Night on Earth (1991)
Stranger Than Paradise (1984)
Ghost Dog (1999)




Night on Earth
(Night on Earth)
USA 1991, 129 Minuten
Regie: Jim Jarmusch

Drehbuch: Jim Jarmusch
Musik: Tom Waits, Kathleen Brennan
Director of Photography: Frederick Elmes
Montage: Jay Rabinowitz

Darsteller: Los Angeles: Gena Rowlands (Victoria Snelling), Winona Ryder (Corky); New York: Armin Müller-Stahl (Helmut Grokenberger), Giancarlo Esposito (YoYo), Rosie Perez (Angela); Paris: Isaach de Bankolé (Taxifahrer), Béatrice Dalle (blinder Fahrgast), Pascal N’Zonzi (Fahrgast), Emile Abossolo M’bo (Fahrgast); Rom: Roberto Benigni (Taxifahrer), Paolo Bonacelli (Priester); Helsinki: Matti Pellonpää (Mika, Taxifahrer), Kari Väänänen (Fahrgast), Sakari Kuosmanen (Fahrgast), Tomi Salmela (Fahrgast)

Welt und Heimat
 

„There's a blue eyed girl with a red bow tie
and a string of pearls with one good eye
in a rainy town the chimney smoke will curl
no one likes clowns on the other side of the world
and the children know she'll never let me go.“ (1)

Nacht. Jeder der von Jim Jarmusch aufgesuchten Orte bietet uns eine spezifische, wie man so schön sagt: landesübliche Atmosphäre. Heimat zentriert sich in den fünf Episoden dieses Nachtfilms in fünf Taxen, aber nur flüchtig. Sie sind kurzzeitiger Treffpunkt ganz verschiedener Menschen – vor dem Steuer und auf dem Rücksitz. Und doch verbindet alle eine Tragikomik des Geschehens auf engstem Raum. Das Taxi wird zum Brennpunkt unausgesprochener, wenn auch angesprochener menschlicher Konflikte. Fremde treffen aufeinander, mehr oder weniger zufällig. Als sie auseinander gehen, hat sich etwas verändert. Aber hat sich auch für sie etwas verändert?

Die Casting-Agentin Victoria (Gena Rowlands), blond gebleicht, im schicken schwarz-weißen Allerweltskostüm, stets im Stress, am Handy hängend, am Verhandeln, trifft auf die lässige, Kaugummi kauende oder rauchende, gar nicht „schick“, dafür aber interessant aussehende Taxifahrerin Corky (Winona Ryder). Das Wort „Shit“ bringt die beiden Frauen auf dem Flugplatz von Los Angeles zusammen. Die Fahrt geht nach Beverly Hills. Und was die Klischee-Dame nie erwartet hätte, trifft ein: Corky lehnt ihr Angebot, zum Film zu gehen, rundweg ab. Corky hat ein sehr konkretes, handhabbares, nahes und realisierbares Ziel. Sie will Automechanikerin werden. Das Verbrauchte, Einsame, Benutzte konterkariert Jarmusch mit dem Lebensnahen, Lebendigen, Aufmerksamen, Frischen.

„There's a one legged priest that tangos with the farmers wife
Beauty and the beast is taking her own life
and a tear on a letter back home turns into a lake of your own
and a crow turns into a girl on the other side of the world
and she tastes like the sea and she's waiting for me
in the spring the weeds will show that he brought back the only rose
and he gave it to his girl on the other side of the world.
And I drink champagne from your thin blue veins.“ (1)

Auch in New York sind die Straßen des nachts verlassen. YoYo (Giancarlo Esposito) sucht verzweifelt ein Taxi. Keines hält. Und als einer der Fahrer stoppt und hört, YoYo wolle nach Brooklyn, sucht er das Weite. Bis ein stotternd herannahendes Taxi hält und YoYo am Ziel seiner Träume – jedenfalls für heute Nacht – zu sein scheint. Am Steuer sitzt Helmut (Armin Müller-Stahl), der kaum englisch spricht, geschweige denn Autofahren kann – obwohl das Taxi mit Automatik ausgestattet ist. YoYo glaubt seinen Augen nicht zu trauen und kurzerhand lässt er sich von Helmut das Steuer übergeben, schaltet den Taxometer ein – was Helmut ebenfalls vergessen hatte. Beide tragen Mützen mit Ohrenschützern, streiten darüber, welche moderner sei und machen sich gegenseitig über ihre Vornamen lustig. Das heißt, sie kommen sich näher – der schwarze Brooklyn-Typ mit Herz und Helmut, der Ex-Clown aus der DDR. Und last but not least Angela (Rosie Perez), YoYos Schwägerin, die sich offenbar rumtreibt, kaum mehr Worte spricht, sprich: flucht als „fuck you“ und die YoYo ins Taxi zerrt. Aus dem Zusammentreffen dieser drei Personen gewinnt die Episode an Komik, die kaum zu übertreffen ist. Die Schwächen der einzelnen verschmelzen zu einer völlig neuen Mischung, an deren „Siedepunkt“ so etwas wie Zuneigung und Freundschaft stehen könnte. Die Lebensumstände allerdings treiben die drei wieder auseinander.

Der französische aus der Elfenbeinküste stammende Taxifahrer (Isaach de Bankolé) schmeißt in den Straßen von Paris zwei „Landsleute“, die sich über ihn lustig machen kurzerhand hinaus. Allerdings ärgert er sich, vor Wut über die beiden Diplomaten nicht abkassiert zu haben. Eine blinde junge Frau (Béatrice Dalle), denkt er, wird ihm keine Schwierigkeiten machen. Die allerdings weiß genau, was sie will. Sie erregt das intensive Interesse des Mannes vor ihr am Steuer. Immer wieder schaut er in den Rückspiegel, fragt sie, manchmal leicht aggressiv, z.B. ob es nicht ein großer Nachteil sei, blind zu sein. Die Blinde bietet ihm Paroli. „Sie können doch nicht Autofahren“, kontert sie mit: „Sie etwa?“. Wie wahr, erweist sich am Schluss der Episode.

Der geschwätzige römische Taxifahrer (Roberto Benigni) rast durch die Straßen der ewigen Stadt, und aus Langeweile macht er seine Witze. Eine große dunkle Sonnenbrille ziert sein Gesicht. Auch die trägt er eher aus Langeweile, vielleicht um den Nervenkitzel der Fahrt im Dunkeln etwas zu steigern. Den Taxifunk quittiert er mit sexuellen Anspielungen. Dann erhält er den Auftrag, einen Priester abzuholen, der an einem Brunnen wartet. Auch den muss er verulken. Kaum eingestiegen, verhöhnt er ihn mit seinen Jugendsünden, dass er seinen ersten Sex mit einem Kürbis und einem Schaf gehabt habe; nun erhoffe er von ihm, den er ständig Bischof tituliert, Vergebung. Auf den Priester selbst, der schwer herzkrank ist und schließlich mit dem Tod ringt, achtet er nicht.

Dieses groteske Wechselbad zwischen unachtsamem, vom Komischen ins Hämische, ins fast schon Verachtende wechselnden Spott hier und dem Todeskampf des schweigenden Priesters dort lässt schon bald den Wunsch aufkommen, der Priester solle leben und der Taxifahrer möge für immer den Mund schließen.

In der letzten Episode nimmt Mika, Taxifahrer im winterlichen Helsinki (Matti Pellonpää), drei betrunkene Fahrgäste auf. Während einer der drei völlig weggetreten ist, erzählen die anderen beiden Mika, ihr Kumpel habe seine Arbeit verloren, sein neues Auto sei von einem Unbekannten zu Schrott gefahren worden, seine minderjährige Tochter sei schwanger und seine Frau wolle ihn verlassen. Mika reagiert mit den Worten: „Es könnte schlimmer sein“, und meint damit seine eigene Situation und die seiner Frau. Beide haben ihr neu geborenes Mädchen nach drei Wochen verloren. Frühgeburt. Die beiden Fahrgäste hören zu, sind betroffen, ihnen stehen Tränen in den Augen. Sie versuchen Mika zu trösten.

„She visits his grave wearing her mother's shawl
should I shave or end it all.
There's an old sailor song that the children know
as their fingers curl around the other side of the world
on a bone white mare lost in Kathleen's hair
in the spring the weeds will show that he brought back the only rose
and he gave it to his girl on the other side of the world.“ (1)

Jarmusch gelingt es, durch wenige, meist aus dem Stand fotografierte Bilder die unterschiedliche Atmosphäre der fünf Städte einzufangen, in denen es Menschen, die im Taxi zusammen kommen, nur zeitweise und mehr oder weniger bruchstückhaft gelingt, eine gemeinsame Sprache zu sprechen. Helmut wird durch YoYo einen Moment lang begeistert von einer Stadt wie New York, doch als YoYo und Angela ausgestiegen sind, scheint er alles wieder vergessen zu haben. Der Pariser Taxifahrer ist neugierig auf die blinde Frau in seinem Wagen, aber er kann diese Neugierde nicht befriedigen, weil er sich selbst dabei im Weg steht, die falschen Fragen stellt und die Antworten nicht begreift. Der römische Kollege hat überhaupt kein Gespür für seinen Fahrgast. Der Casting-Agentin in Los Angeles erscheint es fast wie ein Alptraum, dass die Taxifahrerin ihr Angebot ablehnt. Und der finnische Taxifahrer stellt seine eigene missliche persönliche Situation wertend über die eines seiner Fahrgäste. Das Verständnis bleibt wenn überhaupt vage, flüchtig, wenn auch YoYo in New York ein Mensch ist, der ein großes Herz zu haben scheint.

Das Taxi wird an fünf Orten der Welt für einige Minuten zu einem Leuchtpunkt, obwohl man nicht weiß, woher die Figuren kommen und wohin sie gehen werden, wenn sie das Taxi verlassen. Es bleibt der Phantasie des Betrachters überlassen, die Geschichten weiter zu erzählen, darüber zu phantasieren, was vorher war und nachher sein wird. Was treibt beispielsweise die blinde Frau des nachts auf die Straße und an eine einsame Stelle irgendwo an der Seine? Ist sie über irgend etwas oder irgend jemand wütend? Was wird der betrunkene Fahrgast in Helsinki mit seinen kleinen und größeren Problemen anfangen, als Mika ihn vor seiner Wohnung absetzt? Wie werden Mika und seine Frau mit dem Tod ihrer kleinen Tochter fertig? Wird der Tod des Priesters das Lebens des geschwätzigen römischen Taxifahrers verändern? Jarmusch lässt seine Figuren wieder allein und uns allein mit diesen Fragen.

„Night on Earth“ regt dazu an, Geschichten weiter zu denken. Denn Jarmusch lässt diese Fragen bewusst offen. Ihn interessiert die Situation in der Enge von fünf Taxis – irgendwo.

(1) Musik von Tom Waits für „Night on Earth“.

© Bilder: Kinowelt
Screenshots von der DVD



Stranger Than Paradise
(Stranger Than Paradise)
USA 1984, 89 Minuten (DVD: 85 Minuten)
Regie: Jim Jarmusch

Drehbuch: Jim Jarmusch
Musik: John Lurie, Screamin’ Jay Hawkins („I Put a Spell on You“)
Director of Photography: Tom DiCillo
Montage: Jim Jarmusch, Melody London
Produktionsdesign: Matt Buchwald, Guido Chiesa, Sam Edwards, Tom Jarmusch, Una McClure, Louis Tancredi, Stephen Torton

Darsteller: John Lurie (Willie / Bela Molnar), Eszter Balint (Eva Molnar), Richard Edson (Eddie), Cecillia Stark (Tante Lotte), Danny Rosen (Billy)

„Ich würge einen Kaiman“

„Woher kommt das Fleisch?”
„Ich nehme an, von einer Kuh.”
„Von einer Kuh? Es sieht nicht
einmal aus wie Fleisch.”
„Red’ keinen Quatsch. So
essen wir halt in Amerika.
Ich habe mein Fleisch,
meine Kartoffeln, mein Gemüse
und meinen Nachtisch.
Und ich brauche nicht zu spülen.”

Kurze Shots. Momentaufnahmen. Aber in diesen, oft wie Standbilder erscheinenden, wie Fotos wirkenden kurzen Shots, aus denen der Großteil des Films besteht, steckt mehr über Amerika und seine lost souls, die letztendlich bei Jarmusch gar nicht so verloren sind, wie sie zunächst erscheinen, als in vielen anderen Bildern und Filmen, die über das Land gemacht wurden. Wie in fast allen seiner Filme lotet Jarmusch auf seine eigene Art Räume aus. Im Mittelpunkt dieser Räume stehen nicht nur seine Protagonisten, sondern auch deren „Raumempfinden” – enge, äußerst begrenzte Räume. New York, wo eine Ungarin eines Tages ankommt, besteht fast ausschließlich aus der Wohnung, in der ihr Cousin lebt, haust, dazu kommen lediglich ein paar dieser Momentaufnahmen im Außen, eine Mülltonne an der Straßenecke und wenige Blicke aus einem fahrenden Auto, das Jarmusch fast ausschließlich von innen, aus der Sicht der Fahrenden zeigt.

Eva Molnar (Eszter Balint) kommt aus Budapest und soll vorübergehend bei ihrem Cousin Bela, der sich jetzt Willie (John Lurie) nennt, unterkommen. Willie ist überhaupt nicht begeistert davon, dass ihm eine Verwandte in seinen gewohnten Alltag hinein gepflanzt wird. Willie will Amerikaner sein und von seiner ungarischen Herkunft nichts wissen und an sie auch nicht erinnert werden. Willie trägt fast ständig einen Hut und Hosen mit breiten Hosenträgern und verbringt seine Zeit – wenn er nicht gerade in seiner herunter gekommenen Wohnung schläft – mit Wetten bei Pferderennen. Eva kommt an, und Willie macht ihr von Anfang an deutlich, dass er sie nur kurze Zeit dulden wird.

„So essen wir halt in Amerika.” Basta. Doch Eva ist kein Mauerblümchen, keine, die sich sagen lässt, was sie zu tun respektive zu lassen hat. Baseball sei ein doofes Spiel. Das Kleid, das Willie ihr eines Tages mitbringt, findet sie hässlich, und das Fertigessen, das er regelmäßig zu sich nimmt, zum Kotzen.

Und doch, je länger Eva sich bei Willie aufhält, desto mehr empfindet Willie sie als sympathisch, mehr als eine Abwechslung in seinem eingeschliffenen Leben. Für Eva hingegen erweist sich DIE NEUE WELT – so der Titel des ersten Teils des Films – als grotesk langweilig und trist. Als sie sich entscheidet, dieses New York zu verlassen, um in Cleveland bei ihrer Tante Lotte (Cecillia Stark) vielleicht das erträumte Amerika zu finden, sieht man Willie deutlich an, dass er sie eigentlich nicht gehen lassen will – obwohl sie ständig dieses „I Put a Spell on You“ von Screamin’ Jay Hawkins hört, das er nicht mag.

„I put a spell on you
Because you’re mine
Ah, you’d better stop the things that you do
I ain’t lying, no I ain’t lying.“ (1)

Jarmuschs Figuren wirken wie Außerirdische, die sich auf einem fremden Planeten zurechtfinden wollen. Aber während ein Alien wahrscheinlich nach einiger Zeit die Flucht ergreifen oder den blauen Planeten und seine Einwohner unterjochen würde, reagieren Jarmuschs Protagonisten anders: Willie zwingt sich zur Anpassung, er ordnet sich ein, unter, und doch ist bei ihm immer dieses Gefühl des Unwohlseins zu spüren, das dann durch Eva an die Oberfläche getragen wird. Eva hingegen, die Budapest vielleicht auch verlassen hat, weil die Mitglieder ihrer Familie, wie sie später einmal über Tante Lotte sagt, stur seien, sie einengen würden, ist eine jener jungen Menschen, die nicht lange an Orten bleiben, die kalt, unwirtlich, trist sind. Sie hinterfragt alles, und das regt Willie zunächst auf, bevor er sich von dieser Mentalität angesprochen fühlt.

Und dann treffen wir noch auf Eddie (Richard Edson), Willies Freund, auch ein Angepasster, aber in den Staaten geboren, einer, der Willie folgt – auch nach Cleveland. EIN JAHR SPÄTER (so der Titel des zweiten Teils) zeigt Willie und Eddie, als sie beim Schummeln während des Pokerspiels mit anderen erwischt werden. Ein äußerer Anlass für Willie, sich ein Auto zu besorgen, um mit Eddie Eva zu besuchen. Jarmusch zeigt die Fahrt aus der Binnenperspektive der beiden im Auto. Nur ab und an hält die Kamera Tom DiCillos auf die schneebedeckte Tristesse der Außenwelt.

Und Cleveland ist nicht freundlicher als New York, wie Eddie irgendwann feststellen muss. Eva arbeitet in irgendeiner dieser Snackbars, ist flüchtig befreundet, eher nur bekannt, mit Billy (Danny Rosen), der gerne mit ihr zusammen wäre. Doch für Eva scheint Billy nicht mehr als eine kleine Abwechslung in der Ödnis der Großstadt. Und in Tante Lotte hat Eva nur einmal mehr die Sturheit ihrer Familienmitglieder gefunden, eine durchaus nette alte Frau, die allerdings auf Eva aufpasst wie ein Wachhund.

„I just can’t stand it baby
The way you’re always running ’round
I just can’t stand it
The way you always put me down
Yeah, I put a spell on you
Because you’re mine
You’re mine, you’re mine, you’re mine.“ (1)

Unsere „Aliens” loten die Räume aus, in die sie sich begeben; und immer wieder stoßen sie auf ihre Grenzen, oder besser: auf die Unendlichkeit dieser eingefahrenen Räume. Sie könnten weiter fahren – nach Boston oder Chicago, selbst am Erie-See, zu denen Eva Willie und Eddie führt, sehen sie nur Nebel, endlose Weiße, die Traurigkeit einer industriell überformten Landschaft, Leere. Sie kennen das alles und nichts anderes. Und es bleibt ihnen ein letzter Traum, nur ein Traum, nichts anderes: das PARADIES (dritter Teil des Films) Florida. Unter den Schimpfkanonaden von Tante Lotte verlassen die drei mit den letzten 550 Dollar Cleveland in Richtung „gelobtes Land” – in Erwartung von Wärme, Neuem, Glück, was weiß ich.

Drei Sonnenbrillen, die Willie an einer Tankstelle kauft, sollen sie wie Touristen aussehen lassen – eine innerliche Einschränkung sozusagen, ein tief sitzender Zweifel an der Qualität Floridas als Paradies, eine Entscheidung, die neue Situation zu erkunden, ohne sich festlegen zu wollen. In einem Motel nisten sie sich ein, eingerichtet wie alle Motels, die sie schon kennen, nothing new. Und ebenfalls nichts Neues ist die Entscheidung, am nächsten Morgen beim Hunderennen ihr Glück zu versuchen. Willie und Eddie lassen Eva im Motel zurück und verlieren bis auf 50 Dollar ihr gesamtes Geld.

„I put a spell on you
Because you’re mine
You’d better stop the things that you do
Lord knows, I ain’t lying
No, no, no, I ain’t lying.” (1)

Und jetzt baut Jarmusch in seinen Film etwas ein, was eigentlich nicht zu erwarten war: den glücklichen Zufall, das Heilsversprechen, das Gelobte im gelobten Land: Zum einen gewinnen Eddie und Willie beim Pferderennen mit ihren letzten 50 Dollar als Einsatz. Zum anderen trifft die auf die beiden zornige Eva bei einem Spaziergang auf einen Freak (Rammellzee), der sie, weil sie einen Hut trägt, mit irgendeiner Geldbotin verwechselt und ihr einige Bündel Dollars überreicht. Eva sieht die Chance, das triste Amerika zu verlassen, legt ein Bündel des Geldes mit einem Brief an Willie in das Motelzimmer und begibt sich zum Flughafen, wo nur ein Flug nach Budapest noch frei ist. Willie und Eddie, die sich über das Geld wundern, fahren ihr hinterher, um sie zurückzuhalten. Willie löst ein Ticket, um Eva noch zurückzuholen. Und während Eddie, beim Auto wartend, glaubt, beide seien im Flieger nach Ungarn, kehrt Eva in das Motel zurück.

Ist Willie im Flieger und auf dem Weg nach Budapest oder zurückgekehrt? Eddie fährt zurück – nach New York oder in das Motel? Eva sitzt mit Hut allein im Motelzimmer. What will happen now – mag man fragen. Aber das ist nicht so entscheidend.

„I just can’t stand it
The way you always put me down
I just can’t stand it
The way you’re always running ’round
I put a spell on you, ha ha
Because you’re mine
You’re mine, you’re mine.“ (1)

Es ist fast schon selbstredend, dass Jarmusch diese Geschichte mehr als eine Komödie eigener Art inszeniert hat denn als Drama. So gut wie in jeder Szene kommt die unterschwellige Ironie zum Tragen, zum Teil auch in den Dialogen, etwa wenn Eva die verdreckte Wohnung Willies mit dem Staubsauger auf Vordermann bringen will und Willie kommentiert: „‘Ich will den Boden staubsaugen’ klingt viel zu steif.” „Was sagst du dann?” „Ich würge einen Kaiman.” „Ok, ich würge jetzt einen Kaiman.”

Dieser ironische Unterton macht Jarmuschs Figuren jedoch nicht etwa lächerlich, sondern lässt sie umso sympathischer wirken. Vor allem aber: Eddie, Willie und Eva wachsen im Laufe der Handlung zusammen. Das ist mehr, als man es mit dem Wort Freundschaft bezeichnen könnte. Es ist auch mehr als ein Zusammenwachsen in Not oder eine Annäherung wegen Geistesverwandtschaft. Es ist, so könnte man fast sagen, eine Art Erfindung, eine freiwillige Zusammenkunft auf Dauer, die Initialisierung eines neuen Raums, der sich in den eingefahrenen Räumen Amerikas positioniert. Gewiss, alle drei werden Fremde bleiben, bis zu einem gewissen Grad, Fremde im eben nicht eigenen Land, aber sie konstruieren einen eigenen Raum mit drei Ecken oder Enden, eben ihnen selbst, egal wohin Eva nun vom Motel aus geht, ob Willie in Budapest landet oder Eddie in New York. Sie sind jetzt auf Dauer miteinander verbunden.

Es ist diese Konstruktion neuer Räume abseits der eingefahrenen, fremden, aufgezwungenen Räume der Moderne, die Jarmuschs Filme charakterisiert. Dabei stehen diese Räume nicht außerhalb der eingefahrenen Räume; sie nisten sich in sie ein, wie das Eigene in das Fremde, und dieses Eigene verändert das Fremde – wenn auch vielleicht nur ein bisschen. Ob sie bestehen bleiben oder vernichtet werden, bleibt offen. Wo ist schon Sicherheit?

© Bilder: Kinowelt und Arthaus
Screenshots von der DVD

(1) „I Put a Spell on You” von Screamin’ Jay Hawkins.



Ghost Dog: The Way of the Samurai
(Ghost Dog – Der Weg des Samurai)
USA 1999, 116 Minuten
Regie: Jim Jarmusch

Drehbuch: Jim Jarmusch
Musik: RZA
Director of Photography: Robby Müller
Montage: Jay Rabinovitz
Produktionsdesign: Ted Berner

Darsteller: Forest Whitaker (Ghost Dog), John Tormey (Louie), Cliff Gorman (Sonny Valerio), Richard Portnow (Handsome Frank), Tricia Vessey ( Louise Vargo), Henry Silva (Ray Vargo), Victor Argo (Vinny), Raymond (Isaach De Bankolé), Camille Winbush (Pearline), Richard Portnow (Handsome Frank), Gene Ruffini (Old Consigliere), Victor Argo (Vinny), Vince Viverito (Johnny Morini), Vinny Vella (Sammy the Snake), Joseph Rigano (Joe Rags)

„The end is important in all things“

„It is a good viewpoint to see
the world as a dream. When
you have something like a nightmare,
you will wake up and tell
yourself that it was only a dream.
It is said that the world we live in
is not a bit different from this.“

Ghost Dog – Nomen est Omen. Er ist Schwarzer, er ist Samurai, er arbeitet in Anonymität selbst in Bezug auf seine Auftraggeber, gealterte Mafiosi, die sich im Fernsehen Comics anschauen und mehr oder weniger einer untergehenden Art angehören. Für jeden sichtbar, und doch in den entscheidenden Momenten unsichtbar verrichtet Ghost Dog seine Arbeit: Töten im Auftrag. Die minimalistische Art, in der Forest Whitaker diesen Samurai in Amerika spielt, scheinbar zur falschen Zeit, am falschen Ort, mit der falschen Hautfarbe, ständig die Anweisungen und Sprüche, vermeintlichen Weisheiten aus seiner „Bibel” „Hagakure – The Way of the Samurai” zitierend, verschlägt einem schon die Sprache. Was ist das für ein unzeitgemäßer, ja man könnte meinen: nicht realistischer Typ, der Tauben züchtet, Tauben liebt und Tauben als Postboten für seine Aufträge einsetzt? Was ist das für eine Welt, in der er lebt, und wer ist er, der in dieser Welt lebt?

„Der Weg des Samurai”, liest Ghost Dog vor, „findet sich im Tod.” Ghost Dog geht den Weg dieses Buches – warum, weiß keiner. Wozu auch? Andere gehen andere Wege.

Alles scheint schräg in Jarmuschs Geschichte, in der dieser Ghost Dog einem Mann namens Louie (John Tormey) dient, der ihm einst das Leben rettete und dem er als Samurai ewige Treue geschworen hat. Sein Herr und Meister versorgt ihn seither per Brieftaube mit Mordaufträgen der örtlichen Mafia, drei mehr oder weniger alten Männern, die ebenfalls in einer vergangenen Welt zu leben scheinen, finanzielle Probleme haben – genauer gesagt: total verschuldet sind – und deren Realitätssinn angesichts ihrer althergebrachte Ehrbegriffe behände geschwunden zu sein scheint.

Ghost Dog soll Handsome Frank (Richard Portnow) töten. Er erledigt diesen Auftrag auch, wie immer gemäß einer Art Ritual: Er stiehlt ein Auto, nicht irgendeines, ein teurer Wagen muss es schon sein. In seinem Aktenkoffer, den er ständig mit sich führt, befindet sich auch ein Gerät, mit dem er alle elektronischen Türschlösser knacken kann. Er geht immer den direkten Weg, wie es sich für einen Samurai gehört, auch wenn dieser Weg der gefährlichste sein sollte. Er tötet schnell, nur dieses Mal gibt es eine Zeugin, Louise (Tricia Vessey), die Tochter Ray Vargos (Henry Silva), der zusammen mit Sonny Valerio (Cliff Gorman) und dem alten Consigliere (Gene Ruffini) sozusagen das Triumvirat der örtlichen Mafia bildet. Die drei sind sauer auf Louie. Es sollte keine Zeugen geben, Louise sollte im Bus sitzen, während Frank ermordet wird. Sie befragen Louie nach Ghost Dog und beauftragen Sammy the Snake (Vinny Vella) und Joe Rags (Joseph Rigano), Ghost Dog ausfindig zu machen und zu töten. Doch die stellen sich nur blöd an, schießen einem Tauben züchtenden Indianer fast über den Haufen und töten dann einen ebenfalls Tauben züchtenden Schwarzen, ohne zu wissen, ob es sich überhaupt um Ghost Dog handelt.

Als Louie Ghost Dog vor dem Triumvirat warnt, erschießt Ghost Dog den Schwager Sonnys. Louie ist verzweifelt, alles hat sich in seiner Welt verändert, er bittet Ghost Dog, ihn zu töten, denn sonst würde das eh Sonny übernehmen. Doch Ghost Dog darf seinen Gebieter nicht töten, statt dessen schießt er ihm in die Schulter, damit Louie erzählen kann, Ghost Dog habe auf beide geschossen.

Als die Mafiosi Ghost Dogs Dach entdecken und seine Tauben erschießen, steht für den Samurai fest, was zu tun ist. Er geht seinen Weg, seinen direkten Weg ...

„In the words of the ancients,
one should make his decisions
within the space of seven breaths.
It is a matter of being determined
and having the spirit to break right
through to the other side.“

Nun könnte man meinen, Jarmusch pflege hier in dramatischer, ja tragischer Weise den Ehrenkodex der Samurai oder der untergehenden Welt der alten Mafiosi. Man könnte überhaupt denken, es gehe hier um eine bierernste Geschichte, die lediglich an einigen Stellen mit subtil-ironischen Schmankerln garniert wurde, die jedoch weiter nichts zu bedeuten hätten. Man könnte Jarmusch gar den Vorwurf machen, es gehe ihm um eine fast zweistündige Ehrenrettung der Ehre oder irgend etwas in dieser Richtung. Doch diese Interpretation würde nicht nur bedeuten, dass der Film aus dem Gesamtwerk des Regisseurs ziemlich herausfallen würde – was ja nicht unbedingt unmöglich wäre. Entscheidender für mich ist, dass ich in „Ghost Dog” eher eine bittere Komödie sehe, in der Jarmusch seinen spezifisch ironischen Stil, den er in fast allen seiner Filme anbringt, vollendet hat.

Nun, Ghost Dog züchtet nicht nur Tauben und killt Mafiosi und andere. Ghost Dog hat einen Freund, einen Eisverkäufer namens Raymond (Isaach de Bankolé), der nur französisch spricht, während Ghost Dog nur des Englischen mächtig ist. Beide, könnte man meinen, reden aneinander vorbei, aber dem ist nicht so. Merkwürdigerweise – und das gehört zu den humorvollsten Seiten des Films – verstehen sie sich trotzdem, weil sie in den verschiedensten Situationen dasselbe denken. Es ist dieses subtile Verständnis, das auch über Körpersprache, Gesten, Blicke, Mimik zustande kommt, das ganz im Gegensatz steht zum „Unverständnis” Ghost Dogs, was seine Umgebung und seine Rolle in dieser Umgebung angeht. Was den Mann letztlich dazu getrieben hat, sich als Samurai in einer dieser Rolle nicht analogen Welt und Zeit zu begreifen, lässt der Film letztlich offen und ist letztlich auch völlig unwichtig. Auch die Motivationsstrukturen der Hauptfiguren in Jarmuschs anderen Filmen bleiben dem Betrachter oft verborgen. Insofern steht da die Figur des Ghost Dog nicht allein.

Noch etwas anderes zeigt die Zwiespältigkeit des Ghost-Dog-Charakters: seine Beziehung zu einem Mädchen, mit dem sich der Killer auf eine unproblematische Weise verständigt. Pearline (Camille Winbush) heißt das Mädchen. Sie spricht Ghost Dog auf einer Parkbank nahe der Eisbude Raymonds an, zeigt ihm ihre Bücher, darunter „Frankenstein”, „Nachtschwester” und „Die Seele der Schwarzen” – Bücher, die Ghost Dog schon gelesen hat. Er gibt ihr ein Buch mit dem Titel „Rashomon”, das ihm Louise gegeben hatte, als er gerade Frank erschossen hatte. Pearline verspricht Ghost Dog, das Buch zu lesen und ihm ihre Meinung dazu zu sagen.

Alles scheint verschoben in dieser Welt, die von der Musik RZAs begleitet wird. Aber es ist genau dieser Schein, der trügt. Die personellen Strukturen sind doch ziemlich eindeutig und interessant. Ghost Dog folgt einem Ehrenkodex einer vergangenen (japanischen) Welt. Doch er weiß, dass er diese Regeln seines Buches in einer veränderten Welt auch verändert anwenden muss. Als einsamer Samurai lebt er einsam, eben auf einem Dach, von dem aus er die Welt überblicken kann. Er versteht sich mit einem Mann, seinem einzigen Freund auf eine nicht-verbale Art, er versteht sich mit einem Mädchen, weil beide auf eine bestimmte Art seelenverwandt sind (Bücher), er versteht sich mit seinen Tauben, und sie scheinen ihn zu verstehen, und last but not least versteht ihn ein Hund, der sich vor ihn setzt und anschaut, ihm sogar auf Anhieb gehorcht. Diese Welt des Ghost Dog scheint wie ein Traum. Aber, wie es im Buch steht, die Welt, in der er lebt, scheint nicht besonders unterschiedlich zur Welt des Traums. Schließlich hat Ghost Dog eine Aufgabe, die, seinem Lebensretter, wie es sich für einen Samurai gehört, zu gehorchen.

Diese Welt Ghost Dogs ist in sich abgeschlossen, aber auch in sich logisch strukturiert – wie die Welt der Mafiosi, diese miese, kleinkarierte und lächerliche Welt von Mördern, Erpressern und Dieben. Und wie lächerlich sind ihre Protagonisten: Der eine, Vargo, schaut alte Zeichentrickfilme en masse, ohne auch nur das Gesicht zu verziehen, der andere, Sonny, liebt Rap, obwohl „Nigger”, „Rothäute” usw. für ihn zum Abschaum gehören, und der dritte, Old Consigliere, ist schon mehr als scheintot. Jarmusch desavouiert diese Clique einer untergehenden Epoche, diese verschuldeten Mafiosi, die nicht einmal ihre Miete mehr zahlen können, nach Strich und Faden. Und doch erweisen sich gerade diese Mafiosi, nicht als einzelne Personen, sondern in ihrer strukturellen Bedeutung als Teil der Wirklichkeit, als überlebensfähig, wie der Schluss des Films zeigt, in dem Louise, die Ghost Dog zweimal verschont hatte, mit dem letzten überlebenden Mafiosi, Louie, das Geschäft fortsetzt.

Was steht sich da also gegenüber: Die auf eine merkwürdige Art funktionierende Kommunikationsstruktur zwischen Ghost Dog, Raymond und Pearline hier, die miesen Mafiosi dort.

„Even if a samurai’s head were
to be suddenly cut off, he should
still be able to perform one more
action with certainty. If one becomes
like a revengeful ghost and shows great
determination, though his head is
cut off, he should not die.“

Jarmusch unterlegt, wie schon gesagt, die Geschichte mit dem ihm eigenen Sarkasmus, etwa in einer Szene, die mit der Geschichte scheinbar nichts zu tun hat: Nach der Exekution einiger Mafiosi trifft er unterwegs zwei Männer in Militärkleidung, die gerade einen Bären getötet haben. Er fragt sie, ob gerade Jagdsaison für Bären sei. Sie antworten, es gebe nur noch wenige Bären, und daher sei es ein Glück, wenn man auf einen treffe. Ghost Dog erschießt die beiden mit der Bemerkung, in älteren Kulturen wären Bären von Menschen als gleichwertig angesehen worden. Als der eine Bärentöter im Sterben röchelt: „Wir leben nicht in einer alten Kultur”, antwortet Ghost Dog: „Manchmal schon.”

Es ist dieses „Manchmal”, das Jarmusch in gewisser Weise in die Gegenwart über Ghost Dog hinüberrettet. Es ist nicht die Samurai-Kultur als Ganzes, aber – so paradox das klingen mag – es ist das Ehrenhafte, das Wahrhaftige des Buches, das sich in Ghost Dogs Sicht der gegenwärtigen Welt breit macht – mit dem fatalen Irrtum, wenn es denn einer ist, dass Louie, der, dem Ghost Dog die Rolle seines Herren, dem er dient, zugedacht hat, diese Rolle eben nicht verkörpert.

In der Schlussszene, in der Louis im Auftrag Louises und im Kontext des Ehrenkodexes der Mafia Ghost Dog niederstreckt, sagt der Sterbende: „Ich habe alles gesehen, was nötig ist.“ Louise und Louie setzen das Werk der Mafia fort. Ghost Dog hat sich mit seinem Schicksal abgefunden, bevor ihn Louie niederstreckt. Er übergibt Louie „Rashomon” mit der Bemerkung, er und Louie gehörten zwei aussterbenden Spezies an. Und Pearline sitzt in der Küche und liest in „Hagakure”: „Das Ende ist wichtig in allen Dingen.“

Einmal mehr erweist sich Jarmusch in diesem für sein Werk scheinbar so außergewöhnlichen Film als jemand, der zweierlei vollbringt: Er stellt den den Ehrenkodex der Mafia klammheimlich oder offen feiernden Gangsterfilm bloß, auch indem er den Ehrenkodex Ghost Dogs dagegen stellt. Und er desavouiert die Strukturen der Gegenwartsgesellschaft, indem er uns durch die „Brille” eines „exzentrischen”, der Samurai-Ideologie folgenden Mannes auf diese Welt blicken lässt. Er zeigt aber auch, dass das streng hierarchische Element der Samurai-Ideologie und die damit verbundenen Morde dieser Welt nichts anhaben können, weil sie ihr wesensverwandt sind, und das Schicksal des Samurai im Tod besiegeln – etwas, was die Samurai-Ideologie als wesentliches Element bereits enthält. „Der Weg des Samurai findet sich im Tod.”

Was wird Pearline aus der Lektüre des „Hagakure” lernen? Was wird sie damit anfangen?

© Kinowelt und Arthaus
Screenshots von der DVD