Rotation Deutschland (Sowjetische Zone) 1949, 80 Minuten Regie: Wolfgang Staudte
Drehbuch: Erwin Klein, Fritz Staudte, Wolfgang Staudte Musik: H. W. Wiemann Director of Photography: Bruno Mondi Montage: Lilian Seng Produktionsdesign: Willy Schiller
Darsteller: Paul Esser (Hans Behnke), Irene Korb (Charlotte Behnke), Karl Heinz Deickert (Hellmuth Behnke), Reinhold Bernt (Kurt Blank), Reinhard Kolldehoff (Rudi Wille),Werner Peters (Udo Schulze), Brigitte Krause (Inge)
Das „Unpolitische” als Machtfaktor
Rotation meint das Kreisen um immer dieselbe Achse. Man kommt vorwärts und dreht sich doch nur im Kreis. Noch ganz getragen von den furchtbaren Eindrücken des Krieges und der Vernichtung, der Verfolgung und der Diktatur kann man den Impetus des 1949 von Wolfgang Staudte gedrehten Films „Rotation” vielleicht auf folgenden Nenner bringen: Ein antifaschistisch und demokratisch gesinnter Regisseur fragt sich, ob sich die Grausamkeit in Permanenz wiederholen könnte bzw. was passieren müsste, damit sie sich nicht wiederholt.
Rotation meint auch den Schwindel, der einen ergreifen muss, wenn man sich immer schneller im Kreis bewegt. Man kennt dieses fast schwerelose Gefühl von Rummelplätzen. Aber in „Rotation” geht es um ein anderes Gefühl – eines, das einem den Hals zuschnürt, langsam, aber sicher, immer ein Stück.
Der Impetus des Films ist auch geprägt von den Kräften im Nachkriegsdeutschland, die in einem „anderen” Deutschland die Voraussetzungen dafür schaffen wollten, das sich der Nationalsozialismus nicht wiederholt. In den berühmten Slogans von „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!” lebte eine ganze Staatsführung und anfangs auch ein Großteil der Bevölkerung in diesem Gefühl, das ewig Gestrige ewig gestrig sein zu lassen.
Wolfgang Staudte allerdings drehte mit „Rotation” keinen Film des staatlich verordneten Antifaschismus. „Rotation” ist im Jahr der Entstehung der DDR nicht der visuelle Gründungsmythos der „ersten sozialistischen Republik auf deutschem Boden”. Man spürt in „Rotation” noch die Freiheit der Kunst und künstlerischen Betätigung, die später so jäh beseitigt wurde. Vor allem aber spürt man Staudtes Bemühen, einige tiefere Ursachen des schrecklichen Erfolgs der Nazipartei zu suchen.
„Rotation” wirft in einem Zeitraum zwischen der Weltwirtschaftskrise und 1945 einen gezielten Blick auf die Geschichte eines Mannes, eines einfachen Arbeiters, eines Schlossers namens Hans Behnke (Paul Esser), der nur eines will: Arbeit und ein bisschen Glück für sich und seine Familie. Behnke gehört nicht zu jenen politisierten Figuren der 20er und 30er Jahre, die sich in linken und rechten Parteien bewegten. Behnke ist in einem fast schon krassen Sinne „un-politisch” – auch wenn er während der Weltwirtschaftskrise kurzzeitig an Demonstrationen der KPD teilnimmt. Er landet deswegen im Gefängnis – wie viele andere, wird entlassen und hat das Gefühl, das ihm politisches Engagement welcher Art auch immer nichts bringt. Er hasst geradezu die großen Reden, die Sprüche, die Ideologien, die Theorien usw. Bringt das alles vielleicht Arbeit und Einkommen? Wie soll er durch „Sprüche” sich und seine Frau Charlotte (Irene Korb) ernähren? Wie soll er die Miete zahlen für die Wohnung, die ihm ein Vermieter überlassen hat, der aus Mitgefühl nicht nach dem Einkommen der Behnkes fragt?
Als sein Schwager Kurt Blank (Reinhold Bernt), ein Kommunist, und ein Bekannter namens Rudi Wille (Reinhard Kolldehoff) bei einem Essen bei den Behnkes aus Anlass der Schwangerschaft Charlottes beginnen zu „politisieren”, hält sich Behnke zurück. Und so bleibt es auch in den folgenden Jahren.
Die Sorge um die Familie und den inzwischen geborenen Sohn Hellmuth lässt Behnke vergessen, was um ihn herum geschieht. Die Machtübernahme der Nazis kommt nur insofern in Behnkes Blick, als er „plötzlich” wieder Arbeit bekommt, in einer Druckerei, in der sein Können, sein Wissen und sein Fleiß geschätzt werden. Gleichzeitig muss er miterleben, wie sein Schwager ins Ausland flüchten muss, während Wille Behnke und Blank zuvor von der großartigen Zukunft Deutschlands unter Führung Adolf Hitlers vorgeschwärmt hatte.
In den drei Personen deutet sich schon an, auf welch verlorenen Posten sie sich alle auf ihre je eigene Weise befinden: Während der Kommunist Blank die Flucht ergreifen muss – in tiefer Überzeugung, eines Tages doch noch „dem Morgenrot entgegen” gehen zu können, glaubt Wille an den „Führer”, ein Glaube, der ihn später bitter enttäuschen wird. Und Behnke? Immer wieder versucht er, sich aus den Geschehnissen der Zeit herauszuhalten. Doch immer wieder drängen ihn diese Geschehnisse, Farbe zu bekennen – so oder so. Sein Vorgesetzter im Betrieb will ihn befördern – aber dazu müsste Behnke in die NSDAP eintreten. Ein SD-Spitzel verlangt von Behnke, an den Betriebsversammlungen der NSBO teilzunehmen.
Aber es kommt noch schlimmer. Nicht nur muss Behnke mit ansehen, wie die Nazis seine Nachbarn jüdischen Glaubens abtransportieren. Sein eigener Sohn, inzwischen in der Pubertät – wächst auf als HJ-Zögling. Als Behnke aus Wut über die Ermordung seines Schwagers das Hitler-Bild in der Wohnung zerschmettert, wendet sich Hellmuth – geblendet von den Ideen der Nazis – an sein unmittelbares Vorbild Udo Schulze (Werner Peters). Und dann verrät der eigene Sohn den Vater, der daraufhin unter einem Vorwand als „Politischer” eingesperrt wird.
Was bleibt am Schluss, am absoluten Tiefpunkt des Jahrhunderts, dem Jahr 1945? Behnkes Frau ist im Bomben- und Granatenhagel umgekommen. Er selbst wird in letzter Sekunde von den in Berlin einmarschierenden Russen vor der Hinrichtung gerettet. Sohn Hellmuth kehrt nach einiger Zeit zu seinem Vater zurück, voller Schuldgefühle, voller Enttäuschung über sich selbst und die Zeit und die Umstände, in denen er aufgewachsen ist. Die Versöhnung zwischen Vater und Sohn ist zugleich die Botschaft des Films: Wenn man das „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!” will – dann muss man die Augen und Ohren offenhalten, genau hinschauen. Wenn man dies tut, so Hellmuth zu seiner jungen Freundin Inge (Brigitte Krause), dann würde es beiden einmal nicht so ergehen wie dem Vater und der Mutter.
Dieser Schluss erscheint aus heutiger Sicht leicht pathetisch und nähert sich der (auch das wissen wir heute) vorwiegend ideologiebeladenen SED-Sicht vom antifaschistischen Deutschland (einschließlich entsprechendem Schutzwall gleich Mauer). Wir wissen aber auch, dass dies nur eine Näherung, keine Identifizierung Staudtes mit der DDR war. Bei ihm ist der etwas pathetische Schluss Ausdruck einer Hoffnung aus zeitlich unmittelbarer Anschauung des Grauens.
Das Wesentliche des Films ist die Aufdeckung von Mechanismen des „Unpolitischen” und eines „unpolitischen” Mannes, der zu spät erkennt, dass sein Verhalten weder ihm, noch seiner Familie, noch den Millionen anderen „Unpolitischen” irgend etwas Positives gebracht hat, eines Mann, dem erst ein Licht aufgeht, als ihn sein eigener Sohn verrät. Es ist dieses „Unpolitische”, das macht Staudtes Film deutlich, das wesentlich mehr zum brutalen Erfolg des NS-Regimes beigetragen hatte als alle Fanatiker und Ideologen. Das „Unpolitische” wird zum Faktor der Macht, zur Kalkulationsgröße der Machthaber, zum Spielball ihrer Interessen, zum Fundament des Todes und der Ohnmacht. Man kann die Täter verurteilen, die Opfer beklagen und die Mitwisser anprangern. Aber man sollte sehen, wie das „Unpolitische” zum entscheidenden Machtfaktor der Diktatur wird.
Das „Unpolitische” wird daher zum Politischen, der Gestus des Sich-aus-allem-Heraushalten-Wollens wird zum berechenbaren Faktor der Massenmörder. Hitler hatte dies verstanden wie kein anderer zuvor. Nur wer die Zivilcourage ausmerzt, wer das Individuum auf sich selbst, und das heißt letztlich auf eine formbare Masse zurückwirft, bezwingt auch seine politischen Gegner, so laut sie auch schreien und so „klar” sie sich auch in ihren „Positionen” sind.
Das „Unpolitische”, das Gefühl, nicht Teil des Gemeinwesens zu sein, das Gefühl, auf sich selbst zurückgeworfen zu sein, um sich dann unter den Bedingungen der Diktatur mit wenig zufrieden zu geben, mag sich zwar heute in anderen Formen darstellen. Es ist jedoch noch immer vorhanden. Und dies macht Staudtes Film über das konkrete Geschehen und den historischen Bezug des Streifens hinaus auch noch heute zu einem sehenswerten Film.
Paul Esser, der später in der Bundesrepublik Deutschland tätig war, spielt diesen Hans Behnke als einen Mann, dem in seiner Darstellung nicht das Verdikt anhängt, moralisch verurteilt werden zu müssen. Erst wenn man sein Verhalten versteht, so könnte man Essers Spiel verstehen, kann man auch begreifen, welche Bedeutung jeder Form von Zivilcourage zukommt.
Neben „Die Mörder sind unter uns”, „Der Untertan” und „Rosen für den Staatsanwalt” gehört „Rotation” zu Staudtes intensiver Auseinandersetzung mit den Folgen des NS-Regimes und des Krieges.
© Bilder: Sovexport-Film GmbH; DEFA; Icestorm Entertainment GmbH.
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