Invictus - Unbezwungen
(Invictus)
USA 2009, 133 Minuten
Regie: Clint Eastwood

Drehbuch: Anthony Peckham, nach dem Buch von John Carlin
Musik: Kyle Eastwood, Michael Stevens
Director of Photography: Tom Stern
Montage: Joel Cox, Gary Roach
Produktionsdesign: James J. Murakami

Darsteller: Morgan Freeman (Nelson Mandela), Matt Damon (François Pienaar), Tony Kgoroge (Jason Tshabalala), Patrick Mofokeng (Linga Moonsamy), Matt Stern (Hendrick Booyens), Julian Lewis Jones (Etienne Feyder), Adjoa Andoh (Brenda Mazibuko)

I am the captain of my soul

"Out of the night that covers me,
Black as the Pit from pole to pole,
I thank whatever gods may be
For my unconquerable soul." (1)

Clint Eastwoods Filme haben – besonders in den letzten Jahren – die Filmgemeinde stets gespalten. Eastwood gehört nicht zu jenen, die ihre Botschaften, wenn sie denn welche haben, verschlüsselt an ihr Publikum weitergeben. Eastwood ist direkt oder gar nicht. Er hat keine Skrupel, alt hergebrachte Hollywood-Mittel anzuwenden, um sein Ziel zu erreichen. Bei ihm kann es melodramatisch zugehen, aber auch "simpel", wie manche seiner Gegner das wohl nennen würden. Andere würden es vielleicht realitätsfern nennen oder idealistisch-naiv. Ich gehöre to the other side – den Bewunderern des alten Mannes, der bald 80 Jahre alt wird. Kaum ein Film von ihm, der mir nicht gefällt, in letzter Zeit besonders "Mystic River", "Gran Torino" oder auch "Million Dollar Baby".

Im Zentrum seiner Geschichten – und Eastwood ist im guten, alten Sinn Geschichtenerzähler – stehen stets Individuen, keine Kollektive. Da herrscht keine Masse, auch wenn sie einmal sichtbar ist und es um sie letztendlich geht wie jetzt in "Invictus". Dieser Zuschnitt auf das Individuum hat bei Eastwood allerdings kaum etwas mit der grassierenden Ideologie des Individualismus zu tun, in deren Zentrum das Götzenhafte des egozentrischen "modernen" Menschen steht und dessen Beweihräucherung. Das Individuum bei Eastwood ist einerseits Sprengkraft, andererseits immer bezogen auf seine mehr oder minder große Umgebung, sprich eine ganze Reihe oder Masse von Menschen, letztlich auf uns alle. Die Sprengkraft resultiert bei ihm fast immer aus ethischen Fragen (besonders der der Möglichkeit, Notwendigkeit bzw. Rechtfertigung oder Ablehnung von Verhaltensweisen wie Rache). Das Ethische in seinen Geschichten hat aber nichts Lehrhaftes oder gar Lehrsatzhaftes (man vergleiche hierzu etwa die abscheuliche, immer wieder aufflammende Debatte um die "Werte" in Deutschland, die sich stets so geriert, als könne man diese sog. Werte tatsächlich jemandem eintrichtern!). Das Ethische bei Eastwood ist ausnahmslos und unabänderlich verknüpft mit den jeweiligen Individuen im Zentrum seiner Geschichten und ihrem konkreten Leben. Es hat geradezu etwas Mythisches, so paradox das klingen mag, weil es für die Geschichte, die er erzählt, lebensnotwendig erscheint, manchmal geradezu sinnstiftend – ohne aber in den nebulösen Bereich des Sagenhaften, Märchenhaften zu geraten. Eastwood bleibt nämlich Realist.

"In the fell clutch of circumstance
I have not winced nor cried aloud.
Under the bludgeonings of chance
My head is bloody, but unbowed."

Sein neuer Film über eine Episode des großen, alten Mannes von Südafrika, Nelson Mandela, fällt genau in diese Kategorie der Sinnstiftung. "Invictus" (Unbezwungen) leitet sich her aus einem Gedicht des britischen Schriftstellers William Ernest Henley aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, das Mandela in seiner langen Haftzeit auf Robben Island angeblich immer dann gelesen hatte, wenn es ihm sehr schlecht ging.

Der Film beginn mit einer kurzen Schilderung der Ereignisse zwischen der Freilassung Mandelas am 11.2.1990 und seiner Wahl zum Präsidenten am 9.5.1994. Mandela weiß, vor welchen schwierigen Problemen Südafrika steht. Und gleich zu Beginn sehen wir Morgan Freeman – der einzige, den ich mir in dieser Rolle wirklich vorstellen kann – als Mandela in seinem Amtszimmer, vor sich die bisherigen Mitarbeiter des vormaligen Präsidenten Botha, vor allem Weiße. Und schon hier wird deutlich, wohin Eastwood seine Geschichte treibt: Er fordert alle Mitarbeiter auf sich zu entscheiden, ob sie für das Wohl des Landes arbeiten wollen. Wer das nicht könne, weil er Präsident sei und der ANC die Wahlen gewonnen habe, solle lieber gehen. Alle anderen, ob schwarz oder weiß, seien herzlich dazu eingeladen, am Aufbau des Landes weiterzuarbeiten.

Selbst die bisherigen weißen Sicherheitsbeamten der Regierung Botha, seine Leibgarde, lässt Mandela im Amt – zur Überraschung seiner eigenen Sicherheitsleute, die darüber nicht besonders erfreut sind.

In knapp einem Jahr findet der Weltcup im Rugby in Südafrika statt. Die "Springboks", das südafrikanische Rugby-Team, besteht aus weißen Spielern und einem schwarzen Spieler. Sie tragen noch immer die Farben des Apartheid-Regimes, und ihr Name "Springboks" ist bei der schwarzen Bevölkerung verhasst. Spielführer ist der von Matt Damon (etwas zurückhaltend) gespielte François Pienaar. Ihr Problem: Sie sind nicht Weltspitze und haben kaum eine Chance, beim Weltcup auf die vorderen Plätze zu kommen, geschweige denn zu gewinnen.

Schwarze Sportverbände fordern das Verbot der Farben, Embleme und des Namens der "Springboks". Doch Mandela weiß, worauf es in Südafrika zunächst ankommt: auf Versöhnung. Wenn er und seine Regierung die Gegensätze aus der Apartheid-Zeit nicht überwinden können oder sie sogar durch eine falsche Politik unter gegensätzlichen Vorzeichen verschärfen würden, könnten keines der großen Probleme im Land gelöst werden.

Mandela erkennt, dass der Sport ein Mittel sein könnte, einiges an Angst, Vorurteilen, Vorbehalten und Ablehnung zu überwinden. Er lädt Pienaar zu sich ein und vermittelt ihm, es wäre schön, wenn die "Springboks" den Weltcup gewinnen könnten. Pienaar ist sprachlos und völlig überrascht. Mandela schickt die "Springboks" in die Townships, erklärt öffentlich, wie wichtig diese Sache für die Einheit des Landes ist und nimmt Einfluss auf die schwarzen Sportfunktionäre. Pienaar tut das seinige, um die "Springboks" zu zumindest einem Fokus der Einigung Südafrikas zu machen.

Dann kommt der Worldcup 1995 ...

"Beyond this place of wrath and tears
Looms but the Horror of the shade,
And yet the menace of the years
Finds, and shall find, me unafraid."

Die Botschaft ist so eindeutig, dass man sie nicht übersehen kann. Der dargestellte Erfolg Mandelas, über Rugby jedenfalls teilweise die alten Gegensätze des Apartheid-Regimes zu überwinden und neue zu verhindern, wird einem derartig dick aufs Auge gedrückt, dass man durchaus zu dem Urteil kommen könnte, Eastwood habe hier wie nie zuvor in seinen Filmen der Simplizität und Naivität breiten Raum eingeräumt – und daher: Vergesst den Film!

Doch ich bin anderer Meinung.

Es ist ein Kennzeichen der langen Tradition Hollywoods, durch die dramaturgische Simplizität einer Geschichte dem Zuschauer eine Botschaft ohne Umwege und ohne Nebenstränge der Handlung direkt zu servieren. Das kann gut oder schlecht gemacht sein. Vieles hängt vom Inhalt der Botschaft selbst ab; vieles auch von der Art der "Simplizität". Bei "Invictus" würde ich hier in beiden Fällen den Daumen hoch halten.

"It matters not how strait the gate,
How charged with punishments the scroll,
I am the master of my fate:
I am the captain of my soul."

Da hätten wir zunächst einmal die realistische Darstellung Mandelas, vor allem in Bezug auf einen Punkt. Mandela saß fast drei Jahrzehnte in einer engen Zelle des Apartheid-Regimes. Für ihn hätte es genügend Gründe gegeben, "die Weißen" zu hassen und ihnen das Leben schwer zu machen. Das Gegenteil war der Fall. Er geht auf sie zu. Und seiner Meinung gibt es nur einen Weg für Südafrika: Versöhnung. Morgan Freeman spielt diesen Mandela als einen ruhigen, fast gelassenen Mann, der eine integrative Kraft entwickelt, die seinesgleichen sucht. An einer Stelle sagt einer der weißen Bodyguards, die Mandela weiter beschäftigt, zu einem seiner schwarzen Kollegen: Bei Botha und de Klerk habe man sich unsichtbar machen müssen, Mandela aber schaue einem direkt in die Augen; bei ihm müsse man sichtbar sein bei seiner Arbeit.

Mandela geht direkt auf alle zu, um sein Ziel zu erreichen. Es ist diese integrative Kraft, diese Abwesenheit jeglicher Vorurteile, mit der er alle, selbst und vor allem seine engsten Mitarbeiter, verblüfft, manchmal auch vor den Kopf stößt, weil sie ihn nicht verstehen, die das Manipulative, Taktische, Strategische seiner Handlungsweise eins werden lässt mit dem zutiefst Humanen, das er erreichen will. Pienaar sagt er in dem ersten Gespräch zwischen den beiden, man brauche manchmal Inspiration, wenn man eine Niederlage nach der anderen erlebe. Er verweist auf das Gedicht Henleys, das für ihn im Gefängnis eine solche Inspiration gewesen sei. Nach und nach versteht Pienaar, was Mandela meint.

Die Inspiration hat nichts mit irgendeinem nationalen Mythos zu tun. Da würde man Mandela falsch verstehen. Der Sport ist für ihn eine Art"einfache" Möglichkeit, Menschen, die früher Opfer und Täter waren, aus diesem schlimmen Kontext zu reißen. Manches an "Invictus", z.B. die Darstellung dieses Sich-Näher-Kommens zwischen den weißen und schwarzen Sicherheitsbeamten, mag erfunden oder zumindest übertrieben erzählt sein. Aber das ist nicht der entscheidende Punkt. Bedeutsamer ist, vor allem in der letzten halben Stunde des Films, wie Eastwood über die ausgedehnte Darstellung des Rugby-Spiels zwischen Südafrika ("Springboks") und Neuseeland ("All Blacks") im Ellis-Park-Stadion von Johannesburg diese Integration vermittelt.

Es ist klar, dass dies nur ein Punkt in der Geschichte Südafrikas ist, aber ein wichtiger. Denn der Kern der Botschaft Eastwoods (und Mandelas) besteht nicht in einer konkreten Geschichte, sondern in der Frage, wie in einer solchen zerrissenen Situation wie damals Politik zu machen ist, richtig zu machen ist. Die Politik, die Eastwood hier zeigt, kann von Rückschlägen begleitet sein, von Fehlern usw. Aber ist sie im Kern richtig oder nicht? Sie ist richtig – und schwierig für viele.

"I am the captain of my soul."

Wertung: 10 von 10 Punkten.

© Bilder: Warner Brothers Pictures und Spyglass Entertainment.


(1) Hier die Übersetzung des Gedichts von Henley:

Aus dieser Nacht, die mich umhüllt,
von Pol zu Pol schwarz wie das Grab,
dank ich welch immer Gottes Bild
die unbezwung'ne Seel mir gab.

Wenn grausam war des Lebens Fahrt,
habt ihr nie zucken, schrein mich sehn!
Des Schicksals Knüppel schlug mich hart -
mein blut'ger Kopf blieb aufrecht stehn!

Ob zornerfüllt, ob tränenvoll,
ob Jenseitsschrecken schon begann:
das Grauen meines Alters soll
mich furchtlos finden, jetzt und dann.

Was kümmert's, dass der Himmel fern
und dass von Straf' mein Buch erzähl',
ICH bin der Herr von meinem Stern,
ICH bin der Meister meiner Seel'!

(William Ernest Henley, 1849-1903: Invictus)

(20. Februar 2010)