Marlene Dietrich: Her Own Song
Deutschland 2001, 100 Minuten
Regie: David Riva

Drehbuch: Karin Kearns
Musik: Gernot Rothenbach
Directors of Photography: Adolfo Bartoli, Christine Burrill, Uli Kudicke
Montage: William Haugse, Katharina Schmidt
Produktionsdesign: Birgit Schulz

Mitwirkende: Burt Bacharach, André G. Brunelin, Rosemary Clooney, Buck Dawson, Alfred Hens, Beate Klarsfeld, Hildegard Knef, Volker Kühn, Thomas Langhoff, A. C. Lyles, Elisabeth McIntosh, Felix Moeller, Barney Oldfield, Maria Riva, Volker Schlöndorf, Markus Wolf

„Von Kopf bis Fuß ...“

Eines muss man von Anfang klarstellen: Der Dokumentarfilm von Marlene Dietrichs Enkel David Riva bietet keine voyeuristischen Einblicke in die Affären der Schauspielerin und Sängerin, welche sie auch immer gehabt haben mag. Riva konzentriert sich auf Einblicke in das politische und menschliche Engagement der Dietrich, fragt nach den tieferen Gründen für ihr Verhalten während des Krieges.

Die Dietrich entstammt einer preußischen Familie (ihr Vater war Polizeileutnant, ihr Stiefvater Oberst), ist dementsprechend erzogen worden (jedenfalls hat man das versucht) und hat im Berlin der 20er Jahre versucht, sich von der kriegslüsternen, gewaltverherrlichenden und vaterländischen Seite dieser Herkunft zu befreien. Es nimmt kaum Wunder, dass es sie in dem tobenden, vitalen Berlin dieser Zeit auf die Bühne drängte, in die Kunst, das Theater und dann in den Film. Hier hat sie ihre ersten Auftritte, singt, spielt nicht das gut erzogene Mädchen aus ebenso gutem Hause, sondern die lustbetonte, fast lustbestimmte, eigenwillige, aber auch verletzbare Frau, eine emanzipierte Frau, die schon in ihren frühen Rollen vor allem sie selbst ist. 1924 heiratet sie Rudolf Sieber, damals Produktionsleiter der Ariel-Filmgesellschaft; ein Jahr später kommt Tochter Maria zur Welt. Mit Rudolf Sieber verband die Dietrich, so Riva, eine lebenslange Freundschaft, obwohl beide sich nach der Eheschließung schon bald wieder trennten.

Als der Regisseur Josef von Sternberg sie entdeckt – die UFA nahm keine Notiz von ihr –, fasziniert nach ihr greift, verspricht er ihr, er werde sie als Regisseur so steuern wie auch alle anderen seiner Schauspieler. Doch daran scheitert von Sternberg. Und das ist auch gut so. Es folgen die Filme „Der blaue Engel“ (1930) und „Morocco“ (1930). Die Dietrich geht nach Hollywood, dreht insgesamt sechs Filme für die Paramount mit von Sternberg und wird zur Konkurrenz von MGMs Star Greta Garbo.

Die Dietrich kehrt bis Ende des Krieges nicht mehr nach Deutschland zurück. Die Lockangebote der Nazis – besonders Goebbels ist von ihr begeistert, schaut heimlich ihre in Deutschland nach 1933 verbotenen US-Filme – lehnt sie strikt und angewidert ab. 1937 erhält sie die amerikanische Staatsbürgerschaft.

Die NS-Herrschaft ist für die Dietrich auch eine Art persönliche Katastrophe. Sie muss nicht nur ihre Mutter und andere Verwandte in Deutschland zurücklassen. Das, was die Nazis repräsentieren, ist für die Dietrich der Inbegriff all dessen, was sie an ihrer eigenen Herkunft verabscheut hat. Sie wird von sich aus Truppenbetreuerin für die amerikanischen Soldaten, geht an die Front, nimmt ein Angebot der OSS, des Geheimdienstes der USA an, sich an der psychologischen Kriegsführung gegen Hitler-Deutschland zu beteiligen, singt in unzähligen Konzerten vor Tausenden von Soldaten.

Ein weitere einschneidende Begegnung hat die Dietrich schon vor dem Krieg mit Jean Gabin; beide leben bis zum Krieg zusammen, bis sich Gabin für den Kriegseinsatz meldet und Panzerführer wird ...

Eindrücke
Ich will es bei diesen kurzen biografischen Notizen lassen; denn der Film schildert dies eindrücklich, vor allem auch in den Aussagen derer, die die Dietrich gut gekannt haben, allen voran natürlich ihre Tochter Maria Riva, aber auch Burt Bacharach, mit dem sie etliche Konzerte auch in Osteuropa und vor allem in Israel veranstaltet hat.

David Riva zeigt die Dietrich vorwiegend bei ihren Auftritten vor amerikanischen Soldaten, vor ehemals Verfolgten in Israel, wie sie singt – „Die fesche Lola“, „Lilli Marleen“, „Sag mir, wo die Blumen sind“. Und dabei wurde mir eines deutlich: Da sang ein Mensch nicht aus einem platten propagandistischen, ja oberflächlichen Engagement heraus. Wenn man die Dietrich verfolgt, wie sie immer wieder während des Krieges die Front sucht, die Nähe der Soldaten, die vor und nach ihrem Auftritt kämpfen mussten (u.a. entkam sie während der Schlacht um die Ardennen nur mit knapper Not dem Zugriff der Wehrmacht), wird deutlich, wie sehr sie unter einem Land, aus dem sie stammte, nach 1933 gelitten haben musste, in dem all das, was sie selbst verkörperte, eliminiert worden war. Zwischen ihr und ihren „Jungs“, wie sie die Soldaten – auch später noch – nannte, entstand während ihrer Frontauftritte eine Art Mischung aus mütterlicher Fürsorge und erotischer Spannung, wie Maria Riva in dem Film sagt.

David Riva konzentriert seine Dokumentation genau auf diesen Punkt, den er wohl für den entscheidenden im Leben der Dietrich hält. Die Soldaten, das waren diejenigen, die in einer erschreckenden Weise zum letzten, menschlichen Mittel geworden waren, um Hitler und seinesgleichen den Garaus zu machen. Das, was sie ihren „Jungs“ vermittelte, war wohl, dass sie zwar als Rädchen, Nummern im Getriebe der Kriegsmaschinerie fungieren mussten, aber dass es da eine Hoffnung gab, ein „Danach“, auch wenn viele von ihnen das nicht mehr erleben würden. Die Auftritte der Dietrich waren auch Propaganda-Veranstaltungen, aber eben nur auch; sie repräsentierte vor allem das Leben, die Lust am Leben, gegen Hitler als Repräsentanten des Todes, der Vernichtung und sie repräsentierte das Leben nach Hitler.

Hier war die Dietrich wie ihre Mutter, die kurz vor ihrem Tod nach Ende des Krieges sagte. Dass sie jetzt sterbe, sei nicht so schlimm, denn sie habe „ihn“ – gemeint war Hitler – überlebt.

Das „Hinüberretten“ der Humanität, der Liebe und all dessen, was jenseits Hitlers Deutschland einmal darstellte – das war, so kann man Riva in etwa verstehen, ihr Lebenszweck. Das haben wohl auch ganz andere verstanden: Als sie mit amerikanischen Truppen zusammen nach Deutschland kommt, in einen Ort in der Nähe von Aachen, backen ihr die Einwohner einen Kuchen, begrüßen sie, danken ihr für das, was sie gemacht hat.

Nach dem Krieg jedoch bestand ein Trauma für die Dietrich weiter: Ihr Verhältnis zu Deutschland, oder richtiger: das Verhältnis Deutschlands zur Dietrich. Als sie 1960 erstmals wieder in Deutschland eine Tournee durchführt – nach zahlreichen anderen Auftritten in etlichen Ländern in den 40er und 50er Jahren –, wird sie zwar von begeisterten Anhängern begrüßt. Doch ein Teil der Presse und Demonstranten nennen sie eine Verräterin. Wiederum wehrt sie sich auf ihre Weise. Mit Spencer Tracy spielt sie 1961 in dem Film „Das Urteil von Nürnberg“ („Judgement At Nuremberg“). Sie kehrt bis zu ihrem Tod – am 6.5.1992 in Paris – nie wieder nach Deutschland zurück und lebt seit 1979 völlig zurückgezogen in Paris. Selbst eine ihrer besten Freundinnen, Hildegard Knef, darf ihr Domizil nicht betreten. Begraben wird die Dietrich in ihrer Heimatstadt Berlin. Ihr Sarg wird auf dem Weg zum Friedhof von trauernden Berlinern mit Blumen überhäuft; an Balkonen hängen Transparente mit der Aufschrift „Danke Marlene“.

Es ist schwierig, die Eindrücke dieser Dokumentation wiederzugeben – einer tief bewegenden Annäherung an eine Frau, um die sich Mythen ranken. Doch ihrem Enkel David Riva gelingt der Versuch, eine ganz persönliche Marlene Dietrich in ihrem öffentlichen Auftreten zu finden. Riva enthält sich Rührseligkeiten, bleibt auf der dokumentarischen Ebene, ohne jedoch eine emotionale Distanz aufzubauen.

Wenn die Dietrich nach einem Konzert, halb schon hinter dem Vorhang stehend, dem Applaus des Publikums horchend, fast schüchtern in den Saal schaut, dann spürt man den Schmerz und die Kraft, die Verbitterung wie den nie ganz verschwundenen Optimismus, die Hilflosigkeit wie den Mut, die Wärme wie die Einsamkeit dieser Frau in einem Blick, den man nicht vergessen kann. Es ist vielleicht Spekulation: Aber in „ihrem“ von Pete Seeger komponierten Lied „Sag mir, wo die Blumen sind“ steckt so viel Marlene Dietrich, vor allem aber die schreckliche Verzweiflung ihrer letzten Jahre der Einsamkeit. Kurz zuvor war ihr Mann Rudi gestorben, mit dem sie schon lange nicht mehr als Ehemann zusammengelebt hatte, von dem sie sich aber nie hatte scheiden lassen.