Little Big Man
(Little Big Man)
USA 1970, 147 Minuten
Regie: Arthur Penn

Drehbuch: Calder Willingham, nach dem Roman von Thomas Berger
Musik: John Hammond
Director of Photography: Harry Stradling Jr.
Montage: Dede Allen, Richard Marks
Produktionsdesign: Dean Tavoularis, Angelo P. Graham, George R. Nelson

Darsteller: Dustin Hoffman (Jack Crabb), Faye Dunaway (Mrs. Pendrake), Chief Dan George (Old Lodge Skins), Martin Balsam (Mr. Merriweather), Richard Mulligan (General George Armstrong Custer), Jeff Corey (Wild Bill Hickok), Aimée Eccles (Sunshine), Kelly Jean Peters (Olga Crabb), Carole Androsky (Caroline Crabb), Robert Little Star (Little Horse), Cal Bellini (Younger Bear), Ruben Moreno (Shadow That Comes In Sight), Steve Shemayne (Burns Red In The Sun), William Hickey (Historiker), Ray Dimas (der junge Jack Crabb), Alan Howard (der heranwachsende Jack Crabb), Thayer David (Reverend Silas Pendrake)

Everything is alive

„Because the human beings,
my son, they believe everything
is alive. Not only man and animals.
But also water, earth, stone.
And also the things from them ...
like that hair. The man from whom
this hair came, he's bald on the
other side, because I now own
his scalp! That is the way things are.
But the white man, they believe
everything is dead. Stone, earth,
animals. And people! Even their
own people! If things keep trying
to live, white man will rub them
out. That is the difference.“
(Old Lodge Skins in „Little Big Man“)

Der gute alte Westen? Der gute alte Western? 1970 gelang Arthur Penn („Alice's Restaurant“, 1969; „Bonnie and Clyde“, 1967) eine Persiflage, eine bitterböse Satire auf den alten Westen und den neuen Western, die sich gewaschen hat. Penn erzählt nach dem Roman von Thomas Berger die Geschichte von Jack Crabb. Genauer: Crabb selbst erzählt seine Geschichte im Alter von sage und schreibe 121 Jahren einem unbedarften und ignoranten Historiker (William Hickey) – und mit seiner Geschichte erzählt er zugleich ein gutes Stück amerikanischer Geschichte, wie sie nicht in den Geschichtsbüchern nachzulesen ist.

Im zarten Alter von vielleicht fünf Jahren verliert Jack Crabb (Ray Dimas) bei einem Überfall der Pawnees seine Eltern. Crabb und seine Schwester Caroline (Carole Androsky) werden von Cheyenne aufgenommen. Während Caroline nach kurzer Zeit das Weite sucht, wird Jack zu einem „richtigen“ Cheyenne erzogen und erhält den Namen Little Big Man (denn Jack ist von kleiner Statur). Vor allem der alte Häuptling Old Lodge Skins (Chief Dan George, der für seine Rolle einen Academy Award verdient gehabt hätte) nimmt Jack unter seine Fittiche. So wächst Jack (jetzt: Dustin Hoffman) wohl behütet auf, immer unter den etwas neidischen Augen von Younger Bear (Cal Bellini), dem er das Leben rettet.

Bei einem Überfall amerikanischer Soldaten müssen etliche Cheyenne ihr Leben lassen. Jack flieht und landet in den christlichen Armen des Predigers Reverend Pendrake (Thayer David), dessen Frau (Faye Dunaway) zwar stets fromme Sprüche predigt und für die die Bibel das einzig existierende Buch zu sein scheint, die Jack dann aber dabei beobachtet, wie sie im Lager mit einem Lebensmittelhändler süße Stunden verbringt. Mrs. Pendrake ist lüstern – durch und durch. Jack beschließt, die fromme Familie zu verlassen.

Eine Zeitlang verbringt Jack zusammen mit dem Quacksalber Merriweather (Martin Balsam), der wunderwirkende Medizin verkauft – bis sich an einem Ort die Bevölkerung gegen den Magenschmerzen verursachenden Trunk wehrt: Merriweather und Jack werden geteert und gefedert – bis Caroline, seine Schwester, ihn wiedererkennt. Sie bringt ihm das Schießen bei. Caroline meint, ein richtiger Mann müsse schießen können. Und Jack kann es. So lernt er – ausstaffiert wie ein richtiger Revolverheld – den berühmt-berüchtigten Wild Bill Hickok (Jeff Corey) kennen, dessen Augen – egal was er gerade tut – immer Ausschau nach einem potentiellen Gegner halten. Als Hickok einen Neider erschießt, wendet sich Jack angesichts des Toten vom Revolverheldendasein ab.

Er versucht sich als Kaufmann, ein ehrbarer Beruf, heiratet die üppige Olga (Kelly Jean Peters) – und wird von seinem Partner nach Strich und Faden betrogen. Und als er zufällig auf den berühmten General George Armstrong Custer (Richard Mulligan) trifft und der ihm rät, in den Westen zu gehen, packt Jack seine sieben Sachen zusammen und zieht mit Olga los, die bei einem Überfall von Indianern gefangen genommen wird. Jack kehrt zu den Cheyenne zurück. Später heiratet er Sunshine (Aimée Eccles).

Noch etliche Male wird Jack hin- und hergerissen zwischen dem Leben bei den Cheyenne und den Weißen ...

„Little Big Men“ ist eine wahre Komposition, eine durchkomponierte Tragikomödie, in der die Kultur der „Bleichgesichter“ und vor allem ihre ideologische Verkleisterung der eigenen Geschichte und der Besiedlung Amerikas auf satirische und oft äußerst amüsante Weise auseinander gepflückt wird. Das Hin und Her des Jack Crabb zwischen den beiden Kulturen der Weißen und der menschlichen Wesen, wie sich die Cheyenne nennen, ist der Katalysator, mit dem Penn seinen Film über mehr als gut zwei Stunden vorantreibt, ohne dass es mir irgendwann langweilig wurde.

Crabb durchläuft die Stadien der weißen Kultur: das scheinheilige Christentum der Pendrakes – Mrs. Pendrake trifft er später als Prostituierte in einem Bordell wieder –, er wird „ehrbarer Kaufmann“ – und betrogen –, er folgt Custers Ruf nach dem Westen (Siedlermentalität) und verliert seine Frau, er wird Revolverheld und ekelt sich vor einem „Beruf“, in dem Wild Bill Hickok nichts anderes tut, als darauf zu achten, dass nicht er, sondern sein jeweiliger Angreifer getötet wird. Der alte Quacksalber Merriweather, der Zyniker der weißen Kultur, der diese genau kennt, nutzt die Doppeldeutigkeit, die Infamie und den Selbstbetrug der Weißen aus; er verkauft ihnen ein Allheilmittel für all ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Krankheiten. Merriweather betrügt seine Landsleute mit ihren eigenen Mitteln. Auch dieses Leben ist für Little Big Man nicht das Wahre.

Wie soll Crabb in einer solchen Welt überleben? Indem er sich durchschlägt. Und er schlägt sich durch. Aber auch hier bekommen die Siedler-Ideologie und vor allem der Pseudo-Individualismus vom Tellerwäscher ordentlich ihr Fett ab. Denn Crabbs Weg zwischen den Kulturen ist nicht so sehr von eigenen Entscheidungen bestimmt, vielmehr von Zufällen, die allerdings ihre innere Logik haben. Er folgt dem Ruf Custers in den Westen – und prompt wird seine Olga von Indianern gekidnappt. Später trifft er sie wieder: als Frau von Younger Bear, der Crabb gegenüber stets als stolzer Cheyenne aufgetreten war und jetzt unter dem Pantoffel von Olga, der Schwedin, steht. Auch anderswo gibt es Parallelen: Caroline, die sich nie mit ihrem Frausein abfinden konnte, läuft in Männerklamotten herum. Bei den Cheyenne ist es Little Horse (Robert Little Star), der sich nie als Mann gefühlt hat, und später Crabb gar das Angebot macht, in seinem Wigwam die Frau abzugeben. Für die Cheyenne ist Little Horse kein Problem. Der weise Old Lodge Skin weist des öfteren darauf hin, dass ein Mann, der sich nicht zum Kämpfer berufen fühlt, von den anderen akzeptiert wird.

Auf seiten der Weißen sieht es da ein bisschen anders aus: Mrs. Pendrake hat für sich einen entscheidenden Schritt gewagt. Sie hat ihren Prediger verlassen und tobt sich im Bordell aus. Doch dort steht sie unter der Knute der Puffmutter. Bei den Cheyenne sieht das anders aus. Nachdem Crabb Sunshine (Aimée Eccles) geheiratet hat, verlangt sie von ihm, dass er ihre drei Schwestern in sein Wigwam aufnimmt – und natürlich auch mit denen schläft. Nach anfänglichem Zögen erfüllt Crabb seine Pflichten. Während auf der einen Seite ein Zwang den anderen ablöst, folgt das Leben bei den Cheyenne einem grenzenlosen Vertrauen in alles, was der große Manitu geschaffen hat – bis auf die Weißen, die irgendwie sich nicht in die Ordnung der Dinge einpassen wollen.

Old Lodge Skins ist es, der Crabb bewusst macht, welche gravierenden Unterschiede zwischen den Bleichgesichtern und den „menschlichen Wesen“ bestehen. Für die Cheyenne ist Leben nicht nur in Mensch und Tier, sondern überall, im Wasser, in den Steinen. Der Skalp eines getöteten Mannes ist der Beweis, dass der andere jetzt kahl auf der anderen Seite, in den ewigen Jagdgründen lebt. Der andere ist nicht tot, nicht vergessen, er wird geachtet über den Tod hinaus. Für den weißen Mann aber ist alles tot. Und genauso handelt General Custer, die Ausgeburt von Arroganz und anmaßender Siedlermentalität. Und wie jämmerlich stellt sich sein eigener Tod bei der Schlacht am Little Big Horn dar, nachdem er ein Gebiet, das den Indianern von der Regierung zugesprochen war, überfallen hatte.

Es ist dieser Widerspruch zwischen der grundlegenden Humanität der Cheyenne hier und der Hybris der herrschenden weißen Kultur, der in „Little Big Man“ auf eine bittersüße, tragikomische Weise inszeniert wird.

Old Lodge Skins spielt sich in gewisser Weise selbst, und wie er das bewerkstelligt, ist grandios. Dustin Hoffman scheint die Rolle des Jack Crabb auf den Leib geschnitten. Auch der Rest der Besetzung – vor allem Jeff Corey, Faye Dunaway, Martin Balsam, Carole Androsky, Richard Mulligan – lässt kaum etwas zu wünschen übrig.

„Little Big Man“ ist ein Western, der es in sich hat, ein Anti-Western, ein enthüllender, desavouierender Western, der einer der wichtigsten Perioden der Geschichte der USA den Spiegel vorhält und die Geschichtsbücher Lügen straft, die diese Zeit heroisieren. „Little Big Man“ ist aktueller denn je angesichts der bis in die Gegenwart fortwirkenden Ideologie der absoluten Sicherheit, die größtenteils ihren Ursprung in der Siedlermentalität des 18. und 19. Jahrhunderts hat, mit den bekannten Folgen einer Politik der Arroganz im Weltmaßstab.