Martin Scorsese
Es gibt keine staatlich organisierte Gesellschaft oder Nation, deren Legitimation sich nicht auch aus Ursprungsmythen speist. Die „Stunde Null” im Fall der Bundesrepublik Deutschland, die Französische Revolution für Frankreich, im Fall der Vereinigten Staaten der mit der Siedler-Ideologie verknüpfte Unabhängigkeitskrieg gegen die Briten, und so weiter.
All diese Ursprungsmythen dienen nicht nur der Rechtfertigung der Existenz der jeweiligen Nation. Sie selbst sind voll gepackt mit Geschichten, verknüpft mit Wertvorstellungen, gepaart mit tatsächlichen oder meist vermeintlichen nationalen Besonderheiten und – vor allem – einer zumeist brisanten Mischung aus Wahrheiten, Halbwahrheiten und Geschichtsklitterung.
Martin Scorsese ist einer der wenigen amerikanischen Regisseure, die zwar keine Anti-Geschichtsschreibung visualisieren, der Substanz der gängigen Geschichtschreibung und ihren Mythen jedoch Fragen entgegenhält, indem er Geschichten erzählt, durch die er den Finger in die oft interessehalber verleugneten oder verdeckten Wunden der großen Erzählung von der Nation legt. „Gangs of New York” etwa räumt mit dem Mythos auf, die Vereinigten Staaten seien (allein) aufgrund der Freiheitsliebe ausgewanderter Europäer zu einer wirklichen Nation geworden.
In „Aviator” zeigt Scorsese einen Howard Hughes, der den gepredigten extremen Individualismus ernst nimmt, aufsteigt, berühmt (und berüchtigt) wird und so tief fällt, wie es die Ideologie nie und nimmer vorsieht.
Zu Scorsese:
http://www.sensesofcinema.com/contents/directors/02/scorsese.html http://www.scorsesefilms.com/bio.htm
Roberto Lasagna: Martin Scorsese, 2002 (Schüren Presseverlag) Georg Seeßlen: Martin Scorsese, 2003 (Bertz Verlag)
Zu den Filmen Scorseses: Scorsese I Scorsese II “New York, New York” (1977) “Hexenkessel” (1973) “Departed: Unter Feinden” (2006) “Casino” (1995) “Shutter Island” (2010)
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