Down by Law (1986)
Dead Man (1995)
Coffee and Cigarettes (2003)
Mystery Train (1989)
Permanent Vacation (1980)





Down by Law
(Down by Law)
USA 1986, 107 Minuten
Regie: Jim Jarmusch

Drehbuch: Jim Jarmusch
Musik: John Lurie, Tom Waits („Jockey Full of Bourbon“, „Tango Till They're Sore“)
Director of Photography: Robby Müller
Montage: Melody London
Produktionsdesign: Janet Densmore

Darsteller: Tom Waits (Zack), John Lurie (Jack), Roberto Benigni (Roberto), Nicoletta Braschi (Nicoletta), Ellen Barkin (Laurette), Billie Neal (Bobbie), Rockets Redglare (Gig), Vernel Bagneris (Preston), Timothea (Julie)

Down, but not under

„Edna Million in a drop dead suit
Dutch Pink on a downtown train
two dollar pistol but the gun won't shoot
I'm in the corner in the pouring rain
16 men on a deadman's chest
and I've been drinking from a broken cup
2 pair of pants and a mohair vest
I'm full of bourbon; I can't stand up.“ [1]

Da steht das Gesetz, hier stehen Zack (Tom Waits), Jack (John Lurie) und Roberto (Roberto Benigni) und dahinten stehen Laurette (Ellen Barkin) und Julie (Timothea). Das Gesetz greift durch, die beiden Frauen treiben an und die drei Männer leben in den Tag, allerdings auf unterschiedliche Weise. Der DJ Zack wechselt die Jobs wie die Unterhosen. Der Zuhälter Jack schlägt seine Huren nicht und döst in den Tag und der Italiener Roberto spricht kaum englisch und betrügt beim Kartenspiel. Jack wird reingelegt, als ihn ein gewisser Preston (Vernel Bagneris) zu einer Hure lockt, die gar keine ist, einem Kind. Die Polizei verhaftet ihn als potentiellen Kinderschänder. Zack wird reingelegt, als er für 1.000 Dollar eine Leiche im Auto transportieren soll, von der er nichts weiß. Beide landen im Knast – mehr aus eigener Unvorsichtigkeit, denn weil die Polizei immer an Ort und Stelle ist.

Sie mögen sich nicht, sind beide Einzelgänger, gehen sich auf die Nerven, raufen – bis sie sich – der Umstände wegen und aus Langeweile – miteinander arrangieren. Roberto, der beim Kartenspiel als Falschspieler enttarnt wurde und mit Billardkugeln traktiert wurde, landet bei ihnen, weil eine Kugel, die er zurückwarf, einen anderen tödlich traf.

„Hey little bird, fly away home
your house is on fire; your children are alone
Hey little bird, fly away home
your house is on fire; your children are alone.“ [1]

Jarmusch ist ein Meister des Minimalismus. Es reichen ihm wenige Personen, enge Räume, einfache Räume. Es reichen ihm Anklänge, auch an Klischees des Gangsterfilms, hier des Gefängnisfilms. Eine Zelle, zwei doppelstöckige Betten, drei Männer – fertig. Später ein Sumpf in Louisiana, eine Hütte, die fast aussieht wie die Zelle, ein Boot. Jarmusch erzählt und Robby Müller fotografiert „zwischen den Szenen“ des Hollywood-Films, das, was im Mainstream und seinen Abarten nicht zu sehen ist oder anders zu sehen wäre, was für unwert deklariert wird; hielte man etwas auf sich und auf gute Kunst, guten Geschmack und vor allem: hielte man etwas vom wirklichen Sehen statt vom trügerisch-spekulativen Blicken, wäre Hollywood ein bisschen anders.

Während Zack und Jack, die sich bislang durchs Leben geschmuggelt haben, aus lauter Langeweile eine unausgesprochene Vereinbarung treffen, die ihnen die Zeit vertreiben soll, prescht der Italiener Bob in die Zelle mit all seiner Vitalität und vor allem seinem Einfallsreichtum, der den dreien schließlich die Flucht ermöglicht. Anfangs meiden sie ihn, wenden ihre Blicke von ihm ab. Aber Roberto zückt seinen Notizblock, blättert und liest vor: Wenn Blicke töten könnten ... Man spielt Karten. Konvenienz heißt das Zauberwort für Jack und Zack, die beiden Holzköpfe, die sich – statt einen Ausweg zu suchen – lieber wieder klopfen, als die drei im Sumpf stecken, Hunger haben – während der schlaue Roberto doch etwas schlauer ist als sie und als das Kaninchen, das er anschleppt.

„Schiffer broke a bottle on Morgan's head
and I've been stepping on the Devil's tail
across the stripes of a full moon's head
through the bars of a cuban jail
bloody fingers on a purple knife
a flamingo drinking from a cocktail glass
I'm on the lawn with someone else's wife
come admire the view from up onto of the mast.“ [1]

Wie in allen seinen Filmen folgt Jarmusch auf eine tragikomische, meist aber sehr sarkastische Weise den Spuren, die sich ergeben, wenn mindestens zwei Menschen aufeinander treffen. Da wird nichts zusätzlich inszeniert, da werden keine Räume mit allerlei Krempel ausstaffiert, da werden keine Wege mehr oder weniger insgeheim dem Publikum vorgegeben, da spielen der Zufall und der Weg aus dem Zufall die entscheidenden Rollen. Und der unverbrüchliche Egoismus von Jack und Zack, den Jarmusch nicht verdammt, sondern beobachtet und sich entwickeln lässt. Robby Müller gefiel es, dass der Film in Schwarz-Weiß gedreht wurde. Das starke Grün des Wassers, auf dem die drei Männer mit einem Boot auf der Flucht sind, hätte vom Wesentlichen abgelenkt, die Aufmerksamkeit zu sehr auf sich gezogen, meinte er. Recht hat er.

Wie kaum bei einem anderen leben Jarmuschs Filme von den Schwarz-, Weiß- und Grautönen einer Landschaft, wie sie auch kaum ein anderer so zeigen kann, wobei diese Bilder gelegentlich an den Finnen Kaurismäki erinnern. Wenn Müller mit seiner Kamera im Vorspann an den Häusern irgendwo in Louisiana vorbeifährt, zeigt er die Tristesse eines Amerika, das andere lieber nicht sehen oder zeigen wollen. Der Abfall liegt auf der Straße, Zacks extravagant spitze Schuhe auch, die Laurette samt seiner anderen Habe dorthin geschmissen hat. In all dem Unrat wechselt er die Schuhe, die er liebt, während er Laurette offenbar nicht vermisst. Trotz der minimalistischen Inszenierung aber gehört der Raum denen, die in ihm agieren. Und Jarmusch verschafft uns paradoxerweise gerade dadurch eine Fülle an Eindrücken, die jedem Mainstream-Film eben trotz der dort anzutreffenden pompösen Fülle an Dingen abhanden geht. Jarmuschs Räume sind eng, ob es eine Zelle ist oder die Sümpfe in Louisiana; sie weiten sich erst durch die, die er hineinstellt. Man betrachte die Szenen im Gefängnis, wenn Jack, Zack und Roberto am Gitter stehen und Roberto wissen will, warum die beiden anderen dort sind.

„Yellow sheets in a Hong Kong bed
Stazybo horn and a Slingerland ride
to the carnival is what she said
a hundred dollars makes it dark inside.“ [1]

„Down by Law“ ist so etwas wie ein Märchen, jedenfalls dann, wenn man den offenen Ausgang des Films betrachtet, den Weg dorthin, die formale Strenge, mit der sich Jarmusch an das Sub-Genre des Gefängnisfilms hält. „Down by Law“ ist aus einer anderen Perspektive aber vor allem ein ganz anderer Blick auf Amerika. Wenn Roberto am Schluss „seine“ Nicoletta (Nicoletta Braschi) findet, dann ist dies formal betrachtet ein märchenhaftes Heilsversprechen, ein Ankommen in der „zweisamen Einsamkeit“, während die beiden anderen die Straße weitergehen und sich an der Weggabelung trennen. Aber dieses Ankommen und dieses Trennen sind auch die Erkenntnis, das jeder seinen eigenen Weg gehen muss – nicht in einem oberflächlichen Sinn, wie es der Mainstream-Film so beschaulich platt-pädagogisch vor macht, sondern in einem nach der Geschichte überzeugenden, im positiven Sinn simplen Sinn. Jarmusch drehte – wie immer – einen anti-american-way-of-life-Film, der nicht nur dem Mainstream, sondern auch den dahinter steckenden ideologisch verblendeten Chiffren über das vermeintliche Amerika einen Schlag versetzt.

Auch die Besetzung kann voll überzeugen. John Lurie, der Musiker („The Lounge Lizards“), der u.a. auch in „Stranger than Paradise“ (1983), in Lynchs „Wild At Heart“ (1990) und „Paris, Texas“ (1984) zu sehen ist und die Musik zum Film schrieb, ergänzt sich hervorragend mit Tom Waits, der mit „Jockey Full of Bourbon“ und „Tango Till They're Sore“ zwei Songs zum Film lieferte, und Roberto Benigni, dessen Frau Nicoletta Braschi in einer Nebenrolle zu sehen ist – ein Trio infernale und ein komisches Trio zugleich.

[1] Tom Waits: „Jockey Full of Bourbon“.



Dead Man
(Dead Man)
USA 1995, 121 Minuten
Regie: Jim Jarmusch

Drehbuch: Jim Jarmusch
Musik: Neil Young
Director of Photography: Robby Müller
Montage: Jay Rabinowitz
Produktionsdesign: Bob Ziembicki

Darsteller: Johnny Depp (William „Bill“ Blake), Gary Farmer (Nobody / Niemand), Robert Mitchum (John Dickinson), Lance Henriksen (Cole Wilson, Kopfgeldjäger), Michael Wincott (Conway Twill, Kopfgeldjäger), Eugene Byrd (Johnny „The Kid“ Pickett, Kopfgeldjäger), Iggy Pop (Salvatore „Sally“ Jenko, Jäger), Billy Bob Thornton (Big George Drakoulious, Jäger), Jared Harris (Benmont Tench, Jäger), Mili Avital (Thel Russell), Gabriel Byrne (Charles Ludlow Dickinson), Alfred Molina (Händler in der Poststation), Crispin Glover (Maschinist), John Hurt (John Scholfield, Büroleiter bei Dickinson), John North (Buchhalter bei Dickinson), Mark Bringleson (Lee, Marshall), Jimmy Ray Weeks (Marvin, Marshall), Michelle Thrush (Niemands Freundin)

Der Mensch des Menschen Wolf ...

„To see a world in a grain of sand,
And a heaven in a wild flower,
Hold infinity in the palm of your hand,
And eternity in an hour.
A robin redbreast in a cage
Puts all heaven in a rage.
A dove-house fill'd with doves and pigeons
Shudders hell thro' all its regions.
A dog starv'd at his master's gate
Predicts the ruin of the state.
A horse misused upon the road
Calls to heaven for human blood.
Each outcry of the hunted hare
A fibre from the brain does tear.“ [1]

Wege, die sich kreuzen oder auch nicht. Strecken, die zurückgelegt werden. Endlos scheinende Wege, durch eine Wildnis, die keine mehr ist, durch eine Zivilisation, die etwas auf sich hält, vor allem auf ihre kulturelle Hybris gegenüber allem, was nicht weiß, nicht europäisch, nicht indianisch und nicht schwarz ist. Wege, die zu nichts zu führen scheinen – in einem „kulturell erschlossenen“ Land, dessen Weite eben doch nicht endlos und dessen Kultur eben doch nicht hochstehend ist. „Machine“ – ein Ort am Arsch der Welt, schmutzig, schlammig, verkommen, verkorkst, eben Sinnbild der „neuen Welt“, des nicht mehr so neuen Amerika, Symbol für die Maschine, die sich durch die Weite des Westens unaufhaltsam vorwärts bewegt, bis zum Pazifik, mal als Dampfwalze, die alles nieder macht, was sich ihr in den Weg stellt – vor allem Indianer und ihre Habe, ihre Zelte –, mal als scheinbar örtlich gebundene Industrieanlage, die von einem der Protagonisten der „neuen Welt“, Mr. John Dickinson (Robert Mitchum), in patriarchalisch-diktatorischer Manier mit dem Colt oder dem Gewehr in der Hand verteidigt wird – ein Werk, herüber exportiert aus der alten Welt, wiederholend, was in nur wenigen Jahrzehnten schon in Europa die Welt umgekrempelt hat für die neuen Herren und die neuen Sklaven. Es ist angerichtet.

„A skylark wounded in the wing,
A cherubim does cease to sing.
The game-cock clipt and arm'd for fight
Does the rising sun affright.
Every wolf's and lion's howl
Raises from hell a human soul.
The wild deer, wand'ring here and there,
Keeps the human soul from care.
The lamb misus'd breeds public strife,
And yet forgives the butcher's knife.
The bat that flits at close of eve
Has left the brain that won't believe.
The owl that calls upon the night
Speaks the unbeliever's fright.“ [1]

Das „Zeitalter der Industrialisierung“ hat alles gleich gemacht: die Menschen, die nun entweder arbeiten oder Unternehmer sind, die Städte, die alle gleich aussehen, wie der Indianer Niemand (Gary Farmer) konstatiert, der durch halb Amerika und dann über den Atlantik nach England verschleppt wurde, bis er in seine kaum wieder zu erkennende Heimat zurückkommen konnte. Jetzt hat das „kulturelle Aufbauwerk“ hier den Hobel angesetzt.

Nur der Unschuldige, der unbedarfte junge Mann, der in der Eisenbahn sitzt, mit einer Nickelbrille auf der Nase, einem karierten Anzug aus Cleveland, einem Koffer – der sieht das alles nicht, der kennt nichts und der weiß nichts, vor allem nicht, was ihn erwartet, in „Machine“. Eine Stelle wurde ihm, Mr. William Blake (Johnny Depp), zwei Monate zuvor versprochen, eine Stelle als Buchhalter bei Mr. Dickinson. Da sitzt er, im Zug, der sich durch die amerikanischen Landschaften bewegt, als wäre hier nichts geschehen, als sei alles in Ordnung. Schweigend sitzt er in seinem Abteil. Die Fahrgäste wechseln, keiner sonst spricht ein Wort. Ein paar Blicke hier und da. Nur der im Gesicht von Ruß geschwärzte Maschinist (Crispin Glover) spricht ihn an, und wir erfahren, dass Blake seine Eltern verloren hat und nun auf eine neue Zukunft in „Machine“ hofft. Ha, was glaubt der, wo er hinkommt und was ihn erwartet.

„He who shall hurt the little wren
Shall never be belov'd by men.
He who the ox to wrath has mov'd
Shall never be by woman lov'd.
The wanton boy that kills the fly
Shall feel the spider's enmity.
He who torments the chafer's sprite
Weaves a bower in endless night.
The caterpillar on the leaf
Repeats to thee thy mother's grief.
Kill not the moth nor butterfly,
For the last judgement draweth nigh.“ [1]

Was ihn erwartet? Mr. Dickinson hat längst einen Buchhalter, und sein Adjutant Scholfield (John Hurt) und die anderen Angestellten des kapitalistischen Patriarchs im Büro lachen hämisch, als Blake darauf besteht, Dickinson persönlich sprechen zu wollen. Der jagt ihn mit der Flinte hinaus. Aus der Traum. Und wie das Schicksal so spielt, wenn man keinen Cent mehr in der Tasche hat, nimmt das Drama seinen Lauf. Der Papierblumen verkaufenden jungen Thel (Mili Avital) schaut Blake ein bisschen zu tief in die Augen und in den Üppiges enthüllenden Ausschnitt. Ihr Freund Charlie (Gabriel Byrne), Sohn von Dickinson, überrascht die beiden im Bett, erschießt Thel, nachdem sie ihm erklärte, sie habe ihn nie geliebt, und trifft auch Blake, woraufhin dieser, unerfahren im Umgang mit rauchenden Colts, Charlie beim dritten Versuch tödlich im Hals trifft – und von einer Sekunde auf die andere zum Outlaw wird, auf den Dickinson die drei Killer Cole Wilson (Lance Henriksen), Conway Twill (Michael Wincott) und „The Kid“ Pickett (Eugene Byrd) ansetzt.

Wieder Schicksal: Nobody, der Indianer, der von seinem Stamm weggegangen ist, der alleine und philosophierend durch die Berge, Wälder und Prärien zieht, findet den verletzten Blake, versorgt ihn – und hält ihn für den englischen Dichter gleichen Namens. Der Dichter ist tot, und den, den Niemand hier sieht, sehen will, dass ist der Dichter auf seinem letzten Weg in die ewigen Jagdgründe, einer, der seinen Tod noch nicht gefunden hat, weil er ihn vielleicht nicht akzeptieren will. Niemand sieht seine Aufgabe darin Blake, den vermeintlichen Dichter, auf seinem Weg zu begleiten, ihn vor dem Zugriff durch die Blake verfolgenden Killer zu schützen. „Hast du Tabak?“ Nein, Blake hat keinen Tabak, er raucht nicht, und muss sich doch diese Frage mehrmals anhören. Rauchen steht hier auch für eine Art symbolisch-kulturelle Untermauerung der eigenen Vergänglichkeit.

„He who shall train the horse to war
Shall never pass the polar bar.
The beggar's dog and widow's cat,
Feed them and thou wilt grow fat.
The gnat that sings his summer's song
Poison gets from slander's tongue.
The poison of the snake and newt
Is the sweat of envy's foot.
The poison of the honey bee
Is the artist's jealousy.
The prince's robes and beggar's rags
Are toadstools on the miser's bags.
A truth that's told with bad intent
Beats all the lies you can invent.“ [1]

Warum glaubt dieser William Blake nicht an seinen Tod? Weil der weiße Mann den Tod in seinem Leben nicht wirklich einkalkuliert hat. Die „neue Welt“ ist eine Welt der scheinbar Unsterblichen, eine des unaufhaltsamen, rastlosen und endlosen Fortschritts, der sich mit Gewalt und Geld seine Wege bahnt – Wege, nicht zu verwechseln mit den Pfaden, auf denen Niemand auf seinem Pferd dahin trabt, Wege, die so breit sind wie ein ganzer Landstrich.

Blake, verletzt, unfähig sein Schicksal als Outlaw nun in die eigene Hand zu nehmen, zu reagieren und zu agieren, ist auf dem Weg, den ihm ein anderer weist. Er erwehrt sich seiner Verfolger, zum Beispiel der beiden glatzköpfigen Marshalls (Mark Bringleson, Jimmy Ray Weeks), des auf die Belohnung gierigen Händlers auf der Poststation (Alfred Molina), der drei die Bibel zitierenden Fellhändler (Iggy Pop, Billy Bob Thornton, Jared Harris), die alle das Zeitliche segnen, während der skrupellose Kopfgeldjäger Cole Wilson sich seiner beiden ihm von Dickinson aufgezwungenen Partner entledigt.

Nur Niemand weiß, was William Blakes Schicksal sein wird. Er, der an Mythen und die Kraft der Natur glaubende Indianer – ein dicker Indianer mit zerzaustem Federschmuck auf dem langen schwarzen Haar –, ist sich seiner und des Schicksals sicher. Die Welt der Geister ist die Welt, in der Blake aufgehoben scheint.

„It is right it should be so;
Man was made for joy and woe;
And when this we rightly know,
Thro' the world we safely go.
Joy and woe are woven fine,
A clothing for the soul divine.
Under every grief and pine
Runs a joy with silken twine.
The babe is more than swaddling bands;
Every farmer understands.
Every tear from every eye
Becomes a babe in eternity;
This is caught by females bright,
And return'd to its own delight.
The bleat, the bark, bellow, and roar,
Are waves that beat on heaven's shore.“ [1]

Jim Jarmuschs „Dead Man“ ist nicht nur formal ein Western, der gegen fast alle Klischees und Regeln des Genres inszeniert ist: Ein Outlaw wider Willen, ein unfreiwilliger Held, der keiner ist, ein Indianer, der nach körperlichem Aussehen und Mentalität eher als verkleideter Indianer wirkt, drei Killer, von denen einer ein Kannibale, der seine Eltern missbraucht, ermordet und gegessen hat, der andere ein endloser Schwätzer ist – vor allem aber eine Geschichte, die nicht in Ruhm und Ehre, Rettung und Erlösung endet und die amerikanische Gesellschaft als kulturell hochstehende aussehen lässt und immer wieder reproduziert, sondern eine Handlung, die von vornherein das Todbringende in zweierlei Hinsicht vor Augen führt: William Blake hat in dieser Welt nichts verloren. Der Irrtum, dem Niemand in der Person des Buchhalters unterliegt, ist nur die eine Seite der Reise in die ewigen Jagdgründe. Die andere besteht in der Leere, nachdem Blakes Illusionen nach dem Rausschmiss bei Dickinson zerbrechen und durch nichts ersetzt werden. Blake ist dem Leben ausgeliefert und damit dem Tod - a dead man. Sein Tod ist „beschlossene Sache“, sein Tod als Outlaw oder sein Tod als vermeintlicher Dichter in einem mit allerlei Dingen der Natur ausgestatteten Boot, in das ihn Nobody bettet. Blake endet als „legendärer“ Outlaw – wie viele vor ihm. Für Niemand aber endet er als der große Dichter William Blake.

Andererseits das Todbringende des Westens, der „neuen Welt“, in der außer halsabschneiderischen und skrupellosen Industriekapitalisten wie Dickinson nur Wegelagerer wie die drei Killer und die drei Fellhändler zu existieren scheinen. Jarmuschs Sicht auf die amerikanische Geschichte, aber auch auf die Filmgeschichte und ihr Western-Genre ist eben eine ganz andere, eine wirklich eigene, ein besonderer Kommentar zur Geschichte der Zivilisation, eine spezifische Fußnote zu unserer Kultur, vorab der amerikanischen.

„The babe that weeps the rod beneath
Writes revenge in realms of death.
The beggar's rags, fluttering in air,
Does to rags the heavens tear.
The soldier, arm'd with sword and gun,
Palsied strikes the summer's sun.
The poor man's farthing is worth more
Than all the gold on Afric's shore.
One mite wrung from the lab'rer's hands
Shall buy and sell the miser's lands;
Or, if protected from on high,
Does that whole nation sell and buy.
He who mocks the infant's faith
Shall be mock'd in age and death.
He who shall teach the child to doubt
The rotting grave shall ne'er get out. [...]“ [1]

Unterstützt wird dies durch die wieder einmal exzellente Kameraarbeit Robby Müllers, der dem in Schwarz-Weiß gedrehten Film Szenen abgewinnt, die diesen anderen Blick hervorheben. Bereits in den Anfangssequenzen erweist sich dies, wenn Müller nur eingeschränkte Blicke nach außen und die Sicht auf die Räder der Eisenbahn erlaubt, wenn er später den Weg der Darsteller vor allem als einen Weg im Kreis visualisiert, als einen inneren Weg ohne Ausweg, ohne Alternative, der mit den Pfaden da draußen kaum etwas zu tun hat. Hinzu kommen die genialen Gitarrenriffs von Neil Young, vor allem das beherrschende „Dead Man Theme“.

„The whore and gambler, by the state
Licensed, build that nation's fate.
The harlot's cry from street to street
Shall weave old England's winding-sheet.
The winner's shout, the loser's curse,
Dance before dead England's hearse.

Every night and every morn
Some to misery are born,
Every morn and every night
Some are born to sweet delight.
Some are born to sweet delight,
Some are born to endless night.
We are led to believe a lie
When we see not thro' the eye,
Which was born in a night to perish in a night,
When the soul slept in beams of light.
God appears, and God is light,
To those poor souls who dwell in night;
But does a human form display
To those who dwell in realms of day.“ [1]

„Dead Man“ zeigt Wege, die keine wirklichen sind, die zu nichts führen als dem Tod, Wege einer Kultur, die sich selbst genügsam ist und in der das Leben keine wirkliche, und das heißt auch: keine spirituelle Wirklichkeit einschließende Bedeutung hat. Und der Film zeigt analog dazu Räume, deren klaustrophobische Enge erschreckend ist, zumal diese Räume in der schier endlosen Weite des Westens angesiedelt sind. Dass Jarmusch seinen Protagonisten dennoch Komik in der Tragik abgewinnt, dürfte nach „Down by Law“, „Night on Earth“, „Stranger than Paradise“ und zuletzt „Coffee and Cigarettes“ kaum verwundern.

Johnny Depp und Gary Farmer überzeugen ebenso wie Alt-Mime Robert Mitchum sowie Michael Wincott und Lance Henriksen. Für Depp eine Paraderolle, für Farmer eine (gut genutzte) Chance, einen ganz besonderen Indianer darzustellen.

[1] William Blake: Auguries Of Innocence, geschrieben zwischen 1800 und 1803, zuerst veröffentlicht 1863 (Auszug)



Coffee and Cigarettes
(Coffee and Cigarettes)
USA 2003, 96 Minuten
Regie: Jim Jarmusch

Drehbuch: Jim Jarmusch
Director of Photography: Tom DiCillo, Frederick Elmes, Ellen Kuras, Robby Müller
Montage: Jim Jarmusch, Terry Katz, Melody London, Jay Rabinowitz
Produktionsdesign: Dan Bishop, Mark Friedberg, Tom Jarmusch

Darsteller: Roberto Benigni (Roberto), Steven Wright (Steven) [„Strange To Meet You“]; Joie Lee (guter Zwilling), Cinqué Lee (böser Zwilling), Steve Buscemi (Kellner) [„Twins“]; Iggy Pop (Iggy), Tom Waits (Tom) [„Somewhere in California“]; Joseph Rigano (Joe), Vinny Vella (Vinny), Vinny Vella Jr. (Vinny Jr.) [„Those Things’ll Kill Ya“]; Renée French (Renée), E. J. Rodriguez (Kellner) [„Renée“]; Alex Descas (Alex), Isaach de Bankolé (Isaach) [„No Problem“]; Cate Blanchett (Cate / Shelby), Mike Hogan (Kellner) [„Cousins“]; Jack White (Jack), Meg White (Meg), Cinqué Lee (Küchenjunge) [„Jack Shows Meg His Tesla Coil“]; Alfred Molina (Alfred), Steve Coogan (Steve), Katy Hansz (Katy) [„Cousins?“]; Genius / GZA (GZA), RZA (RZA), Bill Murray (Bill Murray, Kellner) [Delirium“]; William Rice (Bill), Taylor Mead (Taylor) [„Champagne“]

Der Welt abhanden gekommen ...

Die Tesla-Spule ist ein Luftspalttransformator mit in Resonanz aufeinander abgestimmten Spulen zur Erzeugung hochfrequenter Hochspannung und hat gegenüber traditionellen Spulen den Vorteil, relativ leicht Spannungen von mehreren MillionenVolt zu erzeugen. Warum? „Die viel effektivere Spannungsumsetzung der Teslaspule beruht auf dem Prinzip der Resonanz. Bei Sende-Antennen wird die Antenne immer optimal auf die zu sendende Frequenz abgestimmt, um möglichst viel der Senderenergie in den Äther zu befördern. Bei Empfangsantennen wird auch immer auf die optimale Abstimmung geachtet, um einen möglichst hohen Empfangspegel zu erhalten. Durch dieses Prinzip erreicht die Tesla-Spule eine höhere Effizienz und höhere Spannungspegel bei der Umspannung.” Erfunden wurde sie von dem in Kroatien geborenen Wissenschaftler Nikola Tesla (1856-1943).
Quelle: http://www.ebe-online.de/Home/tgobmaie/Tesla/index.htm

„Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viele Zeit verdorben,
Sie hat so lange nichts von mir vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben!” [1]

Interessant, nicht? Im falschen Film? Nein, bin ich nicht. Bin mitten im richtigen Film. Denn genau das, was da oben steht, oder so etwas in der Art geht Jack (Jack White) durch den Kopf, der in einem Café sitzt, vor sich eine selbst gebaute Tesla-Maschine, neben sich Meg (Meg White). Das Paar schweigt. Kein Gesprächsstoff vorhanden? Er möchte gern über seine Maschine reden, traut sich aber nicht, sie möchte eigentlich über etwas ganz anderes reden, weiß aber, dass er zu sehr in Gedanken bei der Maschine ist. Der Raum ist dunkel. Auf dem Tisch, der ein Schachbrettmuster hat, stehen weiße Kaffetassen und es wird geraucht. Sie schaut ihn an, er schaut leicht beschämt weg. Und wer fängt wohl dann doch ein Gespräch an? Meg, wer sonst. Und über was redet sie? Über die Tesla-Maschine. Er springt natürlich drauf an und setzt das Ding in Gang. Es blitzt. Eine zündende Idee von Meg. Meg hat Resonanz erzeugt, allerdings eine, die mit „sich Gehör verschaffen” nur bedingt etwas zu tun hat. Denn Jack ist voll konzentriert auf seine Tesla. Und die hat plötzlich eine Fehlfunktion. Nichts blitzt mehr. Aus. Vorbei. Er überlegt, woran das liegen könnte. Und dann stellt sich heraus, dass Meg und der Küchenjunge, der Geräusche gehört hat und herbeieilt, mehr über Tesla wissen, als Jack je geahnt hätte.

„Jack Shows Meg His Tesla Coil“ ist eine von elf Szenen des neuesten Films von Jim Jarmusch. Und man ahnt schon, um was es in allen elf Szenen ungefähr geht. Um Kommunikation? Ja, sicher. Um Paarbeziehungen und Freundschaften? Auch, ja klar. Aber vor allem geht es um das, was Menschen denken und was sie sagen – bzw. um den Unterschied zwischen beidem. Es geht um Konkurrenz, Neid, Sprachlosigkeit, Intrige, Lüge und all die anderen mehr oder weniger kleinen Dinge des Lebens, die Jarmusch in minimalistisch ausgestatteten Räumen zur Sprache bringt. Es wird geraucht, es wird Kaffee getrunken, und die Ausstattung wird beherrscht von Schachbrettmustern auf Tischen. Und wie Schachfiguren in einem Spiel mit Geheimnissen, mit Verborgenem, mit Nicht-Ausgesprochenem, taktisch und spekulativ, verhalten sich die Pärchen, zu denen sich ab und an noch eine dritte Person gesellt.

„Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,
Ob sie mich für gestorben hält,
Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,
Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.” [1]

Der Raum, in dem sich diese Szenen abspielen, ist extrem begrenzt, zumeist ein Café oder etwas, was so aussieht. Minimalistisch inszeniert Jarmusch auch die Situationen: Er lässt zwei Personen im wahrsten Sinn des Wortes kollidieren. Für einen Moment sitzen sie zusammen und sind auf die eine oder andere Art aufeinander angewiesen. Doch die Atmosphäre hat nichts von Klaustrophobie. Im Gegenteil: Es wird spekuliert, abgetastet, kalkuliert, vor allem mit dem eigenen Ego in bezug auf den anderen gegenüber. Sich nur keine Blöße geben!

Zu den schönsten Szenen gehört u.a. „Somewhere in California” mit Tom Waits und Iggy Pop. Sie mustern sich, sie betrügen sich selbst. Er habe aufgehört zu rauchen, meint Iggy Pop, daher sei es kein Problem, eine anzuzünden. Man schlürft den Kaffee in sich hinein. Jeder denkt: „Ich bin doch besser als der da” und veranstaltet small talk. Auch in „Cousins?” mit Steve Coogan und Alfred Molina geht es genau um diese Frage: die eigene Eitelkeit und den eigenen Egozentrismus gegenüber dem anderen zu verbergen, indem man a nice conservation betreibt. Alfred hat angeblich herausgefunden, dass beide Cousins seien. Steve ist das gar nicht recht. Was will der da drüben von ihm? Sein Cousin sein, dieser Versager? Die Telefonnummer will Alfred, um vielleicht einmal ein gemeinsames Projekt zu starten. Und Steve erfindet die Ausrede, er gebe seine private Nummer von zu Hause nicht einmal seinem Produzenten. Als Alfred dann auf dem Handy von einem weltbekannten Regisseur (Spike Jonze) angerufen wird, merkt Steve, dass er einen Fehler gemacht hat. Zu spät. Alfred will seine Nummer nicht mehr.

Jarmusch stellt seine Personen in einen teils ernsten, meist aber heiteren Kontext über menschliche Schwächen und Eitelkeiten. In „No Problem” z.B. sehen sich zwei Freunde nach langer Zeit wieder. Der eine glaubt fest daran, dass der andere ihn nur aus einem einzigen Grund angerufen haben kann: er muss ein Problem haben. Doch das hat er nicht. Isaach (Isaach de Bankolé) insistiert: Alex (Alex Descas) MUSS ein Problem haben. In „Champagne” sitzen sich zwei alte Männer, Bill (William Rice) und Taylor (Taylor Mead) in einem manchmal an ein Gefängnis erinnernden Raum gegenüber. Der eine scheint Realist, der andere Phantast. Der eine scheint fertig mit der Welt, der andere stellt sich vor, in ihren Bechern sei kein schlechter Kaffee, sondern Champagner. Auch hier holt Jarmusch aus den beiden Schauspielern raus, was nur geht.

„Ich bin gestorben dem Weltgetümmel,
Und ruh' in einem stillen Gebiet!
Ich leb' allein in meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied!” [1]

Tatsächlich scheint allen, die hier auftreten, für einen Moment die Welt abhanden gekommen zu sein, wie es in dem Mahler-Rückert-Lied heißt. Sie scheinen für Minuten aus dem geworfen, was ihren Alltag ansonsten beherrscht, und doch kehrt in den Gesprächen respektive Verhaltensweisen der Beteiligten genau dieser Alltag bzw. die Mentalität der Personen wieder – nur in einer Art Konzentrat. Ob Cate Blanchett als erfolgreiche Schauspielerin ihrer überhaupt nicht erfolgreichen Cousine gegenüber tritt, Bill Murray als Kellner von den beiden DJs RZA und GZA Ratschläge zur Reinigung der Lunge entgegennimmt, Roberto Benigni für Steven Wright zum Zahnarzt geht oder Steve Buscemi einem streitenden Paar eine Verschwörungstheorie über Elvis Presley darbietet – stets bleibt das „Weltengetümmel” außen vor – und bricht über die Hintertür doch wieder so gnadenlos tragisch und komisch zugleich hinein.

Die elf Szenen entstanden zwischen 1986 und 2003. „Strange To Meet You” war eine Auftragsarbeit, die Jarmusch 1986 für „Saturday Night Life” drehte. 1992 folgte „Somewhere in California” mit Tom Waits und Iggy Pop, der Rest wurde größtenteils 2003 in kürzester Zeit gedreht.

[1] „Ich bin der Welt abhanden gekommen”, Text: Friedrich Rückert; Musik: Gustav Mahler; im Film gesungen von Janet Baker.



Mystery Train
(Mystery Train)
USA 1989, 113 Minuten (DVD: 106 Minuten)
Regie: Jim Jarmusch

Drehbuch: Jim Jarmusch
Musik: John Lurie, sowie Naomi Neville, Roy Orbison, Sam Philips, Richard Rodgers
Director of Photography: Robby Müller
Montage: Melody London
Produktionsdesign: Dan Bishop

Darsteller: Masatoshi Nagase (Jun), Youki Kudoh (Mitsuko), Screamin' Jay Hawkins (Nachtportier), Cinqué Lee (Hotelboy), Nicoletta Braschi (Luisa), Elizabeth Bracco (Dee Dee), Sy Richardson (Zeitungsverkäufer), Tom Noonan (Mann in Café), Stephen Jones (Geist von Elvis), Joe Strummer (Johnny, genannt Elvis), Rick Aviles (Will Robinson), Steve Buscemi (Charlie, Dee Dees Bruder), Vondie Curtis-Hall (Ed)

Heimat ?!

„Train I ride, sixteen coaches long
Train I ride, sixteen coaches long
Well that long black train
got my baby and gone.” (1)

Durch das Fenster eines Zuges öffnet sich der Blick auf ein Memphis der Artefakte: verfallene Kleinfabriken, Häuser, die Abfälle der Zivilisation, auf scheinbar unbewohnte Häuschen, die blau und rot gestrichen sind. Memphis, Tennessee, ein verlassener Ort, ein Ort der Vergangenheit. Melancholisch, fast romantisch wirkt der Blick Jarmuschs auf ein Amerika der Gegenwart, das er in der Vergangenheit verortet. Robby Müllers Kamera schwenkt langsam durch die verlassenen Straßen von Memphis, dem Ort des Blues und dem Ort einer Legende: Elvis Presley.

Ein junges japanisches Pärchen, Jun und Mitsuko kommen mit dem Zug an, einen großen roten Koffer tragen sie zusammen mit einem Stock. Die junge Frau wirkt agil, gespannt, ihr Freund hingegen macht ein ernstes Gesicht, ist ruhig, redet nur, wenn Mitsuko ihn etwas fragt, Jun scheint aber nur depressiv. Mitsuko will nach Graceland, um Elvis wieder zu begegnen – in Bildern und anderen Erinnerungsstücken. Jun steht nicht auf Elvis. Er hält Carl Perkins für den großen Star von Memphis. Beide besuchen das Sun Studio, in dem die Größen des Blues ihre berühmten Songs aufnahmen. Doch die Führerin prasselt ihren eingeübten Text herunter, so dass die beiden nur wenig mitbekommen. Im Radio ertönen die Lieder des Blues (angekündigt übrigens von Tom Waits). Das Verfallene der Stadt korrespondiert mit den Erinnerungen an die Stars, vor allem Elvis. Jun und Mitsuko streiten, aber leise. Sie küssen sich. Sie sind glücklich, „Weit weg von Yokohama” (wie diese erste Episode des Films heißt), ihrer Heimatstadt. Sie streifen durch die Straßen, bis es dunkel wird und beide in einem verfallen Hotel für 22 Dollar die Nacht eine Bleibe finden. An der Rezeption sitzen der ganz in rot gekleidete alte Nachtportier (Screamin' Jay Hawkins) und der junge Hotelboy (Cinqué Lee), der zumeist vor Müdigkeit einnickt. Mitsuko versucht, durch Grimmassen Jun zum Lachen zu bringen - vergeblich, doch Jun behauptet, er sei glücklich. Die beiden schlafen miteinander - und mitten in der Nacht, irgendwann nach 2 Uhr ertönt Elvis „Blue Moon” aus dem Radio.

Am Morgen, als sie das Zimmer gerade verlassen wollen, ertönt ein Schuss.

„Train train, comin' 'round,
'round the bend
Train train, comin' 'round the bend
Well it took my baby,
but it never will again (no, not again).” (1)

Auch die zweite der drei Episoden („Ein Geist”) des Films kreist um das Hotel, den Elvis-Song und den Schuss am Morgen. Die Italienerin Luisa (Nicoletta Braschi) will ihren verstorbenen Mann nach Rom bringen. Doch das Flugzeug kann nicht starten, so dass sie eine Nacht in Memphis verbringen muss. Ein Zeitungsverkäufer (Sy Richardson) dreht ihr ein halbes Dutzend Zeitschriften an, in einem Restaurant erzählt ihr ein Mann (Tom Noonan), er habe vor genau einem Jahr den Kamm von Elvis bekommen, den er nun – wie von Elvis vorausgesagt – einer Italienerin verkaufen würde. Luisa gibt ihm 20 Dollar für den Kamm und, um ihn los zu werden. Auch sie verbringt die Nacht in dem besagten Hotel und teilt sich das Zimmer mit Dee Dee (Elizabeth Bracco), einer redseligen jungen Frau, die sich gerade von ihrem Freund Johnny (Joe Strummer) getrennt hat und nach Natchez zu einer Freundin fahren will, um alles hinter sich zu lassen. Dee Dee kann nur schlafen, wenn es nicht still ist, und so ertönt aus dem Radio Elvis „Blue Moon”, während Luisa der Geist von Elvis erscheint.

Als die beiden morgens das Zimmer verlassen, hören auch sie den Schuss.

Johnny hat seine Arbeit verloren und eine Pistole in der Tasche, mit der er herum fuchtelt. Sein Kollege Ed ruft den Bruder von Dee Dee, den Friseur Charly (Steve Buscemi) an, damit der und ein Freund namens Will (Rick Aviles) Johnny zur Vernunft bringen. Gemeinsam fahren sie durch Memphis, gehen in einen Schnapsladen – da schießt Johnny auf den Mann hinter dem Tresen. Die drei flüchten, fahren die halbe Nacht durch Memphis, bis sie ebenfalls im besagten Hotel untertauchen. Die Polizei sucht bereits nach ihnen. Sie saufen die zwei Literflaschen fast leer, die sie im Schnapsladen haben mitgehen lassen. Am Morgen kann Charlie Johnny gerade noch daran hindern, sich in den Kopf zu schießen. Beim Handgemenge löst sich ein Schuss, der Charlie im Bein trifft.

Jun und Mitsuko reisen mit dem Zug weiter.

Luisa besteigt in letzter Minute das Flugzeug nach Rom.

Charlie, Will und Johnny verlassen mit dem Auto Memphis, um in einem anderen Bundesstaat einen Arzt für Charlie zu suchen – „Verloren im All” (so der Titel der dritten Episode).

„Train train, comin' down,
down the line
Train train, comin' down the line
Well it's bringin' my baby,
'cause she's mine all, all mine
(She's mine, all, all mine).” (1)

Und obwohl damit die Geschichte des Films erzählt ist, ist sie dennoch nur in ihrem äußeren Gerüst wiedergegeben. Denn „Mystery Train” ist einer jener Filme, von denen es richtig ist zu behaupten, dass eigentlich nur die Bilder sprechen. Selbst wenn man sich die (teilweise spärlichen) Dialoge nicht anhören würde, verdeutlichen die Bilder der Stadt und der wenigen Menschen, auf die wir treffen, doch ausschließlich - unterstützt von der Musik - die Atmosphäre eines fast nostalgischen Blicks Jarmuschs auf ein Amerika der Vergangenheit, dass doch umso aktueller und gegenwärtiger ist. Jarmusch zeigt – das mag paradox klingen – die Menschen, die dieses Amerika wirklich ausmachen. Es ist nicht das Amerika der Politiker, der Wirtschaft, der Medien, Hollywoods usw. Andererseits, und obwohl nichts davon zu sehen ist, scheint dieses Mächtige Amerikas durch alles hindurch: durch den Verfall und die Menschen, die wir sehen, durch das Hotel, das irgendeinem Weißen gehört, der in jedem Zimmer Elvis-Portraits aufhängen ließ, durch die einsamen Straßen usw. Der Geist Elvis und damit der nostalgische Blick auf einen jener hoch geputschten medialen Stars ist allgegenwärtig für alle, die durch den Film geistern – selbst für Johnny, den alle Elvis nennen, was er nicht mag.

Für Jarmusch scheinen all diese Ausgestoßenen, Randfiguren und Ausländer, wie die beiden jungen Japaner und die italienische Witwe, die Hotelangestellten, der Zeitungsverkäufer die wirklich Handelnden in diesem Amerika zu sein. Aber dieser Schein trügt auch. Die Verlorenen in diesem Universum, denen der Geist von Elvis erscheint oder nachgeht, weit weg von ihrer inneren oder äußeren Heimat, sind fremdbestimmt und eigenbestimmt in einer widersprüchlichen Weise. Überhaupt scheint Jarmuschs Heimatverständnis, wenn man denn davon sprechen kann, ein zutiefst gespaltenes zu sein. Alle – Jun, Mitsuko, Luisa, Dee Dee, Johnny usw. – sind auf einer mysteriösen Suche nach ihrer inneren Heimat, obwohl sie doch scheinbar in Memphis heimatlich verortet zu sein scheinen – selbst zum Teil das junge japanische Paar, etwa wenn Jun behauptet, Yokohama sei wie Memphis, man müsse sich in der japanischen Stadt nur einige Häuser wegdenken, wenn er dann später genau dieses Gefühl wieder verneint, während Mitsuko jetzt genau dies empfindet. Das erinnert an Jarmuschs „Night on Earth”, in dessen einer Episode Helmut, der deutsche Taxifahrer aus der DDR verzweifelt, aber auch unbeirrbar versucht, in New York als Taxifahrer zurecht zu kommen – und eine kurze Freundschaft mit einem Kunden schließt.

Auch in „Mystery Train” ist das notwendig gebrochene Heimatgefühl durchströmt von Liebe (bei den beiden jungen Japanern in einer der wunderbarsten Szenen des Films), Solidarität (zwischen Johnny, Charlie und Will) und Zuversicht (Luisa und Dee Dee). Jarmusch löst das Mysteriöse der Geschichte in Schicksalhaftes, Verwobenes, die drei Episoden Verbindendes auf. Aber das Mysteriöse bleibt trotzdem stets in Spuren vorhanden. Man könnte auch sagen, dass das Geheimnisvolle durch die invisible hand der gesellschaftlichen Konstruktion, der alle unterliegen, erzeugt wurde bzw. wird. Aber auch das erklärt nicht alles. Warum auch? Es geht ja gerade nicht um eine restlose Erklärung des Geschehens, sondern um einen eigenen Blick auf das Amerika der Gegenwart und seine Geschichte. Oder anders formuliert: um das Verhältnis zwischen Eigenem und Fremden im Verhalten der Beteiligten. Was an ihrem Verhalten ist genuin eigen, also Ausdruck von Eigensinn und Eigenhaben, um mit Alexander Kluge und Oskar Negt zu sprechen, was fremdbestimmt. Wenn Johnny aus Verzweiflung über den Verlust seiner Arbeit in einer ungerichteten Art zur Waffe greift, die er zuletzt gegen sich selbst wenden will, so scheint der Ausgangspunkt so klar wie das Ende unbestimmt. Er und die beiden anderen verlassen Memphis. Was aus ihnen wird, ist wiederum doppelt bestimmt oder müsste jedenfalls doppelt bestimmbar sein. Jun und Mitsuko sind ihren nostalgischen und damit identitätsstiftenden Mysterien (Elvis und Perkins) nachgegangen. Sie verlassen Memphis in einem anderen Bewusstsein, auch wenn dessen genauere Bestimmung offen bleibt. Luisa hat den Geist Elvis gesehen, einen, der selbst nicht weiß, warum er ihr erschienen ist.

In uns allen lebt Elvis (oder welches medial zurecht geschneidertes Mysterium auch immer), aber wie: wer bestimmt darüber? Das Mysterium, die postmoderne Legende selbst scheinen ein jedenfalls nicht nur von mächtigen Institutionen definierbares Etwas. Und so verhält es sich ganz offenbar auch mit der Geschichte, mit Amerika – und hier findet sich das Substrat des Films und auch die tiefe Sympathie Jarmuschs für seine Protagonisten.

(1) „Mystery Train” (Text und Musik: Doc Pomus, Mort Shuman).

© Bilder: Kinowelt Home Entertainment
Screenshots von der DVD.



Permanent Vacation
(Permanent Vacation)
USA 1980, 75 Minuten
Regie: Jim Jarmusch

Drehbuch: Jim Jarmusch
Musik: Jim Jarmusch, John Lurie
Director of Photography: Tom Di Cillo, James A. Lebovitz
Montage: Jim Jarmusch

Darsteller: Chris Parker (Allie), John Lurie (Saxophonspieler), María Duval (Latin Girl), Richard Boes (Kriegsveteran), Ruth Bolton (Mutter), Sara Driver (Krankenschwester), Frankie Faison (Mann im Kino), Jane Fire (Krankenschwester), Suzanne Fletcher (Mädchen im Auto), Leila Gastil (Leila), Chris Hameon (französischer Tourist), Eric Mitchell (Autoschieber), Lisa Rosen (Kartenverkäuferin im Kino), Felice Rosser (Frau am Briefkasten)

Auf Reisen ...

„Irgendwann ist das Neuartige weg.
An seine Stelle tritt diese Angst,
eine schleichende Angst ...
Nach einer Weile hörst Du eine
Stimme, und dann ist Schluss.
Zeit zu verduften, woanders hingehen.
Die Leute werden überall
gleich sein. Sie besitzen höchstens
andere Kühlschränke oder Klos ...
Fremde sind überall nur Fremde.“
(Allie)

Allie (Chris Parker) ist so ein Fremder, a stranger everywhere. Den16jährigen treffen wir in New York. Und gleich die ersten Szenen vermitteln den eigentümlichen, den sehr eigenen Blick Jarmuschs in seinem ersten, schon viel beachteten Film, auf die Metropole aller Metropolen. Tom Di Cillos Kamera wechselt zwischen Szenen eines belebten, aber anonymen New Yorks und anderen der Lower East Side, in denen er das Verfallene der Stadt, fast menschenleere Straßen, Müll usw. zeigt. Den Film durchzieht eine Jarmusch ebenso eigene Musik, eine Mixtur aus fast schon bedrohlich wirkenden Klängen, gemischt mit blechernen Glockengeräuschen. Abwechselnd dazu hört man Charlie Parkers Jazz und John Luries Saxophon, u.a. ein stark verfremdetes „Somewhere over the rainbow“.

Allie ist ungefähr 16, streift durch die verfallenen Straßen der Lower Eastside Ende der 70er Jahre, sprüht in gelber Farbe auf eine Hauswand „Allie, total blam blam“ und wohnt bei einer schönen jungen Frau, die das Alleinsein satt hat: Leila (Leila Gastil). Leila sitzt am Fenster einer dieser seit langem unrenovierten Wohnungen, die Beine auf der Fensterbank, den Blick hinaus zum Fenster und wartet. Allie tanzt zu Parkers Musik. Die Beziehung zwischen beiden ist eine vorübergehende – wie alles im Leben Allies vorübergehend ist.

Allie ist ein Wanderer durch die Welt. Er lernt Leute kennen, Räume, Gegenden, aber schon bald sagt ihm eine innere Stimme, dass er weiterziehen müsse. Er wird auch Leila verlassen. Begegnungen finden im eigentlichen Sinne nicht statt. Aufgewachsen in Erziehungsheimen hat Allie seinen Vater schon früh verloren: der haute ab, während seine Mutter (Ruth Bolton) im Irrenhaus landete.

Schon in „Permanent Vacation“, diesem nie enden wollenden Dauerurlaub, präsentiert Jarmusch eine dieser Figuren auch seiner späteren Filme, die ständig auf Reisen sind, ständig neue Wege beschreiten und nie irgendwo ankommen – schon gar nicht bei sich selbst. Man könnte es sich einfach machen und Jarmuschs Figuren zu Outsidern deklarieren. Aber das träfe nicht den Kern. Allie ist alles andere als ein Außenseiter, auch wenn es zunächst so scheint. Er ist eher der Protagonist all jener Reisenden, für die das Leben nicht in der zivilisatorisch geformten Zeit des Industriezeitalters und schon gar nicht der Postmoderne bestehen kann. Allie ist nicht zu faul zum arbeiten. Allie hat einen inneren Rhythmus, der gegen den Zeittakt der Moderne rebelliert, rebellieren muss.

„Somewhere over the rainbow way up high
And the dreams that you dream of
once in a lullaby
Somewhere over the rainbow blue birds fly
And the dreams that you dream of,
dreams really do come true
Someday I'll wish upon a star,
wake up where the clouds are far behind me.“ (1)

Allie begegnet dem Krieg. Er geht an die Stätte seiner Geburt, jedenfalls meint er dies, einen Ort, an dem die zerfallenden Gebäude bereits von Pflanzen überwuchert werden. Er hört Bomber und Flieger, als wenn sie über dem Ort nahe der Metropole kreisen würden. Die Chinesen hätten sein Geburtshaus im Krieg zerstört, erzählt er Leila. Dort trifft er auf einen Kriegsveteranen (Richard Boes), der glaubt, Vietnam sei noch nicht zu Ende. Symbolisch und in der Phantasie steht dieser Ort für Allies Kindheit, für den Krieg in der Familie, der den Vater verschwinden ließ und die Mutter auch – im Irrenhaus. Dort besucht er sie, ohne sie wirklich zu erreichen. Der Krieg im Kopf scheint allgegenwärtig – nicht nur bei seiner Mutter, die mit Irrsinn auf das Erlebte reagiert, sondern auch bei einer jungen Lateinamerikanerin (María Duval), die er kurz darauf auf der Treppe eines herunter gekommenen Hauses trifft, im Unterrock, den Mund mit Lippenstift verschmiert, eine Frau, die ihn wegjagt, ihn fort schreit.

Dieses „Irresein“ durchzieht auch das Verhalten der weiteren Personen, die er trifft, etwa den Mann im Kino (Frankie Faison), der vom Zusammenhang des Doppler-Effekts mit Charlie Parkers Biografie phantasiert.

Jarmuschs Blick auf die Stadt aller Städte, auf die Metropole, ist – wie auch später z.B. in „Mystery Train“ bezüglich Memphis – ein messerscharfer Blick, ein sezierender, scharfer Schuss, der durch die Ausschnitt-Haftigkeit, der durch sein Weglassen dessen, was man sich von New York vorstellt, umso tiefere Einblicke gewährt. Allie nimmt in seiner begrenzten Sicht das Anonyme, das Flüchtige, das ihm Fremde – und im eigentlichen Sinne ist ihm paradoxer Weise alles so fremd, wie es ihm vertraut ist – in einer Weise wahr, die sein Weiterziehen, die Fortsetzung seiner Reise nur konsequent erscheinen lässt. Wenn ihm auf einer seiner Stationen die Popcornverkäuferin (Lisa Rosen) an der Kinokasse von einem Film erzählt, in dem Eskimos verkünden, ein neugeborener Junge würde warme gehalten und beschützt, während einem neugeborenen Mädchen Schnee in den Mund gesteckt würde, um es zu ersticken, dann klingt dies so beiläufig, so unwichtig, so unbedeutend wie alles Alltägliche, was ansonsten zu passieren scheint. Allie zieht weiter. Es gibt nichts Neues für ihn, sondern immer nur die Wiederholung des schon Bekannten.

„Someday I'll wish upon a star,
wake up where the clouds are far behind me
Where trouble melts like lemon drops
High above the chimney tops is where you'll find me
Somewhere over the rainbow way up high
And the dreams that you dare to, why, oh why can't.“ (1)

Schließlich klaut er einer Frau (Suzanne Fletcher) ein Auto, verkauft es für 800 Dollar an einen Schieber (Eric Mitchell), um mit dem Geld ein Ticket für eine Seereise nach Paris zu kaufen. Im Hafen trifft Allie auf einen Seelenverwandten, einen Franzosen (Chris Hameon), der gerade in New York angekommen ist, geflohen aus Paris, um hier, wie er sagt, „sein Babylon“ zu finden.

Begriffe wie Verlorensein, Einsamkeit, Außenseiter können die Atmosphäre von Jarmuschs Filmen kaum annähernd umschreiben. Allie ist nicht wirklich verloren, nicht tatsächlich einsam und auch kein Außenseiter. Er ist eher so etwas wie ein stiller Rebell, einer, der sich den Funktionsprinzipien der Moderne nicht unterwerfen kann und will, aber nicht durch eine offene oder gar gewaltsame Rebellion, sondern eher durch eine Art innere Emigration. Es gibt für ihn eigentlich nichts wirklich Fremdes, weil es für ihn (noch?) nichts wirklich Eigenes gibt. Man könnte sagen, dass ihm die Funktionsprinzipien der Moderne fremd sind. Trotzdem kann er sich ihnen nur schwer entziehen, so dass er gezwungen ist, ständig zu reisen. Aber Allie ist kein Reisender, der irgendwo ankommt oder gar dort bleibt, wo er ist, kein Tourist, der sich an dem Fremden eines neuen Ortes ergötzt. Die Orte, die er aufsucht, sind sich – zumindest seinem Gefühl nach – immer gleich. Er lernt Menschen und Räume kennen, deren Neuartigkeit sich schnell in Bekanntes verwandelt. Seine permanente Reise ist eine Suche nach dem Individuellen, dem wahrhaft Eigenen, das er in anderen nicht finden kann.

Selbst im Spiel des Saxophonisten (John Lurie), der „Somewhere over the rainbow“ verjazzt spielt, erkennt Allie nur allzu Bekanntes. Seine Rebellion gegen das Homogenisierte, das Vereinheitlichende, die Glättung der Unterschiede, das Unsichtbarmachen des Individuellen, des Eigenen, des Eigensinns ist daher in ihrer Konsequenz und auch in ihrer individuellen Radikalität sowohl nachzuvollziehen, als auch in dieser ihrer Radikalität in gewisser Weise riskant, weil sie, wie Allie selbst am Schluss sagt, als er das Schiff nach Paris betritt, dazu führt, dass für ihn jegliche Art von Bindung – nicht nur an eine Frau wie Leila, sondern überhaupt zu Menschen – unmöglich erscheint. Mit diesen Worten geht Allie an die Reling des Schiffes und schaut über das Wasser auf die Skyline von New York, die irgendwann in der Weite des Ozeans verschwinden wird.

„Permanent Vacation“ deutet – im Rückblick betrachtet – auf alle anderen Filme Jarmuschs, wobei schon in diesem ersten Film, den der Regisseur kurz nach Absolvierung seiner Ausbildung drehte, paradoxer Weise deutlich wird, wie wenig pessimistisch Jarmuschs Filme dennoch sind. Schon in diesem Film schwingt immer eine dem Regisseur eigene Form subtiler, fast schon „vorsichtiger“, „bedächtiger“ Komik mit, die sich kaum in äußerlichen Gesten manifestiert, sondern durch die Gesamtkomposition jeder Szene – und auch hier schon wirken die einzelnen Szenen wie in sich abgeschlossene Stücke und zugleich als Teil eines Gesamtkunstwerks – wirkt.

„Permanent Vacation“ sei nicht Jarmuschs bester Film, wird geschrieben. Aber das ist eine schwierig zu entscheidende Frage. Ich mag diesen Film, ja, ich liebe ihn. Er ist Teil des Gesamtkunstwerks eines Regisseurs, der selbst in seiner Radikalität und Hollywoodferne, in der Liebe zu seinen Figuren, über die Jahre hinweg sich treu geblieben ist – und vielleicht ist dieser Film, das was er bedeutet oder bedeuten kann, auch ein Teil meiner selbst.

© Bilder: Kinowelt
Screenshots von der DVD

(1) „Somewhere over the rainbow“ (Musik: Harold Arlen, Text: E.Y. Harburg)

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