director of Photography: Russell Metty
Montage: Russell F. Schoengarth
Produktionsdesign: Robert Clatworthy, Alexander Golitzen, Russell A. Gausman, Julia Heron

Darsteller: Rock Hudson (Mitch Wayne), Lauren Bacall (Lucy Moore Hadley), Robert Stack (Kyle Hadley), Dorothy Malone (Marylee Hadley), Robert Keith (Jasper Hadley)

Sucht und Selbstzerstörung

„Ich wollte die innere
Gewaltsamkeit der Figuren
zum Ausdruck bringen, ihre
Energie, die nicht ausbrechen
kann.“
(Douglas Sirk)

Wer heute den Begriff Melodrama hört, mag vielleicht an die Stangenware gegenwärtiger TV-Unterhaltsserien denken, in denen „das Leben” auf eine ganz eigentümliche Weise dramatisiert wird – so in etwa zwischen Ratgeber für alle möglichen wirklichen oder Scheinprobleme und Theatralisierung der vermeintlichen Fragen des „modernen” Lebens. Der Umkehrschluss, klassische Melodramen hätten eine ähnliche Bedeutung gehabt, ist allerdings trügerisch, was gerade an den Filmen des 1937 mit seiner jüdischen Frau aus Deutschland vor den Nazis geflohenen Detlef Sierck, der sich später in den USA Douglas Sirk nannte, mehr als deutlich wird. Man sehe sich beispielsweise Todd Haynes Remake eines Sirk-Klassikers an mit dem Titel „Dem Himmel so fern” (2002). Was Haynes in unseren Tagen ohne Probleme der Zensur thematisieren kann, war für Sirk in den 50er Jahren nicht möglich: Homosexualität etwa, oder die Liebe zwischen einer weißen Frau und einem dunkelhäutigen Mann.

Sirks Filme waren dennoch in einem Maße kritisch in Bezug auf seine Zeit und darüber hinaus, dass deren Bedeutung oft erst viel später erkannt wurde. In dem 1956 entstandenen „In den Wind geschrieben” nach einem Roman von Robert Wilder entfaltet Sirk in den satten bis grellen Farben, die seine Filme kennzeichnen, eine tragische Geschichte um zwei Geschwister, die – das wird einem bald deutlich – in ihrem Leben nur verlieren können. Die knalligen Farben des Films sind einerseits Kontrast zu dieser Tragik, andererseits aber künden sie auch von einer schon vorhandenen, in den folgenden Jahren noch deutlicher werdenden Nivellierung in den menschlichen und sozialen Beziehungen, einer Entwicklung, die durch Umbrüche gekennzeichnet ist und die in einer weit verbreiteten Tendenz zu Gleichgültigkeit und Belanglosigkeit münden wird – einer Entwicklung, die eben durch äußere „Knalleffekte” ihre Erbärmlichkeit nur allzu gut (oder auch nicht) verstecken lernen wird. Die „revolutionäre” Entwicklung der Werbung bis in die heutige Zeit ist nur die äußerste Speerspitze der Anzeichen für diese Tendenz.

Schon die Eingangsszene lässt deutlich werden, in welchen Räumen und Grenzen die nachfolgende Geschichte sich abspielt. Der Wind bläst bunte Blätter in eines jener Prachthäuser einer reichen Familie. Das Haus ist beleuchtet, erstrahlt fast grell in künstlichen Licht. Fast alle Türen stehen offen. Kein Mensch scheint im Haus zu sein. Da ertönt ein Schuss. Eine Frau fällt zu Boden – angeschossen oder vor Schreck?

Rückblende. Wir befinden uns in Hadley. Und der Name bürgt für Einfluss. Denn er geht zurück auf die hier ansässige Familie gleichen Namens, eine durch Öl reich, sehr reich gewordene Familie, angeführt von Jasper Hadley (Robert Keith), der mit seinen zwei erwachsenen Kindern Kyle (Robert Stack) und Marylee (Dorothy Malone) in dem Anwesen lebt. In Hadleys Firma arbeitet der Geologe Mitch Wayne (Rock Hudson), der mit Kyle und Marylee groß geworden ist. Die drei waren schon als Kinder befreundet.

Seit kurzem arbeitet für Hadley die Werbegrafikerin Lucy Moore (Lauren Bacall), und als Kyle Bekanntschaft mit ihr macht, ist er derart beeindruckt, dass er Lucy kurzerhand in seinen Privatjet lotst, um mit ihr eine große Runde zu drehen. Auch Mitch ist begeistert von Lucy. Doch Kyle handelt so schnell, dass Mitch keine Chance hat.

Kyle und Lucy heiraten, und Jasper ist von der schönen Schwiegertochter ebenfalls sehr angetan. Er hofft – und auch Lucy hofft dies –, dass Kyle nun endlich mit dem Trinken aufhört. Und Lucy erzählt Jasper zu dessen Beruhigung, Kyle habe auf der Hochzeitsreise den Revolver, den er stets unter seinem Kopfkissen liegen hatte, ins Wasser geworfen.

Währenddessen versucht Marylee immer und immer wieder, Mitch dazu zu bringen, mit ihr eine Beziehung einzugehen. Doch für Mitch, so sagt er Jasper wie seinem eigenen Vater wie auch Marylee selbst, ist sie nichts anderes wie eine Art Schwester. Marylee reagiert auf die permanente Abweisung durch Mitch mit immer wieder neuen Männergeschichten – mal ist es ein Tankwart, mal irgendein Gast in einer Kneipe auf dem Betriebsgelände, auf dem Öl gefördert wird.

Wenigstens mit Kyle und Lucy scheint es bergauf zu gehen. Als Kyle allerdings von Dr. Cochrane hört, Lucy würde möglicherweise nicht schwanger, weil er keine Kinder zeugen könne, fängt Kyle wieder an zu trinken. Er erzählt niemandem von seiner vermeintlichen Zeugungsunfähigkeit, nicht einmal seiner Frau. Marylee versucht Kyle einzureden, zwischen Lucy und Mitch habe sich eine Affäre angebahnt. Und als Lucy Kyle erzählt, sie sei schwanger, glaubt Kyle nicht, dass das Kind von ihm ist. Er verdächtigt Mitch, Vater des Kindes zu sein. Eine Katastrophe bahnt sich an ...

Ordnet man die Personen nach ihren Beziehungen, ihrer Vergangenheit und ihren Gefühlen, so entsteht nicht nur das komplexe Bild einer im Niedergang befindlichen Familie, sondern eben auch eine Art Vision über die amerikanische Gesellschaft. Es ist wenig bedeutsam, dass die Geschichte hier in einer reichen Familie spielt statt in der Mittelklasse wie in anderen Filmen Sirks. Entscheidender ist das Personengefüge selbst und seine Entwicklung. Drei Kinder wachsen miteinander auf, spielen gern zusammen an einer im Film gezeigten Stelle an einem Fluss oder See, zu dem Marylee Mitch einmal zum Picknick führt. Aber inzwischen sind die drei erwachsen geworden und haben sich völlig unterschiedlich entwickelt.

Kyle, der keinen Fuß in seinem Leben auf den Boden bekommt, schmeißt mit Geld um sich und trinkt maßlos – nicht im Country-Club der Reichen, sondern in der Kneipe der Arbeiter auf dem Betriebsgelände der Hadleys. Er sucht sozusagen den „Schmutz”, das Ordinäre, das Einfache, weil er sich selbst für einen Versager hält. Jedes Problem, das in seinem Leben auftaucht, ertränkt er in Schnaps und billigem Fusel. Kyle ist, wenn man so will, der Prototyp einer hedonistischen, aber zugleich eben extrem depressiven Generation. Wie er selbst einmal zu Lucy sagt: Wie soll er sie lieben, wenn er sich nicht einmal selbst liebt. Der Hedonismus gerät hier in die Fänge der Sucht und der Selbstaufgabe.

Bei Marylee – blond, reizend, frech, frivol und zynisch – ist es nicht der Alkohol, der sie mehr recht als schlecht am Leben hält, sondern die Sexualität. Sie ist so etwas ähnliches wie ein männermordender Vamp. Und diese Rolle hält sie aufrecht mit der Begründung: alles werde erst anders, wenn Mitch sich endlich ihr zuwenden würde.

Jasper, der Vater, hat Macht, Einfluss und Geld – aber gegenüber seinen beiden Kindern nützt ihm dies in keiner Weise – wie für seine Kinder Geld nur ein Mittel ihrer Süchte ist. Sein Tod nach einer erneuten Affäre Marylees – er stürzt nach einem Herzanfall die Treppe im Haus hinunter – ist Ausdruck der Hilflosigkeit der Elterngeneration, aber eben auch des nicht vorhandenen Verständnisses dafür, dass diese Eltern eben diese Kinder selbst geschaffen haben.

Lucy und Mitch als Vertreter einer – man möchte sagen – aufgeklärten und vernünftigen, nach Hilfe forschenden Generation sind aber ebenso macht- und hilflos gegenüber Marylee und Kyle. Fast nüchtern und manchmal gar distanziert wirken ihre Versuche, Kyle aus den Fängen der Depression und der Sucht herauszuholen, wobei Mitch schon entschlossen ist, das Haus der Hadleys zu verlassen – Richtung Iran – und nur bleibt, um Lucy zu unterstützen, weil er sie liebt.

Man könnte auch sagen, Sirk versucht Menschen zu zeigen, die unter den gegebenen Bedingungen (erfolglos) versuchen, die in ihnen vorhandene Energie, ja Gewalt in die richtigen Bahnen zu lenken. Doch dabei stellen sie die gegebenen Bedingungen eben nicht in Frage. Marylee klammert sich an ihre völlig aussichtslosen Liebe zu Mitch; Kyle klammert sich an seine Depression, in der er immer wieder die Rechtfertigung findet, noch depressiver zu werden. Und Mitch ist überhaupt nur noch im Hause der Hadleys, weil er in Lucy verliebt ist. Lucy heiratet einen Mann, ohne sich darüber klar zu sein, welche Dimensionen dessen Labilität wirklich hat.

Dass Marylee und Kyle die Verlierer dieser Geschichte sein werden, dass Einsamkeit und Tod am Ende ihrer Entwicklung stehen werden, liegt in der Konsequenz dieser Handlungsstrukturen. Was Sirk hier in letzter Konsequenz prognostiziert, ist eine Gesellschaft der Sucht. Die Energien, gebündelt in allen Personen, entfalten sich nicht mehr frei, was eine irgendwie geartete funktionierende (auch emotional gesteuerte) Kommunikationsstruktur (abseits aller damit möglicherweise verbundenen technischen Implikationen) zur Voraussetzung hätte. Sie bündeln sich in der Binnenstruktur der Akteure, um dort teilweise zu verpuffen, teilweise sich an Objekten „abzuarbeiten”, an denen diese Energien ebenfalls verpuffen müssen. Dies alles deutet auf die Unfähigkeit hin, sich selbst zu lieben, um auch andere lieben zu können – wie es Kyle in einem wachen Moment selbst einmal formuliert. So verpuffen diese Energien in Süchten: sei es dem Alkohol, sei es einer Art sexuellen Sucht wie bei Marylee.

Während Kyle seine Depressionen in Alkohol ertränkt und in dem Moment, da man ihm Zeugungsunfähigkeit attestiert, umso mehr, tötet Marylee schon die Möglichkeit zur Liebe, in dem sie sich als Vamp strukturiert. Während Kyle die Nachricht über seine bevorstehende Vaterschaft gar nicht mehr glauben kann, weil er unfähig ist, so etwas Positives mit sich in Verbindung zu bringen, und zur äußeren Gewalt greift (er bedroht Mitch mit einer Waffe), greift Marylee zum Mittel der Intrige, des Gerüchts, der Lüge, damit – wenn sie Mitch schon nicht bekommen kann – keine andere das Objekt ihrer Begierde bekommt.

Die Sucht ist so stark, dass die Wirklichkeit sich entsprechend verformt und bestimmte Dinge, die nicht der Sucht zuzuordnen sind, mit Gewalt aus der Sucht-Realität vertrieben werden sollen.

Auch wenn in Sirks Geschichte „nur” zwei Süchte thematisiert werden, stehen diese doch für eine prognostizierte Entwicklung hin zu einer Gesellschaft, die von dem Sucht-Phänomen überwölbt zu werden droht, das heißt auch einer Gesellschaft, die nicht mehr in der Lage ist, die wirklichen Probleme auch nur ansatzweise in den Griff zu bekommen oder gar zu lösen. Lucy und Mitch stehen für diese Versuche – und scheitern. Als sie am Schluss gemeinsam das Anwesen der Hadleys verlassen, ist nicht nur der Vater tot, sondern auch Kyle, während Marylee einsam im Anwesen der Familie zurückbleibt. Wer allerdings meint, Sirk entlasse uns in depressiver Stimmung aus dem Film, irrt. Marylee hatte kurz zuvor in einem Prozess gegen Mitch, der wegen Tötung von Kyle angeklagt worden war, die Wahrheit gesagt. Das konnte sie nur, weil sie Mitch endlich losgelassen hatte – voll des Schmerzes, aber eben doch aufgrund eines endlich vorhandenen Gefühls der Sinnlosigkeit ihres bisherigen Lebens. In ihr sehe ich die wirklich positive Figur in diesem Film. Auch wenn sie in diesem großen Haus allein zurückbleibt, scheint sie doch von ihrer Sucht befreit – ja, sich selbst befreit zu haben.

Es ist dieser positive „Effekt”, der am Schluss – trotz des schmerzvollen Blicks Marylees aus dem Fenster zu Mitch und Lucy hin – bleibt – ein Effekt und ein Blick, die letztlich nur bedeuten können: Ich muss von vorne anfangen. Selbstverständlich muss der Film die Antwort auf die Frage nach dem Gelingen dieses Neubeginns offen lassen.

Die extrem gelungene Stilisierung dieser Geschichte, die wie eine Mischung aus Pulp, Illustrierten-Story und Krimimassenware wirkt, aber dennoch immer wieder ernsthaft, auch in den Dialogen, auf die Wirklichkeit rekurriert, macht den Unterschied des Sirk’schen Gesamtwerks etwa zu „modernen“ Pulp-Storys à la „Denver Clan“ oder noch bieder-billigeren Produktionen aus hiesigen Landen deutlich. Was bei Sirk immer wieder einen Bezug zur Lebenswirklichkeit hat und aus diesem Grund auch eine aussagekräftige „Botschaft“ enthält, erscheint in den „modernen“ Serien der TV-Sender geradezu als ungewollt-komische Kolportage, als Abziehbild gepflegter Vorurteile und als klischeebeladenes Geschwafel über das, was angeblich wirklich und bedeutsam ist.

© Bilder: Universal Pictures.
Screenshots von der DVD.