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Blue Velvet (1986) Wild At Heart (1990) Lost Highway (1997) Eine wahre Geschichte (1999) Mulholland Drive (2001)
Blue Velvet (Blue Velvet) USA 1986, 120 Minuten Regie: David Lynch
Drehbuch: David Lynch Musik: Angelo Badalamenti, David Lynch, Roy Orbison, Bernie Wayne, Victor Young Director of Photography: Frederick Elmes Montage: Duwayne Dunham Produktionsdesign: Patricia Norris, Edward „Tantar“ LeViseur
Darsteller: Kyle MacLachlan (Jeffrey Beaumont), Isabella Rossellini (Dorothy Vallens), Dennis Hopper (Frank Booth), Laura Dern (Sandy Williams), Dean Stockwell (Ben), George Dickerson (Detective John Williams), Hope Lange (Mrs. Williams), Priscilla Pointer (Mrs. Beaumont), Jack Harvey (Tom Beaumont), Frances Bay (Tante Barbara), Ken Stovitz (Mike), Brad Dourif (Raymond), Jack Nance (Paul), J. Michael Hunter (Hunter), Dick Green (Don Vallens)
The Robin with the Beetle
„She wore blue velvet Bluer than velvet was the night Softer than satin was the light From the stars She wore blue velvet Bluer than velvet were her eyes Warmer than May her tender sighs Love was ours Ours a love I held tightly Feeling the rapture grow Like a flame burning brightly But when she left, gone was the glow of Blue velvet But in my heart there'll always be Precious and warm, a memory Through the years And I still can see blue velvet Through my tears“ (Bobby Vinton)
David Lynch und seine Filme haben besessene Anhänger und ebenso besessene Gegner. Dazwischen finden wir differenzierende Gegner und Liebhaber seiner Filme, deren Kritiken Hand und Fuß haben. Für Roger Ebert ist „Blue Velvet“ ein Film, über dessen schwarzen Humor er nicht lachen kann, dessen Charaktere er für charakterlos hält und an dem er insbesondere kritisiert, dass Lynch eine Szene, in der Isabella Rossellini nackt im Vorgarten eines jener schönen, reinen Häuser steht, verletzt, geschunden, missbraucht, kurz darauf zum Gespött mache: „Lynch shows us Rossellini naked and humiliated, and then cuts to jokes about the slogans on the local radio station.“ Diese Szene wurde zum zentralen Argument vieler Kritiker, die Lynch Entwürdigung vorwarfen. James Berardinelli hat dem völlig zu Recht entgegengehalten, dass Lynch hier in einem Höhepunkt des Films seinem Publikum vor Augen führt, wohin entwürdigende Prozesse, Lebensweisen usw. führen, aber nicht in der Absicht, die Figur der Dorothy Vallens zusätzlich zu entwürdigen.
Lynch erzählt eine relativ einfach gestrickte Kriminalgeschichte. Hinter dieser verbergen sich Abgründe, die einem vor Augen führen, dass wir alle in einer Welt leben – in bezug auf uns selbst, die wir uns nicht in einen guten und einen schlechten Teil aufspalten können, wie hinsichtlich einer Welt, die sich ebensowenig teilen lässt, auch wenn wir ständig versuchen, so zu tun, als ob alles „Böse“ einer anderen Welt entspringe.
Lynchs „Blue Velvet“ ist der gelungene Versuch, das Schmutzige, Unreine, Kriminelle, Schuldige nicht außerhalb unser selbst zu suchen und zu finden, wie dies etwa in Sciencefiction oft geschieht, in denen „das Böse“ nicht nur anders aussieht, sondern auch Tausende von Lichtmeilen entfernt lebt und sich anschickt, „das Gute“ zu zerstören. Kyle MacLachlan spielt einen jungen Collegeboy, dem die Unschuld im Gesicht geschrieben steht, ebenso wie der Nachbarstochter Sandy (Laura Dern), deren Vater John Williams (George Dickerson), Detective bei der örtlichen Polizei im amerikanischen Kleinstädtchen Lumberton, Jeffrey aufsucht, als er vom Weg aus dem Krankenhaus, in das sein Vater mit einem Herzanfall eingeliefert wurde, ein mit einer Schere abgeschnittenes menschliches Ohr im Gras findet.
Dieses Ohr, das nicht mehr hören kann, in das man nicht hineinschauen kann, in dessen schwarzem Innern sich ein Geheimnis verbirgt, ist eines jener Zeichen, die Lynch einsetzt, um das Grauen hinter der heilen Fassade zu offenbaren. In der ersten Szene ist es der sich verkrümmende Gartenschlauch, aus dem plötzlich kein Wasser mehr strömt, und gleichzeitig bleibt Jeffreys Vater die Luft weg, und die Käfer und anderes Getier lauern unter der Oberfläche des Rasens – Zeichen des Todes, aber auch des Abgründigen. Hier scheint sich etwas Mysteriöses, Unerklärbares abzuspielen. Die Natur scheint sich an einigen Stellen gegen Menschen zu wenden. Am Schluss des Films fliegt ein Rotkehlchen auf die Fensterbank, für die blonde Sandy Zeichen, dass alles wieder gut wird. Wenn man aber genau hinschaut, dann hat der kleine Vogel einen Käfer im Schnabel, den er fressen wird. Und auch Jeffrey weiß am Schluss um die Ambiguität der Welt und die Ambivalenz in sich und jedem.
Das Ohr – Jeffrey bringt es zu Williams, der ihm das Versprechen abnimmt, mit niemandem darüber zu reden, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Das Ohr – es wird nun zum Zeichen für Jeffreys selbstverschuldeten Eintritt in die Welt der Sünde. Die erste, die er begeht, lautet: Er bricht das Versprechen. Jeffrey ist neugierig, das Ohr reizt ihn, mehr zu erfahren, und mit Hilfe Sandys, die ein Gespräch ihres Vaters belauscht hat, geraten beide an die Nachtclubtänzerin Dorothy Vallens (Isabella Rossellini), schwarze Haare, schön, aber auch verletzlich, in deren Schrank sich Jeffrey versteckt. Wie ein Kinozuschauer beobachtet er durch die Schlitze des Kleiderschranks, wie sich der Psychopath Frank Booth (Dennis Hopper) über Dorothy hermacht. Nein, er vergewaltigt sie nicht einfach. Frank zieht aus einer Sauerstoffmaske irgendein Gas, eine Droge, Dorothy darf ihn nicht anschauen, ist ihm hörig, er schlägt sie, sie muss ihm alles zeigen, und erst dieser entsetzliche Kick im ganzen verschafft ihm Befriedigung. Lynch konstruiert diesen Frank zu einer der bösesten, ekelhaftesten, krankhaftesten und furchterregendsten Charaktere der Filmgeschichte. Frank ist zu irgendeiner „normalen“ Reaktion und Handlung offenbar nicht mehr fähig. Er bindet entweder alle an sich, die ihm in die Nähe kommen, oder stößt sie brutal ab, oder abwechselnd beides. Frank hält sich Dorothy als Objekt seiner kranken Sexualität, seines Sadismus. Er hat ihren Mann und ihr Kind entführt und hält beide bei einem seiner Marionetten, Ben (Dean Stockwell), gefangen.
Bei Dorothy löst dies unterschiedliche Reaktionen aus: Sie ist missbrauchtes Opfer. Aber sie entdeckt auch ihre masochistische Seite. Als sie Jeffrey im Schank entdeckt, bedroht sie ihn mit einem Messer, zwingt ihn sich auszuziehen, ihre oralen Bedürfnisse, hier als Ausdruck von Unterwürfigkeit werden angedeutet. Sie will, dass Jeffrey sie schlägt, der sich weigert, aber einmal doch zuschlägt. Dorothy tut nichts gegen die Entführung von Mann und Sohn, sie leidet unter Frank und sie genießt ihr Leiden, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad.
Jeffrey wandert zwischen Traum und Alptraum, zwischen der unschuldigen Blonden, in die er sich verliebt (und die zunächst penibel darauf bedacht ist, dass ihr Freund Mike (Ken Stovitz) nichts davon erfährt, dass sie wegen der Ermittlungen im „Fall Ohr“ sich ständig mit Jeffrey trifft), und der ihre ambivalenten Gefühle kaum versteckenden Dorothy, mit der er schläft. Als Frank Jeffrey bei Dorothy entdeckt, zieht er ihn in seinen Alptraum mit hinein. Er zwingt ihn, mit zu Ben zu kommen. Es folgt wieder eine dieser alptraumhaften Szenen, in denen ein Verrückter neben dem anderen steht, Ben, der zu einem Schlager aus den 50er Jahren den Mund bewegt, so tut als würde er singen. Alles wirkt, als hätten die Figuren Drogen genommen und würden sich im Halbschlaf befinden.
Ja und dann, dann als im Zweikampf zwischen Frank und Jeffrey letzterer gewinnt, als er das Böse hinweg pustet, eben wie einen lästigen Alp von der Brust vertreibt, da schließt sich – im Angesicht des genannten Rotkehlchens – die Welt wieder. Wie nach einem Erdbeben hatte sich ein Abgrund aufgetan, und Jeffrey und Sandy waren in die Unterwelt hinabgestiegen. Jetzt scheint sich alles wieder in Wohlgefallen aufzulösen. Die roten und gelben Tulpen leuchten vor dem blauen Himmel wie eh und je, die Familien Beaumont und Williams finden zueinander als gute Nachbarn, Sandy und Jeffrey sind ein Paar und selbst Dorothy, die Geschundene, hat ihr Kind wieder und sitzt auf der Bank, zum ersten Mal mit einem Lächeln.
Es bleibt allerdings der Käfer im Schnabel des Rotkehlchens, das die Menschen verwundert anschaut ...
Die vier Hauptfiguren sind exzellent besetzt, Dennis Hopper, der seine Karriere als Darsteller von Verbrechern hier zum Höhepunkt treibt, Laura Dern, die die amerikanische Kleinstadt-Unschuld grandios spielt, Kyle MacLachlan, der junge, saubere Kerl von nebenan, und Isabella Rossellini, die damals gerade als Fotomodell Karriere machte, hier in ihrer auch körperlichen Geschundenheit das gerade Gegenteil zu den Hochglanzfotos in der Vogue usw. abgibt und den ambivalenten Charakter der Dorothy Vallens überzeugend auf die Leinwand bringt.
Wild at Heart (Wild at Heart) USA 1990, 124 Minuten Regie: David Lynch
Drehbuch: David Lynch, nach einem Roman von Barry Gifford Musik: Angelo Badalamenti Director of Photography: Frederick Elmes Montage: Duwayne Dunham Produktionsdesign: Patricia Norris
Darsteller: Nicolas Cage (Sailor), Laura Dern (Lula), Willem Dafoe (Bobby Peru), Diane Ladd (Marietta Fortune), J. E. Freeman (Santos), Crispin Glover (Dell), Isabella Rossellini (Perdita), Harry Dean, Stanton (Johnnie Farragut), Calvin Lockhart (Perdita), Grace Zabriskie (Juana), Sherilyn Fenn (Mädchen bei Autounfall), Marvin Kaplan (Onkel Pooch), William Morgan (Mr. Reindeer), Morgan Sheppard (W. Morgan Sheppard), David Patrick Kelly (Dropshadow), Freddie Jones (George Kovich), John Lurie (Sparky), Glenn Walker Harris Jr. (Pace), Greg Dandridge (Bob Ray Lemon)
Pop !
„Die Fassade verhüllt nicht mehr [...] den Wahn, sie ist bereits ‘Sprache’ des neurotischen Systems. [...] Die Gesellschaft ist nicht mehr Sinn, [...] sondern eine Agentur geworden, die mit Sinn handelt wie mit anderen Waren.” (1)
Geburt, Liebe, Sexualität, Tod – man könnte meinen, David Lynchs „Wild at Heart” handelt von diesen „anthropologischen Konstanten”, spezifiziert auf die Moderne. Die überdeutlich in den Film hinein gepflanzten Zitate aus „Der Zauberer von Oz” (die böse Hexe des Ostens, das Land hinter dem Regenbogen u.a.) scheinen auf die märchenhafte Hoffnung eines Paares zu verweisen, das sich durch seine Liebe der Skrupellosigkeit der Welt zu entziehen sucht. Die ebenso überdeutliche Präsentation des Feuers als Symbol des gewaltsamen Todes hier, im Anzünden einer Zigarette dann aber wieder als Kennzeichen eines bewussten, glückerfüllten Lebens vor dem Tod dort scheinen dem weiteren Vorschub zu leisten: ein Paar begibt sich auf den Weg in die Glückseligkeit.
Doch „Wild at Heart” ist weit davon entfernt, eine „realistische” Geschichte im üblichen Wortsinn zu erzählen. Genau betrachtet erzählt David Lynch überhaupt keine Geschichte, obwohl (!) die Beziehungen zwischen den handelnden Personen äußerst eng geknüpft sind und obwohl (!) sich aus den Ereignissen, die im Film in der Vergangenheit spielen, logische Erklärungen für den Fortgang der geschilderten Handlung ableiten lassen – so deutlich, dass der Zweifel keine Chancen zu haben scheint.
Und trotz alledem: „Wild at Heart” ist von vorne bis hinten und in jeder Einzelheit nichts weiter als – Pop.
„Love me tender, love me sweet, never let me go. You have made my life complete and I love you so. Love me tender, love me true, all my dreams fulfill. For, my darlin', I love you and I always will.”
Da wollen zwei zusammen kommen und zusammen bleiben. Sailor (Nicolas Cage), der Ganove mit Herz, der kein Ganove mehr sein will, und Lula (Laura Dern), die Schöne, die endlich dem Einfluss ihrer Mutter Marietta (Diane Ladd, Mutter von Laura Dern) entfliehen will. Doch Marietta hasst Sailor und lockt ihn in eine Falle. Sie engagiert einen gewissen Lemon (Gregg Dandridge), der Sailor erstechen soll. Aber Sailor tötet Lemon vor den Augen etlicher Zeugen und muss 22 Monate ins Gefängnis.
Lula holt ihn ab, und beide entschließen sich, Richtung Kalifornien zu fahren, um ihr Glück zu suchen. Marietta aber, die „böse Hexe aus dem Osten”, schickt ihnen Johnnie Farragut (Harry Dean Stanton), der Marietta abgöttisch, ja devot liebt, hinterher, um die beiden zu trennen. Um sicher zu gehen, beauftragt sie aber zusätzlich den Killer Santos (J. E. Freeman), der sich mit dem Mordauftrag einverstanden erklärt – unter einer Bedingung: auch Farragut soll dran glauben. Santos fürchtet, dass Farragut hinter die dunklen Geschäfte mit dem Obergangster Reindeer (William Morgan) kommen könnte. Marietta stimmt nach anfänglichem Zögern zu.
Sailor und Lula sind inzwischen in New Orleans angekommen. Lula erfährt von Sailor, dass er nie elterliche Fürsorge gekannt habe. Seine Eltern seien an Tabak und Alkohol zugrunde gegangen. Später erzählt Sailor Lula auch, dass er, bevor sie sich kennen gelernt hatten, für Santos gearbeitet und Lulas Vater gekannt habe. Er habe Santos an jenem Tag zum Haus von Marietta gefahren, als Lulas Vater in Flammen umgekommen sei. Jetzt weiß Lula, dass sich ihr Vater nicht selbst umgebracht hatte, sondern ermordet worden war: von Santos und ihrer Mutter, deren Lachen sie immer für das Lachen der bösen Hexe des Ostens gehalten hatte. Und Lula erzählt Sailor, dass sie als 13jährige von Onkel Pooch (Marvin Kaplan) vergewaltigt worden war. Kurz darauf sei Pooch angeblich bei einem Autounfall ums Leben gekommen.
Lula und Sailor versuchen, ihr Glück zu genießen, schlafen oft miteinander – und ziehen weiter, während Farragut in New Orleans vergeblich nach beiden sucht. Marietta, die ein schlechtes Gewissen hat, fliegt nach New Orleans, um Farragut zurückzuholen. Doch kurz bevor die beiden die Rückreise antreten wollen, wird Farragut entführt. Santos, der Reindeer um Unterstützung gebeten hat, schwört Marietta, er habe mit dem Verschwinden Farraguts nichts zu tun.
Als Lula und Sailor in Big Tuna ankommen, lernen sie ein paar äußerst skurrile Typen kennen, u.a. Bobby Peru (Willem Dafoe), einen schmierigen Kerl, der stolz darauf zu sein scheint, in Vietnam an einem Massaker teilgenommen zu haben. Sailor hatte Big Tuna nicht umsonst angefahren, denn dort lebt eine alte Bekannte, Perdita (Isabella Rossellini), von der er wissen will, ob irgend jemand ihn und Lula verfolgt. Doch Perdita lügt ihn an: sie wisse von nichts ...
Im Hotelzimmer, in dem sich Lula erbrochen hatte, gesteht sie Sailor, dass sie schwanger ist. Sie kann es ihm nicht sagen, schreibt es auf einen Zettel. Sailor sagt nur: „Für mich ist das O.K.”
Nachdem Bobby Peru Lula in ihrem Hotelzimmer belästigt hat, während Sailor mit seinem Auto beschäftigt ist, überredet er Sailor, an einem Banküberfall teilzunehmen. Sailor willigt ein, denn er und Lula haben fast kein Geld mehr. Zu spät merkt Sailor, dass Bobby Peru ihn in eine Falle gelockt hat. Während Perdita vor der Bank im Auto auf die beiden wartet, erscheint ein Polizeiwagen. Bobby Peru schießt auf die beiden Bankangestellten und bedroht dann Sailor, dem er eine Waffe gegeben hatte, die nicht funktioniert. Als Bobby einen Moment lang abgelenkt wird, kann Sailor auf die Straße fliehen. Als Bobby hinter ihm her rennt, wird er von einem Polizisten erschossen. Sailor muss für sechs Jahre ins Gefängnis.
Gegen den Willen ihrer Mutter bekommt Lula ihr Kind, einen Sohn, den sie Pace (Glenn Walker Harris Jr.) nennt. Gegen den Willen ihrer Mutter holt Lula sechs Jahre später Sailor vom Bahnhof ab. Lula ist erschüttert, verzweifelt, und Sailor, der seinen Sohn zum ersten Mal sieht, glaubt, er störe nur, sie komme ja wohl auch allein zurecht. Er verlässt Lula wieder. Als er von ein paar Typen bedroht wird und sie provoziert, wird Sailor zusammengeschlagen. Besinnungslos am Boden liegend erscheint ihm die gute Fee, die ihm sagt, er solle zu Lula zurückkehren. Lula habe Sailor alles verziehen und liebe ihn. Genau das tut er. Beide stehen auf dem Auto, und nun singt Sailor seiner Lula endlich das Elvis-Lied, das er ihr erst vorsingen wollte, wenn sie Mann und Frau sind: Love me tender.
„Love me tender, love me long, take me to your heart. For it's there that I belong and we'll never part. Love me tender, love me true, all my dreams fulfill. For, my darlin', I love you and I always will.”
„Wild at Heart” ist Pop, hatte ich gesagt. Denn der Film besteht letztlich „nur” aus Zitaten, Zitaten der Filmgeschichte, Stereotypen und Klischees einer medial und visuell überformten Moderne, in der alles, alles, was gesagt und getan, gedacht und gefolgert wird, zum artifiziellen Muster verkommen ist. Auch Lula und Sailor nehmen sich hierbei keineswegs aus. Sailor selbst definiert sich – schon zu Anfang des Films – dadurch, dass ihm seine Schlangenlederjacke Identität und Freiheit bedeute. Diese Selbstdefinition über ein Produkt der Warenwelt ist aber kein Zufall, kein singuläres unbedeutendes Ereignis. Sailor und Lula definieren sich permanent durch die nicht mehr hinterfragten Klischees einer Welt, in der Bedeutung, Sinn, Sinnstiftung, Individualität nicht Ergebnis eines realen Prozesses zwischen Individuum und Welt sind, sondern wie aus den Regalen eines Supermarktes gezogen werden, um sich ein Äußeres, vor allem aber ein Inneres zu geben.
Das, was in Peter Weirs „Die Truman Show” (1998) als satirisch verkleidete Schreckensvision für einen den Medien seit Geburt ausgelieferten Menschen erschien, ist in „Wild at Heart” acht Jahre früher bereits zur Wirklichkeit geworden – einer Wirklichkeit, in der zwischen (lebensweltlicher) Realität und (medialer) Fiktion keine Differenz mehr besteht. Truman Burbank beschlich ein unangenehmes Gefühl, eine zunächst unbestimmte Ahnung, das in seiner Welt „etwas nicht stimmen” könne. Er konnte sich befreien und den Unterschied zwischen Realität und Fiktion noch entdecken. Am Ende steht dabei die mehr als deutliche Differenz zwischen Individuum und Welt, zwischen Fiktion und Realität, zwischen Konstruktion und Subjektivierung. Selbst Laura Linney doppelte sich in Trumans Frau und ihre wirkliche Existenz als Angestellte eines medialen Konzerns.
Bei Sailor und Lula doppelt sich nichts. Sie tragen keine Masken, sie sind nicht auf dem Weg der Befreiung im Sinne eines Zu-Sich-Selbst-Findens mehr oder weniger gelungener Sozialisation. Ihre Gespräche verharren in dem, was der eine vom anderen eh schon weiß. Lula selbst bringt es auf den Punkt, wenn Lynch ihr die entsprechenden Kommentare in den Mund legt. Als sie während der Autofahrt Radio hört, quellen aus verschiedenen Sendern nur Schreckensmeldungen über Missbrauch, Katastrophen, Morde usw., und Lula kommentiert: „Ist das ‘Die Nacht der lebenden Toten” hier?” Ja, könnte man meinen. Kurz darauf begegnet ihnen eine Art „Untote”, als beide am Straßenrand ein Unfallauto, einen Toten und ein junges Mädchen finden, das wirr spricht, geschockt ist, kurz darauf stirbt.
Doch die beiden zitieren vor allem sämtliche Stereotype dessen, was (romantische) Liebe angeblich ausmacht, genauer, was Beziehung angeblich definiert. Lynch unterstreicht dies beispielsweise durch den Blick der Kamera von oben auf ein Bett, in dem die beiden nebeneinander in harmonischer Symmetrie liegen. Und durch die Farbe Rot, die im Film immer wieder (nicht nur als Symbol für Feuer und Blut, d.h. Zerstörung und Tod) als Zeichen dieses Klischees auftaucht. Das, was sich Lula und Sailor noch zu sagen haben, die Geheimnisse beider Vergangenheit (Tod des Vaters, Vergewaltigung, Sailors Arbeit für Santos), ist für den Handlungsablauf wichtig, nicht jedoch für die Beziehung der beiden Liebenden.
Nicht nur die Kommunikation der beiden (und im übrigen aller anderen Personen) ist begrenzt auf eine Art warenästhetische Kunstsprache, hinter der sich nichts weiter verbirgt. Auch das Verständnis der Welt, in der die Personen sich bewegen, ist entsprechend limitiert. Lynch unterstreicht dies durch die Charakterisierung und das Outfit der Handelnden. So gleicht Lula ihrer Mutter fast bis aufs Haar: blonde Haare, rote oder orangenfarbene Fingernägel, rote Lippen, lange Wimpern, blauer Lidschatten – Lula ist eine „gute” Kopie der „schlechten” Marietta, aber beide sind Kopien einer konsumbestimmten Ästhetik. Ihre Beziehung zueinander bleibt seltsam äußerlich. Zwar identifiziert Lula zusehends ihre Mutter mit der bösen Hexe des Ostens, weil Marietta den Vater, möglicherweise auch Onkel Pooch ermorden ließ und auch Santos und Farragut auf Sailor angesetzt hat. Aber daraus folgert nicht wirklich etwas, außer das sozusagen eine Schublade geschlossen wird. Marietta verschwindet am Schluss des Films: Sie weint, während ihr Foto verblasst und nur noch der leere Rahmen übrig bleibt – wie eine Ware, deren Zweckbestimmung sich erledigt hat, weil sie unbrauchbar geworden ist.
„Love me tender, love me dear, tell me you are mine. I'll be yours through all the years till the end of time. Love me tender, love me true, all my dreams fulfill. For, my darlin', I love you and I always will.”
Lynch sammelt sozusagen die Utensilien und den Müll einer Gesellschaft, in der nicht nur Sachen und Menschen käuflich geworden sind, sondern auch Identität, Subjektivität, Sinn und Bedeutung. Er ordnet diese Utensilien und diesen Müll und wirft ihn uns – ohne wirklichen Zusammenhang zu erzeugen – vor die Augen. Geschichte bestimmt sich nicht mehr durch die Abfolge von Erfahrungshorizonten, die auf die jeweils nächste Generation nachwirken und aus denen die Spannung aus Tradition und Eigensinn der Individuen resultiert und somit die Antwort auf die Frage, wie sich eine Generation definiert. Die Beziehungen zwischen den Personen im Film erzeugen keinen wirklichen und wirkenden, kulturell wie historisch bedingten Zusammenhang. Eigensinn ist selbst zur Ware geworden, Geschichte sozusagen „verstorben”. Wahrnehmung und Erfahrung sind selbstreferentiell geworden.
Lynch durchbricht diese Logik des Gezeigten nicht wirklich; aber es gibt Momente in „Wild at Heart”, in denen nicht nur Zeichen, sondern auch ein spezieller Sarkasmus von anderem deutet. Etwa als die beiden verletzten Bankangestellten am Boden liegend blutüberströmt nach der abgeschossenen Hand des einen suchen und sich zu beruhigen versuchen, im Krankenhaus werde das schon wieder in Ordnung gebracht. Kurz darauf sieht man einen Hund aus der Bank laufen mit der Hand im Maul. Auch die Analogien zu „Der Zauberer von Oz” sind paradoxerweise eher solche zur Realität, obwohl es sich um ein Märchen handelt – aber eben um eines, an dessen Ende eine Art Reinigung steht, ein Glücksgefühl, Lebenslust, Hoffnung, „positives Denken”. Der Schluss von „Wild at Heart” hingegen ist nur äußerlich positiv. Das Schöne an diesem Ende der Geschichte ist das Schöne der Warenwelt. Dass es uns fasziniert, liegt bei uns.
(1) Georg Seeßlen: David Lynch und seine Filme, Marburg 1994, S. 11, 132.
Lost Highway USA 1997, 134 Minuten Regie: David Lynch
Drehbuch: David Lynch, Barry Gifford Musik: Angelo Badalamenti, Barry Adamson, David Bowie, Billy Corgan, David Lynch Marilyn Manson, Lou Reed, Trent Reznor, Rammstein Director of Photography: Peter Deming Montage: Mary Sweeney Produktionsdesign: Patricia Norris
Darsteller: Bill Pullman (Fred Madison), Patricia Arquette (Renee Madison / Alice Wakefield), Balthazar Getty (Pete Dayton), Robert Loggia (Mr. Eddy / Dick Laurent), Robert Blake (Mysteriöser Mann), Natasha Gregson Wagner (Sheila), Richard Pryor (Arnie), Lucy Butler (Candace Dayton), Gary Busey (Bill Dayton), Michael Massee (Andy), Jack Nance (Phil), Jack Kehler (Johnny Mack, Wächter), Henry Rollins (Henry, Wächter), Giovanni Ribisi (Steve „V”), Scott Coffey (Teddy), John Roselius (Ed), Marilyn Manson (Porno-Star)
Verdrängte Abgründe
„Die Unschuld wird vor allem von einem getötet – der Angst. Meine›unschuldigen‹ Figuren fallen irgendwann vom Himmel und müssen die Hölle durchqueren, um wieder mit einer gewissen Unschuld überleben zu können” (David Lynch in einem Interview im Filmbulletin 2/1997, Heft 211).
Es gibt Kritiker der Filme von David Lynch, die meinen, diese würden sich einfachen Interpretationen entziehen, sie seien schwer zugänglich und bedürften sozusagen des pädagogischen Begleitheftes.
Ich würde sagen: Jeder sieht seinen eigenen Film, wie jeder auch sein eigenes Buch liest. An Lynchs Filmen wird – ob er das beabsichtigt oder nicht – zumindest das ganz deutlich, unabhängig davon, was Lynch selbst in seine Werke hineingepackt hat bzw. hineinpacken wollte. Tausende von Interpretationen zu einem Film sind möglich. Bei Lynch ist nur besonders auffällig, was bei anderen Filmen eher als „guter” Film kontra „schlechter” Film an der Oberfläche zu beobachten ist. Lynchs Filme machen offenbar, welche Bandbreite an Interpretationsmöglichkeiten Filme an sich zulassen: so viele, wie die Zahl der Personen, die seine Film gesehen haben (von überschneidenden Ansichten und Empfindungen einmal abgesehen).
Zunächst aber zum Inhalt, den ich knapp halte angesichts der Fülle der Ereignisse in „Lost Highway”.
Als ob er auf diese Ansage durch die Türsprechanlage gewartet habe, doch gleichzeitig nicht weiß, was diese Nachricht bedeuten soll, hört der Saxophonist Fred Madison (Bill Pullman) eine Stimme mit der Nachricht „Dick Laurent ist tot”. Madison steckt in einer Ehekrise, schaut zu, wie seine Frau Renee (Patricia Arquette) eine Affäre nach der anderen hat, ohne das vor Fred groß zu verheimlichen.
Zwei Videofilme, die dem Paar anonym geschickt werden, zeigen Aufnahmen ihres Hauses und von ihnen selbst, wie sie schlafen. Die Polizei kann nichts Verdächtiges feststellen. Noch mysteriöser geht es auf einer Party von Andy (Michael Massee), einem Bekannten von Dick Laurent (Robert Loggia) zu. Ein Unbekannter (Robert Blake) spricht Fred an und behauptet, zur gleichen Zeit in Freds Haus zu sein. Er gibt Fred eine Handy, mit dem er bei sich zu Hause anruft und dieselbe Stimme am Telefon hört. „Wie sind Sie in mein Haus gekommen?”, fragt Fred. Antwort: „Sie haben mich eingeladen. Es ist nicht meine Art, dorthin zu gehen, wo ich nicht erwünscht bin.”
Anderntags erhält Fred ein weiteres Videoband, auf dem er neben der blutüberströmten, zerstückelten Leiche seiner Frau zu sehen ist.
Fred wird verhaftet und zum Tode verurteilt. In der Zelle hat er immer wieder Phantasien an die Videobänder und die anderen merkwürdigen Ereignisse, bekommt starke Kopfschmerzen. Als einige Zeit später ein Gefängniswärter in seine Zelle schaut, sieht er eine völlig andere Person. Fred ist verschwunden. Statt dessen sitzt Pete Dayton (Balthazar Getty) dort, der keine Erinnerung mehr hat, wie er dorthin gekommen ist. Die Polizei muss Pete laufen lassen, da nichts gegen ihn vorliegt, lässt ihn aber durch zwei Beamte ständig beobachten.
Pete arbeitet als Automechaniker. Stammkunde in der Werkstatt ist auch Mr. Eddy (Robert Loggia), ein Gangster, der mit Pornofilmen Geld macht. Eines Tages erscheint Mr. Eddy mit einer blonden schönen jungen Frau, Alice (Patricia Arquette), die Renee fast wie aus dem Ei gepellt ähnlich sieht, nur dass letztere schwarze Haare hat(te). Pete verliebt sich sofort in sie, lässt seine Freundin Sheila (Natasha Gregson Wagner) fallen und verbringt mehrere Nächte mit Alice, die für Mr. Eddie als Pornostar arbeitet. Da der von der Affäre mit Pete nichts erfahren darf, überredet Alice Pete, Andy in dessen Haus zu überfallen, ihn zu berauben und zu flüchten.
Pete schleicht sich in Andys Haus und schlägt ihn nieder. Als Andy sich halb benommen auf Pete stürzen will, weicht dieser aus und Andy fällt mit dem Kopf so auf die Ecke eines Tisches, dass die Tischplatte ihm den Schädel spaltet.
Alice und Pete flüchten in die Wüste zu einem Haus, schlafen nochmals miteinander. Andys Wunsch „Ich will Dich! Ich will Dich!” beantwortet Alice mit einem harten, kalten: „Du wirst mich niemals kriegen” und verschwindet.
Kaum hat sie dies gesagt, verwandelt sich Pete in Fred. Als er ihr folgen will, steht plötzlich der mysteriöse Mann mit der Videokamera vor ihm. „Wo ist Alice?” fragt er: „Ihr Name ist Renne”, bekommt er harsch zur Antwort. Fred fährt mit dem Auto weg, wird dabei von dem Unbekannten auf Video gefilmt und sieht sich wieder im „Lost Highway Hotel” bei Dick Laurent, der gerade mit Renee schlafen will. Fred packt Dick, schlägt ihn zusammen, lädt ihn in den Kofferraum seines Autos und bringt ihn hinaus in die Wüste. Als er Laurent aus dem Kofferraum zerrt, kommt es zu einem Handgemenge. Plötzlich gibt der Unbekannt Fred ein Messer in die Hand, mit dem Fred Laurent die Kehle aufschlitzt. Doch Laurent lebt noch. Er kann dem unbekannten Zwerg noch ins Gesicht sehen und sagen: „Sie und ich, Mister, wir stellen all die anderen Scheißkerle bei weitem in den Schatten.” Dann erschießt der Unbekannte Laurent. Fred sitzt einen Moment bei der Leiche. Am Morgen fährt er nach Hause, drückt die Klingel und spricht in die Türsprechanlage: „Dick Laurent ist tot.”
Die Möglichkeiten, einen Film wie „Lost Highway” zu verstehen, sind vielfältig, je nach Blickwinkel und Art der Perspektive, intellektuell oder – was Lynch selbst bevorzugt – intuitiv. Dabei ist keine dieser Perspektiven „die richtige”; und es ist auch möglich, dass eine Person aus verschiedenen Perspektiven „gleichzeitig” beobachtet, wertet, erfühlt.
Die Handlungsperspektive ... ... behauptet: Zentral in „Lost Highway” ist eine Handlung, die sich sozusagen im Kreis verliert. Dieser Kreis schließt sich zum Anfang hin zurück oder voran. Die zeitliche Perspektive scheint aufgehoben. Die Handlung voran treibt ein mysteriöser Mann, nicht Fred / Pete oder Renee / Alice. Er nimmt Fred / Pete die Möglichkeit, aus sich heraus zu handeln. Er bestimmt ihr Schicksal. Renee / Alice ist nur der sexuelle Lockvogel, das Zugpferd. Damit kann man die Handlung eindeutig zur Traumlandschaft erklären, die keinen realen Geschehensabläufen entsprechen kann. Die Logik der Handlung ergibt sich ausschließlich aus der Logik des Traums.
Die psychoanalytische Perspektive ... ... ergänzt: Es kann sich also nicht um eine reale Handlung drehen, da es keine Möglichkeit gibt, die Zeit zu manipulieren. Also muss es sich bei Fred / Pete um einen psychisch gestörten Menschen handeln, der in einer extremen Angstsituation lebt und damit nicht fertig werden kann. Er ist bereit, einen Menschen zu töten, weil Alice es von ihm verlangt, das bedeutet aus sexueller Obsession heraus, die pubertär wirkt, da Pete aber ein erwachsener Mensch ist, krankhaft sein muss, vielleicht sogar auf seinen schizoiden Charakter verweist.
Die soziologische Perspektive ... ... stimmt dem nur bedingt zu. Denn als Fred befindet sich Pete in einer Situation, die durchaus auf viele Menschen zutreffen könnte, die sich in einer ernsthaften Lebens-/Ehekrise befinden, die wiederum großenteils Ausdruck historisch gewachsenen sozialen Rollenverhaltens ist. Von diesem Blickwinkel aus könnte man den Schluss des Films auch anders deuten, nämlich als ein Zurück zur Ausgangssituation, aber auf einer qualitativ höheren Ebene. Fred durchläuft Höllenqualen auf einem Weg, der ihn selbst vor Mord nicht zurückschrecken lässt. Er halluziniert seine Frau Renee als Alice, um sich für sein „Fremdgehen” zu legitimieren, gleichzeitig aber zu demonstrieren, dass er aus Liebe zu seiner Frau bereit ist, alles zu tun. Der Satz „Dick Laurent ist tot” hat damit am Ende des Films eine andere Bedeutung. Fred ist nun bewusst, dass seine Liebe eine Art falsch verstandene Liebe ist, die tragisch enden musste. Diese „Tragik nach der Hölle” gibt ihm die Chance, un-tragischer weiterzuleben. Der Satz „Dick Laurent ist tot” ist die nüchterne Form des Eingeständnisses eines Mordes aus einer Obsession heraus, die er nun erkannt hat. Der Film besteht also durchaus aus Traumsequenzen, enthält aber auch Geschehnisse aus der realen Welt, die sich für seine Hauptfigur nicht mehr differenzieren lassen.
Die intuitive Perspektive ... ... meint, dass das ja alles ganz gut und schön ist, aber ausschließlich logisch hergeleitet und nicht erfühlt, also nicht aus einer Art inneren Erkenntnis des eigenen Ichs heraus intuitiv erschlossen ist. „Lost Highway” versucht Bilder zu produzieren, die auf die „vielen Menschen” in uns verweisen, vor allem aber die potentiellen Abgründe, die in uns allen schlummern. So mag der Film von einem Psychopathen handeln oder auch nicht. Wir will das schon entscheiden?
Wichtiger ist, was der Betrachter der fast schon gemalten Bilder dabei selbst, aus sich heraus empfindet. Gewalt entsteht aus Frustrationen, die wiederum nicht erfüllten Wünschen entspringen. Trotzdem ist die Gewalt, die Fred / Pete ausüben, kein „rein” logisch erschließbarer und logisch durchdachter Akt, den man auf eben diese Logik, auf Erklärbares reduzieren könnte. Es sei denn, man wollte die Handlungskette des Films für bare Münze nehmen und damit verhindern, unter die Oberfläche des Geschehens zu schauen. Vielmehr ist es bedeutend, durch einen Vergleich von Erfahrungshorizonten zwischen den Bildern des Films und dem eigenen Inneren, das sich aus Bildern der Erinnerung speist, sich dem Gezeigten intuitiv zu nähern. Der Mystery Man reißt die Bilder der Erinnerung an sich, um Fred / Pete zu zwingen, dorthin zu schauen, wo er normalerweise nicht hinsehen würde.
„Lost Highway” erschließt sich nicht aus einer einzigen Perspektive. Das Thema des Films sind nicht nur die menschlichen Abgründe. Lynch führt uns vor – uns, die wir zumeist meinen, kulturell eingeübt darin sind zu denken, es gebe für alles eine verständliche, logisch deduzierbare Erklärung, die jeden „Fall” abschließen könne. Polizei und Staatsanwalt ermitteln, die Verhandlung beweist, der Richter spricht das Urteil, das wird rechtskräftig, der Fall wird ad acta gelegt. So in etwa funktioniert unser Verstand, aber nicht unser Innenleben.
„Lost Highway” ist daher auch in einem aufklärerenden Sinne anti-aufklärerisch. Er zweifelt an einer Mentalität objektivierbarer Wahrheiten, bebildert ein Geschehen gegen eine Ideologie, die im Brustton der Selbstherrlichkeit deklamiert, man könne die Welt durch und durch rationalisieren. Verstand kann töten.
Wo der Verstand versagt ... ... laufen wir vor uns selbst davon: „Ich fühle mich gut. Ich betrete ein Café, in dem ich während meines Urlaubs schon öfter saß, ein Café, in dem Menschen sitzen, die ich nicht kenne, setze mich an die Bar und bestelle einen Pernod. Plötzlich beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Die Leute im Bistro reden weiter, als wenn nichts wäre. Mich beschleicht eine leichte Angst. Ich spüre eine Atmosphäre, die Unheil heraufzubeschwören scheint. Niemand sagt etwas zu mir. Keiner kümmert sich um mich, keiner bedroht mich. Der Mann hinter der Theke ist freundlich wie sonst auch, fragt, ob ich noch einen Pernod wünsche. Ich verneine. Mir ist unwohl. Nichts ist vorher geschehen, aus dem ich mir dieses Unwohlsein, die Angst erklären könnte. Als ich das Café wieder verlasse, geht es mir merklich besser. Bis heute kann ich mir diesen Vorgang nicht erklären.”
Solche recht trivial anmutenden Erlebnisse hat wahrscheinlich schon jeder einmal gehabt. Ob sie vor allem mit der Situation außerhalb von mir, die sich mir nicht erschloss, zusammenhing, d.h. mit dem intuitiven Spüren einer Atmosphäre, die sich nicht aus Gesagtem oder Beobachtbarem ergab, oder ausschließlich mit mir, ohne dass mir bewusst war, warum und woher, ist nicht zu ergründen. Aber selbst wenn es zu ergründen wäre, bleiben solche Situationen dem Verstand meist nicht zugänglich.
Fred / Pete durchläuft eine solche Situation, aber in drastischeren Ausmaßen. Der unbekannte mysteriöse Mann, eine Art Mephisto, lässt Fred eine fast schon kafkaeske Wandlung zu Pete und „zu sich” zurück durchleiden, ohne dass Fred begreift, was mit ihm geschieht. Jeder stelle sich selbst eine Situation vor, in der er die Hölle von Leid, Gewalt, Alpträumen oder ähnlichem durchläuft und am Ende um die innere Erkenntnis reicher ist, dass er es war, der diese Gewalt verursacht hat. Fred steht am Anfang in seinem bunkerähnlichen Haus. Eingesperrt in seine Ängste hört er durch die Sprechanlage „Dick Laurent ist tot” und weiß nichts damit anzufangen. Am Ende steht er vor dem Haus und spricht diesen Satz. Er hört sich selbst diesen Satz sagen, aber jetzt kann er vielleicht „mit einer gewissen Unschuld” überleben. Eine fast Nietzsche-ähnliche Prophezeiung der Wiederkehr des immer gleichen.
Lynch arbeitet mit Bildern, Gemälden gleich, führt uns über den dunklen Highway in die Finsternis, durch die Hölle, manchmal in die Verdammnis der Seele. Trotzdem ist Lynch kein Kulturpessimist, sondern „nur” Fragender, der nichts außen vor lassen will, kein konservativ-trübsinniger Philosoph des Untergangs, sondern Suchender, Analytiker, aber trotz aller Skepsis hoffender Optimist. Besonders in „Straight Story” kommt das zum Tragen.
Die aufgeklärte Gesellschaft ist eine rationalisierte Gesellschaft, die sich vor allem selbst gerecht ist. Der Verstand scheint mächtiger als alles andere. Doch dieser Trugschluss, den wir seit der Aufklärung mit uns herumtragen, ist eher tragisch; das spürten schon die Romantiker. Lynchs Filme werfen diese Fragen nicht in großen Zusammenhängen der Politik, der Ökonomie usw. auf, sondern auf der „untersten” Ebene des Individuums, in „einfachen” Kontexten. Lynchs Mephisto, der Mystery Man, der Zwerg mit der Videokamera stößt uns mit der Nase drauf, sogar in scheinbar Unscheinbarem. Er hält uns den Spiegel unserer eigenen Abgründe vor die Augen. Wir ächten die Gewalt, verbannen den Tod aus dem Leben, so als ob beide nicht wirklich, wahrhaftig und präsent wären. Wir waschen uns rein von dieser Pest der zivilisierten Menschheit und glauben dem Schnitter ein Schnippchen schlagen zu können. Nur in den visuellen Medien scheint es noch Gewalt zu geben – Gewalt ohne Schmerz.
Den Verstand und die Vernunft erklären wir zu Mächtigen unseres Daseins. Die „instrumentelle Vernunft” herrscht. Dabei können wir noch nicht einmal erklären, warum uns das Zwitschern von Vögeln ein angenehmes Gefühl bereitet.
Eine wahre Geschichte (The Straight Story) USA 1999, 111 Minuten Regie: David Lynch
Drehbuch: John Roach, Mary Sweeney Musik: Angelo Badalamenti Director of Photography: Freddie Francis Montage: Mary Sweeney Produktionsdesign: Jack Fisk
Darsteller: Richard Farnsworth (Alvin Straight), Sissy Spacek (Rose Straight), Harry Dean Stanton (Lyle Straight), Jane Galloway (Dorothy), Joseph A. Carpenter (Bud), Donald Wiegert (Sig), Tracey Maloney (Krankenschwester), Dan Flannary (Doktor Gibbons), Jennifer Edwards-Hughes (Brenda), Ed Grennan (Pete), Jack Walsh (Apple), Gil Pearson (Busfahrer), Anastasia Webb (Crystal), Matt Guidry (Steve)
Geschichte, Eigensinn und Versöhnung
Im Norden von Iowa, in Laurens, lebt der 73jährige Farmer Alvin Straight (Richard Farnsworth) mit seiner Tochter Rose (Sissy Spacek). Als Alvin in der Küche stürzt, verlangt der Arzt von ihm, mit dem Rauchen von Zigarren aufzuhören und besser auf sich aufzupassen. Alvin kann nur noch einigermaßen gehen, wenn er zwei Stöcke benutzt. Doch was der Arzt sagt, interessiert ihn nicht. Und als dann Rose am Telefon erfährt, dass Alvins Bruder Lyle (Harry Dean Stanton) einen Schlaganfall erlitten hat, beschließt Alvin, mit seiner kleinen Mähmaschine samt Anhänger und den nötigen Utensilien wie Kaffee, Wiener Würstchen und Benzin zu seinem Bruder nach Wisconsin zu fahren – gegen alle Zweifel seiner Tochter, trotz seiner Gebrechlichkeit und der Tatsache, dass er nicht mehr besonders gut sehen kann. Der erste Anlauf geht zwar schief; die Maschine versagt. Doch Alvin denkt nicht daran aufzugeben und legt sich eine „John Deere”-Ersatzmaschine, Baujahr 1966, zu, um die Hunderte von Kilometern in etlichen Wochen zurückzulegen.
Auf seinem Weg trifft er allerlei Leute, eine Ausreißerin, die glaubt, dass ihre Familie sie hasst, eine Frau, der auf ihrem täglichen Weg zur Arbeit und zurück ein Reh ins Auto läuft, Radrennfahrer, einen alten Weltkriegsveteranen, Zwillingsbrüder, die seine Maschine reparieren, alles in allem freundliche, ruhige und meist hilfsbereite Menschen, die ihn unterstützen, weil sie seine Absicht und Konsequenz bewundern, unter diesen misslichen Umständen sein Ziel auf jeden Fall und wenn irgend möglich ohne fremde Hilfe zu erreichen ...
Lynch erzählt eine Geschichte, die in einen Road-Movie verpackt ist, der doch gleichzeitig gewissermaßen ein Anti-Road-Movie ist. Denn der Held ist alt, gebrechlich, sein Fahrzeug kein schneller Flitzer, sondern das langsamste Gefährt, das man sich für eine solchen „Trip” vorstellen kann. Das Höchstmaß an Action ist der Ausfall der Maschine, als Alvin einen steile Straße hinunterfährt und die Maschine gerade noch anhalten kann. Und nicht zuletzt strahlt der Film nicht urbane Hektik, sondern die Ruhe der weiten und menschenarmen Landschaft des Mittelwestens aus, spielt nicht mit kriminellen Einsprengseln, sondern mit einer geradezu erstaunlich erfrischenden, fast beruhigenden, aber nicht gestelzten oder aufgesetzten Freundlichkeit derjenigen Menschen, die Alvin auf seinem Weg begegnen.
Lynch erzählt von Eigensinn und Geschichte, und von Versöhnung. Alvin ist unbeirrbar in seinem Wunsch der Aussöhnung mit seinem Bruder, den er zehn Jahre nicht mehr gesehen hat, mit dem er eine solidarische Kindheit verbracht, von dem er sich aber im Streit getrennt hatte. Alvin ist einerseits zur Ruhe gekommen, und die geradezu malerischen Bilder des Mittelwestens, die Weite dieser durch schier endlose Getreidefelder durchzogenen Landschaft symbolisiert dieses Zur-Ruhe-Gekommen-Sein. Doch in Alvin lodert, vielleicht ein letztes Mal, auch die Unruhe, auf jeden Fall das zu tun, durch dass er irgendwann in Frieden sterben kann.
Auf seinem Weg begegnet ihm das, was ihm die Möglichkeit gibt, die Leiden der Vergangenheit, die schrecklichen Kriegserlebnisse, den Streit mit seinem Bruder, den Tod seiner Frau, die Verzweiflung seiner Tochter über den Tod ihrer Kinder innerlich noch einmal nachzuvollziehen, aber auch zu überwinden: es ist der familiäre Sinn derjenigen, die ihm begegnen und seinen Eigensinn bewundern. Dieser Eigensinn ist kein Starrsinn, erst recht nicht das, was man Altersstarrsinn nennt. Es ist der Gewinn seines Lebens, die letzte Konsequenz und zugleich der Weg seines Lebens: der eigene Sinn. Der Streit mit seinem Bruder – das war die Starrsinnigkeit.
Als Alvin sein Ziel erreicht hat, ist er schon längst versöhnt. Als Lyle sieht, dass er mit der Mähmaschine unterwegs war, „nur” um ihn zu besuchen, ist Lyle versöhnt. Es bedarf keines Wortes, kaum eines Blickes. Die beiden Brüder sitzen vor der fast verfallenen Hütte von Lyle, weinen leise und schauen in den Sternenhimmel. Das Pathetische des Films ist zugleich das Natürlichste, was man empfinden kann. Es ist die Zufriedenheit mit dem, was ist, nicht die hektische Suche nach einem Sinn, nach dem „Wohin gehe ich? Wohin soll ich gehen?”.
Alvin nimmt das, was ihm begegnet, als das, was es ist. Er lässt die anderen, wie sie sind. Er sucht nicht seinen Bruder; er hat ihn längst wieder gefunden, als er beschließt, die Reise zu unternehmen.
Richard Farnsworth gibt der Figur des Alvin genau diese Eindrücklichkeit, Ruhe, Gelassenheit und den Eigensinn, den sie gebraucht hat.
Lynch inszeniert die Utopie einer liebenden, leidenschaftlichen, eigensinnigen und zugleich solidarischen, Weisheit ausstrahlenden Welt. Diese Utopie ist kein künstliches Konstrukt, kein Phantasieprodukt, keine hehre Wunschvorstellung. Lynch schöpft sie restlos aus einer realen Welt. Ein wunderbarer Film.
Mulholland Drive – Straße der Finsternis (Mulholland Dr.) USA 2001, 152 Minuten Regie: David Lynch
Drehbuch: David Lynch Musik: Angelo Badalamenti Director of Photography: Peter Deming Montage: Mary Sweeney Produktionsdesign: Jack Fisk
Darsteller: Justin Theroux (Adam Kesher), Naomi Watts (Betty Elms), Laura Elena Harring (Rita), Ann Miller (Coco Lenoix), Dan Hedaya (Vincenzo Castigliane), Mark Pelegrino (Joe), Brian Beacock (Studiosänger), Robert Foster (Detective Harry McKnigh), Monty Montgomery (Der Cowboy)
Wunschproduktionen
David Lynch ist bekannt für – sagen wir – rätselhafte Filme. Und auch in „Mulholland Drive” stellt er die Zuschauer eineinhalb Stunden lang auf Spannung und Überraschungen ein. Das ist – vor allem wenn man die Geschichte in ihrem Ablauf und das Ende des Films betrachtet – nicht jedermanns Geschmack.
Die Geschichte(n) Der Film beginnt mit der Fahrt einer schönen Frau auf dem Mulholland Drive, die von zwei Männern offenbar bedroht wird. Doch bevor sie sie zum Aussteigen zwingen können, kommt es zu einem Unfall, den nur sie überlebt. Mit letzter Kraft schleppt sie sich den Berg hinunter Richtung Stadt (Los Angeles), schläft hinter den Büschen eines Hauses und schleicht sich am nächsten Tag in ein Haus, um sich auszuruhen. Das gehört der Tante der jungen Betty (Naomi Watts), die derweilen in Los Angeles angekommen ist, um bei ihrer Tante vorübergehend zu wohnen, da sie als Schauspielerin in Hollywood Karriere machen will. Sie ist überrascht von der Anwesenheit der jungen Frau und muss erfahren, dass Rita (Laura Elena Harring) – so nennt sie sich, weil sie nicht weiß, wie sie heißt – offenbar ihr Gedächtnis verloren hat.
Beide Frauen begeben sich auf die Suche nach Ritas wahrer Identität, stolpern dabei über eine Leiche und erleben auch andere merkwürdige Dinge. Zwischendurch gibt Rita eine Kostprobe von ihrem schauspielerischen Talent.
Neben dieser Geschichte erzählt Lynch von Adam Kesher (Justin Theroux), einem bekannten und offensichtlich beliebten jungen Regisseur, dem mafiöse Geldgeber für seinen neuen Film die Hauptdarstellerin aufzwingen wollen. Kesher weigert sich zunächst; doch er wird massiv unter Druck gesetzt, u.a. von einem Beauftragten der Mafia in Cowboy-Kleidung.
Und dann geschehen noch drei Morde ...
Die Lösung der Rätsel liegt jedoch auf einer ganz anderen Ebene – wenn es überhaupt eine Lösung gibt. Denn Rita erweist sich plötzlich als Camilla und Betty als Diane. Und auch die Verhältnisse der handelnden Personen untereinander verändern sich drastisch bis zum Schluss ...
Zur Dramaturgie Ich will von dem Streifen nicht weiter erzählen. Das würde die Spannung zerstören. Es geht bei Lynch vor allem um die Frage des Verhältnisses von Wirklichkeit und Traum, Einbildung und Wahrheit, Wunschträumen und harten Realitäten. Bis zum Schluss des Films ist nicht deutlich, was Traum und was Realität ist. Sicher ist nur, dass sich alles um Hollywood dreht: eine verworrene und höchst surreale Welt, die uns der Regisseur da auftischt. Andererseits bleibt dem Betrachter nichts anderes übrig, als sich seine eigenen Gedanken zur Lösung der Rätsel zu machen. Der Erkenntnisdrang zwingt uns letztlich dazu, oder man sollte einen solchen Film lieber nicht besuchen.
Lynchs Dramaturgie baut sich auf wie ein Labyrinth, durch das der Betrachter hindurch irren muss, ohne zu wissen, ob es irgendwo einen Ausgang gibt. Doch das ist nur die eine Seite dieses Streifens.
Mein Zugang zum Film Es enthüllen sich zwei Personen – sei es von einem Traum in den anderen, sei es vom Traum in die Wirklichkeit –, die Diane und Camilla heißen; und ich glaube nicht, dass sie zufällig so heißen. Sie verkörpern die Ebene der Wunschbilder, die an bestimmte (sehr bekannte) Personen geknüpft sind (also Lady Di und Camilla Parker etwa). Im ersten Traum heißen Diane und Camilla Betty und Rita, und man könnte mit diesen Vornamen durchaus an bekannte Schauspielerinnen denken (etwa Rita Hayworth, Bette Midler, Bette Davis ...). Auch hier glaube ich nicht an Zufall; das ist die Ebene der – zum großen Teil eben auch inszenierten und bewusst produzierten – Wunschbilder von Personen, die nur im Drehbuch, im Film, in der Phantasie vorkommen. „Mulholland Drive” zeigt, wie schwierig, vielleicht unmöglich es ist, zwischen diesen beiden Ebenen von Wunschproduktionen Unterschiede zu machen.
Betty wünscht sich, eine große Schauspielerin zu werden und dass Rita ihre beste Freundin wird. Sie träumt, mit Rita zu schlafen; aber ist das nur Traum? Später stellt sich heraus, dass Diane keine große Schauspielerin ist; sie lebt in einer Art (selbst geschaffenem?) Albtraum in Hollywood (oder ist dies der Traum?). Auch Adam Kesher, der zunächst seriöse, hervorragende und nicht bestechliche Regisseur erweist sich auf einer anderen Ebene des Films plötzlich als das Gegenteil. Und so weiter.
Ich sehe in Lynchs Film einerseits eine ruhig erzählte, wenn auch mit Gewalt durchaus gespickte, andererseits auch eine harsche Kritik an der millionenschweren Filmindustrie und ihrem Zentrum. Denn die Wunschbilder, die hier produziert werden, haben entweder mit dem wirklichen Leben nichts zu tun oder sie erzeugen extrem harte Bedingungen für so manche Beteiligten und die Ideologie eines vermeintlich „schönen Lebens” für andere. Lynch erzählt in einer mysteriös erscheinenden, aber dennoch der Realität der Wunschproduktionen auf den Grund gehenden Geschichte von der Illusion dessen, wofür Hollywood nur ein, wenn auch zentrales, Stichwort liefert. Man könnte auch sagen, Diane ist am Ende des Films – am Ende. Realität und Wunsch mischen sich derart, dass es für jemanden wie sie nicht mehr zu ertragen ist – außer durch psychopathologische Reaktionen. Doch Diane ist eben nicht nur Opfer, sondern auch Täterin; sie hat mitgewirkt. Verloren geht dabei die Möglichkeit, seine Identität zu bewahren, zu bestimmen. Das trifft allerdings nicht nur auf die Handelnden im Film zu, sondern auf alle diejenigen, die sich in ihrem Leben mehr oder weniger stark durch diese Produktion leiten lassen. Wie weit stehen wir in unserem Leben unter dem manipulierenden Einfluss von „Hollywood” und wie weit wollen wir dies und lassen es daher auch zu?
Weitere Filme von David Lynch: “Der Elefantenmensch” (1980)
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