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Sissi Österreich 1955, 102 Minuten Regie: Ernst Marischka
Drehbuch: Ernst Marischka Musik: Anton Profes, Frédéric Chopin, Georg Friedrich Händel Director of Photography: Bruno Mondi Montage: Alfred Srp Produktionsdesign: Fritz Jüptner-Jonstorff
Darsteller: Romy Schneider (Prinzessin Elisabeth von Bayern, Kaiserin Elisabeth, Sissi), Karlheinz Böhm (Kaiser Franz Joseph), Magda Schneider (Herzogin Ludovika von Bayern), Uta Franz (Prinzessin Helene von Bayern, Nene), Gustav Knuth (Herzog Max von Bayern), Vilma Degischer (Erzherzogin Sophie), Josef Meinrad (Gendarmerie-Major Böckl), Erich Nikowitz (Erzherzog Franz-Karl)
Verpackte Botschaften
„Das pappt mein Leben lang wie Grießbrei an mir.” (Romy Schneider zu ihrer Rolle als „Sissi”)
„Es ist besser Leidenschaft zu erleben und unglücklich zu sein, als sich mit Mittelmäßigem zufrieden zu geben.” (Romy Schneider)
„Ich kann nichts im Leben, aber alles auf der Leinwand.” (Romy Schneider)
Ich mag auch keinen Grießbrei. Aber die Perspektiven verschieben sich – nicht nur „einfach” mit der Zeit. Der eigene Erfahrungshorizont verändert sich stets und das kulturelle Outfit einer Gesellschaft macht Sprünge. Der Blick auf einen Film (und seine beiden Sequels) aus dem Jahr 1955 ist schon lange ohne einen Blick auf Romy Schneider kaum möglich. Damals, mit 16, 17 Jahren, die im wahrsten und ehrlichsten Sinn des Wortes reine, schöne Unschuld – und heute? In der Erinnerung an sie eine Frau, die von sich selbst sagte – so ehrlich, wie man es kaum ehrlicher sagen konnte –, dass sie mit ihren Leben, mit sich selbst, mit Männern, mit Deutschland, mit kaum etwas zurecht gekommen war. Diese Dinge sind bekannt. Ich muss sie nicht wiederholen. Da geht es mir so wie mit „Sissi”: Das Verhältnis des Films (und seiner beiden ebenso erfolgreichen beiden Sequels) zur Wirklichkeit, nicht nur der wirklichen Elisabeth von Österreich, sondern auch zur Wirklichkeit der damaligen Bundesrepublik ähnelt dem Verhältnis von Romy Schneiders Rolle zu ihrem eigenen Leben – fast zumindest.
Und trotzdem, bei aller Veränderung, bei allem Kitsch, bei aller Verkleisterung, bei allem Hellen, wo doch nur Dunkel ist, ist die Geschichte von „Sissi” auch die einer unglaublichen, nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit unwahrscheinlichen Beständigkeit. Schon in den 50er Jahren nach „Der Förster vom Silberwald” (28 Millionen Zuschauer) die erfolgreichste deutsche Trilogie (zwischen 20 und 25 Millionen Zuschauer) hält sie sich behände in den Köpfen, den Herzen und seit einiger Zeit auch in den DVD-Regalen des Publikums. Man könnte auch sagen: Die Konstanz des Erfolgs der Trilogie deutet auf die Konstanz von Sehnsüchten und Defiziten, Wünschen, Wunschproduktionen und seelischen Mängeln, die in der Gesellschaft der Bundesrepublik vielleicht „Formveränderungen” durchgemacht haben, in ihrer Substanz aber bestehen blieben.
Nur eine bestimmte Form falsch verstandener „political correctness” hält bestimmte Menschen von dem „Geständnis” ab, „Sissi” nicht nur gesehen, sondern in diesem Film auch für sich etwas „gefunden” zu haben – und sei es nur zeitweise.
„Ich fliehe vor der Welt samt ihren Freuden, und ihre Menschen stehen mir heut fern; es sind ihr Glück mir fremd und ihre Leiden; Ich stehe einsam, wie auf and`rem Stern... (Elisabeth: An die "Zukunfts-Seelen" 1887)
Die filmische wie die reale Elisabeth von Österreich waren von Schicksalsschlägen geprägt. Auch diese Fakten sind bekannt. Und trotzdem gibt es zwischen der filmischen und der wirklichen Elisabeth fundamentale Unterschiede. Im Film gibt es nur Probleme, die sich mehr oder weniger leicht lösen. Die reale Elisabeth ist zeit ihres Lebens nie damit zurecht gekommen, sich in das strenge Reglement am Wiener Hof einzufügen. Ihre Flucht in Krankheit und eine ausgedehnte Reisetätigkeit waren die Fluchten eines Menschen, der auch den Entzug seiner Kinder durch die herrschsüchtige Schwiegermutter Sophie letztlich nie verkraftet hatte. Ihre besonders in den letzten Jahren ausgeprägte Todessehnsucht deutet auf eine Frau, deren Tragik in der filmischen Trilogie keinen Ausdruck fand.
Kitsch also. Aber sagt das alles? Natürlich nicht.
Der Inhalt des ersten Films ist sicherlich mehr als bekannt: Die Mutter des österreichischen Kaisers Franz Joseph (Karlheinz Böhm), Sophie (Vilma Degischer), sucht eine Frau für den Regenten. Nach einigen diesbezüglichen Fehlschlägen einigt sie sich mit der Herzogin Ludovika (Magda Schneider) auf deren Tochter Prinzessin Helene (Uta Franz), genannt Nene, als künftige Gemahlin. Als sich Ludovika mit Nene und ihrer weiteren Tochter Elisabeth (Romy Schneider) in Bad Ischl mit Ludovika und Franz Joseph treffen, verliebt sich der Regent nicht in die ihm unbekannte Nene, sondern in deren Schwester Sissi – und setzt sich gegen seine herrschsüchtige Mutter durch. Die Verlobung der beiden wird bekannt gegeben. Im Film trifft Franz Josef Sissi zunächst zufällig auf dem Weg nach Bad Ischl, ohne ihre wahre Identität zu kennen, und verliebt sich in die vermeintliche „Lisl”, für die sich Sissi ausgibt. Der Film deutet gegen Schluss bereits an, dass Sissi mit den höfischen Regeln und vor allem mit ihrer Schwiegermutter nicht zurecht kommt. Und die junge Romy-Sissi, im Arm ihres Franz Josef, sagt: „Ach Franz, es wär’ alles so schön, wenn du kein Kaiser wärst.”
Die erst 15jährige Sissi fährt per Schiff auf der Donau nach Wien – begleitet von ihr zujubelnden Menschen an den Ufern. Eine „Traumhochzeit” bildet den Abschluss des Films.
Sissi – wer wollte das bestreiten – ist jung, unschuldig, und zugleich wild, süß, intelligent, lebensfroh, zart, ungezwungen. Und damit schufen Ernst Marischka und Romy Schneider jene Ikone des bedeutendsten deutschen Nachkriegs-Heimatfilms, die bis heute nachwirkt – also in Neuhochdeutsch: eine nachhaltige Ikone. Die „Nachhaltigkeit” dieser Fiktion geht vor allem, aber nicht nur auf Romy Schneider und ihre Rolle zurück. Marischka wusste genau, mit was und wem er das Publikum zu bedienen hatte. Wir sprechen hier von den 50er Jahren, der Adenauer-Ära – auch wenn der Film in Österreich produziert wurde –, also einer Zeit der erwartungsvollen Hoffnungen und unstillbaren Sehnsüchte nach dem Völkermord. Während Adenauer in den Wahlkämpfen jener Zeit verkündete „Keine Experimente” und damit nicht nur eine Front gegen den Osten meinte, sondern auch konservative Stabilität in jeder Hinsicht, waren die plakativen politischen Tendenzen doch mehr Illusion, mehr Schein als Realität. Trotz Wirtschaftswachstum und -„wunder” brodelte es längst in den überholten Strukturen – bis hinein in die Familien. Dass sich solches Brodeln nicht in aufständischem Eifer breit machte, konnte niemand nach 1945 eigentlich wirklich erwarten – schon gar nicht in Deutschland. Nein, es äußerte sich u.a. in der Sehnsucht nach der Fremde und dem Fremden: der Illusion des Mediterranen. Welche Familie, die es sich nicht irgendwie leisten konnte, war ab Mitte der 50er Jahre und in den Folgejahren nicht mindestens einmal in Italien – mit dem Bild eines verklärten Italien im Kopf.
In „Sissi” werden nicht jene Konflikte filmisch materialisiert, die es in der Zeit der Habsurger-Monarchie wirklich gab. Das war auch nicht Sinn und Zweck der drei Filme. Die Konflikte, die Marischkas Drehbuch vorsah, waren handlich, überschaubar, regelbar und lösbar – jeder dieser Konflikte. Selbst die negativen Figuren, vor allem die Erzherzogin Sophie, wurden durch einen gewissen Sympathiezuschuss handhabbar dem Publikum serviert. Daneben erlaubten Witzfiguren wie Major Böckl oder der von einer Schein-Schwerhörigkeit befallene Gemahl Sophies für das nötige Quentchen Komik, um den handhabbaren Konflikten selbst noch eine „weiche Landung” zu erlauben.
Nicht zuletzt aber die Verwurzelung der Hauptfigur selbst in einem Elternhaus, das mehr einem lustigen bäuerlichen Heim entspricht denn dem einer Adelsfamilie, bereitete den Humus, auf dem sich die Botschaften des Films entwickeln konnten. Der Vater Sissis ist ein Naturbursche im positiven Sinne, einer, der keine Standesdünkel kennt, der mit dem Adels-Verwandten genauso spricht wie mit dem Knecht im Stall, der zudem in der „unberührten” Natur die Quelle allen Daseins zu sehen scheint, während er das höfische Gehabe in Wien genauso hasst, wie Sissi sich ihm nicht unterordnen will. In dieser Gegenüberstellung von idyllischem, fast-bäuerlichen Frohsinn hier, Lebensmut und fast kalt und skrupellos dargestellter Lebensart am Hof drücken sich die Zweifel darüber aus, dass „das” so sein müsse. Die Figur der Sissi steht auch auf das „Eindringen” des Menschlichen, des Natürlichen, des Lebhaften in die Sphäre des Politischen.
Marischka „serviert” also eine handhabbare, überschaubare, kontrollierbare Geschichte in drei Teilen – nicht nur für seine Akteure, sondern vor allem für sein Publikum. Der erste Teil der ersten Botschaft der Trilogie ist damit schon genannt. Der zweite Teil ist die Hauptfigur des Films selbst, die sich – trotz aller „Wirrungen und Irrungen” – von niemandem und nichts unterkriegen lässt. Sissi kämpft an verschiedenen Fronten, selbst später in den beiden anderen Teilen der Trilogie gegen ihren Mann, als er sich zu deutlich auf die Seite seiner Mutter stellt. Sissi transportiert die Botschaft, sich durch nichts und niemanden daran hindern zu lassen, Gegensätze zu lösen, Widersprüche zu beseitigen. Hier findet sich die Befriedigung einer der Sehnsüchte des Publikums: das eigene Leben in den Griff zu bekommen und das Glück zu finden, das man so sehr braucht in dieser Zeit.
Die zweite Botschaft ist das Mittel, das Marischka und Romy Schneiders Sissi darreichen. Sissi „arbeitet” mit Zuneigung, Liebe, aber auch Entschlossenheit, Berechenbarkeit und Unverbrüchlichkeit. Sie bleibt sich treu, zumindest aber versucht sie es. Sie versucht immer wieder, verlorenes Glück wiederherzustellen, wieder aufzubauen, was durch andere zerstört wurde. Sie ist gar die Lehrmeisterin ihres Manns, der durch Karlheinz Böhm eher als die schwächere Figur von beiden dargestellt wird, einer, der manchmal doch zu sehr dem Machtdenken seiner Mutter verhaftet ist. Sissi führt in der Fortsetzung des Films die Versöhnung mit den ungarischen, adeligen Rebellen herbei.
Und hier kommt ein drittes Moment ins Spiel, eine unterschwellige Botschaft, die dennoch ihren Zweck kaum verfehlen kann: Das, was Erzherzogin Sophie verkörpert – Macht im öffentlichen wie privaten Bereich –, wirkt langfristig zerstörend. Das, was Sissi verkörpert – Liebe in ihren vielfältigen Formen –, wirkt langfristig aufbauend und führt zu Glück.
Dass dies alles in den Formen des Kitsches (vom hüpfenden Rehkitz bis zum Hochzeitspomp, von der Vergötterung einer scheinbar unberührten Natur bis hin zur verklärten Darstellung des Adels als bodenständigem Stand), der historischen Illusion (was die Zustände in der K.U.K.-Monarchie betrifft) und der biografischen Verfälschung (was die reale Elisabeth angeht) präsentiert wird – gut und schön oder schlecht und hässlich. Wer allerdings vor allem darauf abhebt, verkennt die enorme Bedeutung der Botschaften, die sich dahinter verbergen und eben auch heute noch mächtig zu wirken scheinen. Sissi – im Elternhaus mit etlichen „randalierenden” Geschwistern glücklich – betritt eine andere Bühne: die Bühne der Macht, noch dazu einer Macht, die keiner im demokratischen Sinne auch nur ähnelt. Sie operiert jedoch weiterhin mit dem, was sie gelernt hat: mit Verständnis, Zuneigung, Liebe, Kommunikation, Zugehen auf andere und so weiter. Sie betätigt sich politisch, wie sie sich immer politisch betätigt hat. Denn ob im privaten oder gesellschaftlichen Bereich ist der Versuch, verlorenes Glück wiederherzustellen, eine politische Äußerung. Während im privaten Bereich, wo Überschaubarkeit gegeben ist, das Gelingen eines solchen Versuchs überprüfbar ist, ist dies in großen gesellschaftlichen Zusammenhängen viel schwieriger. Und gerade hier ist der Ort, wo „Sissi” eben auch eine Botschaft an das Politische, an die Kräfte die dort wirken, beinhaltet.
Man mag solche Botschaften für lächerlich oder zumindest unwirksam halten, für verkitscht und illusionär. Die Wirkung solcher Filme wie der Sissi-Trilogie bis heute weist eigentlich auf etwas anderes – ob man das und die Filme nun mag oder nicht. (1)
(1) Oskar Negt und Alexander Kluge erzählten in ihrem Buch „Maßverhältnisse des Politischen. 15 Vorschläge zum Unterscheidungsvermögen” (Frankfurt am Main 1993) folgende Geschichte:
“In der Wahlnacht des 25. Januar 1987 war die Befragung der Spitzenpolitiker beendet. Das ZDF zeigte den Spielfilm Wenn die Alpenrosen blühn. In diesem Film spielt die zwölfjährige Christine Kaufmann ein Mädchen, dessen Eltern sich in Scheidung befinden. Auf dem höchsten Gipfel der deutschen Alpen gedeihen wilde Rosen, die, wenn jemand sie pflückt und dabei sich etwas wünscht, diesen Wunsch in Erfüllung gehen lassen. Das Kind pflückt die Rosen und wünscht sich, dass sein Papa wiederkehren möge. Dann stürzt es in einen Abgrund. Der Vater, vom Verschwinden seines Kindes benachrichtigt, besteigt den Berg, Rettungsmannschaften setzen sich in Bewegung. Das Kind wird gerettet und hat den Vater, der sein Leben riskierte, wiedergewonnen. Die Eltern geben den Gedanken der Scheidung auf. Dieses Kind hat sich politisch betätigt. Der Löwenanteil an politischer Energie mag sich in solchen Beziehungsnetzen finden, in denen die Wiederherstellung von verlorenem Glück versucht wird.
Eine große Sendeanstalt wie das ZDF drückt sich durch die Zeitordnung der Sendeplätze aus. Die Bundestagswahl, von der bei der Terminierung nicht bekannt sein konnte, wie sie ausgeht, war mit der Botschaft dieses Films gleichgestellt. Es beweist geringe politische Wahrnehmungskraft, sich an der kitschigen Form dieser Botschaft zu reiben und darüber die Nachricht, die sie übermittelt, zu unterschätzen.” (S. 35 f.) Das Motto der SPD für den damaligen Wahlkampf lautete „Versöhnen statt spalten”.
© Bilder: Kinowelt Home Entertainment. Screenshots von der DVD. (29. Oktober 2007)
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