|
Sein oder Nichtsein (To Be or Not to Be) USA 1942, 99 Minuten Regie: Ernst Lubitsch
Drehbuch: Melchior Lengyel, Edwin Justus Mayer, Ernst Lubitsch Musik: Werner R. Heymann, Miklós Rózsa Director of Photography: Rudolph Maté Montage: Dorothy Spencer Produktionsdesign: Vincent Korda
Darsteller: Carole Lombard (Maria Tura), Jack Benny (Joseph Tura), Robert Stack (Lieut. Stanislav Sobinski), Felix Bressart (Grünberg), Lionel Atwill (Rawitch), Stanley Ridges (Prof. Siletsky), Sig Ruman (Col. Erhardt), Tom Dugan (Bronski), Charles Halton (Dobosh, Produzent), Henry Victor (Capt. Schultz), Maude Eburne (Anna), Halliwell Hobbes (General Armstrong), Miles Mander (Major Cunningham)
Humor in den Zeiten des Schreckens
Filme wie „Das Leben ist schön“ (1997) von Roberto Benigni oder „Wir müssen zusammenhalten“ (2000) des tschechischen Regisseurs Jan Hrebejk haben klassische Vorbilder. Neben Chaplins „Der große Diktator“ (1940) ist dies sicherlich „Sein oder Nichtsein“ von Ernst Lubitsch (u.a. „Ninotchka“, 1939), in dem sich der aus Deutschland stammende Regisseur komödiantisch, aber nichtsdestotrotz in ernsthafter Weise mit dem Nationalsozialismus auseinander setzte – zu einer Zeit, als Polen bereits überfallen und die ersten Konzentrationslager errichtet waren, die dann später zu Vernichtungslagern ausgebaut wurden.
Als eine kleine Schauspielertruppe 1939 in Warschau kurz vor der Aggression der Wehrmacht ein Theaterstück probt, das sich mit Hitler und dem Nationalsozialismus auseinander setzt und in dem der Schauspieler Bronski (Tom Dugan) als Hitler auftrifft, ahnen die Mimen und ihr Produzent Dobosh (Stanley Ridges) noch nicht, dass sie drei Jahre später auf ihre Proben und die Rollen zurückgreifen müssen. Das Theaterstück wird von der polnischen Regierung verboten, weil sie meint, die Aufführung würde Hitler unnötig provozieren. Also zieht sich die Truppe auf Shakespeares Hamlet zurück. Hamlet – das ist Joseph Tura (Jack Benny), und der ist völlig von seinen schauspielerischen Leistungen überzeugt. Doch niemand scheint den großen Tura zu kennen. Nur seine Frau Maria (Carole Lombard), der Joseph immer wieder vorwirft, sie würde versuchen, ihm die Show zu stehlen, versucht ihn zu beruhigen und in seiner Eitelkeit zu unterstützen – um des lieben Friedens willen.
Als sich der junge Leutnant Stanislav Sobinski (Robert Stack) während der Aufführungen von Hamlet in Maria verliebt, kann er sie überreden, mit ihm in seinem Bomber auf einem Probeflug mitzufliegen. Sobinski ist vollkommen davon überzeugt, dass Maria ihn liebt und will Tura das auch mitteilen. Maria kann ihn gerade noch davon abhalten und verspricht ihm, er könne während der Hamlet-Aufführung ihres Mannes zu ihr in die Garderobe kommen. Immer wenn Tura als Hamlet seinen großen Monolog hat, steht Sobinski auf und verlässt die Aufführung. Tura ahnt noch nicht, warum, vermutet, dies sei eine Geringschätzung seines Hamlets.
Dann überschreiten die deutschen Truppen die polnische Grenze. Sobinski wird in die polnische Staffel der britischen Jagdflieger in London integriert. Der dort weilende Prof. Siletsky (Stanley Ridges), angeblich Hitler-Gegner, bekommt von General Armstrong (Halliwell Hobbes) den Auftrag, über Schweden nach Polen zu fliegen zur Unterstützung der polnischen Untergrundbewegung. Doch als Sobinski den Professor bittet, Maria Tura seine Grüße auszurichten, bemerkt Siletsky, dass er Frau Tura nicht kenne, was Sobinski merkwürdig vorkommt, weil doch jeder in Warschau Maria Tura kenne. Er meldet dies General Armstrong und der erfährt, dass Siletsky Namen und Adressen der Angehörigen der polnischen Flugstaffel über die Soldaten selbst erfahren hat – unter dem Vorwand, diese Verwandten zu grüßen bzw. ihr Schicksal zu erkunden. Der Verdacht, dass Siletsky ein Agent des NS-Staates ist, erhärtet sich.
Sobinski wird beauftragt, Siletsky mit Hilfe von Mitgliedern der polnischen Untergrundbewegung zu finden, bevor er seinen Bericht über die Widerstandskämpfer der Gestapo übergeben kann. Doch das gestaltet sich als äußerst schwierig und riskant.
Die Schauspieltruppe versucht nun mit all ihrem Können und ihren Verkleidungskünsten an den Bericht zu gelangen, bevor Gestapo-Chef Erhardt (Sig Ruman) ihn in die Finger bekommt. Tura spielt Erhardt, Bronski bekommt die Gelegenheit Hitler zu mimen, dann spielt Tura Siletsky und Grünberg (Felix Bressart), der bislang nur Nebenrollen spielen durfte, bekommt endlich die Chance seines Schauspieler-Lebens ...
Lubitsch konstruiert eine in jeder Hinsicht ernsthafte Handlung, in der für alle Beteiligten – außer natürlich für die Nazis – ein permanentes Risiko für Leib und Leben besteht. Dabei erweist er sich als tiefsinniger Kenner der NS-Mentalität, soweit sie bis dahin bekannt war bzw. ihre schrecklichen, tragischen Folgen unbekannt. 1942 war auch das Jahr, in dem die NS-Führung unter Hitler und Himmler , Heydrich und Eichmann die sog. „Endlösung der Judenfrage“, d.h. die systematische, industriell organisierte Massenvernichtung beschloss – am 20.1.1942 auf der geheim gehaltenen Wannsee-Konferenz. Bis dahin waren durch Heydrichs Mordkommandos bereits ca. 370.000 Juden in Polen und russischen Gebieten ermordet worden. Ob Lubitsch später im Wissen um diesen Völkermord „Sein oder Nichtsein“ gedreht hätte, ist zumindest fraglich. Doch der Film ist auch in Kenntnis des Holocaust eine ernst zu nehmende, dramatische wie komödiantische Auseinandersetzung mit dem NS-Regime und der NS-Ideologie, vor allem aber ein gelungenes Beispiel für eine Art von (auch jüdischem) Humor in Konfrontation mit den Schrecknissen der Zeit.
Dabei werden die NS-Schergen einerseits als durchaus (lebens)gefährliche, zu jeder Brutalität bereite Verbrecher nicht etwa unterschätzt, andererseits aber die Lächerlichkeit und die Erbärmlichkeit der NS-Ideologie, der grenzenlose Gehorsam nach dem Motto „Du bist nichts, dein Volk ist alles“, die spezielle Mischung aus Devotismus, Feigheit und Bereitschaft zur Aufgabe jeglicher ethischer Maßstäbe zum Darüber-Lachen „freigegeben“.
Die Schauspieltruppe dagegen ist – trotz aller Rivalitäten, Reibereien, Konflikte, Eifersüchteleien und Schwächen – ein wahrer Hort von Solidarität und Menschlichkeit: Wenn es darauf ankommt – und es kommt schließlich ständig darauf an –, kann niemand sie entzweien. Sobald jemand in Gefahr gerät, stehen sie zusammen und geben jeder für sich das, was er oder sie hat. Lubitsch nutzt die kleinen menschlichen Schwächen – ob Eitelkeit, Eifersucht oder Unfähigkeit –, um daraus in riskanten Situationen Humor zu erzeugen. Die kleine Feigheit in alltäglichen Situationen setzt sich bei ihnen andererseits nicht fort, wenn es ums Leben geht: Dann ist jeder bereit, an die jeweilige Front zu marschieren – selbst der eitle Joseph Tura, der sich einiges einfallen lassen muss, um die Nazis hinters Licht und die Freunde und Kollegen aus der Gefahr zu führen. Wenn seine Eitelkeit oder Eifersucht einmal durchbricht und alles in Gefahr zu bringen droht, ist Einfallsreichtum gefragt. Hier liegen die Schnittpunkte für Lubitsch Humor.
Lubitsch gewinnt dies – Humor wie Solidarität – nicht aus einer trivialen Proklamation hehrer Prinzipien über Solidarität usw. Er erschließt es aus der Lebenswelt der Figuren selbst und aus der Handlung, die eine Wendung nach der anderen nimmt und seine Figuren dazu zwingt, alle Register ihres schauspielerischen Könnens zu ziehen, Ideen rasch zu entwickeln und umzusetzen – wie bei einem Theaterstück, das vor der Premiere nur für Minuten geprobt werden könnte, für das der Text von den Figuren situationsbedingt selbst erschlossen werden müsste.
Die Handlung steigert sich bis zum Schluss, wird zunehmend turbulenter, rasanter, fast schon spritzig, je größer die Gefahr wird, dass alles auffliegt. Die Konfrontation des falschen Prof. Siletsky, in dessen Rolle Joseph Tura schlüpfen muss, mit dem richtigen Professor, der bereits tot im Hinterzimmer von Erhardt liegt (was Tura nicht wusste), ist eine absolute Meisterleistung von Lubitsch.
Die Schauspieler – allen voran Carole Lombard und Jack Benny, aber eben auch Sig Ruman als Erhardt oder Felix Bressart als Grünberg – steigern sich von Minute zu Minute, als ginge es wirklich um ihr Leben.
„To Be or Not to Be“ ist eine Meisterleistung an Sarkasmus und Ernsthaftigkeit zugleich. Es ist erstaunlich, dass nicht nur Lubitsch sondern alle Beteiligten an diesem Film im Kriegsjahr 1942 und angesichts der bis dahin bekannten Gräueltaten des Nationalsozialismus ihren Glauben an eine Zeit nach Hitler und an die Menschlichkeit, ihre Kraft und ihren Humor nicht verloren hatten. „Sein oder Nichtsein“ war eben auch ein kraftvolles Zeichen der Hoffnung und ein Appell an die Bedeutung des Humors in extrem schwierigen Zeiten und für eine menschliche Zukunft.
|