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Rambo (First Blood) USA 1982, 97 Minuten Regie: Ted Kotcheff
Drehbuch: Michael Kozoll, William Sackheim, Sylvester Stallone, nach einem Roman von David Morrell Musik: Jerry Goldsmith Director of Photography: Andrew Laszlo Montage: Joan E. Chapman Produktionsdesign: Wold Kroeger
Darsteller: Sylvester Stallone (John J. Rambo), Richard Crenna (Col. Samuel Trautman), Brian Dennehy (Sheriff Will Teasle), Bill McKinney (State Police Capt. Dave Kern), Jack Starrett (Dep. Sgt. Arthur Galt), Michael Talbott (Deputy Balford), Chris Mulkey (Deputy Ward), John McLiam (Orval, Hundeführer), Alf Humphreys (Deputy Lester), David Caruso (Deputy Mitch)
Rückblick auf „Rambo”
Der Name der Kunstfigur Rambo ist schon lange zu einem geflügelten Wort geworden. Der „Arbeitszeit-Rambo Pierer” las ich beispielsweise neulich auf irgendeiner Internet-Seite über den ehemaligen Siemens-Chef. Als Sylvester Stallones „Rambo” 1982 in die westdeutschen Kinos kam, hagelte es in etlichen Großstädten Proteste; man forderte die Kinobesucher zum Boykott des Films auf. „Rambo” als geflügeltes Wort gilt auch heute noch als negative Beschreibung von Personen, denen Gewalttätigkeit im Umgang mit anderen nachgesagt wird. Und insbesondere die beiden Nachfolgefilme „Rambo 2” und „Rambo 3” werden als Paradebeispiel der revisionistischen US-Geschichtsschreibung interpretiert: Die Niederlage im Vietnam-Krieg sei in einen klammheimlichen Sieg uminterpretiert worden. Und nicht umsonst trage der Filmheld den Namen des ersten im Vietnamkrieg gefallenen US-Soldaten.
Inzwischen gibt es auch andere Lesarten des Films, etwa die, „Rambo” als Zeichen für die Verlorenheit der amerikanischen Vietnam-Kämpfer zu sehen, die bei ihrer Rückkehr in die Heimat von Militär und Gesellschaft ignoriert worden seien, deren Re-Integration verunmöglicht oder zumindest erschwert wurde usw. Eine andere Lesart hebt darauf ab, dass „Rambo” zumindest keine Heroisierung darstelle, sondern die geistige Verfassung einer Nation nach einem verlorenen Krieg sowie einen Mann zeige, der am Boden zerstört nur noch seinen Idealen nachhänge, von denen keines mehr der Realität entspreche.
Man kann „Rambo” also auf ganz unterschiedliche Arten lesen.
Worüber handelt „Rambo”?
Der aus einem Kriegsgefangenenlager der Nordvietnamesen geflüchtete John Rambo (Sylvester Stallone), einer der Green Berets, der zu Kampfmaschinen ausgebildeten US-Soldaten, kommt in die USA zurück und hat nur eines im Sinn: Er will seine Kampfgefährten finden. Doch er findet niemanden mehr. Entweder sind sie noch im Dschungel umgekommen oder zu Hause gestorben. Als Rambo in den Distrikt von Sheriff Will Teasle (Brian Dennehy) kommt, vermutet der in Rambo einen Landstreicher. Obwohl Rambo nur nach einer Möglichkeit sucht, etwas zu essen, vertreibt ihn Teasle mit den Worten, 30 Kilometer weiter liege ein Dorf mit einem guten Restaurant. Teasle fährt Rambo bis zur Stadtgrenze und schärft ihm unmissverständlich ein, nicht wieder in seinen Distrikt zurückzukehren. Als Rambo dennoch kehrt macht, wird er von Teasle verhaftet und wenig später von einigen seiner Deputies sogar misshandelt und eingesperrt. Die zahlreichen Narben an seinem Körper und die Behandlung durch die örtlichen Cops verschaffen Rambo das Gefühl, in eine ähnliche Lage geraten zu sein wie damals im Dschungel.
Rambo hat gelernt, sich zu beherrschen und im entscheidenden Moment, in einer günstigen Situation die Initiative zu ergreifen. Genau dies tut er auch jetzt. In kürzester Zeit hat er einige der Deputies überwältigt und kann in die nahe gelegenen Wälder flüchten. Teasle organisiert einen Verfolgungstrupp mit allen ihm zur Verfügung stehenden Männern, samt Spürhunden und allen Waffen, die in Reichweite sind. Als während der unbarmherzigen Verfolgungsjagd ein Polizist abstürzt und stirbt, alarmiert Teasle die Nationalgarde und macht Rambo für den Tod des Cops verantwortlich.
Rambo kann dies alles nur so interpretieren, dass ihm die örtlichen Sicherheitskräfte den Krieg erklärt haben. Darauf stellt er sich nun ein, ohne allerdings irgend jemanden wirklich töten zu wollen. Wenn, dann verletzt er den einen oder anderen seiner Verfolger, macht ihn kampfunfähig. Immer wieder entkommt er aufgrund seiner Kenntnisse als Green Beret den Verfolgern, von denen nur Deputy Mitch (David Caruso) erfolglos versucht, mäßigend auf die anderen Polizeikräfte und Teasle einzuwirken – bis bei Sheriff Teasle plötzlich Rambos ehemaliger Vorgesetzter Colonel Trautman (Richard Crenna) auftaucht, der sowohl Teasle vor Rambos Erfahrungen warnt, als auch versucht, Rambo dazu zu bewegen, sich zu stellen ...
Was sagt uns „Rambo”?
Über eines sollte man sich zunächst bewusst sein: Rambo ist keine reale, sondern eine Kunstfigur, d.h. ein aus verschiedenen Elementen zusammengesetzter Typus von Subjektivität, dessen „Aufgabe” im Rahmen „seiner” Geschichte, d.h. der Geschichte, die der Film erzählt, Identifikation ermöglichen soll. John Rambo reduziert sich in dieser Hinsicht auf eine Figur, deren einzige Möglichkeit der „Kommunikation” in dem besteht, was er gelernt hat: zu kämpfen. Der reale Anknüpfungspunkt besteht in diesem Fall im (verlorenen) Vietnam-Krieg, der Rambo sozusagen in seiner spezifischen Subjektivität geprägt und „gestählt” hat. Die Perspektive, die er allein hat, ist die des Kampfes, wenn er in eine ähnliche Situation gerät wie in Vietnam. Er suchte vergeblich nach den anderen, die an seiner Seite standen. Er allein blieb übrig.
Rambo ist also in prägnanter Weise ein auf wenige Dimensionen „verkürzter” Mensch, ein (durch den Vietnam-Krieg) deklassierter Held, dessen Heldendasein aber eben auch nur eine ihm zeitweise zugedachte Funktion in seiner Gesamtfunktion, definiert durch den politischen und militärischen Apparat, bedeutet. In dieser Hinsicht sind die Interpretationen „richtig”, die im Blick auf den Film auf die Uminterpretation einer Niederlage in einen Sieg pochen. Denn Rambo erscheint von dieser einen Sicht aus als Opfer derjenigen, für die er (angeblich) sein Leben riskiert hat.
Doch darin erschöpft sich der Film nicht, eben weil er Film ist. Denn Rambo wird gerade visuell dem Betrachter als jemand präsentiert, der sich gegen eine böswillige Meute von (örtlichen und dann auch nationalen) Sicherheitskräften zu Recht zur Wehr setzt. Jedem leuchtet ein, dass der Einsatz der Nationalgarde gegen einen Mann, der der Landstreicherei verdächtigt wird, völlig unverhältnismäßig ist. Durch diese Konfrontation des ausgemachten Bösen (v.a. Sheriff Teasle, der seine letztlich lächerliche Macht demonstrieren will) mit dem in diesem Konflikt gar nicht tötungswilligen Rambo wird positive Identifikation mit dem Verfolgten erst möglich. Rambo repräsentiert in dieser Hinsicht einerseits die verdrängten Ängste vieler (sei es Angst vor Armut, vor Gewalt, seien es Existenzängste überhaupt) in einer individualistisch ausgestalteten Welt, in der der einzelne nicht mehr einfach nur Teil eines Ganzen ist (wie vor Beginn der Neuzeit), sondern sich einen eigenen Standpunkt gegenüber dieser Welt verschaffen kann und auch verschafft. Diese zentrale Perspektive des Ich gegenüber der Welt ist grundsätzlich etwas Positives, weil sie Teil dessen ist, was man etwas einseitig Selbstbestimmung nennt. Zugleich jedoch erwächst aus den zunehmenden Ängsten gegenüber einer Welt, die kaum noch durchschaubar ist, der Wunsch, sich auch in riskanten oder gar existenzgefährdenden Situationen selbst behaupten zu können – eine Fähigkeit, die vielen gerade wegen der sich rasant ändernden sozialen Umstände und den damit verbundenen Defiziten der Gesellschaft fehlt.
In dieser Hinsicht greift in der Moderne ein Teil der Literatur und des Films auf den Typus des archaischen Helden zurück, der sich unter vielen anderen u.a. auch in der Antike oder etwa in Shakespeares „Macbeth” finden lässt. Obwohl Macbeth einen Typus von Herrscher verkörpert, der im Übergang zur Moderne, d.h. auf dem Weg zum modernen Staat mit Gewaltmonopol, verlieren muss, weil er selbst den gewalttätigen, historisch längst überholten Stammesfürsten der vor-modernen Gesellschaft verkörpert, ist der Rückgriff auf solche Typen von Subjektivität in der Geschichte des Films und der Literatur durchaus gängig. Sie ermöglichen die Identifikation, wie oben beschrieben, allerdings – wie in „Rambo” – mit einem entscheidenden Unterschied:
Als Rambo gegen Ende des Films von seinem ehemaligen Vorgesetzten Trautman eindringlich gebeten wird, nicht so zu enden (nämlich im Kugelhagel von Polizei und Nationalgarde), sondern aufzugeben, fängt Rambo plötzlich an zu reden. Er beklagt sich über die Menschen, die bei seiner Rückkehr gegen ihn demonstriert und ihn als Mörder von Frauen und Kindern hingestellt hätten: „Wer sind die denn? Niemand von denen war da draußen in diesem Dschungel. Sie wussten gar nicht, worum es geht!” Und: „Mir bedeutet das Zivilleben gar nichts. Im Krieg, da hatten wir einen Ehrenkodex: Du deckst meinen Arsch und ich decke deinen. Aber hier gibt’s so was nicht.“ Schließlich: „Da drüben flog ich einen Hubschrauber oder ich bin Panzer gefahren. Ich war verantwortlich für eine Million Dollar Ausrüstung. Und hier krieg ich nicht mal einen Job als Parkwächter!” Dann erzählt er von einer Bombe, mit der einer seiner Kameraden getötet worden ist, und bricht weinend vor Trautman zusammen: „Es ist sieben Jahre her, jeden Tag sehe ich das. Nachts wache ich auf, weil ich davon träume. Was soll ich denn nur machen? Er war völlig hilflos, wie er da lag und schrie. Ich krieg das nicht aus meinem verdammten Schädel. Er ist verblutet.“
In dieser stark reduzierten Welt, der u.a. das Weibliche, das Sexuelle, das Alltagsleben der anderen, der Kinder usw. fehlt, einer Welt ohne Lebenslust hat Rambo nur eine Chance: das Verständnis des ehemaligen Vorgesetzten, der allein seine Höllenqualen, sein emotionales und auch körperliches Rückwärts-Gerichtetsein in die eigene Vergangenheit verstehen kann und deshalb in der Lage ist, John Rambo zum Aufgeben zu bewegen. Es ist in gewisser Weise die Perversion dieser Geschichte, dass ausgerechnet derjenige, der Rambo zum Green Beret, zur reduzierten Kampfmaschine ausgebildet hat, auch derjenige ist, der ihn zum Sprechen und zum Aufgeben bringt.
Und genau hier, am Schluss des Films, drückt sich das aus, was man die Dichotomie der Geschichte nennen könnte. Nicht nur Rambo – eine ganze Nation steht an einer Weggabelung. Es bleibt unklar, in welche Richtung John Rambo, die Kunstfigur gehen wird. Kann er sich integrieren oder bleibt ihm nichts als das, was er war und bleiben wird? Kann die amerikanische Gesellschaft eine „wahrhaftige” Beziehung zu ihrem „Engagement” in Vietnam eingehen oder folgt sie dem damaligen Präsidenten Ronald Reagan in seinem Kurs der „Auferstehung” einer bis an die Zähne bewaffneten Weltmacht, die Vietnam „positiv überwunden” zu haben glaubt?
Rambo ist eine Kunstfigur, ein kollektives Bild, eine zwiespältige, eben nicht eindeutige Identifikationsfigur, die am Ende des Films überlebt, während sie in der Romanvorlage stirbt. Jedenfalls könnte man schlussfolgern, dass solche Kunstfiguren so lange für viele, vor allem auch Jugendliche Identifikationsmuster bleiben, wie eine Gesellschaft nicht in der Lage ist, verdrängte Ängste anders bewältigen zu können. Während Macbeth eindeutig als „Überbleibsel” einer verfallenen Welt vor der frühen Moderne identifizierbar ist, verbleibt Rambo in einem Bereich, in dem Eindeutigkeit kaum gegeben ist.
Trotzdem „funktioniert” das kollektive Bild, das sich in den Köpfen festsetzen kann, weil Herstellung von Subjektivität im Sinne einer emanzipierten, kollektiv „abgeglichenen” Individualität eben immer weniger herstellbar ist.
Die Sequels „Rambo 2” (1985) und „Rambo 3” (1988) in ihrer direkten Bezugnahme auf Vietnam bzw. Afghanistan waren übrigens im Unterschied zum hier besprochenen Film anderer Qualität. Sie rekurrierten in klischeehafter und ideologisch eindeutiger, wenn auch billiger Machart auf das „neue Selbstbewusstsein” einer Nach-Vietnam-Weltmacht, die sich anschickte, der anderen Supermacht den Garaus zu machen.
Während „Rambo” (noch) den zwiespältigen Eindruck eines modernen, teilweise auf archaische Vorbilder rückführbaren „Helden”, der zugleich Opfer war, hinterlässt, präsentieren Kriegs- und z.T. Actionfilme der Gegenwart eher den eindeutigen „Kämpfer”, die Kampfmaschine, die als bevorzugtes und bewundernswert dargestelltes Klischee den heutigen Zustand der Weltmacht USA nach Golfkrieg, Afghanistan, Irak usw. durchscheinen lässt.
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