Scarface
(Scarface)
USA 1983, 170 Minuten
Regie: Brian de Palma

Drehbuch: Oliver Stone; Ben Hecht, Howard Hawks (1932), nach dem Roman von Armitage Trail
Musik: Giorgio Moroder
Director of Photography: John A. Alonzo
Montage: Gerald B. Greenberg, David Ray
Produktionsdesign: Ferdinando Scarfiotti

Darsteller: Al Pacino (Tony Montana), Steven Bauer (Manny Ribera), Michelle Pfeiffer (Elvira Hancock), Mary Elizabeth Mastrantonio (Gina Montana), Robert Loggia (Frank Lopez), Miriam Colon (Mama Montana), F. Murray Abraham (Omar Suarez), Paul Shenar (Alejandro Sosa), Harris Yulin (Mel Bernstein), Ángel Salazar (Chi Chi), Arnaldo Santana (Ernie), Pepe Serna (Angel)

„Ich sage immer die Wahrheit, auch wenn ich lüge”

Macht, sagte Foucault, ist nicht in erster Linie die Macht einer herrschenden Gruppe, sondern eher das Zentrum, um das sich eine Gesellschaft insgesamt gruppiert. Denn zur Macht gehört auch die Anerkennung der Macht, die Unterwerfung unter Machtstrukturen, also man könnte sagen die soziale Ohnmacht all derer, die eben nicht zum Machtzentrum gehören. Dass sich im Rahmen von Macht als gesellschaftlichem Organisationsprinzip auch Allmachtsphantasien entwickeln, die sich der Strukturen einer Gesellschaft bemächtigen und sie zu einem streng hierarchischen Führer-Gefolgschafts-Prinzip umfunktionieren, ist in der Neuzeit kein wenig bekanntes Phänomen.

Im Gegenteil: Solche Allmachtsgesellschaften sind ein Teil der Moderne und auch – wenn man diesem Begriff folgen will – der Postmoderne. Mit Hitler war nicht Schluss, mit Stalin auch nicht. Auch wenn die Lebensdauer solcher Allmachtsgesellschaften begrenzt ist, richten sie nicht nur „einfach” Schaden an. Das 20. Jahrhundert ist ein Jahrhundert des großangelegten, geplanten und bewusst organisierten Völkermords. Und wir haben vielleicht noch nicht so richtig begriffen, dass auch die neoliberal organisierte Postmoderne die Gefahren von Allmacht in sich birgt. Dabei sind es vielleicht nicht mehr einzelne Diktatoren, fassbare Gestalten, die – wenn auch mythisch überhöht und ideologisch aufgeladen – trotz ihrer Gespenstergestalt in den Höhenflügen ihrer abartigen Ziele dennoch Fleisch und Seele geblieben sind – bis zum bitteren Ende. Vielleicht ergießen sich moderne Allmachtspraktiken eher im anonymen Bereich von vielleicht 100 bis 200 weltweit operierenden Konzernen. Das mag dahingestellt bleiben.

Das Remake des 1932 gedrehten Films „Scarface” durch Brian de Palma 1983 jedenfalls präsentiert uns einen Mann, der sich in unserer Erinnerung so festschreibt wie die große Narbe in seinem Gesicht: Tony Montana (Al Pacino). Wenn Hitler und Stalin zur Klasse der Allmachtsphantasten gehören, so Montana zur (ebenso) erbärmlichen Unterklasse dieser Spezies. Irgend etwas in seinem Leben ist derart schief gelaufen, dass er offenbar einen Weg gehen muss, der ihn – wenn auch im Vergleich zu Hitler oder Stalin auf „Sparflamme” – direkt in jene Denk- und Verhaltensmuster, in jene ideologischen Gefilde treibt, die beträchtliche Teile der Realität ausblenden (müssen). Dazu bedarf es keiner der bekannten „großen” Ideologien wie des Rassismus oder Antisemitismus oder einer deformierten realsozialistischen Ideologie.

Montana gehört zu jenen Exilkubanern, die ein anderer Allmachtsphantast namens Fidel Castro 1980 offenbar loswerden wollte. Hunderte wenn nicht Tausende von Exilkubanern schippern Richtung USA. Und die Einwanderungsbehörden, so fies ihre Vertreter ihnen gegenüber auch auftreten, sind nahezu machtlos angesichts dieser Welle von Immigranten, unter denen sich kaum wirkliche politische Flüchtlinge, sondern vor allem Kriminelle befinden. Montana kommt mit seinem Freund Manny Ribera (Steven Bauer), und der Weg aus dem Auffanglager irgendwo bei Miami ist schon durch das gekennzeichnet, was die weitere Zukunft der beiden bringen wird: Mord. Man steckt ihnen, dass sie, wenn sie ein Ex-Regierungsmitglied Castros ermorden (ein Mann, der sich ebenfalls im Lager befindet), aus dem Lager herauskommen würden. Gesagt – getan.

Der Weg führt sie direkt zu dem Drogenboss Loggia (Frank Lopez), durch dessen Adlatus Suarez (F. Murray Abraham), der Manny und Tony loswerden will, sie in eine Falle gelockt werden: Bei der vermeintlichen Übergabe von Geld für Kokain sollen sie erschossen werden. Doch Tony und Manny riechen den Braten und töten die Auftragskiller. Das beeindruckt Loggia; er will Tony für seine Zwecke einspannen, schickt ihn mit Suarez zu dem kolumbianischen Drogenbaron Sosa (Paul Shenar), der – ebenfalls beeindruckt von Tony – lieber direkt mit Tony Geschäfte machen will als mit Lopez. Und Tony will groß einsteigen, größer als Lopez. Beide trennen sich – und nun beginnt der Aufstieg des Tony Montana zum größten Drogenhändler in Miami ... und sein Fall.

Pacino ist unvergesslich in dieser Rolle wie in seiner Rolle als Michael Corleone – auch wenn Coppolas Pate sicherlich mit „Scarface” nicht zu vergleichen ist. Während Coppola die sozialen Dimensionen der Mafia, ihre italienischen Traditionen, ihre amerikanische Anpassung intensiv aufspürt, eine umfassendes Bild dieser Lebensart zeichnet, begrenzt sich de Palma auf die Darstellung des Aufstiegs und Falls einer jener Männer, die jede sich bietende Gelegenheit benutzen, um ihre egoistischen Allmachtsphantasien zu realisieren.

Tony Montana dringt in einen von Kriminellen und Halbkriminellen besetzten Raum ein. Durch einen Mord verschafft er sich Zutritt zu diesen Kreisen des Drogenhandels, die enge Verbindungen zu südamerikanischen Drogenbaronen pflegen. Während Lopez eine Machtstellung aufgebaut hat, die er einfach nur halten will, strebt Montana mehr an. Er will, wie er sagt, die Welt für sich. Seine Ideologie ist einfach gestrickt: Erst brauche man Geld, dann erhalte man Macht, und damit habe man Verfügungsgewalt über alles und jeden. Das personelle Gerüst, das sich Montana aufbaut, ist zunächst relativ klein: Manny und ein paar andere Exilkubaner. Doch sein Ziel ist klar: Er will Lopez vom Thron stürzen und über ihn hinauswachsen. Immer mehr erobert er den Raum, den er braucht, und über den er ebenfalls hinauswachsen will. Miami ist Miami. Aber es gibt mehr als Miami.

De Palma zeigt, wie Montana durch Geschick, Gewalt, Taktik und Unbeirrtheit Lopez und den korrupten Cop Bernstein (Harris Yulin) aus dem Weg räumt, sich Lopez Geliebter Elvira (Michelle Pfeiffer) bemächtigt und damit zum wichtigsten Kriminellen in Miami aufsteigt.

Gleichzeitig zeigt de Palma, in welche Schwierigkeiten Montana sich dabei selbst verstrickt. Er bevormundet seine Schwester Gina (Mary Elizabeth Mastrantonio), wie er alle um sich herum bevormundet. Er betrachtet sie als sein Eigentum. Auf dem Höhepunkt seiner Macht kommt dann genau das zum Tragen, was ihm letztlich das Genick bricht: sein Allmachtsstreben. Genau an diesem Punkt wird die Figur des Tony Montana mit all jenen Akteuren der Weltgeschichte vergleichbar – wenn auch in kleinerem Maßstab –, deren Reiche nur eine begrenzte Lebensdauer haben, innerhalb derer sie aber Dutzende oder auch Zehntausende in den Tod reißen. Die Leichen, die den Weg Montanas pflastern sind nicht nur zahlreich; am Schluss steht er völlig allein da – konfrontiert mit Gegnern, die nichts weiter wollen als seinen Tod. Die, die ihm gefolgt waren, die gegenüber den kriminellen Strukturen ohnmächtige Elvira oder sein treuester Gefolgsmann Manny, hatten sich längst innerlich von ihm abgewandt. Manny erhält dafür die Quittung – weil er ein Verhältnis mit Tonys Schwester eingegangen ist.

Tony Montana ist so etwas wie ein in sich selbst verstrickter Mann, einer, der die Welt als sein potentielles Eigentum betrachtet. Sein Führerbunker ist sein Arbeitszimmer, seine „Schaltzentrale”, aus der es irgendwann kein Entrinnen mehr gibt, weil alle anderen seinen Tod wollen. Während im normalen (kriminellen) Geschäft die Einflusssphären aufgeteilt sind, sich ab und an verschieben zugunsten der einen oder anderen Seite, mal einer aus dem Feld geworfen wird, ein anderer dazu kommt, spielen sich in Montanas Kopf andere Dinge ab: er will nur eine Einflusszone – seine. Für Konkurrenz ist da kein Platz – obwohl es u.a. genau diese Konkurrenz als herrschende Verkehrsform war, die solche Allmachtsphantasien und ihre Träger geschaffen hat.

Montanas Kopf wie sein Herz sind beseelt von dem Gedanken der (regionalen) „Weltherrschaft” (wenn auch insofern begrenzt, als ihm politische Dinge unwichtig sind und er nur einen kleinen, miesen Abklatsch der großen Diktatoren darstellt). Dem ordnet er alles und alle unter. Freundschaft (zu Manny) und Liebe (zu Elvira) werden zu taktischen Vehikeln dieses Ziels. Er opfert selbst die, die einmal zu ihm standen, sich aber von ihm abwenden. Die einzige, die entkommt, ist Elvira. Sie flüchtet.

Die Reinheit und Finesse, die Klarheit und sprichwörtliche Bildhaftigkeit, mit der de Palma diese Geschichte erzählt, sind eindrücklich, vor allem natürlich auch durch Pacinos Performance. Der dirty talk, das Abschätzige in den Dialogen, das Hinterlistige, Intrigenhafte im Verhalten – all das untermauert und bebildert diese Geschichte ebenso überzeugend wie die Blicke Pacinos, hinter denen man seine Gedanken lesen und doch nicht glauben kann, was sich da abspielt.

Im Rückblick also ein immer noch sehenswerter, auch nachdenklich machender Film.

© Bilder: Universal Pictures.
Screenshots von der DVD.