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Lohn der Angst (Le salaire de la peur) Frankreich, Italien 1953, 142 Minuten Regie: Henri-Georges Clouzot
Drehbuch: Henri-Georges Clouzot, Jérôme Géronimi, nach dem Roman von Georges Arnaud Musik: Georges Auric Director of Photography: Armand Thirard Montage: Madeleine Gug, Etiennette Muse, Henri Rust Produktionsdesign: René Renoux
Darsteller: Yves Montand (Mario), Charles Vanel (Jo), Peter van Eyck (Bimba), Folco Lulli (Luigi), Darío Moreno (Hernandez), Véra Clouzot (Linda), William Tubbs (Bill O’Brien)
Am Abgrund ...
Die unerträgliche Hitze scheint die Gemüter zu lähmen, davon abzuhalten, irgendeiner Tätigkeit nachzugehen. Irgendwo in Venezuela, in irgendeinem gottverlassenen Nest namens Las Pietras sitzen ein paar Europäer, trinken, streiten, schlafen oder dösen vor sich hin. Doch es ist nicht die Hitze, die sie abhält, zu arbeiten oder sich sonst irgendwie zu beschäftigen. Es sind Ausgestoßene, Verlorene, Versager, Männer, deren Träume wie Seifenblasen zerplatzt sind. Sie haben kein Geld in der Tasche und nicht einmal den Hauch einer Chance, hier wegzukommen. Selbst Caracas ist weit und zu teuer, um mit dem Flugzeug dorthin zu gelangen. Und was würde sich auch in Caracas schon ändern?
Fast eine Stunde Film vergeht, in der Frankreichs Meisterregisseur Clouzot die Zustände in dem Nest beschreibt, die Leute, die sich dort tummeln usw. Wir lernen Mario (Yves Montand) kennen, einen Franzosen, den die junge, hübsche Linda (Véra Clouzot), die in einem der Cafés arbeitet, liebt – ohne auf große Gegenliebe zu stoßen. Mario geht nur eins im Kopf herum. Wie kommt er hier wieder weg? Das Warten auf eine Chance scheint wie das Warten auf Godot. Dann kommt ein Landsmann an, in blütenweißem Anzug, aber ebenso ohne Geld, geflüchtet vor der Polizei: Monsieur, oder besser Senor Jo (Charles Vanel), der sich – so kann man ahnen – mit kleinen oder auch größeren Gaunereien durchs Leben geschlagen hat. Er ist froh, einen Landsmann aus Paris zu treffen. Rasch kommt man ins Gespräch. Dann lebt hier noch ein Deutscher, der sich Bimba nennt (Peter van Eyck). Dessen Vater, ein Offizier, war von den Nazis gehängt worden. Bimba ist eher ein stiller Zeitgenosse. Schließlich arbeitet hier seit Jahren der Italiener Luigi (Folco Lulli) auf dem Bau – und dessen Arzt bescheinigt ihm, er würde nicht mehr lange leben, wenn er weiterhin dieser Arbeit nachgehe, weil seine Lunge von dem Baustaub und Zement fast am Ende sei.
„Le salaire de la peur” ist ein Action-Film, in gewisser Weise auch ein Roadmovie der besonderen Art, vor allem anderen aber eine Charakterstudie und eine Tragödie. Nach knapp einer Stunde weiß man sehr genau, mit wem man es hier zu tun hat. Die einen würden sagen: mit dem Abschaum, dem Dreck, der Gosse. Die anderen würden sagen: mit Männern, die auszogen, ihr Glück zu suchen – immer wieder – und jedes Mal, wenn es zum Greifen nahe war, scheiterten – durch sich selbst oder die Umstände oder andere. Es sind Gestrandete, Ausgeschlossene, Exilierte, die so gut wie am Ende sind – und trotzdem hoffen, eine weitere Chance zu bekommen. An Wunder glauben sie nicht, aber an eine Chance. Sie spielen ein Spiel, und obwohl sie stets verloren haben und eigentlich keinen Einsatz mehr bringen können, hoffen sie auf sich selbst. Sie selbst sind der letzte Einsatz.
Irgendwo explodiert es auf einem riesigen Ölfeld der „Southern Oil Company”. Der örtliche Leiter der Ölgesellschaft O’Brien (William Tubbs) sieht nur eine Chance zu verhindern, dass sich das Feuer ausweitet. Man muss sprengen. Mit Nitroglycerin. Und obwohl bei dem Feuer schon dreizehn seiner Leute – vor allem venezuelanische – ums Leben gekommen sind, will er das Leben weiterer vier Männer riskieren. Sie sollen mit normalen Lkws ein oder zwei Tonnen Nitro, das weit weg lagert, zum Ölfeld bringen – ein Himmelfahrtskommando. Der Lohn: Tod oder 2.000 Dollar pro Mann. Er sucht die Männer unter den Verlorenen, denen, die keine Familie haben, denen, nach denen niemand fragt, wenn sie mit dem Nitro in die Luft fliegen.
Er findet sie, und er wählt letztlich Mario, Luigi, Bimba und Jo. Es beginnt eine mörderische Fahrt über holprige Straßen, enge Wege und große Löcher in den Straßen. Die vier wissen, worauf sie sich eingelassen haben: Tod oder die Möglichkeit diese unwirtliche Gegend endlich verlassen zu können.
Gut 80 Minuten sehen wir die vier Männer, voller Hoffnung, voller Angst, voller Sehnsucht, endlich hier wegkommen zu können. Wir sehen sie, wie sie mit der hochexplosiven Ladung über die kaum einmal geteerten Landstraßen fahren, mal mit 40 km/h, weil die Straße wellenförmig ist und der Lkw nur bei dieser Geschwindigkeit nicht ruckelt; mal vor einem riesigen Loch, das mit Öl vollgelaufen ist, weil eine Pipeline defekt ist; mal vor einem tonnenschweren Felsbrocken, der die Straße versperrt.
Vor allem aber sehen wir vier Männer, die sich ganz unterschiedlich auf diesen Weg gemacht haben. Mario, der seine anfängliche Angst längst überwunden hat, weil er nur noch daran denkt, gesund beim Ölfeld anzukommen. Jo, der seinen anfänglichen Optimismus längst hinter sich gelassen hat, aus Angst vor dem Tod schon fliehen will, was zur Folge hat, dass Mario in ihm einen Feigling zu erkennen glaubt, der nur viel redet, aber nichts riskieren will; Bimba, dieser ruhige und besonnene Kerl, der nie die Fassung zu verlieren scheint; und Luigi, der trotz aller Gefahr seinen Galgenhumor nicht verloren hat und bereit ist, bis ans Ende zu gehen.
Ohne jegliche Tricks und doppelten Boden, ohne special effects drehte Clouzot – eine wahre Herausforderung für seine Schauspieler – Szenen, die so echt wirken, als wären sie Dokumentaraufnahmen. Zu den Höhepunkten zählt die Sprengung eines Felsbrockens, der die Straße versperrt, mit Nitro; die Fahrt von Mario und Jo durch ein Ölloch auf der Straße; ein waghalsiges Wendemanöver beider Lkws an einer Baustelle. Doch bei aller „Action”, wie man heutzutage diese Szenen einordnen würde, bleibt Clouzot streng bei der Geschichte, das heißt bei seinen vier Hauptdarstellern. Sie stehen im Mittelpunkt, ihre Gefühle, ihre Konflikte (Jo und Luigi mögen sich nicht, Mario verachtet Jo wegen seiner Feigheit), ihren Willen, diese vielleicht letzte Chance, aus Venezuela wegzukommen, bis zum Ende zu nutzen. Und er bleibt bei dem Auslöser dieser letzten Chance: der Skrupellosigkeit eines Mannes, O’Brien, die verzweifelte Situation der vier Männer gnadenlos auszunutzen und ihren Tod bewusst einzukalkulieren.
Vergleichbar ist diese Situation vielleicht nur mit vier Gefangenen, deren Aufseher ihnen die „Chance” geben, zu fliehen mit einem Vorsprung von vielleicht fünf Minuten. Danach würde man sie verfolgen und versuchen, sie zu erschießen. Welche Chance!
Clouzot bleibt aber nicht nur bei dem Grundsatz: Geschichte und Charaktere stehen im Vordergrund. Er macht auch keine Nebenplots auf, er weicht nicht vom Weg ab, so wie die vier Männer nicht vom Weg abweichen. Die Straße, der Weg zum Ölfeld ist das Zentrum, der einzig wirkliche Ort der Handlung nach einer Stunde Film. Die Gefahren, die sich unweigerlich auftun, sind nur Mittel zum Zweck, Mittel, um die vier unterschiedlichen Männer noch genauer kennen zu lernen.
Um dies alles hinzubekommen drehte Clouzot, der nicht an Ort und Stelle filmen wollte, in der Camargue in der Nähe von Uzés, der klimatisch und von der Vegetation her wohl einzig mit Venezuela vergleichbaren Gegend in Frankreich. Er ließ das Dorf Las Piedras an Ort und Stelle nachbauen, Häuser, eine Fabrik, Cafés, einen Friedhof und ließ Menschen aus Mittelamerika einfliegen, die die Einheimischen spielen. Sogar einige Tiere aus der Äquatorregion ließ er holen. Für das Ölloch auf der Straße ließ er den Eigenschaften von Öl ähnliche Flüssigkeit mixen, in der sich die Schauspieler wälzen mussten. Auch die Sprengung des Felsbrockens und das brennende Ölfeld ließ er realitätsgetreu inszenieren.
Das alles zusammengenommen setzte Maßstäbe, sowohl für den Actionfilm, als auch für diejenigen Action-Filme, die man später Mission-Filme nennen sollte. Insofern und in Anbetracht der Tatsache, dass viele heutige Action-Filme Geschichte und Charaktere vernachlässigen zugunsten von Technik, special effects, CGI usw., kann „Lohn der Angst” auch heute noch überzeugen – ein spannender, manchmal nervenzerreißender Film, in dem vier Schauspieler alles geben, was für das Gelingen des Films notwendig war. Selbst die sentimentalen Szenen wirken nie rührselig, etwa als einer der vier Männer in den Armen eines anderen stirbt. Und im Gegensatz zu manch gegenwärtigem Action-Film bleibt „Lohn der Angst” ohne Illusion, ohne Happyend, ohne Glorifizierung.
© Bilder: Concorde Home Entertainment. Screenshots von der DVD.
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