Nach eigenen Regeln
(Mulholland Falls)
USA 1996, 107 Minuten
Regie: Lee Tamahori

Drehbuch: Peter Dexter, Floyd Mutrux
Musik: Dave Grusin
Director of Photography: Haskell Wexler
Montage: Sally Menke
Produktionsdesign: Richard Sylbert

Darsteller: Nick Nolte (Max Hoover), Melanie Griffith (Katherine Hoover), Chazz Palminteri (Elleroy Coolidge), Michael Madsen (Eddie Hall), Chris Penn (Arthur Relyea), Treat Williams (Col. Nathan Fitzgerald), Jennifer Connelly (Allison Pond), Daniel Baldwin (McCafferty), Andrew McCarthy (Jimmy Fields), John Malkovich (Gen. Thomas Timms), Kyle Chandler (Captain), Ed Lauter (Earl), Chelsea Harrington (Lolita)

Heiße Luft ...

Es gibt einen Film noir und es gibt moderne Abkömmlinge des film noir, etwa Polanskis „Chinatown” oder Curtis Hansons „L.A. Confidential”, Filme, die sich in die Geschichte des Kinos eingegraben haben, in das Gedächtnis von Generationen. Auch in diesen Filmen erweist sich einmal mehr, was auch für andere Genre oder Subgenre gilt: Ein Film lebt von Bildern, von einer guten Geschichte und von Charakteren aus Fleisch und Blut, Leib und Seele. Und dann gibt es noch Filme, die gerne film noir sein wollen. Einen solchen drehte Lee Tamahori 1996. Alles ganz Äußerliche stimmt in diesem Streifen mit dem film noir überein, die Kleidung der Polizisten, die Milieus, in denen sie arbeiten, die Gauner und Halunken, die Stimmung und so weiter. Das Problem von „Mulholland Falls” ist nur: das ist auch alles, was „stimmt”, dieses Äußerliche, die Form, der Schein. Nur, hinter den Bildern selbst befindet sich: nichts.

Es geht um vier Cops in saloppen Anzügen und mit Hut, die im Los Angeles der 50er Jahre ihre Arbeit verrichten. Dabei gehen sie mit den Verdächtigen oder auch Zeugen nicht immer gerade zimperlich um. In der Anfangssequenz des Films werfen Hoover (Nick Nolte), Coolidge (Chazz Palminteri), Hall (Michael Madsen) und Relyea (Chris Penn) einen Mafiosi aus Chicago kurzerhand mal einen steilen Abhang herunter, um ihm zu verklickern, dass er in L.A. nicht erwünscht ist. Schon in dieser Szene schwante mir, mit welchen Mitteln Tamahori in dem Streifen operieren würde: mit dem Mittel der Demonstration à la „Ist das nicht cool, was ihr da gerade seht?” Und tatsächlich durchzieht diese Art filmisch oberflächlicher Demonstration den ganzen Streifen.

Die vier supercoolen Cops – die vier Stars bemühen sich redlich (oder unredlich?), dem coolen Image gerecht zu werden – spielen keine vorstellbaren Typen, sondern quälen sich entlang der Frage: Wie kann ich cool wirken?

Nicht nur das: Dieses Image verpackt Tamahori in eine selten dämliche und auf Dauer langweilige Geschichte, die kurz erzählt ist. Irgendwo auf einer Baustelle am Rand der Stadt findet man die Leiche der schönen Allison Pond (Jennifer Connelly). Hoover erschrickt, denn er hatte mit der Dame sechs Monate lang ein Verhältnis, das er seiner Frau Katherine (Melanie Griffith) natürlich verschwieg. Allison hatte eine ganze Reihe von Verehrern, die es beim Verehren nicht beließen. Und ein gewisser Jimmy Fields (Andrew McCarthy) filmte Allison mit ihren diversen Liebhabern durch einen dieser Spiegel, die von einer Seite durchsichtig sind, in einem Hotelzimmer. Unter ihren Kunden befand sich auch General Timms (John Malkovich), immerhin Leiter der Atomenergie-Kommission.

Die Filme sind alle verschwunden – bis auf einen mit Allison und Timms. Nachdem kurz nach einer Schießerei Fields ermordet wird, begeben sich die vier Cops auf das Sperrgelände der Atombehörde, wo sich Timms befinden soll, weil sie glauben, er habe die anderen Filme und sei für den Mord verantwortlich. Sie entdecken einen riesigen Krater, der auf Atomversuche hindeutet. Und schnell kommt man dahinter, dass Allison nicht wegen der Filme sterben musste, sondern wegen der riskanten Versuche, die auf dem Gelände unternommen wurden und bei denen etliche Soldaten und auch Timms kontaminiert wurden und Blutkrebs bekamen. Den Rest des Plots kann man sich ausmalen.

Diese relativ unspannende Geschichte verpackt der Regisseur in das genannte coole Outfit, innerhalb dessen fast alle Darsteller darum zu buhlen scheinen, wer ihm am besten gerecht wird. Entsprechend gestelzt sind durchweg sämtliche Dialoge, begleitet von einem Score, der nur als billige Salon-Musik charakterisiert werden kann. Allerweltssätze wie: „Ich wollte dir doch nur helfen”, „Jeder ist für sich selbst verantwortlich”, Erzähl mir, was dich bedrückt. Das hilft oft”, „Irgendwas stimmt hier nicht” sind nicht etwas eine seltene Ausnahme, sondern durchfluten den Film, so dass man den Eindruck bekommt, man befinde sich in einer billigen Soap-Opera, die sich einen film-noir-Anstrich geben will. Und diese Sprüche zeichnen auch die Beziehungen der Personen untereinander. Ein besonders prägnantes Beispiel: Nach einer Schießerei, als es wieder ruhig ist, lässt man Fields den besonders intelligenten Satz sagen: „Es ist vorbei” – damit auch dem Dümmsten klar wird, dass die Schießerei ein Ende gefunden hat. Und am Schluss des Films – Katherine ist deprimiert wegen der Affäre Hoovers mit Allison – hören wir ansonsten so selten gesprochene Sätze wie: „Es [die verheimlichte Beziehung] steht zwischen uns” und „Es wird nie mehr so wie früher sein.” Wie gesagt: Das sind nicht einzeln herausgegriffene Sätze. Das gesamte Drehbuch besteht aus nichts anderem als solchen verbalen Klischees.

Aber es kommt noch schlimmer: Die Ermittlungstätigkeit der vier Cops ist dramaturgisch und vom gesunden Menschenverstand her gesehen ein reines Desaster. Der Dilettantismus, den das Drehbuch hier an den Tag legt, ist einfach unglaublich. Da werden uns angeblich erfolgreiche und intelligente Cops vorgeführt, die in dem, was sie tun, dem Vorurteil Vorschub leisten, Bullen seien doof. Beispielsweise dringen sie heimlich auf das Sperrgebiet vor, obwohl der eigene Grips ihnen hätte sagen müssen, dass sie dort sehr schnell entdeckt und festgenommen werden, was dann auch prompt geschieht. Sie lassen sich entwaffnen, und als sie im Quartier ankommen, ist es ihnen laut Drehbuch und Film möglich, die Bewacher im Auto auszuschalten und ungesehen von anderen (!!) zu entkommen. Merke: Auch die Militärs im Film sind: doof. Ich fass es nicht!

Oder: Der fiese Colonel Fitzgerald, der Hoover erpressen will, um an den Film mit Timms zu kommen, lässt dessen Haus vom FBI auf den Kopf stellen. Hoover hat danach nichts besseres zu tun, als die drei FBI-Beamten in einer Tiefgarage brutal zu verprügeln. Ich fass es wieder nicht! Oder: Fitzgerald will das Original des Films mit Allison und Hoover gegen das mit Timms tauschen. Hoover und seine intelligenten (?) Kollegen lassen sich darauf ein, die Übergabe im Sperrgebiet stattfinden zu lassen, obwohl sie annehmen, dass Timms hinter dem Mord an Allison steckt. Wer von der L.A.P.D. ist eigentlich so blöd?

Und last but not least: Als der sterbenskranke Timms entgegen dem Willen von Fitzgerald zwei der vier Cops laufen lassen will, steigen Fitzgerald und ein anderer Offizier mit in das Flugzeug, das die Cops nach L.A. zurückbringen soll – natürlich mit der Absicht, sie in den Tod zu stürzen. Nach einem kurzen Kampf überwältigen die Cops die Offiziere. Aber anstatt sie festzunehmen, den Skandal mit den Atomversuchen öffentlich zu machen und die beiden Offiziere als Täter zu präsentieren, schmeißen sie sie aus der geöffneten Fallschirmspringer-Tür in den Tod. Wer soll so etwas glauben?

Am Schluss darf Melanie Griffith noch ein bisschen schluchzen und über den Friedhof schlurfen – und für das Publikum wird die völlig unspannende Frage übrig gelassen: Kann sie Hoover jemals verzeihen? Spätestens hier befinden wir uns tatsächlich in einer Seifenoper.

Der ganze Film wirkt wie eine total verhunzte Möchtegernkarikatur auf den film noir, will aber selbst ein film noir sein. Besonders Nick Nolte, aber auch Chazz Palminteri rackern sich vergeblich ab, um möglichst cool zu wirken. Ich fand das ziemlich lächerlich. Und John Malkovich, der sterbenskranke General mit Hang zum Laster ergeht sich in der pseudo-bösen Attitüde à la „Ein Soldat muss Opfer bringen, damit die anderen überleben können.” Am Schluss aber wendet sich sein Inneres und er lässt die beiden Cops laufen. Auch das ist alles andere als glaubwürdig.

Schließlich wird der Film spätestens ab der Hälfte der Zeit so stinkelangweilig, dass ich einem Kommentar in der Internet Movie Database nur absolut zustimmen kann: „Overblown spectacle that stinks to high heaven.” Ja, dieser Film präsentiert sich tatsächlich als aufgeblasener Möchtegern-film-noir. Doch was am Schluss übrig bleibt, ist nichts weiter als: heiße Luft. Nach diesen unfassbaren 107 Minuten war mir nach „Chinatown”.

© Bilder: MGM