Mein letzter Film
Deutschland 2002, 90 Minuten
Regie: Oliver Hirschbiegel

Drehbuch: Bodo Kirchhoff
Kamera: Rainer Klausmann
Schnitt: Martina Matuschewski
Produktionsdesign: Christian Bussmann

Darsteller: Hannelore Elsner (Marie), Wanja Mues (Kameramann)

Statt einer Liebeserklärung ...

„Zeitlos schön, in den Jahren, die verfliegen“, stellt sie sich u.a. vor, die Schauspielerin Marie (Hannelore Elsner), die ihren letzten Film drehen wird, in der sie Hauptdarstellerin ist, Regie führt, das Drehbuch schreibt und nur einen Kameramann (Wanja Mues) zusätzlich benötigt, um allen, die es etwas angeht, etwas zu sagen und ihnen den Rücken zu kehren. Nur wenige Dinge nimmt sie mit aus ihrer Wohnung, in der sie nicht mehr leben will. Nervös ist sie, oder eher aufgeregt, wie vor einer neuen Rolle, das erste Mal am Set. Alle Rollen hat sie gespielt, perfekt, hat alles erreicht, was eine Schauspielerin erreichen kann. Und während sie den Koffer packt, packt sie ihr Leben aus.

„Mein letzter Film“ ist eine Abrechnung, mit den Männern, mit sich selbst, mit ihrem bisherigen Leben – aber auch eine Liebeserklärung an das Leben, an die permanente, die stets präsente Sehnsucht nach Glück. Eine in vielerlei Hinsicht außergewöhnliche Schauspielerin, ein exzellenter Regisseur, Oliver Hirschbiegel („Das Experiment“, 2000; „Todfeinde“, 1998), ein begnadeter Drehbuchautor, Bodo Kirchhoff (u.a. „Infanta“, 1990), und ein hervorragender Kameramann, Rainer Klausmann, drehten in nur 14 Tagen ein kleines, großes Meisterwerk, einen Soloauftritt, einen Monolog, der in seiner stets fühlbaren Frische und Wärme, in seiner pointierten Präzision über 90 Minuten nie langweilig wird. Für mich schon wegen Hannelore Elsner ein absolutes Muss. Klausmann ist ihr einziges Gegenüber. Sie spricht ihn durch die Kamera an. Seine Handkamera reagiert. Beide bilden ein außergewöhnliches Team. Sie lässt ihr Leben Revue passieren, die Kamera „antwortet“ mit dem Lebens-Bild einer Frau, die Bilanz zieht und eine neue „Firma“ aufmacht.

Lange Jahre war Marie mit Richard verheiratet. Richard war auch ihr Regisseur, ihr Entdecker. Mit ihm wollte sie alt werden, und an irgendeiner Stelle sagt sie, Liebe, das sei eigentlich nichts anderes als der Wunsch, mit jemandem Bestimmten alt zu werden. Richard hat sie immer wieder betrogen, was sie erst spät von ihm selbst erfuhr. Ihre Sehnsucht nach Glück zerplatzte wie eine Seifenblase. Ein Jahr ist es her, seit Richard die Wohnung verlassen musste. Jetzt dreht sie diese Abrechnung mit ihm für ihn. Ein anderer Mann, Paul, Politiker, verheiratet, ein Mann, der „nicht mit der Ehe, aber auch nicht ohne die Ehe konnte“, und Tomas, der Fußballtrainer, der nicht viel sprach, aber kochen und zärtlich sein konnte, spielten in Maries Leben eine gewisse Rolle, nicht aber wie Richard. Tomas verabschiedete sich mit den Worten: „Es geht nicht um uns, es geht um den deutschen Fußball.“

„Jetzt ist, wenn es weh tut“, sagt Marie. Und in ihrem Leben hat so einiges weh getan. Zum Beispiel, als sie vor 17 Jahren schwanger wurde und Richard mit den Worten reagierte: „Wieso schwanger.“ Das war so ein Bruch, wie ein abgeknickter tragender Ast eines Baumes, ein Bruch, der sie durch Mark und Bein, durch Herz und Seele erschütterte. Warum ausgerechnet diese Worte? Namen hatte sie ihrem Kind während der Schwangerschaft gegeben, und als es dann da war, starb es nach drei Tagen, ohne Namen. Viel zu lange war Marie mit Richard zusammen. Das, was sie ihm jetzt zu sagen hat, hätte sie ihm wahrscheinlich nie ins Gesicht sagen können.

Nach dem Tod der namenlosen Tochter war ihre Beziehung am Ende, aber Marie hat es nicht gemerkt, geglaubt, wollte es nicht wahr haben. Richard, das ist der berühmt-berüchtigte gepanzerte Mann, der seine Gefühle einsperrt und zielstrebig nach vorne schaut anstatt in sich hinein. Mit ihm wollte sie alt werden, aber Richard hatte Angst davor, alt zu werden, wie die vielen Männer, die ihre Gefühle einsperren, alles unter Kontrolle zu haben behaupten und sich Luft machen, sich beweisen müssen, indem sie die Zahl ihrer heimlichen Geliebten am liebsten ins Unermessliche steigern. So war Richard.

Marie erinnert sich, an ihren ersten Urlaub, in dem sie die Nächte fast wortlos verbrachten, nur ein zartes „Du“ über ihre Lippen kam, Nächte und Tage, in denen sie sich nichts über sich erzählen mussten, wo ein Blick reichte, das wortlose Glück, das einen Roman schreibt. Lang ist das her, doch durch Maries Augen scheint es zu uns hinüber, dieses Glück, diese Sehnsucht, die sie ein Leben lang begehrte. Marie sagt, es gebe bei einem Menschen nur eine Hand, die zärtlich sein könne, sozusagen das verlängerte Herz, das liebkost, und sie zeigt ihre rechte Hand, beschreibt, wie sie Richard mit ihr gestreichelt, liebkost hat. Aber bei Richard war Zärtlichkeit nur ein Mittel zum Zweck, ein Mittel, die Todesangst zu bekämpfen in der Selbstbestätigung mittels Frauen.

Marie ist Hannelore Elsner und die Elsner ist Marie. Ich liebe diese Schauspielerin. Sie geht in dieser Rolle auf, nicht vollkommen, aber so weit, dass das Verbindliche, was sich in Schmerz, Verletzung, Glück, Freude, Standhaftigkeit, Angst, Liebe, Zärtlichkeit, Wut, Schwäche uns zeigt, ganz nah ist. Marie ist Marie, aber sie ist auch eine Frau wie viele Frauen, hat erlebt, was viele andere auch erlebt haben, so oder so ähnlich. Es sind nicht nur die Augen, der Mund, der Gesichtsausdruck, die Gestik, das Sich-Abwenden und das Sich-Wieder-Zuwenden zur Kamera, zu uns, zu den Frauen, die ihr zuschauen, die das, was sie ist und sagt, in sich aufnehmen, und zu Richard, und damit zu den Männern, es ist diese ganze „Komposition“ einer Frau, die eine unglaubliche und schier unbeschreibliche Nähe erzeugt – zwischen unstillbarer Sehnsucht nach Glück und den tiefen Verletzungen und Enttäuschungen.

Marie rechnet ab, mit sich, mit Richard, mit ihrem Leben. Und sie erfindet es neu, ihr Leben, denn ihre Abrechnung ist nicht nur eine in Wut und Enttäuschung, sondern vor allem in Liebe und Zartheit, in Behutsamkeit. Marie legt den Film hin, für Richard, der ihn sicherlich nicht anderen vorenthalten wird, und sie geht. Als Siegerin verlässt sie die Wohnung: „Ich werde in der Form meines Lebens sein, und niemand sieht’s.“

„Mein letzter Film“ ist ein unprätentiöses Meisterstück, das nie in die Nähe von Rührseligkeit oder Kitsch abdriftet; dafür steht schon die Elsner, die den Text, diesen wunderschönen Text von Bodo Kirchhoff mit Klarheit, Humor, Präzision, Biss und sehr viel Liebe spricht, geradezu lebt. Ein Frauenfilm? Ja und nein. Für mich ist dies auch ein Männerfilm. Ein Film zum Lachen und zum Weinen, zum Fühlen.

In der Frankfurter Verlagsanstalt ist das Buch von Bodo Kirchhoff erschienen.