Out of Rosenheim
(US-Titel: Bagdad Café)
Deutschland 1988, 95 Minuten
Regie: Percy Adlon

Drehbuch: Eleonore Adlon, Percy Adlon
Musik: Bob Telson
Director of Photpgraphy: Bernd Heinl
Montage: Norbert Herzner
Produktionsdesign: Bernt Amadeus Capra

Darsteller: Marianne Sägebrecht (Jasmin Münchgstettner), CCH Pounder (Brenda), Jack Palance (Rudi Cox), Christine Kaufmann (Debby), Monica Calhoun (Phyllis), Darron Flagg (Sal Jr), George Aguilar (Cahuenga), G. Smokey Campbell (Sal), Hans Stadlbauer (Münchgstettner), Alan S. Craig (Eric), Apesanahkwat (Sheriff Arnie), Ronald Lee Jarvis (Trucker Ron), Mark Daneri (Trucker Mark), Ray Young (Trucker Ray), Gary Lee Davis (Trucker Gary)

Eigenes und Fremdes

Der Münchner Regisseur Percy Adlon („Rosalie goes shopping“, 1989; „Zuckerbaby“, 1985) ist Heimatfilmer – könnte man sagen, müsste aber ergänzen: ein ganz spezieller. Denn er thematisiert „Heimat“ nicht in Trugbildern einer heilen Welt, sondern lokalisiert Fremdsein und Fremdheit in einer un-abstrakten, nachvollziehbaren Umgebung wirklicher Menschen.

Dass dieser Film in den 80er Jahren gedreht wurde, ist vor dem Hintergrund bestimmter Zeitumstände verständlich. Das Thema Ausländerpolitik kulminierte in diesem Jahrzehnt in einem wahren Verfolgungswahn, in zweierlei Richtung: Die deutsche Ausländerpolitik gebar das Klischee von der Überfremdung („wie viele Ausländer können wir verkraften“) parallel zum geschürten und interessierten Vor-Urteil der Verfolgung der zu bemitleidenden Eigentümer deutschen Bodens, Wassers, deutscher Luft, deutscher Leistungen und deutscher Geschichte – was immer das alles auch sein sollte. Die Kehrseite des Sich-Fremd-Fühlens im „eigenen Land“ ist die Stigmatisierung der „Fremdkörper“ und deren partielle und abgestufte Verfolgung. Diese Politik und Mentalität rief die Geister der Vergangenheit – und sie kamen: in Gestalt der modernisiert unmodernen „Republikaner“ Schönhubers und der „Deutschen Volksunion“ Freys etwa – schon mehr Zerrbilder als Erben einer brutalen Vergangenheit und brutalisierten Gesellschaft.

Adlon setzte in seinen Filmen diesem Zeitgeist keine frontale „Nieder mit“-Mentalität entgegen, ebensowenig aber das flaue Wölkchen einer sich selbst ins rechte Licht rückenden „Ausländerfreundlichkeits“-Attitüde. Adlon erzählt in „Out of Rosenheim“ eine ebenso unwahrscheinliche wie überzeugende, zärtliche, leise wie sympathische „kleine“ Geschichte „kleiner“ Menschen.

Am Anfang war der Streit. Jasmin Münchgstettner (Marianne Sägebrecht) hat die Schnauze gestrichen voll – von ihrem Mann (Hans Stadlbauer). Jetzt steht sie da, in ihrem bayerischen Kostüm, weit weg von der Heimat Rosenheim und mitten drin in der Mohave-Wüste in the United States. Urlaub ade! Es ist heiß und Jasmin hat angesichts ihres Körpergewichts schwer zu kämpfen, als sie Meile um Meile zurücklegen muss. Schließlich trifft sie auf einen doch ziemlich heruntergekommenen Schnellimbiss, in dem offensichtlich nicht sehr viele Durchreisende Halt machen.

Die resolute Besitzerin Brenda (CCH Pounder) herrscht hier, oder versucht es zumindest. Ihren Mann Sal (G. Smokey Campbell) hat sie gerade rausgeschmissen. Der sitzt in seinem Auto auf einem nahe gelegenen Hügel, beobachtet Brenda mit einem Fernglas und hat nichts mehr zu sagen außer „Oh Brenda! Brenda“. Auch Sohn Sal Jr (Darron Flagg), der sich um seinen kleinen Sohn kaum kümmert und sich in sein Klavierspiel vertieft, und Tochter Phyllis (Monica Calhoun), die nur Jungens und laute Musik im Kopf hat, versüßen Brenda das Leben nicht gerade. Zur Familie gehören noch die schweigende Debby (Christine Kaufmann) – immer auf dem Absprung –, der ehemalige Kulissenmaler Rudi Cox (Jack Palance) und Cahuenga (George Aguilar) hinter der Bar.

Jasmin mietet sich ein und wird bestaunt und begafft: Dick, fremd, merkwürdig gekleidet. Man wartet ab. Jasmin packt den Koffer aus. Es ist der falsche, der von ihrem Scheißmann, der sie aus dem Auto geschmissen hat. Krachlederne, Unterhosen Marke Mann usw. Doch Jasmin ist vielleicht das, was man ein gestandenes Frauenzimmer nennen könnte. Sie lässt sich durch solche Kleinigkeiten nicht unterkriegen. Viel wichtiger ist es zu schauen, wo sie eigentlich gelandet ist. Sehr schnell begreift sie, was im „Bagdad Café“ gespielt wird: Es fehlt der Mut, der Mut zum Leben. Und um dem wieder auf die Sprünge zu helfen, sollte man vielleicht zunächst mal ein bisschen aufräumen. Gesagt, getan. Jasmin putzt, und zwar den ganzen Laden von oben bis unten, als Brenda gerade unterwegs beim Einkaufen ist. Sie sorgt dafür, dass man Kaffee zu trinken bekommt anstatt schwarzem Wasser. Sie kümmert sich um Sal Juniors Baby – und erregt Brendas Missgunst. Die kann es nämlich nicht leiden, dass sich irgend jemand in ihre Angelegenheit mischt.

Nicht nur das: Brenda holt den Sheriff (Apesanahkwat). Doch der kann bei Jasmin nichts finden, was nicht in Ordnung wäre. Nur Rudi, der in seinem Wohnwagen haust, ist begeistert von dieser fremden Schönheit aus Bavaria und will Jasmin malen.

„Oh Brenda! Brenda.“ Brenda beginnt sich zu schämen. Denn sie spürt da plötzlich etwas, was ihrem Schuppen fehlt und was Jasmin zu besitzen scheint: Leben. Tja und dann ist da noch ein Zauberkasten, den Jasmin im falschen Koffer gefunden hat. Der Zauber kann beginnen ...

In prächtigen Farben, leisen Tönen und mit einer zauberhaften Musik von Bob Telson erzählt Adlon die – im Grunde uralte – Geschichte von Eigenem und Fremden, einmal andersherum: Nicht „Türke in Deutschland“, sondern „Bayerin in USA“. Das Drehbuch verzichtet vollständig auf pädagogische Lehrhaftigkeit. Es zeigt Typen, aber nicht als Abstraktionen, sondern als lebendige Menschen: Schwarze, Weiße, Indianer und Bayern. Jasmin ist ur-bayerisch, und auch nicht. Sie ist eben ein wirklicher und wirkender Mensch. Sie wirkt, still, aber entschlossen, ein Ziel vor den Augen, aber ihr mögliches Scheitern einkalkuliert. Sie versucht’s eben. Sie hat ein Gespür für Heimat, aber Heimat ist nicht ein abstrakter Ort, sondern verortet sich da, wo man „hingefallen“ ist. Marianne Sägebrecht kann dies. Diese Rolle ist ihr sozusagen auf den Leib geschnitten.

Das Eigene und das Fremde erweisen sich rasch als Mangel beim einen und Bereicherung beim anderen. Das Fremde macht Angst und zieht doch an, weil es einem fehlt. Es stößt ab, weil man es beneidet. Es zieht an, weil man es will. Jasmin spürt diese Abneigung gegen ihr Fremdsein. Sie reagiert, jedoch nicht mit Konfrontation und Widerstand, sondern mit zurückhaltender Geste. Brenda, aber auch Sal Jr und Phyllis spüren das und werden neugierig. Neugierde aber, die nicht auf Ablehnung dort stößt, wo das Unbekannte beheimatet ist, ist Voraussetzung für die Verschmelzung des Eigenen mit dem Fremden und die Erkenntnis, dass das Fremde in einem selbst zu finden ist.

Die Dialoge in „Out of Rosenheim“ sind spärlich, aber präzise „gesetzt“. (Der Film zeigt auch, dass Sprachschwierigkeiten letztlich keine Rolle spielen: Jasmin bayert in englisch und die Amerikaner knödeln in deutsch.) Das Bild vermittelt wesentlich intensiver als jedes Wort die Annäherung wie die Konflikte. Die Kamera Bernd Heinls setzt hier Maßstäbe. Die Komik des Streifens schöpft ebenso vor allem aus dem Visuellen, etwa wenn Jasmin durch-putzt, wenn Rudi sie malt, wenn sie sich ihm zeigt, komisch und wunderbar zugleich. Jack Palance scheint sich selbst zu spielen – den gealterten Haudegen, der zur Ruhe gekommen ist und eine gewisse Weisheit erlangt hat, der erste, der erkennt, wer da in die brüchige Welt eingedrungen ist. Christine Kaufmann spricht so gut wie kein Wort. Doch ein Satz, den sie spricht, drückt die leichte Selbstironie Adlons wunderbar aus. Als sich Jasmin und Brenda näher gekommen sind, packt sie die Koffer. Alle wollen sie aufhalten. Doch sie will gehen: Es ist ihr zu harmonisch geworden.

In die Wüste kommt Leben. Der Zauber des Films, symbolisiert in den Zauberkunststückchen Jasmins, besteht in der durch Drehbuch und Inszenierung überzeugend dargebotenen, nachvollziehbaren Erkenntnis, dass Heimat kein Ort außerhalb unser ist, sondern nur in uns selbst zu finden ist, dass Eigenes und Fremdes vor allem anderen mit Verdrängtem in uns selbst zu tun hat. „Out of Rosenheim“ konnte hier in sozusagen praktischer Hinsicht vermitteln. Das macht die große Stärke des Films aus.