Sommer
(Conte d’été)
Frankreich 1996, 113 Minuten
Regie: Eric Rohmer

Drehbuch: Eric Rohmer
Musik: Philippe Eidel, Sébastien Erms
Director of Photography: Diane Baratier
Montage: Mary Stephen

Darsteller: Melvil Poupaud (Gaspard), Amanda Langlet (Margot), Gwenaëlle Simon (Solène), Aurelia Nolin (Lena)

Gaspard, Margot, Solène, Lena ...

„Ich bin niemand, der
den Zufall herausfordert.
Ich mag es, wenn der
Zufall mich herausfordert.”
(Gaspard zu Margot)

Einer kommt an. In der Bretagne im Sommer. Man spürt die Wärme, das sommerliche Licht. Der junge Mann bezieht das Zimmer eines Freundes. Er wartet. Und überhaupt ist er, Gaspard (Melvil Poupaud), einer, der anscheinend ständig wartet. Er vertreibt sich die Zeit mit Gitarrespielen, mit Spaziergängen, mit Essen im Restaurant. Er komponiert ein Seemannslied, er geht schwimmen. Er wartet und schaut sich um. Er wartet auf seine Freundin Lena (Aurelia Nolin), die sich in Spanien befindet. Ein paar Tage später trifft er Margot (Amanda Langlet), eine Ethnologin, die im Restaurant ihrer Tante arbeitet und deren Freund sich auf einer Forschungsreise im Pazifik befindet. Beide kommen ins Gespräch, erzählen von sich, und schnell scheint Margot zu begreifen, dass sich Gaspard seiner Gefühle gegenüber Lena unklar ist.

Margot ist neugierig, sie bewegt sich gern unter Menschen, nicht weil sie Ethnologin ist – sie ist Ethnologin, weil sie sich gern unter Menschen befindet und sie kennen lernen will. Gaspard ist Mathematiker, er kalkuliert, wägt ab, prognostiziert, verwirft wieder ... Bei den langen Spaziergängen, die beide unternehmen, gewinnt Margot den Eindruck, Gaspard wisse gar nicht, ob er Lena überhaupt noch liebe. Und Gaspard antwortet:

„Da mich niemand liebt,
liebe ich auch niemanden.”

Wie in den anderen Filmen des Jahreszeiten-Zyklus erkundet Eric Rohmer – dieses Mal auf eine im Verlauf der Handlung zunehmend komische, ja groteske Art – die Dinge des Lebens, die Dinge, die das Beziehungsgeflecht und die Gefühlswelt (meist) weniger Personen in seinen Geschichten bestimmen. Er „konfrontiert” Gaspard mit drei Frauen: Lena, Margot und Solène (Gwenaëlle Simon), die Gaspard in einer Disko kennenlernt, in die ihn Margot geschleppt hatte. Doch eigentlich konfrontiert Rohmer seinen jungen, gut aussehenden Mann, der demnächst eine Stelle antreten will, mit sich selbst, mit seinem eigenen Innenleben.

Denn Gaspard ist einer jener durchaus zahlreichen und vorstellbaren jungen Männer, die sich nicht gezwungen fühlen (wodurch und warum auch), ad hoc zu entscheiden, mit welcher Frau sie denn nun zusammen sein wollen. So hat er die Auswahl, der eigentlich eher schüchterne Kerl, der sich nicht gern in Gruppen bewegt, sondern dann schon lieber allein durch die Welt streift. Rohmer „bietet” ihm drei Frauen zur Auswahl – und das ist keineswegs so gemeint, als wenn es hier um eine Art Heiratsmarkt gehe. Denn nicht er ist es z.B., der Margot anspricht; sie sieht ihn am Strand, erkennt ihn als Gast des Restaurants wieder und so kommen beide ins Gespräch. Margot fasziniert Gaspard – obwohl sie eine durchaus sehr kritische Zeitgenossin ist, die schnell erkennt, dass Gaspard keine Lust auf Entscheidungen hat. In den langen Spaziergängen der beiden geht es eigentlich nur um eines – um einen, um Gaspard. Und der merkt und sie merkt auch, dass beide zumindest ganz gute Freunde sein können.

Ganz anders Solène, die sich ebenfalls für Gaspard interessiert. Sie ist eher die lebenslustige junge Frau, die gleich alles paletti machen will – nur Sex bekommt Gaspard nicht gleich beim ersten Mal, und beim zweiten Mal wohl auch nicht.

Schließlich taucht die etwas schwierige und launische Lena auf der Insel vor der Bretagne dann doch noch auf, eine junge Frau, die Gaspard mal ganz nahe ist, dann aber wieder das Weite sucht.

Man könnte sich eine solche Handlung in der sommerlichen Bretagne auch als verfilmten Roman, der um 1900 herum spielt, vorstellen – ebenfalls als Handlung, in der viel ältere Personen spielen als Gaspard und „seine” drei Frauen. Der Zeitlosigkeit der Handlung entspricht eine beschwingte, fast sorglose Atmosphäre – fernab jeder alltäglichen Probleme. Alle Handelnden sind im Urlaub, Gaspard steht es noch bevor, seine Stelle anzutreten. Und auch die drei Frauen bewegen sich in sommerlichen Feriengefilden und haben keinerlei Stress. Zudem wirken keine anderen störenden Einflüsse – wie nervige Nachbarn, streitsüchtige Freunde oder sonst wer oder was.

Rohmer entwickelt diese Geschichte gegen Schluss zu einer Art Komödie. Immer enger wird es für Gaspard, der sich am Ende mit dem jeder drei Frauen gegebenen Versprechen konfrontiert sieht, an einem bestimmten Ort zwei, drei Tage zu verbringen. Wieder ist es der Zufall, der ihn aus dieser Notsituation rettet und ihm eine Entscheidung für eine drei Frauen erspart.

In Rohmers Filmen gibt es Momente der Ruhe, vor allem (auch in diesem Film) am Anfang seiner Geschichten. Dann allerdings wird munter diskutiert. Diese Dialoge sind jedoch weit davon entfernt zu langweilen. Auch in „Claires Knie”, in dem ein von sich absolut überzeugter Egomane sich immer wieder beweisen will, dass er jede Frau, jung oder alt, für sich gewinnen könnte, ohne dass er dies wirklich durchzieht, wird fast in einem fort geredet. Für manchen Kinogänger sind dies vielleicht ungewöhnliche oder sogar ungeliebte Mittel der filmischen Präsentation. Doch man kann sich auf diese – dem Hollywood-Kino völlig ferne – Art und Weise des filmischen Schaffens durchaus einlassen.

Gerade die Gespräche zwischen Gaspard und den drei Frauen, besonders mit Margot, enthüllen doch einiges und machen gespannt auf das weitere Handeln Gaspards. Zudem – und hier liegt ein wesentlicher Anknüpfungspunkt zu „Eine Frühlingsgeschichte” aus dem Jahreszeiten-Zyklus Rohmers – bleiben die Motive des Handelns der vier Hauptpersonen trotz allem offen – weil nicht nur bei Gaspard, sondern auch bei den drei Frauen (obwohl beispielsweise Margot einen ganz anderen Eindruck erwecken will) die Unsicherheit in ihrem Handeln offenbar wird. Margot hat einen festen Freund, und anfangs weist sie jede Annäherung Gaspards zurück. Später allerdings kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie diejenige ist, die sich Gaspard am weitesten nähert. Solène scheint – so äußert sie sich gegenüber dem jungen Mann – alles sofort festklopfen zu wollen, und doch verweigert sie ihm Sex. Kurz zuvor, behauptet sie, habe sie zwei Freunde gehabt, denen sie den Laufpass gegeben habe. Und Lena schwankt zwischen (vermeintlicher?) tiefer Zuneigung zu Gaspard und Flucht.

Rohmer überlässt es uns, dieser Geschichte zu folgen. Seine Filme handeln von Gefühlen ganz unterschiedlicher Menschen, die zumeist der Mittelklasse respektive Intelligenz angehören, die momentan nicht in ihrem Alltag verhaftet sind. Das hat in gewisser Weise den Vorteil, dass wir abseits irgendwelcher „Belastungen” die Gefühlswelt der Akteure beobachten, nachempfinden, ergründen – oder uns auch etwaigen Rätseln über ihre Motivation stellen können. Dass diese Geschichten so herausgerissen aus dem Alltag inszeniert wurden, mag befremdlich erscheinen – ist es aber nicht. Rohmer zeigt uns seine Akteure sozusagen in den Mußestunden ihres Lebens, in denen deren Gefühlswelt sich „reiner” darbieten kann.

„Conte de d’été” gehört zu einem Zyklus von vier Filmen des französischen Regisseurs, in dem er sich auf unterschiedliche Weise solchen Fragen stellt („Conte printemps”, „Eine Frühlingserzählung”, 1990; „Conte d'automne”, „Herbstgeschichte”, 1998; „Conte d'hiver”, „Wintermärchen”, 1992).

© Bilder: Fox Lorber.
Screenshots von der DVD.

(17. September 2007)